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Inhaltsverzeichnis Inhalt Das Jahr, in dem wir nirgendwo Aufwärts

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Che in Lulimba


Bilanz in Ches Tagebuch Ende August:


CHE: Der bloße Forschungsaufenthalt ist für mich beendet, was einen Schritt nach vorn bedeutet. (...) Man muß die Bauern in der ganzen Gegend organisieren und die Front unter eine einheitliche Führung bringen. Alles erscheint in einem anderen Licht. Heute zumindest! (...) Doch wenige Tage später beherrschten die Mißklänge schon wieder die Situation. (...) Am finstersten stand es um die Beziehungen von Masengo und Kabila zu den Chefs der Gegend von Fizi und zwischen der Revolution und der tansanischen Regierung. Kabila und Masengo trafen in Kibamba ein, doch augenblicklich wurde die Nachricht bekannt, daß die Autoritäten von Tansania sich weigerten, eine Reihe von Waffen zu liefern, die wir angefordert hatten, darunter die sehnlichst erwarteten Zünder für die Panzerminen, und Kabila aufforderten, sich unverzüglich einzufinden.

Lawton (Changa) bestätigt diese Version. Che schlägt daraufhin die Blockade Lulimbas vor, um dort einen Angriff zu versuchen, wobei die Landstraße Katenga-Lulimba gesperrt werden sollte, um zu verhindern, daß Verstärkung eintraf. Pombo und Nane waren verantwortlich für die Hinterhalte.

CHE: Und wir begannen, in der Umgebung einer Brücke anzugreifen, die wir Tag für Tag zerstörten und die der Feind mit großer Geschwindigkeit reparierte, bis sie dort endgültig eine große Garnison stationierten, die es uns in der Folgezeit unmöglich machte, dort zu agieren.

Während dieser vergeblichen Gefechte nutzte Che die Zeit, um in der Gegend eine breitangelegte soziale Aktion durchzuführen; der kürzlich eingetroffene Arzt Hindi übernahm Sprechstunden für die Bauern, und Che selbst teilte in den Gemeinden Saatgut für Gemüse aus. Daraufhin beschloß er, nach Lulimba zu gehen, um Lambert weitere Aktionen vorzuschlagen und die Möglichkeit eines Angriffs auf die Siedlung zu sondieren, denn der eroberten Gehaltsliste zufolge wurde diese von lediglich 103 Mann verteidigt. Am 14. September brach Che nach Lulimba auf, Azi übernahm die Vorhut.

CHE: Es war ein wolkiger Tag mit fortwährenden Regenfällen, die uns nicht sonderlich schnell vorankommen ließen und uns immer wieder zwangen, in einem der verlassenen Häuser Zuflucht zu suchen, die es an der Landstraße im Überfluß gab. (...) Im Morgengrauen hörten wir Gefechtslärm und heftiges Feuer der Luftwaffe aus der Richtung unseres Hinterhalts.

Mehrere Tage später sollten sie von Dreke/Moja die Gründe des Schußwechsels erfahren.

MOJA: Die Gardisten durchbrachen die Verteidigungsstellungen, wobei sie selbst Truppen- und Materialverluste erlitten. Es ging ihnen weniger darum, unser Manöver in Richtung Lulimba zu vereiteln, als vielmehr, eine eigene Offensive vorzubereiten. Der Mangel an ernsthafter Feindaufklärung wirkte sich nachteilig für uns aus.

CHE: Gegen Mittag begegneten wir Azima, der von seiner Erkundung zurückkam. Er war bis zu der Siedlung vorgestoßen, die wir Lulimba nannten, ohne auf Gardisten zu treffen; der Weg, den er eingeschlagen hatte, verläuft parallel zu den Positionen der Rebellen in den Bergen bis zu dem Punkt, wo er auf die Landstraße von Front de Force stößt und direkt auf die Dünen zuläuft.

Später werden sie bei einer ersten Erkundung einem Kilometer vor La Mission, einer verlassenen protestantischen Kirche, von Wachtposten beobachtet und aus sechzehn Kanonen- und Mörsergeschützen bombardiert.

Die Gruppe beschloß, für die Nacht dort Unterschlupf zu suchen und den Generalstab von Lubonja zu informieren. Am nächsten Tag bringt man sie zum Stützpunkt von Lulimba, dem Lager der Truppen Lamberts: verlauste Hütten am Straßenrand ohne Schützengräben und Unterstände, ein paar Luftabwehrgeschütze und Bazookas in der vordersten Linie.


CHE: Die Schützengräben waren immerzu ein Anlaß für Kopfzerbrechen, denn aus irgendeinem ängstlichen Aberglauben weigern sich die kongolesischen Soldaten, sich in Gräben zu legen, die sie selbst ausgehoben haben, und legen somit überhaupt keine soliden Verteidigungsstellungen an, um sich vor Angriffen zu schützen. Die Stärke der Position lag in der Abschüssigkeit der Schlucht, die den Weg überragte, der sich zwischen den Hügeln hinaufschlängelte. Von dort aus konnte man eine im Aufstieg begriffene Truppe leicht angreifen. (...) Im Lager waren wenig Leute und kein einziger Chef.

ALEXIS: Tatu kam nachts an, im Morgengrauen. Er kam zu Fuß. Unser Chef teilt uns mit, daß wir Besuch hätten. Es war keine große öffentliche Angelegenheit. Ich hatte keinen Rang, keinen Dienstgrad. Ich war zuständig für die Luftabwehrkanone. Wir bedienten das Geschütz zu acht.

Sie wollen sofort weiter nach Lubonja, aber man teilt ihnen mit, daß ein Kommandant zum Lager unterwegs ist und daß sie bis zum nächsten Tag auf ihn warten sollten. Man informiert sie, daß Lambert in Fizi bei einer kranken Tochter ist. Seit eineinhalb Monaten ist er aus mal diesem, mal jenem Grund nicht mehr im Lager gewesen.

ALEXIS: Als ich die Kubaner zum ersten Mal sah, dachte ich: »Gut, jetzt werden wir bestimmt den Krieg gewinnen, weil Leute aus einem anderen Land gekommen sind, um uns zu helfen.« Aber ich dachte auch: »Es sind Weiße. Warum kommen Weiße hierher, wenn wir doch gegen die Weißen kämpfen?«

Auf die Bitte der Führung hin hält Che eine Ansprache vor einer Gruppe von mindestens 100 Mann, nicht alle davon bewaffnet.

CHE: Ich setzte ihnen die übliche Predigt vor: Männer in Waffen sind noch keine Soldaten, sondern eben nur das, Männer in Waffen; der revolutionäre Soldat formt sich selbst im Kampf, aber bei ihnen wurde nicht gekämpft. Ich forderte sie auf, von den Bergen herabzusteigen, Kubaner und Kongolesen zusammen, unter gleichen Bedingungen, denn wir seien gekommen, um mit ihnen gemeinsam die Leiden des Kampfes durchzustehen. Dieser würde sehr hart sein; es war kein baldiger Friede zu erwarten, und es würde keinen Sieg ohne große Opfer geben. Ich erklärte ihnen auch, daß die dawa gegen die modernen Waffen nicht immer ihren Zweck erfüllte und daß der Tod ein ständiger Begleiter in der Stunde des Kampfes sein würde. All dies in meinem rudimentären Französisch, das von Charles Bemba ins Kibembe, die Sprache dieser Gegend, übersetzt wurde.

ALEXIS: Man ließ mich rufen. Wir waren ungefähr zu viert oder zu fünft. Mein Chef sagte zu mir: »Wir haben Besuch.« »Was für Besuch?« »Ein paar Kubaner.« In einem Haus war Tatu. Als wir eintrafen, hielt unser Chef eine Rede: »Damit ihr unsere kubanischen Brüder kennenlernt, die gekommen sind, um für uns zu kämpfen.« Er stellt uns alle vor. Bei Tatu waren mehrere Weiße, ich glaube drei, ich erinnere mich an Aragonés, Dreke, Pombo, M'bili, und ein Politiker war dabei. Wir gaben allen Kubanern die Hand und begannen uns zu unterhalten. Der Che ließ Freddy übersetzen, was er sagte. Er sprach auf französisch, und Freddy übersetzte auf Kisuaheli. Tatu hatte eine Uniform an, eine Feldflasche und seine Waffe. Ich sprach mehrere Male mit ihm, weil er mehrere Male zu meinem Geschütz kam. Er fragte: »Wer führt dieses Geschütz.« Und darauf antwortete ihm unser Chef: »Dieser Genosse«, und zeigte auf mich. Und daraufhin fragte mich der Che: »Kennst du dich gut mit deinem Geschütz aus?« Ich sagte ihm, ja, es sei ein sowjetisches Maschinengewehr, und ich würde mich gut damit auskennen, ich konnte mir die Augen mit einem Taschentuch verbinden und alles gefechtstüchtig machen, ich kenne alles daran; ich hatte es von einem feindlichen Soldaten gelernt, den wir gefangengenommen hatten, er brachte mir bei, wie man es einfetten und warten mußte. Da fragte er mich: »Wie lange bist du schon an dieser Waffe?« Ich antwortete ihm: »Eineinhalb Jahre.« Er fragte noch einen anderen, der sagte, er sei acht Monate hier. Er sagte, unsere Bewegung sei stark, aber einige von unseren Führern behandelten die Bauern schlecht und daß ein Revolutionär niemals die Bauern schlecht behandeln dürfe, denn für sie kämpften wir. Daß wir nicht dafür kämpften, damit einige zum Leutnant oder zum Kapitän befördert würden, sondern um unser Land zu befreien. Es war eine richtige kleine Ansprache.

Unser Chef war Major Lambert; er hatte das Personal ausgewählt, das den Che empfangen sollte. Wir waren diejenigen, die am meisten Prestige hatten, diejenigen, denen er am meisten vertraute. Damals dachte ich: »Warum kommt ein Weißer von so weit her, um uns zu helfen? Er hat dort sein Haus, seine Frau zurückgelassen ... Aber gut, kann sein.« Ich war verwirrt. Ich sagte mir: »Na gut, kann sein.« Wir hatten keine politische Ausbildung. Ich konnte nicht verstehen, warum ein Weißer kam, um uns Schwarzen zu helfen, wenn unser Kampf doch gegen die Weißen ging. Andere dachten noch Schlimmeres als ich. Wir glaubten nicht, daß wir für die Befreiung unseres Landes kämpften, sondern daß wir gegen die Weißen kämpften. Eigentlich wußten wir nicht genau, wofür wir kämpften. Die Führer wollten wie Staatspräsidenten leben, bequem, nur waren sie noch keine Staatspräsidenten. Die meisten von ihnen kamen nie an die Front, um herauszufinden, was wir brauchten und wie der Krieg verlief. Sie wollten nur bequem leben.



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