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Wahlen ändern nichts | Das Land denen, die es bearbeiten |
Wahlbetrug, die Parteilichkeit der Behörden und die Repression haben für die UCPFV-Mitglieder wieder einmal bestätigt, daß mit legalem politischen Kampf kaum Veränderungen zu erwarten sind. Doch entmutigen lassen sie sich nicht. Am 15. September besetzen sie die Kaffeeplantage Prusia (Preußen), im Besitz der von Knoops, einer weiteren deutschen Großgundbesitzerfamilie im Distrikt, und am 25. Oktober die Fincas Sayula, Las Chicharras sowie einhundert Hektar Staatsland. Dadurch haben sie nicht nur die größten Latifundien des Distriktes in ihre Gewalt gebracht, sondern kontrollieren durch zahlreiche Straßensperren auch 90% des Territoriums von Angel Albino Corzo. In einem offenen Brief wendet sich die UCPFV am 27. Oktober an den Gouverneur von Chiapas: »Wir wollen keinen Krieg, wir wollen Land!« Sie fordern die Legalisierung der enteigneten Ländereien und Verhandlungen über die Fincas Las Delicias, Las Perlas, Monteverde und Berlín, letztere zwei im Besitz der Familie Orantes.
Der Appell der Villistas stößt jedoch auf taube Ohren. Schon einen Tag später wird das Mitglied der UCPFV Porfirio Vázquez Vázquez nahe Sayula von einem »Unbekannten« erschossen. Staatliche Behörden weigern sich, den Leichnam entgegenzunehmen und Untersuchungen einzuleiten. Daraufhin ruft die UCPFV für den 30.Oktober zu einer Protestkundgebung in Jaltenango auf. Die Menschen, die den Sarg ihres ermordeten Compañeros zum Rathaus tragen wollen, kommen nicht weit. Polizisten und Mitglieder der PRI, die sich in der Kreisstadt versammelt haben, beenden durch Schüsse in die Luft, Knüppelschläge und den Einsatz von Tränengas die Demonstration und nehmen neun Personen fest. Diese, darunter drei Familienangehörige des jüngst ermordeten Roberto Hernández Paniagua, werden ins Gefängnis Cerro Hueco gebracht, angeblich, um sie »vor Lynchjustiz der aufgebrachten Menge zu schützen.« Die staatlichen Behörden scheuen vor keiner auch noch so absurden Verdrehung zurück.
Nach diesen Auseinandersetzungen tritt für kurze Zeit relative Ruhe in Angel Albino Corzo ein. Die Kaffee-Ernte beginnt und die Villistas machen sich daran, die roten Kaffeekirschen von den Bäumen zu pflücken. Zum ersten Mal in ihrem Leben arbeiten sie auf eigene Rechnung und ohne Patrón. Doch schon kündigt sich weitere Unruhe an. Carlos Salinas de Gortari übergibt sein Präsidentenamt an Ernesto Zedillo, um sich später mit ausreichend Reisegeld im Gepäck, von 200 Millionen US-$ wird gemunkelt, über die USA nach Irland abzusetzen. Auch in Chiapas steht der Wachwechsel an PRI- und Regierungsspitze an, begleitet von erheblichen Aufregungen. Schließlich hatte die EZLN unmißverständlich klargemacht, daß sie nur Amado Avendaño akzeptieren und eine Einsetzung des »Wahlbetrügers« Eduardo Robledo Rincón als Bruch des Waffenstillstandes werten würde.
Dennoch wird diesem am 8. Dezember, im Beisein Ernesto Zedillos und geschützt durch die mexikanische Armee, im Theater von Tuxtla Gutiérrez der Gouverneursposten formell übergeben. Zeitgleich ruft Amado Avendaño auf dem zentralen Platz der Stadt vor Tausenden von Menschen eine »Regierung für den demokratischen Übergang« mit ihm als »Gouverneur in Rebellion« an der Spitze aus. Als Sitz wählt die mit ihren 58 Organisationen Amado Avendaño unterstützende Demokratische Versammlung des chiapanekischen Volkes AEDPCH nicht Tuxtla Gutiérrez aus, was sicherlich blutige Auseinandersetzungen mit Anhängern der Regierungspartei nach sich gezogen hätte, sondern die besetzten Gebäude des Instituto Nacional Indígenista (INI) in San Cristóbal.
Auch Delegierte der UCPFV treffen sich regelmäßig mit Vertretern der Gegenregierung, um über Möglichkeiten einer friedlichen Lösung des Landkonflikts in Angel Albino Corzo zu beraten. Immerhin verfügt Amado Avendaño durch die große Anzahl der hinter ihm stehenden Gruppen über einigen Einfluß. Aber Zugang zur realen Macht, dem Agrarministerium und anderen Entscheidungsträgern, hat er nicht. Und gutgemeinte Versprechungen helfen den Menschen in der Sierra Madre nicht weiter. Schließlich gehen die Großgrundbesitzer mit paramilitärischer Gewalt gegen besetzte Fincas vor.
Am 2. Dezember dringt Folke von Knoop mit 60 bewaffneten Gefolgsleuten auf die besetzte Finca Prusia ein. Die politischen Analysen des 37-jährigen Deutschen mögen sicherlich seltsam anmuten: »Die Besetzungen haben auch mit Greenpeace und Sendero Luminoso in Peru zu tun, die alle vorne das Gute zeigen, aber im Hintergrund ist alles gesteuert.« Die Rückgewinnung seines Grund und Bodens hat er sich jedoch fein ausgedacht.
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Revolutionäre Parolen rufend nähert sich die kleine Armada der Straßensperre und kann die so in die Irre geleitete Wache überraschen. Was danach passiert, läßt sich schwer rekonstruieren. Laut Folke von Knoop wurde sein Trupp von den zunächst geflüchteten Villistas angegriffen, konnte sich aber, »Gott sei Dank haben wir ein paar Waffen gefunden«, auf der Kaffeeplantage behaupten. Mindestens einen Toten und sechs Verletzte hat diese Gewaltaktion zur Folge. Später wird der Finca-Besitzer mit einem zur Verstärkung gerufenen Polizeihubschrauber ausgeflogen. Sechzig Wachleute bleiben auf Prusia, bis sie unter Zurücklassung ihrer Waffen und Ausrüstung vier Tage später das Weite suchen. Prusia wird von der UCPFV wiederbesetzt. Somit sind die größten vier Kaffee-Fincas der Frailesca wieder in Händen der Villistas.
Ebenso turbulent wie dieser Landkonflikt in Angel Albino Corzo entwickelt sich das innenpolitische Szenario in ganz Chiapas. Immer mehr Gemeinden verweigern dem neuen offiziellen Gouverneur die Gefolgschaft. Am Jahreswechsel 1994/95 befindet sich die Hälfte der 111 Distrikte in Rebellion.
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