Projekt Gedächtnis |
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ID-HAUSMITTEILUNGEN[ID 99 vom 01.11.1975] ZUR VERBREITUNG UNTERDRÜCKTER NACHRICHTEN Ein Mitglied des ID-Kollektivs ist am Dienstag, den 21. Oktober, von einem Angestellten des Staatsschutzes, Abteilung T (Terror) besucht worden. Dazu folgendes Gedächtnisprotokoll: "Es klingelt um 10 Uhr 30. Seit zwei Monaten wohne ich alleine. Ich im Bademantel zur Tür, war schon ganz schön wach. "Herr H.?" Vor mir steht ein etwa 27jähriger Typ in Jeans, kurze helle Haare, groß und kräftig. "Ja", sage ich und bin etwas ärgerlich über die Unterbrechung meiner Frühstücksvorbereitungen. Er: "Kann ich reinkommen?" Nun bin ich morgens ein freundlicher Mensch und dachte ;,armer Vertreter, trink ne Tasse Kaffee mit' Ich: "Ja, kommen Sie rein". Er schon halb drinnen; ich bugsiere ihn in die Küche, guck ihn mir noch mal an und frage: "Wie war Ihr Name7 " Er: "Burowski" und kramt einen Ausweis aus der Tasche, "vom Staatsschutz, Abteilung T." Hallo, denk ich, bleib ruhig, macht dir deinen Kaffe, laß dir erst mal erzählen, was er will. Da fällt mir ein, hat der Typ eventuell Knarre oder Tonbandgerät dabei? Ich: "Was haben Sie denn so alles mit7 ", sage es und fingere ihn sofort ab: Jacke aufgeschlagen, abgetastet - er hatte nichts, zumindest habe ich es nicht gesehen. Er war ziemlich perplex, behielt aber seine freundliche Rolle. Er: "Sie waren in Portugal? " Ich: "Wieso, woher wissen Sie das? " Er: "Na, hören Sie mal, wir interessieren uns für alles." Ich denke mir, spiel mal mit, vielleicht erfährst du was. "Ja", sage ich "ein herrliches Land." Ich fange dann sofort an, zu fragen: "Ja, sagen Sie mal, wie kommen Sie denn zum Staatsschutz7 " und gieße das kochende Wasser auf den Tee, Kaffee ist alle. "Und was wollen Sie hier bei mir? "Nach kurzem Hin und Her, er verdient angeblich 2.500 Mark im Monat, war verheiratet, wohnt jetzt alleine in einem 360-Mark-Appartement mit allem, fährt auch privat einen BMW, Adresse und Autonummer will er mir nicht geben. Dann rückt er raus: "Mir ist es ja auch nicht angenehm, ich habe Auftrag, Sie wegen des ID's aufzusuchen". Ich: "Ach du lieber Gott, wie war Ihr Name, Burowski?" Er: "Sehen Sie mal, ich bin selber in der SPD und mir paßt auch so einiges nicht, aber daß da so einige mit Gewalt die Reaktion zwingen wollen, das ist zuviel, deswegen bin ich bei dieser Abteilung, aber auch wenn alle hochgenommen sind, gibt es immer noch die Institutionen." Und das sagt er ganz eindringlich. Dann: "Sie müssen doch jetzt Ihr Examen machen, was werden Sie dann tun? " Ich: "Arbeiten". und zähle auf, was ich alles kann, und daß es bestimmt für mich Arbeit geben wird. Er ist noch nicht so ganz zufrieden und schlägt vor, man solle sich häufiger unterhalten, er würde mir Informationen geben, soweit das ginge, und ich solle ihm Informationen geben über den ID. Ich: "Wieviel zahlen Sie? " Er lacht. Vorher hat er noch vom MEK erzählt, nachdem ich ihn gefragt hatte, ob er Katharina Blum gesehen hat. Hat er nicht, aber er kenne die Leute vom MEK, er sei während seiner Ausbildung auch kurz dabei gewesen, und daß das nun wirklich ganz "harte Typen" seien. "Die werden richtig scharf gemacht, die will auch keine andere Abteilung mehr haben." Zwischendurch bemerkte er mal: "Sie haben ja mal in der Schumannstr. 69 gewohnt (Die Nr. 69 war Teil des besetzten Wohnblocks, der am 21. Februar 1974 geräumt und abgerissen wurde - siehe ID 24 und Sondernummer), die ist ja nun leider abgerissen." Ich: "Wieso, die Nr.51 steht noch bombig." Er: "Ach so, da hab ich mich nicht so genau umgesehen." Es klingelt wieder. W. steht vor der Tür. Mir fällt ein Stein vom Herzen, plumps, und erst jetzt merke ich, wie angespannt ich bin. Ich stelle den Herrn vom Staatsschutz vor, W. gibt ihm die Hand und sagt: "Oberstaatsanwalt". Ich sage dann zum Herrn Burowski: "Ich würde jetzt sagen, es ist genug." Frage ihn noch mal nach seiner Adresse, er gibt sie aber nicht. Er: "Wenn Sie mal in irgendeiner Kneipe sind, stehe ich dann neben Ihnen und wir können uns dann weiter unterhalten", er haut ab. Gedächtnisprotokoll W.: "Ich klingele, C. kommt zur Tür, lacht und sagt irgendwas in der Art: "Da ist jemand vom Staatsschutz, Abteilung T da." In der Zwischenzeit sind wir in der Küche. In der Ecke sitzt ein Typ auf dem Stuhl, wie von C. beschrieben, locker, Beine übereinandergeschlagen, hellblauen Jeans-Anzug, leichte Schuhe. Ich, ganz auf der Scherz-Ebene, gehe auf ihn zu und sage: "Oberstaatsanwalt". Er sagt irgendwas kollegiales, was ich nicht verstanden habe, weil es ja eh ein Scherz war. Wir setzten uns und C. und "T" unterhalten sich weiter auf dieser Ebene. Nach ein paar Sätzen fällt mir auf, daß C's Mundwinkel zuckt und er angespannt ist. Man kanns kaum fassen, der Typ ist ja echt. Es fällt ein Satz wie: "Wollen Sie also mit uns arbeiten, etwas tun?" Noch halb zweifelnd sage ich dazwischen "Dossiers? ". er schielt etwas unfreundlich zu mir rüber, irgendwie störe ich die Situation. C. wendet sich ab, "T" fragt mich: "Arbeiten Sie auch bei diesem ID mit? " Ich sage nichts und kuck in die Ecke, er sagt: "Na ja". C. sagt, dann es wäre jetzt genug, "T" solle gehen. "T" reagiert mit Athmosphäre-Produktion in Richtung auf mich derart: "Ja, wir haben uns ja ganz angenehm unterhalten, und er will auch nochmal vorbeikommen, nochmal reden und die Verbindung aufrecht erhalten, ganz freundlich. C. sagt, beim nächsten Mal soll er sich anmelden, mit Karte und so. "T" meint: "Nein, nein." C. sagt: "Sie sind doch Junggeselle, haben bestimmt ne Hausbar, Fernseher, Badezimmer, beim nächsten Mal kommen wir bei Ihnen vorbei." "T" sagt: "Nein", er versucht sich in Pose zu stellen und sagt: "Wenn Sie irgendwann mal in der Kneipe stehen, stelle ich mich neben Sie, und dann unterhalten wir uns weiter." Abgang. Im Zusammenhang mit diesem Besuch des Staatsschutzes, Abteilung T, ist zu erwähnen, daß der ID im Jahresbericht 1974 des Verfassungsschutzes (herausgegeben vom Innenministerium) innerhalb des Kapitels Vll. ("Terror und Gewalt"), Abschnitt 1 ("Bekenntnisse und Aufforderungen zur Gewalt") unter Absatz 1.4. folgendermaßen charakterisiert wird: "Informationen über terrori- stische Aktionen und Erklärungen terroristischer Gruppen veröffentlicht der wöchentlich in Frankfurt erscheinende "Informationsdienst zur Verbreitung unterdrückter (!) Nachrichten (ID); solche Nachrichten und Diskussionen über die Guerillataktik bringen auch "spontaneistische" und anarchistische Blätter sowie Schriften autonomer etc. etc...." (Es ist klar, daß diese Einschätzung der Arbeit des ID aus der Sicht der Ermittlungsbehörden erfolgt und mit der Arbeit, die wir tatsächlich machen, nicht das entfernteste zu tun hat). Wir haben im ID 97 vom 18. Oktober über die "Maulkorbgesetze" (13. Strafrechtsänderungsgesetz / Gesetz zum Schutze des Gemeinschaftsfriedens) berichtet, die der ehemalige Stuttgarter Oberlandgerichtspräsident Richard Schmidt wie folgt charakterisiert: "Niemand anders als der Vorsitzende des nationalsozialistischen Volksgerichtshofs, Richard Freisler, sei Schöpfer der im "Maulkorbgesetz" angelegten "Vorverlegung des Staatsschutzss" in den Raum der Meinungsäußerung. Hier ist nicht mehr die Tat, sondern schon die Meinung Gegenstand der Verfolgung durch die Justiz. Wenn man die Etikettierung des ID's im Jahresbericht des Verfassungsschutzes und die Tendenz des Gesinnungsstrafrechts zusammen betrachtet, wird deutlich, wie die Justiz durch die staatsschützenden Behörden im Vorgriff die opfer für das zu erwartende Gesetz fabriziert. In letzter Zeit kommt es immer häufiger vor, daß ID's, die an Gefangene gehen, zur "Habe genommen" werden, was heißt: sie erhalten ihn erst bei Entlassung, oder werden an uns zurückgeschickt. Es gibt da zwei Varianten von "Begründungen". Einmal heißt es lapidar: "Die Aushändigung von Exemplaren des ,lnformationsdienstes Frankfurt' wird auf dauernd ausgeschlossen, weil in diesen Druckschriften immer wieder Artikel mit strafbarem Inhalt zu finden sind" - in den ausführlicheren Beschlüssen wird als Hauptargument angeführt, daß die "Schrift geeignet ist, den Angeschuldigten zur Störung der Anstaltsordnung anzuhalten". Und das, weil: "Die Schrift dient offensichtlich der Agitation". "In ihr (der Druck- schrift) wird in einseitiger unsachlicher polemischer und beleidigender Weise (...) dem Leser der Eindruck von angeblichen (!) rechtswidrigen Übergriffen staatlicher Ordnungsorgane vermittelt." "Ferner besteht die Gefahr, daß die Schrift auch in die Hände anderer Gefängnisinsassen gelangen könnte". Ab dieser Nummer wird der ID als Streifbandzeitung ausgeliefert. Das hat den Vorteil, daß er weniger Porto kostet, (hoffentlich) schneller verschickt (gegenüber Drucksachen bevorzugt behandelt) wird und für uns der Versand weniger Arbeit macht. Die postalischen Bedingungen für den Zeitungsversand zwingen uns auf der anderen Seite zu einem teuren Herstellungsverfahren (Composer-Satz, größeres - A 3 - Format, für dessen Falten und Zusammenlegen wir keine Maschine haben). Die Umstellung von Produktion und Versand kann in den nächsten Wochen wieder mal zu sogenannten Unregelmäßigkeiten führen. Auf unserer "Tour de Typographie" haben wir die Normalschreibung erreicht. Nach langer Diskussion war das Argument der leichteren, weil gewohnteren, Lesbarkeit ausschlaggebend. Darin eingeschlossen ist auch das größere Schriftbild. Sowohl das neue Herstellungsverfahren als auch durch stetig steigende Auflage sind wir auf mehr und bessere Maschinen angewiesen. Wir brauchen dringend: eine elektrische Frankiermaschine, eine elektrische Adressiermaschine (Adrema), ein Sammelhefter mit mindestens fünf Stationen, mehrere Büroschreibmaschinen. Zu unserer finanziellen Situation ist zu sagen, daß die Außenstände schon wieder so hoch sind, daß wir eine Mahnaktion durchführen müssen. Das Mahnen erfordert einen unverhältnismäßig hohen Zeitaufwand und kostet auch Geld. Das wir nicht berechnen. Darum: bezahlt bitte in dieser Woche eure ausstehenden Abo-Beträge! |
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