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ID-HAUSMITTEILUNGEN

[ID 177 vom 14.05.1977]


ID-INNENWELT UND AUßENWELT

Das letzte ID - Plenum stand unter dem Motto: "Es muß alles ganz anders werden". Grund für diesen Umsturz ist eine Nachrichten- und Papierinflation, der wir mit unserer herkömmlichen Arbeitsweise nicht mehr Herr werden, sowie Kritik von außen, die uns nicht egal ist.
Es fängt damit an, daß immer mehr Leute dem ID was schicken, etwas abdrucken wollen, etwas von uns wissen wollen; was genau das ist, was nach unserem Anspruch auch passieren soll: politische Bewegungen schaffen sich ihr Medium selbst, in dem sie sich unzensiert darstellen können. Bloß ist unser Arbeitsalltag nicht auf der Höhe dieses großen Wortes. Wenn es auf den Redaktionsschluß am Donnerstag zugeht, entsteht immer öfter die unerträgliche Situation, daß ganz wichtige Sachen nicht mehr getippt werden, daß wir mit den vorhandenen Artikeln zu jonglieren beginnen, daß Sachen rausfliegen, ohne daß es einen inhaltlichen Grund dafür gäbe - außer, daß wir es nicht schaffen, die ganze Nacht zu rotieren.
Es werden bei uns von Montag bis Donnerstag durchgehend Nachrichten zusammengestellt und getippt. Da läuft es dann mal so, daß eine "normale" Nachricht Anfang der Woche getippt wird. Inzwischen passiert irgendwo was außergewöhnliches, wir treten mit den Leuten in Kontakt, die dabei waren, und die schicken uns den Artikel am Donnerstag. Er kommt aber nicht zum Tippen, weil noch ein Überhang von anderen wichtigen Sachen besteht, und bleibt liegen. Im Endprodukt, dem neuen ID, sieht das dann so aus, als hätten wir alle möglichen Allerweltsnachrichten wichtiger gefunden als den aktuellen Bericht. Die Absender spekulieren über unsere böse Absicht und suchen nach der ID-Zensur. Wie gesagt, so kann es kommen, denkt nur nicht gleich, das sei die Regel.
Nun ist klar, daß durch die Benennung dieser äußeren Bedingungen die Sache selbst nicht wieder im Lot ist. Die Kritik (von verschiedenen Ecken) geht dahin, daß sie bei uns politische Kriterien bei der Artikelauswahl annehmen. Einer, dem es am deutlichsten gestunken hat, ist der Horst aus Bremen. Er schreibt:

"Liebe ID'ler,
wir haben jetzt aber endlich die Faxen dick!!!! Uns reichts - auf westdeutsch. Einige Genossen und Genossinen aus Bremen, die bisher regelmäßig Artikel für den ID geschrieben haben, werden dies in Zukunft nicht mehr tun. Wir finden es ziemlich unverschämt, wie ihr mit den Artikeln umgeht. Beispiel: für die letzte Ausgabe sind euch mehrere Artikel zugeschickt worden - und das einzige, was aus Bremen abgedruckt wurde, ist die Ankündigung eines Films im Bremer Komunalkino! Ich möchte mal wissen, welche Bedeutung das für Frankfurt, Berlin oder München hat.
So, da also eh nichts von uns erscheint, können wir uns sparen, noch irgendwelche Artikel zu schicken. Wir verlangen von auch jetzt mal ne schriftliche Erklärung, nach welchen Kriterien ihr die Artikel auswählt, welche technischen und personellen Schwierigkeiten euch veranlassen, ständig irgendwelche wichtigen Artikel rauszuschmeißen! Und wenn ihr meint, einige ausgeflippte Bremer können sowas nicht verlangen, dann irrt ihr. Wir verlangen es!"


Zum Abwägen und Beschwichtigen fällt uns dazu nichts ein. Unsere technischen Probleme können wir darstellen, wie sie sind, sie sollen aber nicht als Antwort - Ersatz für eine inhaltliche Kritik herhalten. Und da läuft es dann prompt zu- sammen: die technische Fehlerquote wird dort höher, wo unsere politischen Schwierigkeiten mit einem Text zunehmen, wo die Darstellung brisanter und kontroverser Themen nicht mit den Mitteln des redaktionellen Normalbetriebs zu lösen sind. Uns fehlt ein kollektiv getragener Diskussionszusammenhang, der uns bei den eingehenden Nachrichten über den Fetzen Papier hinaus auch den politischen Kontext begreiflich macht.
Dies in dem knappen Zeitraum, den wir zur Fertigstellung einer Nummer haben, zu leisten, wird in dem Maße schwieriger, wie sich die Einzelbereiche, die zusammengenommen als Spektrum politischer und sozialer Bewegung den ID bevölkern, sich untereinander isolieren. Die starke regionale Auffächerung der aktuellen politischen Initiativen sorgt für zusätzliche Unterschiede bei Vorgehen und Einschätzung innerhalb der Bewegung. Das wird besonders augenfällig bei den einzelnen Anti-KKW-Gruppen und ebenso bei deren Beziehung zu - bei- spielsweise - den Bereichen Knast/Repression/politische Prozesse. Es übersteigt schlichtweg unsere Köpfe und unsere Kräfte, über diesem Spektrum die ordnende, sichtende und "objektivierende" Klammer zu bilden. Eine Klarheit konsumfertig und lesbar vorzuführen, die weder bei der hiesigen Linken,geschweige denn im ID-Kollektiv zu finden ist, haut einfach nicht hin, denn wir stehen selbst "mittendrin" und nirgends "drüber". Insofern können wir auch nicht garantieren, daß neben den sattsam uns packenden technischen Teufeleien keine politischen Pannen mehr passieren.
Mit der uns zur Verfügung stehenden konstanten Seitenzahl gehen wir jede Woche aufs neue das Risiko ein, die Gewichte falsch zu verteilen, einzelne Bereiche überzubelichten, andere zu übersehen oder ihren Stellenwert zu verkennen. Wir erwarten jetzt von euch weder Nachsicht noch Mitleid mit unserem schweren Schicksal, sondern solidarische Kritik, die den dargestellten Hintergrund miteinbezieht. Keine Artikel mehr zu schicken, ist dabei wohl keine Lösung, denn der ID soll ja auch und gerade dann benutzt werden und benutzbar sein, wenn was passiert. Damit ist der Bremer Frust nicht weg, klar, aber ... und da müßten wir wieder von vorne anfangen. Es wurde einmal sinngemäß gesagt: entweder der ID hat einen Anspruch und leistet, was man von ihm verlangt, dann isses o.k., oder er leistets nicht, dann kann er einpacken. - Das klingt wie: entweder ich gewinne im Lotto, dann ist gut, oder es wird nix und ich kann mir gleich die Kugel geben. Das will uns nun gar nicht behagen - vor allem, weil wir uns mit dem Projekt ID identifizieren, da viel reinstecken und gar keinen Grund sehen, die ganze Kiste für bankrott zu erklären. Mit dem Motto "es muß alles anders werden" haben wir einige Silberstreifen an den Horizont montiert - schließlich wollen wir die Proble- me nicht jammernd breittreten, sondern aus ihnen raus. Und so soll es (wird es? ) von nun an sein:
  • Jeden Morgen gibt's einen festen Redaktionstermin. Aktuelles wird verteilt und vorm Verschlampen bewahrt, Themen werden abgesprochen.
    (kritische Anmerkung: diesen "jour fix" beschließen wir etwa alle drei Monate, wenn uns das Zeug über den Kopf wächst, er ist aber bisher immer wieder eingeschlafen.)
  • Zu den im ID schwerpunktmäßig vertretenen Bereichen Betrieb/Knast und Justiz/ Ökologie/Uni/Internationales gibt es jetzt eigene Gruppen, die sich regelmäßig treffen, um, nicht nur die vorliegenden Nachrichten, sondern auch die dahinterliegende Politik zu bequatschen. Die Gruppen sind offen zusammen- gesetzt aus ID-Leuten und Praktikern des jeweiligen Gebiets. Über diesen erweiterten Kreis wollen wir näher an die arbeitenden Gruppen rankommen, Impulse für und Kontrolle über die veröffentlichten Sachen erhalten. Die Gruppe "Internationales" z.B., die mit dieser Vorgehensweise rühmlich angefangen hat, trifft sich jeden Mittwoch mit 12 Journalisten aus 6 Ländern ... (äh? )
    (Anmerkung: es gab mal eine ID-interne Einteilung in Ressorts; hat sich aber nicht bewährt. Spezialisten bildeten sich raus, der übergreifende Blick ging verloren, zwischen den Ressorts gabs viel Gerangel und wenig Kommunikation.)
  • Dann gibt's jetzt alle zwei Wochen einen ID-Dämmerschoppen. Dort wollen wir die Sachen diskutieren, die über den aktuellen ID-Schreibtisch hinausreichen und doch unweigerlich auf ihn zurückwirken. Themen gibt's dafür genug, und Wein und Bier soll es auch dazu geben.
Kurzum Leute, verliert nicht den Mut, wir haben's auch nicht vor. Für alle Schreiber an der Basis gilt: es gehen längst nicht so viel Berichte verloren, wie abgedruckt werden. (!)

NACHTRAG
Mit diesen Ausführungen im Rücken, sei gleich noch eine Panne bekanntgegeben. Eine Gruppe "Patrice Lumumba" hatte vor einigen Wochen auf das Südafrikanische Verkehrsbüro in München einen Anschlag verübt und uns dazu eine Erklärung geschickt. Einige Leute haben sie gelesen und waren für Abdruck, nicht zuletzt weil sich darin ein für Kommandomeldungen sehr neuartiger Ton dokumentieren ließ. Dann vergingen zwei Tage und die Erklärung war weg - einfach weg. Ein Beschwerdebrief kam hinterher und legte uns allerlei Manipulationen zur Last. Auch wenn es kaum zu glauben ist: dieser Manuskript-Schwund ist ein rein technisch-schlampig-unorganisierter.
P.S.: Zur Zeit erhalten 985 Abonnenten den ID nicht, da sie nicht ausreichend gezahlt haben.
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