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Gegen-
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Die unterbliebene Nachricht

Linker Resolutions-
journalismus


Die gute alte Information

Investigative Journalism

Redaktionelle Arbeit

Das ID-Kollektiv

ID-HAUSMITTEILUNGEN

[ID 190/191 vom 13.08.1977]


NOTIZEN ZUM ID - SELBSTVERSTÄNDNIS

"In einem ZEI TUNGSBUREAU muß Diktatur, nicht allgemeines Stimmrecht herrschen."
KARL MARX (nach: stern, 12/75, S.50)


GEGENÖFFENTLICHKEIT
Seit der Springerkampagne weiß die neue revolutionäre Linke aus eigener Erfahrung, daß die bürgerlichen Medien und ihre sogenannte öffentliche Meinung radikale soziale Bewegungen und ihr Selbstverständnis nicht zum Ausdruck kommen läßt. Mit der Kritik an der öffentlichen Nichtöffentlichkeit kam bei der betroffenen Linken - mit einigen Jahren Verzögerung - auch die Ausformung von selbstgeschaffenen Kommunikationsmitteln, unabhängig von den komplexen Zensur- und Selbstzensurmechanismen der herrschenden Medien. Der 'kritische Journalismus', der die faktische Verbreitung und Bedeutung der bürgerlichen Medien zur Vermittlung anderer politischer Vorstellungen nutzen wollte, blieb auf dem Gang durch die Institutionen auf dem Abstellgleis stecken. Die wenigen Ansätze, die den Konflikt in den Medien nicht scheuten, werden still und leise abgewürgt, als verläßliche Kraft eines politischen Zusammenhangs reichen sie jedenfalls nicht aus.
Die Alternativmedien gehen da von ganz anderen Voraussetzungen aus, ihre Kritik kann und will sich nicht im Gestrüpp der gleichgeschalteten Redaktionen verlieren:
Es sollen die etwas zu sagen bekommen, die hierzulande "nichts zu sagen haben". Es soll die Sicht der Betroffenen artikuliert werden, in ihrer Sprache, in ihrem Selbstverständnis. Und zwar als eigenständige Größe, nicht als relativierter Teil einer "ausgewogenen" Einerseits-Andererseits-Schau. Es sollen die zu Wort kommen, die sich nicht von Parteien und Pressuregroups vertreten lassen und vertreten lassen wollen, sondern die ihre Politik und ihre Bedürfnisse selbst in die Hand nehmen und direkt durchsetzen. Und es soll die veröffentlichte Nachricht nicht unabhängig von ihrem Inhalt als Ware gehandelt werden, sondern begriffen werden als lebendige politische Erfahrung. Das distanzierte "berichten über" soll ersetzt werden durch "kommunizieren mit". Information soll nicht nur konsumiert, sondern im Zusammenhang bewußten politischen Handelns für die eigene Praxis benutzbar sein.
Dieses Konzept, das dem ID seit Beginn im Sommer 1973 zugrundeliegt, erfordert auch eine neue Qualität von Nachricht, von Darstellung sozialer Bewegung und sozialer Realität.

In der ersten ID-Selbstdarstellung vom Juni 1973 hieß es noch kurz und frech:
"Der ID versteht sich als der erste Baustein für eine sozialistische Presseagentur. In den letzten Jahren gelang es in mehreren Ländern, einen »von der offiziellen Nachrichtenpolitik und Nachrichtenmarkt unabhängigen Informationsdienst aufzubauen. In den USA liberation news service (Ins), in Frankreich die agence presse liberation (apl), die nach zweijähriger erfolgreicher Arbeit in der Tageszeitung Liberation aufgegangen ist. Es existieren ähnliche Ansätze in England, Belgien und Schweden.
... Unterbliebene Nachrichten bedeuten für uns nicht nur unterdrückte Nachrichten, sondern auch Nachrichten, denen die bürgerliche Presse keine Beachtung schenkt, weil sie deren Bedeutung nicht erkennt. Der ID will nicht Klatsch aus der hohen Politik bearbeiten, sondern sucht die Informationen an der Basis; in den Betrieben, bei Bürgerinitiativen, in Jugendzentren, von linken Gruppen und auf der Straße.
In der letzten Zeit haben sich bei Streiks und in Stadtkämpfen neue Widerstandsformen gegen die Diktatur des Eigentums entwickelt: diese Ereignisse und die Erfahrungen daraus müsse verbreitet werden, und es ist nicht zu erwarten, daß diese Aufgabe die bürgerliche Presse übernimmt. Die linken Periodika sind entweder technisch noch nicht im Stande, die Gesamtheit dieser Nachrichten zu erfassen, oder durch absolutistische Ansprüche schließen sie sich selbst von der Möglichkeit aus.
Für wen? Weil es eine Presseagentur sein soll, in erster Linie für Multiplikatoren, Betriebszeitungen, linke Blätter, Informationshefte der Jugendzentren, linke Verbände und Wohngemeinschaften, also für diejenigen, die dafür sorgen, daß die Nachrichten, die von der Basis kommen zur Basis zurückzukehren."


Im Januar 1975 protokollierten wir nach einer anstrengenden Weihnachtsdiskussion: "Da der ID bisher eine Zeitung für linke Leute war, die die Nachrichten eher konsumierten als weiterverarbeiteten, müssen wir prüfen, wieweit unser ursprüngliches Konzept, eine Nachrichtenagentur für Multiplikatoren zu sein, durch die Entwicklung in Frage gestellt wurde. Der ID als Magazin in der jetzigen Form deckt sicher eine Informationslücke innerhalb der Linken, bleibt aber auf sie beschränkt....
Unser Ziel, daß Gegeninformation nicht nur bezugslos veröffentlicht, sondern auch in wirksames politisches Handeln umgesetzt werden kann, hängt von der Stärke der linken Bewegung und von der Situation einer "liberalen Öffentlichkeit" (sofern vorhanden) ab. Der ID muß sich auf dem Diskussionsstand dieser Faktoren befinden und kann nicht über ihnen stehen.
Hier aber Vorsicht vor Widerspiegelungstheorien ! Wenn die Bewegung mau ist, darf nicht auch der ID mau sein. Gerade in einem Zustand von Isolierung und Desillusionierung ist die Linke auf einen gut funktionierenden Informationskontakt angewiesen, will sie sich nicht atomisieren lassen. "Gut" heißt da nicht, Jubelmeldungen zu bringen, wo es nicht zu jubeln gibt, sondern ein intaktes Netz von Verbindungen und Nachrichtenaustausch zu haben - eben ein Stück Gegenöffentlichkeit."


Im März 1976 kam auf einem Wochenende noch eine andere notwendige Ergänzung: "Ursprünglich war bei 'Multiplikatoren ' wohl auch an die bürgerlichen Medien gedacht. Diese Vorstellung erwies sich jedoch immer mehr als politische Utopie, da das Abblocken seitens der bürgerlichen Medien seine Ursachen im Klassenkampf und nicht in der mangelnden Seriosität des ID hat."

Von diesem historischen Exkurs zurück zu dem, was wir in Diskussionen am Begriff der "unterbliebenen Nachricht" festmachen konnten.


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DIE UNTERBLIEBENE NACHRICHT
An diesem Begriff ist noch das einfachste die negative Bestimmung über das, was die bürgerliche Presse verschweigt, verzerrt, verstümmelt, aus dem Zusammenhang trennt, was sie für "nicht aktuell", für uninteressant hält. Positiv definiert kann es heißen: eine Synthese aus tatsächlichem Geschehensablauf, Darstellung des politischen Zusammenhangs und der emotionalen, subjektiven Verarbeitung. Maßstab kann dabei nicht die von oben verordnete Realität sein, sondern die Aktualität unserer Alltäglichkeit, wie sie der Prozeß von Befreiung und Wierstand von unten bestimmt, in den vielfältigen Ausdrucksformen, Widersprüchlichkeiten und Brechungen. Um diese Entwicklungen und Zustände authentisch vermitteln zu können, versucht der ID "pluralistisch" zu sein - im Gegensatz zu einer linierten Berichterstattung, die im Interesse des Volkes die halbe Wahrheit verschweigt.


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LINKER RESOLUTIONSJOURNALISMUS
Es gibt eine Tendenz bei linker Öffentlichkeitsarbeit, sich mit Presseerklärungen, leblosen Resolutionen und langatmigen Papierproduktionen gegen die herrschende Unwahrheit behaupten zu wollen - wobei doch einige ihrer Mechanismen unbewußt übernommen werden. Man kann zwar entrüstet und berechtigt die bürgerlichen Lügen entlarven, aber mit einer sterilen Sprache, die sich an Öffentlichkeitsbedingungen orientiert, die nicht unsere sind, trennt man beim linken "Resolutions- Journalismus" genau wieder die Erfahrungen, Träume, Lernprozesse ab, die zur Politik in erster Person (singular und plural) geführt haben. Auch da, wo die Presse "objektiv" gesehen nicht lügt, hat sie doch in jeder Zeile ein Vorverständnis von Wirklichkeit, von Fraglosigkeit gegenüber ihrer Aufsplitterung von Lebensbereichen durchgesetzt, das wir getrost verlassen können. "Unterblieben" bleibt bei vielen Nachrichten auch linker Herkunft der Bezug zur subjektiven und kollektiven Entstehungsgeschichte von Widerstand und zu unserer eigenen Alltäglichkeit. Das bürgerliche Verständnis drängt sie ins Abseits des Privaten. Unsere Öffentlichkeit darf auf diese Schizophrenie nicht hereinfallen. Diese Aspekte zu artikulieren und zu vermitteln setzt ein Bewußtsein voraus, daß wir in unseren Medien nicht zu einer anonymen und abstrakten "öffentlichen Meinung" sprechen, sondern daß wir mit Menschen kommunizieren, deren gemeinsames Interesse der Kampf um befreite Lebens-, Arbeits- und Verkehrsformen ist. Die Adressaten von Basisberichten sind nicht viel anders als ihre Absender, man braucht nicht mit der Sprache hinter die Inhalte zurückzufallen. Wenn wir uns "in unsere eigenen Angelegenheiten einmischen" und darüber berichten, muß sich dieser Prozeß auch in den Nachrichten wiederfinden, und zwar ebenfalls als Prozeß, korrigierbar, veränderbar. Im ID kann man prompt lesen, wenn irgendwo die Bullen aufgetaucht sind und eine Initiative bedroht ist. Aber was ist mit der Initiative sonst los? Wie ist sie entstanden, was für Konflikte, innen und außen, gab es? Auch von diesen Aspekten, die für die Betroffenen eine immense Aktualität bedeuten, für das herrschende Verständnis keine, ist noch etliches "unterblieben".
Basisbewegungen, Initiativen, kollektive Ansätze auf unterschiedlichen Ebenen müssen die Gesamtheit ihrer Erfahrungen vermitteln und selbstdarstellen können, um aus einer informellen eine politische Infrastruktur machen zu können. Die herrschenden Medien werden diese Aufgabe nicht übernehmen, sie sind in ihrer Mehrheit viel zu sehr damit beschäftigt, unsere Initiativen zu bekämpfen. Die "Verbreitung unterbliebener Nachrichten" in den Alternativmedien ist Teil eines politischen Zusammenhangs, der wesentlich mehr will, als Papier zu verbreiten.


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DIE GUTE ALTE INFORMATION
Bei den eben beschriebenen weitergehenden Ansprüchen an die Darstellung von Realität kann man es sich allerdings nicht leisten, die Augen vor der "Gewalt des Faktischen" zu verschließen und sich zu ihr nicht zu verhalten. In einer Gesell- schaft, die mit Maulkörben, gesetzlichen und außergesetzlichen Notständen dichtgemacht wird, bekommt manche schlichte, unbeladene Information: das und das ist da und dort passiert oft schon eine brisante Bedeutung. Die selbstverordnete Staatsergebenheit der Medien und, wenn selbst die nicht ausreicht, die direkte staatliche Einflußnahme verbieten es den bestellten Trägern und Händlern von Nachrichtenware, wirklich alles zu sagen, was tatsächlich abläuft. Wie eng dieses Geflecht bereits ist, wie strategisch exakt konzipiert und reibungslos es funktio- niert, hat die (Un-) Berichterstattung zu der Brokdorfdemonstration am 19.2. erneut unter Beweis gestellt. Die Gegenpresse kann mit ihren - dazu wirklich "alternativen" - Nachrichten nur einen Bruchteil des Verbreitungsradius erreichen, den die Machtmedien seit langem behämmern und weiter behämmern werden. Gegenöffentlichkeit läßt sich nicht nur quantitativ bestimmen. Eine Information, die den Legitimitätszusammenhang der bürgerlichen Presse in Frage stellt, bekommt im konkreten Fall eine wirkungsvolle Intensität, auch wenn die politischen Multiplikatoren, die sie verbreiten, lächerlich winzig aussehen.
Für diesen Ausschnitt der "unterbliebenen Nachricht" sind ganz einfache Fakten ausschlaggebend: In Brokdorf waren nicht 6 000 sondern 30 000, der Verfassungsschutz bricht nicht einmal und nie wieder bei Leuten in der Wohnung ein, sondern permanent, und das ist auch nicht alles. In den Reformknästen wird weiter geschlagen, gefoltert, vernichtet; in politischen Prozessen ist Angeklagten und Verteidigern ein Unrechtsstatus zugewiesen worden, der Vergleich mit Hitlers Justiz nicht scheuen braucht. Die bürgerliche Öffentlichkeit reagiert in solchen Fällen nur, wenn sie etwas als einen "Fall" betrachtet. Mit den anderen 99% der alltäglichen Repression, mit der strukturellen Barbarei hat sie längst ihren Frieden geschlossen - sie ist ja Teil davon. "Unterbliebene Nachrichten" sind demnach von ihrer Qualität her auch ganz "normale" Nachrichten, Fakten, nur aus Bereichen, die von der herrschenden Öffentlichkeit aus klarer Interessenlage ausgeblendet werden. Dazu gehören die täglichen Sauereien im Betrieb, gegen Ausländer, Frauen, in der Kaserne, bei der Ausbildung, politische Prozeßberichte, vertuschte Umweltkatastrophen, Pläne, Zahlen, Daten der Herrschenden. Das sind Sachen, die uns nicht automatisch zufliessen, sondern die von einem intakten Netz von Informanten und Korrespondenten abhängen und von der Mitarbeit der Betroffenen an der Basis, die sich den ID und die gesamte Gegenpresse zu Nutze machen.


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INVESTIGATIVE JOURNALISM
Ein weiteres Moment, das im Maßstab herrschender Praxis unterblieben ist, sind ausführliche aber populär verständliche Reportagen über größere zusammenhängende politische Vorgänge. Bei der angelsächsischen Presse gibt es eine Tradition von "investigative Journalism", auf die sich die vielstrapazierte Vorstellung der Presse als "vierter Kraft" stützt. Tatsächlich wäre wohl Nixon heute noch Präsident, wenn nicht die 'Washington Post' den hierorts unvorstellbaren Mut besessen hätte, konsequent gegen den Staat zu recherchieren und sich nicht mit ein paar müden Dementis abspeisen ließ. Während im westlichen Ausland diese Praxis in den bürgerlichen Medien zumindest toleriert wird, sind beim BRD-Journalismus für "Enthüllungen", die sich wirklich was zu enthüllen trauen, die Grenzen modelldeutsch eng gesetzt. Die derzeitigen Veröffentlichungen über illegale Geheimdienstpraktiken gegen die Bevölkerung vermitteln schon einiges Neue über unseren rechtsstaatlichen Normalzustand. Es ist aber noch überhaupt nicht klar, ob dazu die Initiative wirklich bei einer kritischen Presse gelegen hat, die die Freiheit hat, herauszufinden, was sie will, und es zu drucken, wann sie will.
"Investigative Journalism" ist für den ID eine Nahtstelle von "klassischem" Journalismus und den Bedürfnissen linker Politik. Auf diesem Gebiet arbeiten wir auch mit linken Journalisten in den Medien zusammen, die dem ID Sachen geben können, die von den betreffenden Redaktionen abgelehnt wurden und andererseits dort mit einigen ID-Meldungen landen können.
Im ID sind einige Male sorgfältiger recherchierte journalistische Arbeiten aufgenommen worden, so Berichte über die CARP, über den CIA, die EAP, über Interpol, BKA über die militärisch wirtschaftliche Verflechtung, über KKW's, über Arbeitskonflikte, denen wir nachgegangen sind.
Das sind nicht immer Sachen, die sich unmittelbar aus dem Basiskonzept "Betroffene schreiben für Betroffene" ergeben, die auch ein intensiveres Arbeiten erfordern. Hier geht es darum, herauszufinden, was unsere Gegner machen, was sie gegen uns planen, um ihre geheimgehaltenen Waffen durch Veröffentlichung stumpf zu machen.


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REDAKTIONELLE ARBEIT
Wir werden oft mit dem Mißverständnis konfrontiert, daß wir, die Frankfurter ID-Leute, die Nachrichten "machen". Daran ist soviel richtig, daß natürlich die Artikelauswahl pro Heft etwas damit zu tun hat, wer von uns gerade mit welchen Interessen und Engagement da ist, wer zu wem Konnections hat und zu bestimmten Themen durch Diskussionen oder aktive Teilnahme einen Bezug hat. Das macht aber noch lange keine ID- Linie im Kollektiv, die gibt es nicht. Im Rahmen unseres sehr weit gefassten Selbstverständnisses, wie es oben skizziert wurde, liegt die Ausfüllung der einzelnen Nummern vorwiegend an den Gruppen, die den ID für ihre Veröffentlichung als Forum benutzen. Die redaktionelle Arbeit in Frankfurt besteht zum einen darin, daß wir die eingegangenen Berichte sortieren, zusammenfassen, mit anderen Berichten in Beziehung setzen, einen Vorspann schreiben, Kontaktadressen suchen usw., zum anderen versuchen wir, zu bestimmten aktuellen Themen vor Ort jemanden zu finden, der etwas schreibt. Zu den meisten Korrespondenten, die uns gelegentlich bis regelmäßig Berichte schicken, haben wir Kontakt, den wir gegebenenfalls reaktivieren können. Als ein weiterer Pfeiler des Informationsnetzes haben sich die zahlreichen Stadt- und Alternativzeitungen erwiesen, mit denen ein regelmäßiger Austausch besteht.
Mit der Praxis, sich mit redaktionellen Kommentaren aus den Artikeln rauszuhalten, haben wir natürlich unsere Schwierigkeiten. Zum einen gibt es die pure, reine Nachricht nicht, irgendein politisches Vorverständnis ist in jedem Bericht drin, ohne daß es jeweils ausgewiesen sein muß. Insofern ist die Artikelauswahl schon Politik, auch wenn wir selbst nicht unseren Senf dazugeben. Zum anderen birgt das einfache Nachdrucken die Gefahr, daß wir zu den Artikeln ein formales ,Fahrkartenknipser'-Verhältnis bekommen. Das heißt, wir veröffentlichen eine Sache, sind aber inhaltlich nicht damit beschäftigt und bemühen uns auch nicht weiter um Diskussionen. Das kann bei dem riesigen Durchlauf von Informationen auch nicht ausbleiben. Als Kontrollinstanz fragen wir in solchen Fällen: Können wir der Quelle der Nachricht vertrauen, der jeweiligen Gruppe, die den Bericht geschrieben hat, dann können wir den einzelnen Artikel deren Einschätzung überlassen. Es gehen pro Woche mehr Sachen ein, als wir veröffentlichen können auf maximal 32 Seiten. Uns ist klar, daß über die ID-Diskussionen, die zu einer Veröffentlichung oder Nichtveröffentlichung führen, wenig nach außen dringt. Dieser Bericht soll ein Beitrag dazu sein, daß über die Veröffentlichung von Nachrichten hinaus auch die Entstehung und Produktion der Nachrichten im ID öffentlicher und transparenter wird.


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DAS ID - KOLLEKTIV
Die Arbeit im ID wird kollektiv organisiert, allerdings nicht in dem Sinne, daß wir eine homogene Gruppe mit einheitlicher Meinung und einheitlichem Engagement sind. Bei uns arbeiten ca. 25 Leute in Frankfurt irgendwie mit, die als Plenum die Entscheidungen tragen. Ein engerer Kreis von sechs Leuten ist so gut wie täglich da und organisiert in offenen Redaktionstreffen und Absprachen die anfallende Arbeit. Dazu kommen noch Gruppen und Einzelne innerhalb und außerhalb des Kollektivs, die an bestimmten Projekten arbeiten, wie Bilderdienst, Ökologie, Betriebsbereich, aber auch technische Sachen wie: Versand, Buchhaltung, Büro usw. Die Fülle der Initiativen, die im und durch den ID laufen, ist nicht für das ganze Kollektiv in jedem Stadium nachvollziehbar. Das hat zu einer informellen Hierarchie von einigen bei uns geführt. Je nachdem, wieviel an investierter Arbeit, Connections und Überblick jemand eingebracht hat. Dieses Informationsgefälle versuchen wir durch ein tägliches Morgentreffen abzubauen, auf dem über die lau- fenden Projekte und Unklarheiten geredet werden soll. Wir stoßen dabei täglich auf unsere Grenzen. Ein Betrieb, der Nachrichten aus dem ,befreiten Leben' veröffentlichen will, reibt sich an dem täglichen Kleinkram, an dem langweiligen Arbeitstrott, der für uns überhaupt nichts alternatives hat. Dazu passieren laufend Pannen, Peinlichkeiten, geht uns was durch die Lappen, wird was verschlampt, na, ihr wißt schon. Unsere Beziehungen zueinander, die wir nicht zu ,Arbeitsbeziehungen' reduzieren wollen, müssen wir diesem täglichen Streß, dem immer mehr von außen gesetzten Produktionsrythmus regelrecht abtrotzen. Ein fataler Kreislauf schwebt uns immer vor Augen: Wer viel da ist, macht viel, wer viel macht, bekommt den Überblick, was noch alles zu machen ist, macht noch mehr und bekommt auch noch mehr aufgebrummt, weil er halt den Überblick hat. Wer immer mehr macht, kann sich immer schwerer losreißen und mit den Leuten mal über was anderes reden, lang schlafen, dummes Zeug machen; wer kein dummes Zeug mehr macht, reduziert sein Leben, zentriert immer mehr Wissen und Macht auf sich, wird funktionalisiert und isoliert. Deshalb: das ,Recht auf Faulheit' in einem Projekt durchzusetzen, wo auf der ersten Seite steht: "Erscheint wöchentlich" bleibt ein wesentliches, wenn auch anachronistisches Ziel für unsere Arbeitsorganisation.
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