Renée Green ist eine in New York lebende afro-amerikanische Künstlerin und Autorin. Sie hat in Nordamerika, Lateinamerika und Europa Ausstellungen und Projekte durchgeführt; darunter in New York, Los Angeles, Lissabon, Nantes, Köln, Caracas und Wien. Ihre Arbeit war in den meisten Fällen auf den Ausstellungsort und seine Geschichte bezogen. Sie veröffentlicht u.a. in «Texte zur Kunst», Köln und in «Transition», Cambridge, Mass. Zur Zeit lebt sie als DAAD-Stipendiatin in Berlin. 1990 wohnte sie, ohne mich zu kennen, ein paar Tage in meiner Wohnung in Köln, während ich nicht da war. Sie sah HipHop- Videos auf MTV Europe und diverse Bücher zu schwarzer Kultur und Musik in meinen Bücherregalen. Sie fragte sich nach der Referenz zu diesen Fundstücken in meinem Leben und in deutscher Kultur im allgemeinen. Wie verstehen zum Beispiel deutsche Kinder die Gartenparty, die in dem Video «Summertime» von DJ Jazzy Jeff & The Fresh Prince zu sehen ist und die voller Verweise auf afro-amerikanische Alltagskultur steckt? Für ihre Ausstellung «Import-Export The Funk Office» (März 1992) thematisierte sie Kulturexport und -import, die Beziehung Adorno-Angela Davis, die deutsche HipHop-Rezeption und verwand neben vielen anderen Dokumenten und Artefakten auch Videos, die sie in New York und Köln mit mir gemacht hatte, Gespräche zwischen uns beiden, sowie zwischen mir und Greg Tate, Gary Simmons und anderen Künstlern, Musikern, Buchhändlern und DJs, die sie arrangiert hatte. Im März 1993 stellte sie für eine Retrospektive ihrer Arbeit im MOCA, Los Angeles eine aktualisierte Version dieser Arbeit her. Da ich wieder gerade in der Nähe war, als Dozent und Journalist in LA, führten wir eine neue Runde Interviews, u.a. mit John Outerbridge, einem Veteranen des Black Arts Movement der 60er Jahre, dem HipHop-Aktivisten Brian Cross (B+), den Mitgliedern des Rapper/Dichter-Kollektivs blackmadrid u.a. Natürlich sprachen wir auch über dieses Buchprojekt, das im Herbst 92 begonnen hatte. Wesentliche Ideen, die in dieses Buch eingegangen sind, gingen auf unsere Gespräche zurück: z.B. das Konzept, die Texte dialogisch zu arrangieren, so daß sie wie Antworten auch dann noch wirken, wenn sie im Original gar nicht aufeinander Bezug nehmen. Zwei Konversationen nahm ich auf Band auf. Sie sollen hier als Vorwort dienen. Renée Green als Zeugin oder gar wie eine native speaker für eine Kultur sprechen zu lassen, ist natürlich nicht möglich oder meine Absicht. Nachdem sie mich vorher als «Quelle/Zeugen» eingesetzt hat, war aber bereits ein Spiel im Gange, das Russel Ferguson in einem Gespräch mit ihr so beschreibt: «Your 'native informant' Diedrich Diederichsen acts as the European source, but he speaks to you about the culture that you yourself come from. The relationship starts to fold in on itself so much that it begins to problematize and break down some archies of most cross-cultural exchanges.» Worauf Renée antwortet: «Yes, that was the idea behind the work. 'Import/Export' is meant to be something, that goes back and forth and actually becomes more and more confusing.»1 In diesem Sinne sollte auch dieses Buch nicht fixieren, was «schwarze» oder afro-amerikanische oder afro-diasporische Kulturkritik ist, welche Gegenstände sie habe etc., sondern Bestandteil eines Austauschs sein, der sich nicht einbilden kann, von Mißverständnissen und Hierarchisierungen einfach frei zu sein, aber dennoch versucht, abseits der üblichen Kanonisierungen und Delegierungen Kanäle zu eröffnen.
Dieses Buch erscheint in einem Deutschland, das einerseits mit der überwiegenden Mehrheit seiner Volksvertreter rassistisch motivierte Gesetze erläßt und auf der anderen Seite ganz verrückt nach «exotischer» Musik und «dem Fremden» ist. Hatte HipHop im Gegensatz etwa zur «Weltmusik»-Rezeption noch den Vorteil, von Fans lange vor der Plattenindustrie entdeckt und aufgenommen worden zu sein, war es doch andererseits gerade der von Fans mitinitiierte Sampler «Krauts With Attitude» mit seinen vor problematischen bis naiv-rassistischen Formulierungen wimmelnden Liner Notes, der z.B. Renée auf deutschen HipHop neugierig machte. Daß die Begeisterung für afro-amerikanische Musik niemanden daran hindert, Rassist zu werden, darf in einer Zeit, wo auch Prince-Fans Asylbewerberheime anzünden, als gesichert gelten. Hier reduziert sich dann der «direktere», unvermitteltere Zugang des Fans zur bloßen inhaltlosen Energieversorgung. Doch auch jedem naiv die «Musik der Unterdrückten» verklärenden Linken muß spätestens seit HipHop klar sein, daß auch diese patronisierende Rezeption nicht mehr geht. Die Begleitung und Unterfütterung dieser gestörten Faszination und der auf ihr aufbauenden Rezeption ist aber eher Anlaß, nicht Ziel dieses Buches. Den Mißverständnissen und Reduktionismen bei der Rezeption afro-amerikanischer Musik in Deutschland geht die Ausblendung aller anderen Aspekte afro-amerikanischer Kultur voraus. Die weitgehende Ignoranz gegenüber zeitgenössischen intellektuellen Ansätzen aus den USA in Deutschland ist auch eine Ignoranz gegenüber einem Denken von people of color. Die meisten dieser Ansätze gingen zuletzt nicht nur auf afro-amerikanische, aber nichtweiße Autoren und Autorinnen zurück. Davon kommen in Deutschland meistens nur ein paar blöde Herrenwitze über «Political Correctness» an, wie sie seit einer Weile schon der «FAZ»-Korrespondent Jörg von Uthman und in letzter Zeit auch der «Spiegel»-Jungschreiber Matussek reißen. Die Auseinandersetzung mit diesen Texten scheint aber vor den beschriebenen Hintergründen ziemlich vielversprechend, auch wenn weder die Übersetzer noch der Herausgeber mit allem einverstanden sind, was darin vertreten wird.
Die erste Konversation mit Renée Green spielt auf einer langen Autofahrt von Silverlake nach Santa Monica, wo wir zur Vorstellung von Nelson Georges Buch «Baps, B-Boys, Buppies & Bohos» unterwegs sind. Die zweite spielt im Museum of Contemporary Art. Während wir reden, baut Renée ihre Ausstellung auf.
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