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Wed Sep 25 23:26:02 1996
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The future is unwritten! Bleibt radikal!
Die radikal seit 1984
Vorrede
"Schreibt vor allem was über die politischen
Debatten."
"Welche denn bitteschön? Wann haben wir denn mal gemeinsam
über die Verhältnisse in diesem verkackten Scheißland
diskutiert."
"Ach komm, fang nicht so an - natürlich hatten wir
grundsätzliche Debatten über ein unterschiedliches
Zeitungsverständnis zum Beispiel. Daß wir nur selten zu anderen
grundlegenden Debatten gekommen sind, liegt an den besonderen Bedingungen und
Anforderungen."
"Genau, arbeitet genauestens die Widersprüche im
Zeitungsverständnis untereinander aus, die Sollbruchstellen."
"Ach quatsch, machts bloß nicht zu trocken, bringt ein paar nette
Episoden mit rein, so richtig aus dem Leben gegriffen. Da wo es spannend wurde.
Zum Beispiel, wie wir mal mit dem Auto voller radis in diese
Bullenkontrolle geraten sind..."
"Nee, nee, laß das mal bleiben, dann kann wieder nachrecherchiert
werden, die Pigs können alle Kontrollen durchgehen."
"Sei doch nicht albern, die haben doch nicht eingespeichert, bei welcher
Kontrolle sie mitten auf der Autobahn jemand nach ein paar Kartons gefragt
haben. Ich kann euch sagen, da war mein Adrenalinspiegel auf 180 - 400
radis fein säuberlich und druckfrisch in sechs Kartons gestapelt,
und der Bulle fragt mich, was den da drin sei."
"Und haste geesagt, lauter gebratene Enten, höhö?"
"Nee, wahrheitsgemäß habe ich geantwortet:
Zeitschriften." "Naja, meinte er, dann räumen sie mal die
Kartons raus, damit ich sehen kann, ob ihr Reserverad auch ok ist. Geholfen hat
er mir auch noch."
"Ach, das fetzt doch nicht, das interessiert doch niemand, dann schon
eher die Geschichte, als wir den Krempel gerade von der Druckerei abgeholt
hatten und dann die Stimme aus dem Radio die frohe Botschaft verkündete:
'Die RAF hat den Chef der MTU, Herrn Dr. Zimmermann umgebracht, die Polizei
führt im gesamten Bundesgebiet umfangreiche Kontrollen durch"'.
"Wir sollen doch keine Actiongeschichte schreiben, das ist ja auch nur
höchst selten so gewesen. Laßt uns lieber die normale Arbeit
vermitteln, nicht diese spektakulären Ereignisse. Sonst legen das wieder
alle so aus, als ob wir einen Mythos um die radi spinnen wollen."
"Wenn ich nicht mal ne kleine Geschichte erzählen kann, ohne gleich
wieder was übergebraten zu kriegen, dann weiß ich eh nicht, was das
soll."
"Ich finde, wir sollten bei der Gelegenheit noch mal klarstellen, wie
wichtig die radi ist, um für militante actions zu powern. Gerade
jetzt, wo die alle am Abkacken sind, muß das doch erst recht
rüberkommen, wie wichtig militante Strukuren sind."
"Ist mir echt egal, entscheidender ist doch, daß wir sowas wie
subversive Kommunikation ermöglichen. Mit dem Powern für Militante
und auch den Bastelanleitungen, das ist mir nicht wichtig. Von mir aus
muß da nichts drüber in dem Teil drin sein."
"Aber zu was machen wir denn die radi?"
"Fangt jetzt nicht wieder diese Diskussion an, das muß halt beides
rein, und in so `nem Buch ist doch richtig Platz, nicht so wie bei uns
immer."
"Echt? Richtig Platz? Wieviel?"
"Dann müßten wir auch mehr über die ganzen inhaltlichen
Auseinandersetzungen, die politischen Widersprüche und wie wir damit
umgegangen sind, den jahrelangen Zoff damals, bringen."
"Das nutzt uns doch jetzt alles nichts. Wie sollen wir das denn
schaffen, in der kurzen Zeit, vieles müßten wir erst noch mal
gemeinsam aufarbeiten. Eine gemeinsame Position dazu gibt es doch an vielen
Punkten immer noch nicht."
"Ja stimmt, das ist ein Problem. Nachher schreibt ihr irgendetwas, was
uns nicht paßt. Wenn ich euch so anschaue, könnte das glatt
passieren."
"Ja, aber raus lassen können sie den Konflikt sowieso nicht - und
nur zu sagen, da war ein Konflikt, geht auch nicht. Außerdem was soll
schon sein, wir sind immer noch da, die radi hat auch den überlebt,
nicht wahr."
"Also gut, aber laßt euch nicht zu breit darüber aus, so
interessant ist so ne Nabelschau eh nicht mehr. Kalter Kaffee, Schnee von
gestern."
"Wie wäre es mit den Tücken der Technik. Stellt euch vor, ihr
wartet in einem Café in einer mittleren Kleinstadt, nennen wir sie mal
Gütersloh, auf Verbindungsleute aus weiteren Städten. Es soll um die
letzte verbindliche Planung gehen, wann die nächste Nummer genau über
die Bühne gehen soll. Zunächst läuft alles wie geschmiert, immer
mehr DelegiertInnen trudeln ein, die Stimmung wird richtig ausgelassen. Alle
freuen sich, die Stimmung wird flippig, schließlich sieht sich dieses
Völkchen ja so selten. Und plötzlich kippt alles, weil nach einer
Stunde klar wird, zwei kommen nicht. Was nun? Die Laune im Keller. Man kann ja
nicht eben anrufen und nachfragen, ey, haste unser Plenum vergessen? Und
vorbeifahren ist auch nicht drin. Und dann hängt wieder alles dran,
daß welche mehr Arbeit übernehmen, entweder versuchen, ein neues
Date zu machen oder ausgefallene Aufgaben übernehmen. Manchmal geht das ja
auch, manchmal auch nicht."
"Ach vergiß es, das langweilt doch."
"Ja, stimmt, das ist viel zu ausführlich, interessiert doch kein
Schwein."
"Meinst du echt, die Leser und Leserinnen wollen alles mundgerecht
serviert bekommen. Die können sich doch auch denken, daß wir
über unser Organisationsmodell nicht viel erzählen können. Zur
Zeit sowieso, wenn die Bundesanwaltschaft gerade versucht, uns als kriminelle
Vereinigung abzuurteilen."
"Aber irgendwo müssen auch die grundsätzlichen
Infragestellungen eingebaut werden! Ist die radi erstarrt an ihrer
12jährigen Geschichte - sind wir, die wir sie machen, nicht auch schon
längst Relikte einer vergessenen autonomen Geschichte?"
"Na nu mach mal aber halblang - seh ich überhaupt nicht so -
schließlich kommen doch immer wieder neue Leute hinzu, auch Jüngere
- und immer auf die Älteren zu schauen, die immer in allem ihr Haar in der
Suppe finden, ist doch kontraproduktiv."
"Na - meinetwegen, dann laßt das halt, wär vielleicht eh was
für ne neue Nummer, das hier soll ja mehr Propaganda machen."
"Ich hab da ja so meine Zweifel, ob wir grad in der richtigen Verfassung
dafür sind, andere zu begeistern."
"Wer spricht denn hier von begeistern, nee, nee - nur nicht zu dick
auftragen."
"Also werden wir versuchen, unsere Geschichte rüberzubringen, das
ist unverfänglicher."
"Ich find ja eh, wir sollten das lassen mit dem Buch - das fassen
bestimmt einige so auf, als würden wir uns wer weiß wie wichtig
nehmen - und auch grundsätzlich ist das doch komisch - erst jahrelang vor
sich rum werkeln, am Sinn auch mal gelegentlich zweifeln - dann kommt die BAW,
überzieht Leute mit einem Verfahren, und zack, dann sind wir von
Interesse. Das sollten wir ignorieren, das wär wenigstens konsequent und
selbstbestimmt."
"Kann ich wenigstens noch meine Story zu Ende erzählen.
Schlußendlich haben wir die Nummer nämlich durchgezogen. Für
einige war es masssiv mehr Streß. Und wißt ihr, warum die nicht
gekommen sind? Eine Karre war mit einer kaputten Wasserpumpe liegengeblieben -
der andere hat schlichtweg in der falschen Stadt gewartet. Der hatte sich bei
Gütersloh nur GL aufgeschrieben, und später hat der daraus kurzerhand
Gelsenkirchen gemacht."
"Und unser Maskottchen müßt ihr natürlich erwähnen.
Schreibt auf alle Fälle, daß uns alle die schönsten Entenbilder
schicken sollen, die sie finden können. Die besten fünf erhalten
einen Preis."
"Hä - drehst du grad ab, wir hatten uns doch darauf geeinigt,
daß der Witz jetzt vorbei ist, sonst wirds ausgelatscht."
"Also ich find ihn immer noch gut, und ich hätt auch gerne eine
Stoffente."
"Also ich fand ja den Titel vom zweiten Heft ja eh viel besser, aber der
war wohl zu ernst. Obwohl der Spruch 'uns hört ja eh keiner zu' doch
voll gelungen war. Ich find das auch immer noch ungewohnt, mir vorzustellen,
daß wir jetzt angeblich so viel zu sagen haben, daß wir hier in
einem Buch vertreten sein sollen."
"Stimmt. 'Alles Schall und Rauch', bringt das mal rüber,
daß wir auch nicht mehr zu sagen haben als der Rest der diffusen Linken,
nur Dank der BAW merkt das im Moment niemand."
"Jetzt wird es heikel - wir sollten mal wieder konstruktiver
werden."
"Wichtig ist doch, daß wir die Schere im medialen Raum abgeschafft
haben und daß wir trotz 'Pech, Pleiten und Pannen' das jetzt seit
12 Jahren aufrechterhalten. Daß wir die radi als Struktur zur
Verfügung halten werden, bis die radikale Linke wieder selbstbewußt
und zuversichtlich genug ist, militant stärker in Erscheinung zu
treten."
"Uff, was`ne pastorale Predigt - also bis zu dem Zeitpunkt will ich aber
abgelöst werden, das kann ich dir gleich sagen."
So oder ähnlich hätte der Einstieg in eine lange Arbeitswoche
aussehen können, die wir anläßlich dieses Buchprojektes
abgehalten hätten. Wenn denn eine Woche gereicht hätte, um unsere
Erfahrungen, Widersprüche, Frusts und Erfolge der letzten, sagen wir mal
drei bis zwölf Jährchen in einem gemeinsamen Artikel
zusammenzufassen. Wir hatten aber nicht mal diese Woche, geschweige denn die
Energie und Zeit, die jede und jeder an Vorarbeit brauchen würde, um seine
und ihre Geschichte in diesem Projekt so zu reflektieren, daß eine
gemeinsame Stellungnahme möglich wäre.
Kurz gesagt, wir waren überfordert. Innerhalb der Zeit, die wir zur
Verfügung gehabt haben, war das nicht möglich. Und wie sich dem kurz
skizzierten Einstiegsgespräch entnehmen läßt, haben alle
verschiedene Wahrnehmungen in diesem trotzdem gemeinsamen Projekt.
Nicht nur die Szene setzte sich nach dem Angriff der Bundesanwaltschaft im Juni
1995 wieder mehr mit der radikal auseinander. Auch wir selbst
mußten seitdem noch mehr powern als sonst. Schließlich wird
berechtigterweise erwartet, daß wir uns zu den Anmaßungen der
staatlichen Knalltüten verhalten. Und die Vorstellung, demnächst
juristisch als kriminelle Vereinigung festgeklopft zu werden, geht an uns nicht
spurlos vorbei. Die Zeit, die wir miteinander verbringen, müssen wir, wie
so oft, in unsere strukturellen und politischen Arbeiten am konkreten Projekt
radikal investieren, und nicht in eine auch für uns spannende
Geschichtsaufarbeitung.
"Nein, nein, so geht's ja auch nicht. Natürlich müssen wir was
für dieses Buch machen."
"Da hat er recht, so geht's nicht."
"Ich finde ihr solltet das machen, ihr hängt schon lange genug in
der radi drin. Auch wenn wir das nicht mehr gemeinsam reflektieren
können, der Artikel muß sein."
"Hhmm."
"Wenn ihr meint."
"Hhmm."
"Und vergeßt nicht, die Auseinandersetzungen mit den Titelbildern
noch mit reinzubringen, und die Geschichte mit den Bastelanleitungen."
"Gut wäre, wenn ihr versucht, entlang des Konfliktes den
Grundwiderspruch zwischen Struktur und Inhalt rauszuarbeiten."
"Ja klar, und die OLGA, den Anspruch, alle aus ihrem subjektiven
Blickwinkel berichten zu lassen und so."
"Ich fände es trotzdem wichtig, auch die alltäglichen Probleme
rüberzubringen. Und natürlich diese Story auf der Autobahn, damals,
als die Bullen uns kontrolliert haben, und wir im Kofferraum..."
"Logo."
Nach einem real stattgefundenen Treffen, in dem das Buch in mal eben zwei
Stunden abgehakt wurde, mit derart wohlmeinenden Ratschlägen und
Wünschen ausgerüstet, machten wir uns auf den Weg, eine Geschichte zu
schreiben. Kein einfacher Job. Niemand von uns kann die gesamte Geschichte der
radikal widerspiegeln. An verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten
hat sich die Arbeit und damit auch die Wahrnehmung der klandestinen
radikal jeweils anders ausgeprägt. Während einige über
Jahre hinweg die radi zu ihrem politischen Schwerpunkt gemacht hatten,
legten andere großen Wert darauf, daß die Arbeit in der Zeitung nur
einen Teil ihrer politischen Aktivität ausmachen sollte. "Alle
sollen alles können, gleichberechtigt diskutieren, sich einbringen und
sämtliche Aufgaben erfüllen", hatten wir uns mal gedacht. Ein
Anspruch, der sich nie verwirklichen ließ, zu unterschiedlich waren und
sind die Voraussetzungen und auch die innere Einstellung, die die verschiedenen
Männer und Frauen zur radi-Struktur haben. Die einen haben ihre
Lebensplanung ausschließlich auf ihre Arbeit in der Zeitung ausgerichtet,
machen einen Full-time-Job, die anderen sind in Lohnarbeit und/oder politische
Initiativen vor Ort eingebunden. Einigen fiel und fällt das Schreiben
leicht - einen Schuß Vordiskussion, und die Tastatur hüpft von
alleine los. Anderen ist und war Schreiben ein Greuel - nicht nur in der
Zeitung, sondern auch in der internen Kommunikation. Während welche die
Arbeit an der Struktur des Projektes und die gegenseitige Vermittlung zum Dreh-
und Angelpunkt der radi machten, legten andere ihr Augenmerk auf die
Vermittlung von politischen Inhalten in der Zeitung. Hinter diesen
Feststellungen verbirgt sich beständiger Konfliktstoff, der sich durch die
Geschichte der radi zieht wie ein roter Faden. Es wäre verlogen,
sie auszublenden.
Ebenso muß eine Beschreibung von zwölf Jahren
"radikaler" Arbeit auch jene Aspekte miteinbeziehen, denen mensch
in seiner Umwelt ausgesetzt ist, wenn er oder sie sich verdeckt organisiert.
Denn das meiste dessen, was wir über die Entwicklung der radikal
von 1984 bis jetzt beschreiben, wurde von Leuten gestaltet, die sich
ständig zwischen zwei Welten bewegen müssen: Hin- und hergeworfen
zwischen allseits bekanntem Alltag von Maloche, Wohnung oder Wohngemeinschaft,
Freundschaften und Liebesbeziehungen, anderen politschen Gruppen und den Irr-
und Schleichwegen einer illegalen Struktur. Dieser Widerspruch soll nicht
dramatisiert, kann aber auch nicht von unserer Arbeit weggedacht werden.
Die Darstellung dieser Ebene hat uns mit die größten Probleme
bereitet, weil sie zu Mißverständnissen führen könnten.
Für jene, die über einen langen Zeitraum viel Verantwortung tragen
mußten, bedeutet die Belastung andere Dimensionen und Auswirkungen als
für welche, die sich punktuell einbringen. In der Struktur ist das
punktuelle Sich-Einbringen der Normalfall und die Fulltimeverpflichtung das
seltene Extrem. Und das muß auch so sein, die radi ist immer nur
ein Mittel und kann nicht linksradikale Politik ersetzen.
Bei den bescheidenen Kräften, die die radikale Linke im Moment aufzuweisen
hat, würde es auch zu unweigerlichen Konkurrenzen mit anderen
verbindlichen Projekten führen, die absolut nicht in unserem Interesse
sein können. Die radi soll nach unserem Verständnis nur ein
ergänzendes Projekt sein, daß manche es dennoch zeitweilig zum
bestimmenden Faktor ihres Alltags machen mußten, sehen wir nicht als
Konzept an, sondern weiterhin als Ausdruck der momentanen Bedingungen.
Eine Aufarbeitung von persönlichen Feelings muß also immer in
mehreren Relationen gesehen werden:
1. Der größte Teil der radi-Struktur arbeitet unter anderen
Bedingungen - und von ihnen hängt das Gelingen des Projektes ab, nicht
umgekehrt. Einige könnten vielleicht Ideen ausspinnen, aber in einem
derart vernetzten Projekt wie der radikal hängt die konkrete
Umsetzung von vielen ab. Wenn die vielen UnterstützerInnen, die hier
notwendigerweise ungenannt bleiben müssen, nicht immer wieder ihren Teil
dazu beitragen würden, wäre die radi schon längst
eingemottet worden.
2. Das Ineinanderverzahnen und Verweben von zwei Biographien und
Lebensgeschichten, die permanent nebeneinander herlaufen, verursacht sicherlich
einiges an Schwierigkeiten - weil sie nur bedingt miteinander kompatibel sind.
Es gibt etliche Situationen, in denen die eine Biographie die andere
mitbestimmt, somit Lebensplanungen beeinflußt, die sonst vielleicht
anders gelaufen wären. Aber dies lediglich von der emotionalen Belastung
her zu betrachten wäre eine völlige Verkürzung.
Kontinuierliche linksradikale Politik verliert ihre subjektive
Launenhaftigkeit, eine verdeckte Organisierung kann sich diese einfach nicht
leisten: Wenn du dir über die Jahre hinweg ansiehst, mit welchen
Begründungen Leute aus zahllosen politischen Gruppen aussteigen, weil es
ihrer Lebensplanung und -laune nicht mehr entspricht, dann bist du froh,
daß du dieser subjektiven Falle von Gefühl und Lust einen Riegel
vorgeschoben hast. Nicht verdeckt organisiert, wäre die radi schon
längst aufgeraucht und längst begraben. Die Ernsthaftigkeit, mit der
sich die Leute in diese Struktur hineinbegeben haben, und die anstehenden
Fragen immer wieder von neuem gelöst haben, sowie ihre Fights miteinander
ausgetragen haben, hätten in jeder legalen Gruppe schon längst zur
Auflösung geführt. Das ist kein Vorzug verdeckter Gruppen, sondern
unsere Erfahrung mit anderen Gruppen, wo sich viele oft mitschleppen lassen,
ohne selber etwas zu investieren.
Dennoch, und das ist das Wichtigste: Wir sind keine Illegalen - wir wollen
keinen Mythos aus einer verdeckten Arbeit herstellen. Im Grunde ist es eine
Arbeit wie viele andere auch. Eine Arbeit, die manchmal zu deiner
Selbstverwirklichung und Selbstentfaltung verhelfen kann, manches andere Mal
dir wie äußerlich vorgesetzt vorkommt. Der Unterschied liegt im
Verschweigen deines Alltags - als wenn du deinen Kollektivjob oder deine
Ausbildungserfahrungen nicht deinen nächsten FreundInnen weitervermitteln
kannst. Das mag manchmal hart sein, aber es ist kein erdrückendes oder
bedrohliches Moment im Leben.
Und ganz klar den Flash einer frisch fertiggestellten radikal, den
möchten wir nicht missen - das Fixogum noch in der Nase, den frischen
Druckgeruch - das sind Drogen, die zumindest für einige Momente vorhalten.
Zwei Genossen haben ihre persönlichen Alltagsfilme und Überlegungen
versucht in zwei kurzen Geschichten zusammenzufassen - sie werden auf den
folgenden Seiten ab und zu in einzelnen Kästen eingebaut erscheinen. Wir
fanden, daß diese Art ganz gut paßt, weil sie halt eine Facette der
Arbeit beschreibt.
So, und jetzt noch ein letztes Wörtchen zu uns, den Schreibern.
Männlich und weiß, soviel wollen wir verraten. Seit Jahren erstellen
wir sowohl Beiträge für die einzelnen Ausgaben, sind an der
Gesamtplanung der Zeitung beteiligt und erledigen unsere sonstigen Jobs in der
Struktur. Was hier verbraten wird, ist unsere Sichtweise von der Entwicklung
des Ententiers, andere würden wahrscheinlich andere Schwerpunkte setzen.
Wir haben versucht, möglichst oft die radi im O-Ton sprechen zu
lassen. Denn die Vermittlung unserer Geschichte sollte, so weit es geht, nicht
unsere Sache allein sein, sondern die der jeweils agierenden
Zusammenhänge.
Mit Auszügen aus dem Interview einer Gruppe aus der radi mit dem
ID-Verlag von 1989 wollen wir jetzt einsteigen - es geht dabei um ihre
Beschreibungen von der Zeit des Übergangs von der legalen zur illegalen
radi. Es soll unsere Wahrnehmung vom Prozeß, der Entwicklung innerhalb
der legalen radi sowie der Entscheidungsfindung für eine illegale
radi deutlich machen.
Danach folgt die Beschreibung der Zeit 84/86 von einem Genossen, der damals in
der ersten Gruppe mitgemischt hatte.
Die Vermittlung vom Verdaungsprozeß der Repression `86 überlassen
wir wieder den GenossInnen, die das Interview gemacht hatten, denn warum
sollten wir etwas wiederholen, was diese bereits besser und genauer formuliert
haben. Schließlich folgt noch das Intro aus der Nr.133, die die
Entwicklung nach der Durchsuchungswelle über das umstrittene
radi-Info hin zur Nr.133 beschreibt.
Danach werden wir uns mal versuchen.
radikal 1984-1989. Ein Interview
"der prozeß 1984 (gegen zwei angebliche
radi-Verantwortliche, Anm.) fiel in eine zeit, wo die
häuserbewegung größtenteils befriedet oder zerschlagen war. von
den turbulenten massen auf der straße war wenig übriggeblieben, bzw.
autonome strukturen gab es nur vereinzelt, und es mußten neue aufgebaut
werden. mit dem abgang der bewegung kam auch die radi in eine sinnkrise,
also die zeitung war ja teil der bewegung und mußte sich jetzt irgendwie
anders orientieren. die redaktion fiel auseinander. wie wir`s mitgekriegt
haben, gaben jene leute auf, die die Bewegung aufarbeiten und neue perspektiven
finden wollten. wir denken, daß sich die Spaltung auch an der Frage
vollzog, auf welcher politischen ebene mit der kriminalisierung umgegangen
werden sollte, aber das ist eher eine spekulation.
weitergemacht hat dann eine mehr oder minder intellektuelle fraktion, die
weniger auf eine stärke von unten setzte, sondern auf unangreifbarkeit
über die große öffentlichkeit, die anhand der kriminalisierung
entstand. das drückte sich auch im inhalt der letzten zeitungen bis zum
urteil aus. es ging immer mehr um ein freies lebensfeeling und eine
allgemeinverträgliche politik als um weiterkämpfen.
auf die kriminalisierung folgte eine breite solidarität von militanten bis
in liberal-bürgerliche gefilde: also z.b. scherbendemos wie in kopenhagen
und hunderte von leuten, die namentlich als mitherausgeberInnen der radi
abgedruckt wurden. selbst bürgerliche medien empörten sich, weil sie
ihre eigene 'pressefreiheit' bedroht sahen.
in der breite der kampagne sind radikale inhalte allerdings bis zur
unkenntlichkeit verschwommen. entsprechend stützte sich ein großer
teil der empörung auf die verteidigung eben der 'pressefreiheit',
als ob die radi - zwar am rand der presselandschaft - dieselben von der
verfassung versprochenen rechte beanspruchen würde wie die
bürgerlichen medien. ein radikales selbstverständnis des widerstandes
hatte da kaum noch platz. also z.b., daß die radi kein einzelfall
von zensur und verbot ist, daß eine politik gegen das system
unglaubwürdig wird, wenn sie sich auf dessen gesetz beruft, daß du
ganz logisch demokratische rechte und freiheiten verlierst, weil diese die
macht stützen sollen und nicht den widerstand dagegen.
die radi erschien während des prozesses weiter. ihr ton war frech,
lässig und vermittelte ein selbstbewußtsein, auf das so einige
abgefahren sind. dann kam das urteil, und das schöne gebäude brach
bis auf die grundmauern zusammen." (...)
"mit dem hintergrund haben sich nach dem urteil mehrere leute hingesetzt
und beratschlagt. von anfang an gab es sich widersprechende vorstellungen, was
mit der situation anzufangen ist. fakt war, daß die radi schon
längst eine bundesweite zeitung war, daß sie regionen und leute
erreichte, wo es ansonsten nur die taz gibt. radikale träumen oft
von der verbreiterung der bewegung oder revolutionären bewußtseins -
hier lag ein wesentliches mittel und die struktur ungenutzt rum, du brauchtest
bloß zuzugreifen.
die grundstimmung, das ding ist wichtig genug und muß weiterlaufen,
reichte nicht aus. um das wie kam es relativ schnell zu harten
diskussionen und auch machtkämpfen. es ging darum, welche politik hinter
einem schlußstrich unter die bewegung angesagt ist und auf welche
politischen positionen sich die radi in zukunft beziehen sollte. im
prinzip rasselten dabei weniger die ausgeschmückten vorstellungen
aneinander, sondern die politische und persönliche unterschiedlichkeit der
leute. das war wirklich ein bunt zusammengewürfelter haufen.
ziemlich bald stellte sich heraus, daß einigen eher ein rein
bewußtseinsbildendes organ vorschwebte, während andere in erster
linie revolutionäre praxis vermitteln und militantes bandenwesen
dokumentieren und vorantreiben wollten. das ist aber nur ein beispiel. wenn wir
den konflikt wiedergeben müßten, würde das seiten füllen.
was du als inhalt in einer zeitung willst, hängt ja davon ab, wie du
selber politik machst. also z.b. ob du dich so siehst, daß du
für andere etwas tust oder sagst, mit anderen in einer
gemeinsamen entwicklung.
was theoretisch hätte zusammenlaufen und sich ergänzen können,
zerbrach endgültig an der frage, wie die radi zu organisieren ist.
entsprechend ihren inhaltlichen vorstellungen setzten einige weiter auf legales
erscheinen, indem z.b. anschlagserklärungen weggelassen oder
ausdrücklich nur dokumentiert werden sollten. also eine läuterung
nach innen, denn genau jene inhalte würden verschwinden, die der
repression den anlaß zum ausflippen gegeben hatten.
durchgesetzt hat sich schließlich die andere fraktion. durchgesetzt ist
das richtige wort, denn angesichts der widersprüche war eine gemeinsame
sache nicht möglich." (...)
"die notwenigkeit der radi und der illegalen organisierung waren
im bauch, aber nicht viel im kopf dazu. keineR hatte erfahrung mit illegaler
arbeit oder schon mal eine zeitung gemacht. erst recht keine überregionale
mit einer solchen struktur und geschichte. und dann stehst du vor einem apparat
mit tausend abos und hunderten verteilerInnen, von denen du überhaupt
nichts weißt. genossInnen, die unseren erfahrungshintergrund kannten,
schimpften uns leichtsinnig. zum glück konnten wir uns darunter nicht mehr
vorstellen als eine warnung, sonst wäre es zum leichtsinn nicht
gekommen." (...)
"es war ein lernen und durchboxen. die motivation, diese zeitung zu
machen, veränderte sich ständig. einige male war ende gesagt, und als
es dann doch weiterging, hattest du festeren boden unter den füßen.
vielleicht ist es ein frevel, soviel an motivation von sich selber abzuleiten.
aber es war so, mindestens bis `86. es war uns klar, daß das projekt bei
älteren genossInnen unten durch ist und höchstenfalls abwartend
beobachtet wird und daß wir von leuten auf unserem stand nicht mehr
erwarten können als das begeisterte 'geil, daß es die radi
weitergibt'. die briefe, die pauer, die spenden besonders aus der provinz
und kleineren städten waren tierisch wichtig: du bist von der
bildfläche verschwunden und trotzdem nicht im luftleeren raum. es hat
basis und macht sinn, schritt für schritt weiterzugehen, auch wenn es
jahre dauern kann, bis die radi das ist, was sie werden soll.
in dieser zeit hat sich herausgebildet, daß wir uns nicht mehr allein auf
die autonome metropolenszene beziehen. von hier kam relativ viel
mißtrauen, warnungen und kritik. mit der erfahrenheit der leute konnten
wir aber wenig anfangen, weil sie neben uns stand und nichts investierte ...
so waren dann auch die ersten ausgaben. der inhalt orientierte sich an jenen,
die damit was anfangen können und auch rüberbringen, daß sie
die radi brauchen. und die nicht zerfleddern, was nicht geschafft wurde,
weil sie sich ein bißchen in die schwierigkeiten reinversetzen
können und deshalb mehr auf positive entwicklungen achten. mit einer
solchen rückenstärkung wurden wir immer weniger anfällig gegen
eine kritik, die z.b. die geschichte der radi oder meterhohe
ansprüche auf uns übertrug.
wenn sich erfahrene genossInnen um den nachlaß der radi
gekümmert hätten, wäre bestimmt alles anders geworden. nicht
besser oder schlechter, sondern anders." (...)
"am anfang haben wir von den erfahrungen anderer mit illegaler praxis
gelernt, z.b. von den rz. so haben wir uns gegen die wahrscheinlichsten
ansätze der repression abgesichert. wir brauchten maschinen, und wir
mußten treffen und die kontinuierliche arbeit vorplanen, um
überhaupt diskutieren und die zeitung machen zu können. dann
mußte eine sichere adresse her, denn eine zeitung ohne kontakt zur
außenwelt ist meist etwas totes oder organ einer gruppe und position.
wir konnten uns die radi nur als offene zeitung vorstellen, an der sich
viele beteiligen können und sollen. eine adresse in der brd fiel flach,
denn die bullen würden zugreifen und kein vernünftiger mensch was
schicken. also eine auslandsadresse, am besten mehrere in solchen ländern,
wo es noch keine kriminalisierung entsprechend dem 129a gibt, und deshalb
schwierigkeiten bei der 'amtshilfe' zu erwarten sind. solche adressen
mußt du erst mal finden, und wenn du keine internationalen kontakte hast,
dann geschieht das nicht von einem tag auf den anderen. und irgendwie
müssen wir an die post rankommen, die kannst du dir nicht einfach nach
hause schicken lassen oder mal kurz abholen.
die zeitung selbst muß irgendwie irgendwo vorbereitet, gesetzt und
layoutet werden. eine setzerei anmieten geht nicht, und das zeug aus der hand
geben, wohin denn? bist du da durch, muß das ganze gedruckt werden, und
wo soll das laufen, wenn du noch nie eine drucke von innen gesehen hast. da
mußten wir kontakte spinnen und rumfragen, aber immer schön
vorsichtig und langsam und über ecken. die radi war durch den
prozeß so bekannt, daß wir befürchten mußten, an die
falschen leute zu geraten. ist auch passiert. in der anfangszeit mußtest
du bloß den namen nennen, und schon spitzten sogar die wände ihre
ohren. kam uns jedenfalls so vor.
um sicherheit zu bekommen, waren wir stark auf vertrauen angewiesen. deshalb
gab es lange diskussionen mit leuten, um sagen zu können, der oder die ist
in ordnung oder andersherum eine aufgeblasene pfeife. gerade solche, die
besonders lässig waren nach dem motto 'alles klar, kein problem',
hatten am wenigstens klar, was der unterschied zwischen einer zeitung und einer
illegalen zeitung ist. es gab schon mal eine fertige ausgabe, die wegen unseres
gewachsenen mißtrauens gegenüber unterstützerInnen fast
vollständig eingestampft werden mußte. auch verschiebungen sind
vorgekommen, andersherum haben wir mal solche scheiße gebaut, daß
andere den kontakt mit uns abbrachen. wir sind über die situation der
genossInnen ziemlich rübergetrampelt, und bei unserem damaligen verhalten
war es mehr glück als verstand, daß nix aufgeflogen ist."
Die Phase '84 bis '86 (Nr. 128 - 132)
Die Schwierigkeiten, zu dieser Zeit was aufzuschreiben, fingen bereits
damit an, die alten Nummern überhaupt noch mal aufzutreiben. Dann fiel mir
gleich als erstes mal auf, daß auf den Heften noch nicht mal die
Zeitpunkte der Veröffentlichung stehen. Einfach Nummer und Preis - fertich
ist der Kuchen. Das steht vielleicht auch ein bißchen symbolisch
dafür, wie wir angefangen haben - absolut keinen Check von Zeitungsmachen.
Und schließlich habe ich viel aus der Zeit verdrängt, aber hallo.
Eine Zeitung, die von einer Bewegung lebt, kann überleben, solange diese
neue Ideen entwickelt oder die Zeitung ihr neue Ideen vermitteln kann. Die
klandestin organisierte radikal aber mußte sich, im Gegensatz zur
zuvor noch legal erscheinenden radikal, durch Zeiten einer bereits
niedergegangenen Bewegung kämpfen. Als wir mit der Nummer 128 anfingen,
agierten wir gegen den Zeitgeist. Die große Zeit der HausbesetzerInnen
war vorbei, aufgebraucht, die Revolten in den Städten vorerst gescheitert.
Wir lebten mit der Überzeugung, militante Angriffe und die Organisierung
illegaler, verbindlicher Strukturen seien die richtige Antwort auf das
Scheitern dieser auf Spontaneität und Unverbindlichkeit aufgebauten
Bewegung. So verstanden wir die radikal, genauso wie die
Revolutionären Zellen, die RAF und militante autonome Gruppen als
wesentlichen Teil einer sich organisierenden Struktur. Aber alles braucht eben
seine Zeit.
Wir begannen schließlich als eine Gruppe von Leuten, die nicht gerade
umfassende Erfahrungen innerhalb linksradikaler Zusammenhänge aufzuweisen
hatte. Die Geschichte der legalen radi war den meisten von uns nicht
präsent, es gab auch einige, die nie eine Ausgabe der legalen radi
überhaupt mal gelesen hatten.
Sicherlich hatten alle die Kriminalisierung der radi-Redakteure
wahrgenommen, aber mir z.B. hat das nicht gerade den Schlaf geraubt. Ich bin
auch nicht wie wild durch die Gegend gerannt, mit Hummeln in den Hintern
"dem muß jetzt unbedingt etwas entgegengesetzt werden" -
sondern das Hineinschlittern begann eher zufällig. Bis ich angequatscht
wurde, war die radi etwas Fernes.
So wenig wie ich mich vorher mit den bis dahin verbreiteten linksradikalen und
linken Medien beschäftigt hatte, so wenig hatte ich überhaupt
Erfahrungen in festen und kontinuierlichen Zusammenhängen.
Große, langfristige Planungen, wie sie wohl heutzutage innerhalb der
radi unumgänglich und selbstverständlich sind, lagen uns fern.
Während den fünf Ausgaben 128 bis 132 war an so etwas gar nicht zu
denken. Wir hingen uns voll in eine Ausgabe hinein, wenn sie dann aber endlich
auf dem Postamt angelangt war, verfielen wir in eine Art Tiefschlaf.
Erschöpft und ausgepowert, wollten nur noch das Leben nachholen, das wir
während der mühsamen Erstellung der Zeitung verpaßt hatten.
Saufen, kiffen, demonstrieren, arbeiten, schlafen, Beziehungen und
Freundschaften ausleben, an Aktionen rumfeilen - was zählte war der
Moment.
Schon alleine diese Gegeneinanderstellung von Leben und radi, und womit
zumindest einige den Begriff "Leben" füllten, zeigt viel von
der politischen Unreife, die wir damals mit uns rumschleppten.
Bis zur radi hatte ich politische Aktivität nicht als Arbeit
wahrgenommen, sondern als den besonderen Schuß und Kick im Leben.
Irgendwann gab jemand dann das Stichwort, und wieder ging es von vorne los. Die
nächste Nummer wurde in Angriff genommen. Uns kam dabei zugute, daß
wir nur uns selbst gegenüber verantwortlich waren. Die Struktur war noch
nicht über die Stadttore ausgeweitet. Niemand war auf genauere
Übermittlungen unserer Vorstellungen angewiesen.
Außerdem waren die Auseinandersetzungen in der Gruppe dermaßen
kräftezehrend, daß die Pausen notwendig waren, um neue Energien zu
tanken.
Vor allem in den ersten zwei Nummern, 128 und 129, stand der "Symbolwert
radikal" im Vordergrund. Wir agierten nach dem Motto: "Auf
die Pauke hauen, ihr kriegt die Zeitung nicht kaputt". Ob es der Abdruck
der alten RZ-Broschüre mit Basteltips war, nachgedruckte Interviews mit
einer RZ oder der IRA waren, erdachte Geschichten zu einer Stadt, in der sich
die RZ treffen, erfundene Enthüllungsberichte über die Richter im
radi-Verfahren.
Es sollte geklotzt und nicht gekleckert werden. Das alles wirkt aber
völlig unfertig und nicht gerade antörnend. Politisch hatten wir
nicht allzu viel zu sagen außer dem, was bereits im ersten Intro der
Nr.128 gesagt wurde.
Die Abrechnung der Szene folgte auf dem Fuße, stellvertretend für
viele äußerte sich die autonome Frauenzeitung Anagan in einer
geharnischten Abfuhr:
"Unsere Leichen leben noch...
Wenn schon illegal, dann radikal, heißt die Devise des jüngst
erschienenen Möchte-gern-Phönix aus längst verrauchter
Bewegungsasche. Schaut das Vögelchen doch recht merkwürdig aus, denn
das mühsam angeklebte fremde Federkleid sitzt gar zu schlecht, auch wenn
es - nie war es so wertvoll - in 6000er Auflage verhökert werden soll. Ob
da die public relation längst vergilbter Anklageschriften noch ausreicht
um für 4,- DM das Stück alte Hüte unters Volk zu bringen, mag
sich da selbst der eine oder andere Verursacher dieser 52 seitigen Katastrophe
gefragt haben. Denn wie anders läßt sich sonst die Krampfheit
erklären, mit der sich hier in alte Feindschaften ('da wird Przytarsky
aber böse sein') geübt wird, nach dem Motto: viel Feind, viel Ehr,
und wo die Verfolgung immer noch anhält, muß ja was
revolutionäres dran sein. Also schmeißt mensch wahllos um sich mit
allem, was angeblich den Herzinfarkt von Staat und Staatsanwaltschaft
herbeiführen soll, da gräbt man gerne ein paar verstaubte
Bastelanleitungen aus und, natürlich darf das Markenzeichen in Sachen
Widerstand nicht fehlen, ein olles Interview mit RZs. Und weil der Kampf ja
erklärtermaßen weitergeht, gibts noch Herbstmanöver startbahn
munitionstransporte dritte welt el salvador....
Wenn ihrs schon so doll schick findet, in den Keller zu gehen, dann gebt
wenigstens zu, warum: auf daß der Beifall der Szene euch gewiß
sei."
(Die Anspielung auf den Keller bezog sich auf die Rückseite der ersten
Ausgabe, auf der ein Kopf im Motorradhelm zu sehen war, der den Spruch sagte:
"Du gehst in den Keller und ich weiß genau warum!"
Der Spruch war eine leichte Abwandlung einer Liedzeile der Fehlfarben
gewesen, die in ihrem Song "Paul ist tot" lautete: "Du
gehst mit dem Kellner und ich weiß genau warum". Die Fehlfarben
waren Anfang der 80er eine der Musikgruppen gewesen, die am meisten für
die Euphorie und Aufbruchsstimmung standen.
Am stärksten natürlich ihr Lied "Es geht voran",
welches noch Jahre später penetrant auf Szeneparties abgefeiert wurde, als
die eigentliche Stimmung dieses Zeitgeistes längst ausgehaucht war.)
Diese geharnischte, aber zumindestens schriftliche Kritik, war die einzigst
sichtbare und für uns spürbare Reaktion auf die erste Nummer. Von
"Beifall", der uns laut Anagan gewiß sei,
spürten wir jedenfalls nichts, viele beachteten uns erst gar nicht mehr.
Häufig haben wir in dieser Zeit, wenn überhaupt, nur zu hören
bekommen, wir wollten uns sowieso nur mit "unserem illegalen Projekt
wichtig machen" - vor allem von älteren GenossInnen.
(Ha, jetzt hab ich mich selbst ertappt, das steht nämlich im Interview
drinne mit den älteren GenossInnen - ich selbst hab das nicht so
wahrgenommen, ich kannte nämlich gar keine älteren GenossInnen, die
mir das hätten raten können.)
In einem Artikel in der Nr.129 zur Kriminalisierung von Zeitungen werden
aufgrund der ersten Reaktionen nachdenklichere Töne zur Perspektive der
radikal angeschlagen:
"In dem Maße, wie die Legalität mit all ihren
Bequemlichkeiten entzogen wird, verliert die 'Stadt' in der Stadtzeitung
ihr Gesicht, und man widmet sich zunehmend der nationalen Leserschaft (siehe
dieses Exemplar). In der Hoffnung die örtliche Trostlosigkeit aufzufangen,
werden woanders Inhalte und Strategien für die Zeitung gesucht. Das Ganze
ist verbunden mit einem immer anonymeren Verhältnis zwischen denen, die
schreiben, und den anderen, die dann lesen sollen...
Aus den Reaktionen auf unsere ersten Nummern ließen sich grob zwei
Richtungen ausmachen: Die einen, die es nur positiv finden, daß diese
Zeitung vorläufig nicht eingemacht wurde, die ihre Begeisterung mit dem
Satz zum Ausdruck brachten: "Geilo, mal sehen was in der nächsten
Nummer kommt". Auf der anderen Seite die Perspektiv-Cracks mit dem
Tenor: Untergrund, Militanz - das sind abgegessene Sachen, gescheitert,
Beschäftigung damit folglich modischer Pseudo, usw...
Es wird davon ausgegangen, daß linke Medien etwas bieten müssen,
was in den eigenen Köpfen nicht vorhanden ist und wenn doch, der
Veräußerungszensur oder Schlappheit unterliegt. Es gipfelt in der
nie ausgesprochenen, aber immer spürbaren Forderung nach einer Perspektive
für weitergehende politische Arbeit, möglichst auf ein paar Seiten
für jedermann auf den Punkt gebracht, wobei Kritik und neue Ansätze
immer seltener von außen in die Zeitung reingetragen werden. Das ist
Konsumverhalten.
... Wo die Forderung nach Informationen aus Teilbereichen des Widerstandes
erhoben wird, sind diese Teilbereiche von sich aus gefordert, sich zu
äußern. Wo festgestellt wird, daß eine Hauptfunktion von
Gerichtsurteilen darin besteht, Unterdrückung gezielt zur Abschreckung zu
verbreiten, liegt es auch an den Betroffenen, dieser Funktion zuwiderzuhandeln
bzw. zuwiderzuschreiben. Das sind nur zwei Beispiele, die zeigen, in welchem
Ausmaß die Existenzberechtigung von Zeitungen als Diskussionsforum von
der Beteiligung der Leser abhängt, diese Diskussion mit anzuregen. In die
Illegalität oder auch nur an den Rand gedrängt, bedeutet in den
meisten Fällen noch immer, auf sich und eigenen, kleinen Kreis
zurückgeworfen zu werden. Mit bloßen Sprüchen oder
väterlichen Kommentaren wird diese Isolierung noch verstärkt."
Im Intro zur Nummer 130 findet sich dann folgende Anmerkung:
"Dies ist eine Diskussionsnummer, anders als die Infoteile der Nr.128
und 129. Bei diesen beiden Nummern ging es uns vor allem noch darum, die
Zeitung am Leben zu erhalten, so daß die inhaltlichen Diskussionen in
keinem Verhältnis zu dem Wust an Technix standen, die zuallererst zum
Überleben bewältigt werden mußten.
Der Schwerpunkt dieser Nummer entstand durch einen Kick, den wir aus den ersten
Reaktionen zur 129 hier und dort aufschnappten. Kritisiert wurde die
Oberflächlichkeit, mit der wir besonders das Thema Hungerstreik
abgehandelt hatten, was so auch unserem unausgesprochenen Gefühl davor
entsprach."
Die Nummer 129 hatte ihr gesamtes Gesicht dem Hungerstreik der RAF-Gefangenen
gewidmet - das Titelbild zierte eine Mauer, durch die ein Lichtstrahl brach.
Das Intro war betitelt mit "Zusammen Kämpfen! Die faschistische
Fratze des Staates bekämpfen" und endete mit der Aufforderung:
"Ein Kampf, mit den Gefangenen, für sie, für uns auf dem
revolutionären Weg". Die Rückseite knallt dann noch mal so
richtig, vor dem Hintergrund des noch nicht beendeten Hungerstreik entschieden
wir uns für den Abdruck des Zitates aus dem letzten Brief von Holger
Meins:
"Entweder Schwein oder Mensch
Entweder Überleben um jeden Preis oder Kampf bis zum Tod
Entweder Problem oder Lösung - Dazwischen gibt es nichts
Sieg oder Tod sagen die Typen überall und das ist die Sprache
der Guerilla - auch in der winzigen Dimension hier: Mit dem Leben
ist es nämlich wie mit dem Sterben: "Menschen (also wir), die
sich weigern, den Kampf zu beenden - sie gewinnen entweder oder sie sterben,
anstatt zu verlieren und zu sterben."
Holger Meins hat das ja 1974 geschrieben.
Das Faszinierende an der Übernahme solcher Gleichungen
"Schwein-Mensch", "Gut-Böse" ins Jahr 1985
scheint damals wie heute zu sein, daß sie den komplexen
Metropolenbedingungen ein einfachstes Raster gegenüberstellt. Dadrin
steckt(e) die Sehnsucht, sich selbst in der Zeit des Niedergangs linker
Bewegungen fest einordnen zu können - mittels Schablone einen
Trennungsstrich ziehen, der neue Kräfte mobilisiert.
So konstruierte Vereinfachungen, die dich moralisch auf die richtige Seite
stellen, die aber mit politischer Analyse wenig zu tun haben, sondern
Bestandteil der Eigenversicherung sind, daß du dich auf der Seite der
Guten befindest, findest du eigentlich in jeder Ausgabe der ersten
radikal-Gruppe (wie auch in den späteren natürlich -
schließlich ist die radi ja Bestandteil der linksradikalen Szene,
die immer wieder mit diesen Schablonen arbeitet, anstatt sich der weitaus
komplexeren Wirklichkeit zu stellen).
Z.B. in einem Artikel "Die wilden Grundpfeiler - den Konflikt
verschärfen" in der Nr.131 findet sich folgendes Sätzchen zur
damaligen Situationseinschätzung:
"Wir stehen inmitten einer neuen Auseinandersetzung, die bereits jetzt
schon eine erhebliche Schärfe erreicht hat, die sich aber in den
nächsten Jahren nochmals potenzieren wird, denn es geht für die
Schweine um unsere endgültige Vernichtung."
Aber ich schweife ab.
Daß uns die Zusammenstellung in der Nr. 129 im nachhinein schwer im Magen
lag, tauchte in der Nr.130 in mehreren Artikeln auf.
"Warum ich diesen Artikel schreibe, hat einen ganz einfachen Grund.
In unserer letzten Nummer befaßten sich ganze 12 Seiten mit dem
Hungerstreik der RAF-Gefangenen, wo mit Sicherheit eines rüberkam:
nirgendwo eine Auseinandersetzung. Der Block stand dazu noch am Anfang der
Zeitung, so daß zusammen mit der pompösen Rückseite der
Eindruck entstand, dies sei uns das wichtigste.
Wir wollten powern, wußten aber nicht so richtig wofür. Für
die Guerilla? Anschläge, Demos, die Forderung des Streiks? Etwa für
die Strategie der RAF, oder die Perspektive des Antiimperialismus? Vielleicht
auch nur für den Knastkampf der Gefangenen, denn das einige ein ungutes
Gefühl gegenüber der RAF und den Streikforderungen hatten, blieb kein
Geheimnis. Diese Kritik war aber überschattet vom Produktionsstress und
der Angst, wir würden zu spät wissen, warum wir den Streik
unterstützen wollten. Gleichzeitiges Denken war nicht drin, die
zeitraubende Auseinandersetzung wurde unter den Teppich gekehrt, erst mal
verschoben.
Heraus kam eine plumpe Dokumentation verschiedener Briefe und
Erklärungen, die viele mehr abgeschreckt als begeistert hat. Wie auch im
überwiegenden Rest der Zeitung konnte an kaum einer Stelle unsere eigene
Meinung aufgespürt werden, redaktionelles Eingehen fehlte bei fast allen
Artikeln. Diese rein informative Ebene führte dazu, daß noch ein
paar Leute mehr die Spracharmut und Isolation der RAF mitbekamen, ohne etwas
damit anfangen zu können."
In einem anderen Artikel wird auf den Zustand der Zeitungsgruppe
eingegangen:
"Der HS und die Reaktionen auf den HS-Block in der 129 haben bei uns
als (angestrebtes) Zeitungskollektiv einiges ausgelöst. Erst mal die
Entwicklung zu einem Konzept, warum wir diese Zeitung machen, was wir mit ihr
erreichen wollen und warum wir soviel in dieses Teil investieren... Auf jeden
Fall ist uns klar geworden, wie weit wir von unserem Anspruch ans
Zeitungsmachen noch entfernt sind und damit von unserem Anspruch als Kollektiv!
Und gerade diese Kollektivität zu entwickeln, ist für uns
schwieriger als alle anderen Probleme zusammen - und wichtiger.
Als isolierte Gruppe, bedingt durch die Konspirativität, die uns
aufgezwungen wird und zu der wir bereit sind, weil wir Zeitungen wie diese
für einen Teil unseres Widerstandes halten, ist für uns
'lebens'notwendig, wirklich kollektiv zu handeln. Notwendig für
unsere eigene Sicherheit und für die Kontinuität unserer Gruppe. Wenn
wir das nicht schaffen, werden wir aufhören (müssen). Gut, wir haben
Vertrauen zueinander, sonst würden wir die Zeitung nicht zusammen machen,
aber darauf beschränkt es sich bei den meisten. Alle stecken in
unterschiedlichsten Zusammenhängen, jeder mißt dem 'Projekt'
eine andere Wichtigkeit für sich bei, und unsere Auffassungen klaffen oft
auseinander.
Die größte Schwierigkeit ist jedoch die Veränderung des
Umgehens miteinander: Mackerstrukturen (bei Männern wie Frauen) in den
Diskussionen und die entstandene Hierarchie, sei es durch
'männliches' Durchsetzungsvermögen oder/und durch mehr
Durchblick (Interesse/Desinteresse an Technics...)
Wir arbeiten daran!
Ohne diesen Kollektivierungsanspruch, ohne zu begreifen, wie groß die
Verantwortlichkeit füreinander ist, wird jede Gruppe auf Dauer scheitern.
Das ist unsere wichtigste Erfahrung aus den letzten Monaten."
Wie dann der Kollektivierungsanspruch abgelaufen ist, läßt
sich im Intro der Nr.131 nachverfolgen. Immerhin wird das Desaster relativ
offenherzig beschrieben, im Gegensatz zu vielen Gruppen, die damals über
die Parole "Kollektivität ist die Kraft, die uns treibt"
sich ihren eigenen politischen Kosmos zimmern wollten, indem sie sich nur
entschlossen gegen das System stellen.
Politisch vertraten wir damals zum Hungerstreik und der Politik der RAF
unterschiedliche und teilweise recht naive Positionen, die sich dann in
mehreren Beiträgen niederschlugen.
Da ich mich kurz fassen soll, spare ich mir das aber.
Nachdem im Praxisteil der Nr.130 diesmal populistische Tips verbreitet wurden
("Wie betrüge ich eine Versicherung") folgte eine
Stellungnahme zu zwei Pressemeldungen:
"Aus Berlin, wo scheinbar noch immer intensiv nach unseren Spuren
geforscht wird, stammen die beiden Zeitungsausschnitte auf dieser Seite. Der
Innensenator (eine Kostprobe würde ihn vom Gegenteil überzeugen) geht
davon aus, daß der bei einem Anschlag auf ein Rechenzentrum in Stuttgart
umgekommene Johannes Thimme den Sprengsatz nach den Anleitungen dieser Zeitung
gebaut hätte. Anschließend an seinen Tod sollen wir uns in
Verrenkungen dafür entschuldigt haben, daß ihm ein von uns
abgedruckter technischer Fehler zum Verhängnis wurde. Am Ende stellt sich
heraus, daß es hauptsächlich um einen Tritt im Wahlkampf gegen die
AL-Berlin geht; nebenbei natürlich auch darum, das Basteln mit Brand- und
Sprengsätzen als grundsätzliches Kamikaze-Unternehmen zu verteufeln.
Es ist das dreckige Geschäft mit einem Menschen, der im Kampf gegen den
Staat gestorben ist.
Entschuldigt hatten wir uns tatsächlich; aber nicht für technische
Fehler, sondern für das sehr schlampige lay-outen der ersten Nummer, wo am
Ende einiges fehlte. Wir behandelten das Thema nicht mit der nötigen
Wichtigkeit, und deshalb sollen jetzt ein paar grundsätzliche Sachen
nachgeholt werden."
Das Heft abschließen tut ein Block, der die Szene aufs Korn nimmt.
Die Einleitung macht das dann genauer:
"Im ersten Artikel geht es um stereotype Alltagsabläufe, wo
wohnen, arbeiten und sich verweigern voneinander getrennt bleiben.
Ansprüche setzen an äußeren Gegebenheiten und Theorien an,
weshalb Hoffnungslosigkeit und Unzufriedenheit immer tiefere Wurzeln treiben...
Der zweite Artikel beschreibt eine Entwicklung von der politischen
Naivität zu einem neuen Weltbild, das im erklärten Gegensatz zu
Staat, Gesellschaft und Weltherrschaft steht. Es wird deutlich, in welchem
Ausmaß diese Radikalität auch von den Erfahrungen beeinflußt
wurde, wie die Gesellschaft auf unsere Ansichten, Ziele und Utopien
reagierte...
Der dritte Artikel beschreibt wie die, die sich klargeworden sind, auf
Kompromisse scheißen wollen, dennoch voneinander getrennt bleiben. Das es
Gruppen gibt, die sich aus ihrer Aktivität eine Überheblichkeit
zurechtzimmern, die Vereinzelte abhält, ihr passives Begreifen in aktiven
Widerstand umzusetzen."
Das ganze ist eher eine Aufarbeitung eigener Geschichte und Entwicklung.
Im Intro haben wir es groß rausgestellt, daß diese drei Artikel
dick und fett im Zusammenhang mit dem RAF-Block stehen würden, das mag
für den mittleren Artikel auch angehen.
Aber aus heutiger Sicht würde ich sie eher als Produkte von
Infragestellungen innerhalb der Gruppe bezeichnen, bzw. eine Verarbeitung, wie
du nach außen wirkst. Während einige bis zum Beginn der
Zeitungsarbeit eher in den Tag hineingelebt hatten, spontan Vorhaben
eingegangen waren - jederzeit allen offen gegenüber traten, stellte sich
ihr Leben durch die radi völlig um. Du wurdest notgedrungen
abweisend gegenüber Leuten, die dir nicht so nah standen, es gab in der
Zeit eine Vielzahl von sozialen Enttäuschungen zu verdauen, Beziehungen
und Freundschaften, in der Ansprüche nicht mehr so eingelöst werden
konnten.
Und dann klar das Bekämpfen der eigenen "Eitelkeit", nun
gerade etwas unheimlich Wichtiges zu machen - wir bekamen zwar keine politische
Anerkennung serviert, aber wenn du als Gruppe ständig Diskussionen
führst, wo es um klandestine Absicherung geht, um
"revolutionären Widerstand und Kontinuität", dann
wäre es Quatsch zu verleugnen, daß dich das nicht auch ein wenig
umschmeichelt.
Um diese Gefahr und Eigendynamik geht es in dem dritten Artikel.
Schließlich mußten wir zur dritten Nummer auch die ersten Ausstiege
aus der Gruppe verdauen, und es sollten bis zur Nummer 132 noch einige mehr
werden. Viele sind an den harten Bedingungen innerhalb der Gruppe gescheitert,
andere, weil die radi überhaupt nicht ihre Arbeit gewesen ist.
Die Nummer 130 bildete sowas wie den Höhepunkt unserer ersten Gruppe,
erstmalig wurde ein Heft hauptsächlich bestritten durch eigene Texte. Des
weiteren wurde klarer, was wir mit der Zeitung wollten, aber auch die
Unterschiede untereinander wurden faßbarer.
Im Intro der Nr.131 wurden dann diese Gegensätze innerhalb der
Zeitungsdiskussion angesprochen, unterschiedliche Herangehensweisen, die die
Geschichte der radikal permanent und andauernd begleiten sollten. Waren
es damals zu dieser Zeit noch Leute aus einer Gruppe, die über die
unterschiedlichen Vorstellungen stolperten, so sind sie 15 Nummern später
in der Nr. 146 als verschiedene Gruppenpositionen abzulesen.
(Ich will den späteren radischen nicht vorwerfen, sie hätten
sich nicht von der Stelle bewegt - aber die Problematisierung, wieviel Raum
wird in der Zeitung den eigenen Beiträgen gewidmet, wieviel der Post etc.
läßt sich wohl nie abschließend klären, sondern muß
ständig neu überdacht werden. Denn sie hängt meiner Meinung nach
sowohl von den Ereignissen ab, die sich außerhalb der Zeitung abspielen -
als auch wieweit gerade genaue Diskussionen notwendig sind, mit denen die
Zeitungsgruppen auch auf die Geschehnisse Einfluß nehmen sollte - naja,
ist jetzt verkürzt, aber ich will mich in die heutigen Debatten auch nicht
weiter einmischen.
Ich denke, für jede Zeitungsgruppe ist es zunächst einmal wichtig,
sich eigene Positionen und damit ein Selbstverständnis zu erarbeiten - mit
denen sie sich auch ihren LeserInnen gegenüber sichtbar macht.)
Die Nummer 131 war, was die Diskussionen innerhalb der Gruppe anging, wieder
ein Rückschritt. Die Beiträge, die erschienen, waren Einzelwerke -
subjektive Beiträge -, der Hintergrund dessen wurde im Intro geschildert.
Auf der Seite 22 findet schließlich endlich die Thematisierung der
Geschlechterverhältnisse langsam Einzug in die radi:
"Im folgenden bringen wir drei Papiere, die uns Berliner Frauen
geschickt haben. Die Abgrenzung gegenüber männerdominierten
gemischten Zusammenhängen, die in allen drei Beiträgen deutlich wird,
sollte den Männern endlich mal zu denken geben. Und zwar über den von
ihnen kaum begriffenen und erst recht nicht geführten Kampf gegen
patriarchale Strukturen in der Gesellschaft und in ihrem eigenen Verhalten.
Solche Abgrenzungen machen die Begrenztheit auch linken männlichen Denkens
deutlich. Sie sind mit dem Wutgebrüll 'Spaltung!' nicht zu
beantworten, sondern Herausforderung zu selbstkritischem Denken. Auf der Suche
nach neuer männlicher und weiblicher Identität - im Kampf für
ein herrschaftsfreies Verhältnis zwischen den Geschlechtern."
Hier ist zwar großspurig von "wir" in der Einleitung
die Rede, aber ich kann mich nicht erinnern, daß wir Männer für
diesen Abdruck in irgendeiner Art und Weise gepowert hätten, noch
daß eine Diskussion unter uns einen derartige Einsicht ergeben
hätte.
Und wenn doch, dann sicherlich eher als theoretische, in dem Sinne
"unsere Umgangsformen untereinander müssen sich halt
verbessern", aber deswegen gleich neue politische Wege gehen? Aber ich
muß zugeben, daß ich auch nicht mehr viel von den Streits im Kopf
habe, ich weiß nur noch, daß sie reichlich ans Eingemachte gingen.
Daß ich mir seinerzeit erstmals Gedanken über meine Rolle als Typ
machte.
Weiter hinten im Heft findet sich noch eine Infragestellung des einfachen
Rezeptes "durch mehr direkte Aktionen den Bullen auf die Niederlage der
Massenmilitanz eine andere Antwort zu geben".
Die Antwort "Oberfläche & Leichtsinn" bezieht sich dabei
auf den davorstehenden Artikel, der als Einleitung für den gesamten
Erklärungs- und Praxisblock gedacht ist. Beide Artikel sind jeweils von
einem (die Antwort von einer) geschrieben worden und beleuchten ganz gut den
Stand unserer damaligen Einstellungen.
Die Erfahrungen von `85 (der Ermordung von Günter Saré) und die
anschließenende Vielzahl von Aktionen, bei einer gleichzeitigen Einmache
von anderen Demos, ließ einen Großteil von uns verstärkt in
die Richtung weiterdenken, daß durch eine Vielzahl von direkten Aktionen
politisch die richtige Antwort gefunden sei. Es geht um die richtige
Effektivität, politische Einbettung ist eigentlich kein Thema, allenfalls
wird noch thematisiert, daß die eigene Angst nicht vergessen werden
sollte und daß die Aktionsformen nicht hierarchisch zueinander angesehen
werden sollten.
Und klar, damit lag die radi ganz in der Stimmung der Zeit,
spätestens mit dem Jahre 1986, mit dem US-Angriff auf Libyen, den
Stürmen gegen die Bauzäune von Wackersdorf und Brokdorf, erlebte die
Wertschätzung der direkten Aktion (ob massenmilitant oder durch eine
kleine Gruppe) eine neue Renaissance.
Die Nr.132 steht ganz im Eindruck dieser Entwicklung.
Die Frauen aus der radi thematisieren mit ihrem ersten Beitrag, den sie
ausdrücklich als Frauen in die Zeitung (davor hatten Frauen schon etliche
andere Artikel formuliert, aber eben nicht ausdrücklich als
Frauenpositionen) einbringen, folgerichtig Militanz von Frauen:
"schon länger schwirrte in unseren Köpfen der gedanke,
platz zu schaffen für eine kontinuierliche, breitere auseinandersetzung
mit militantem widerstand von frauen, da diskussionen darüber oft
abgeblockt oder abgeschottet geführt werden. viele frauen haben angefangen
ihren kampf gegen sexismus und patriarchat in praktische militanz umzuwandeln,
indem sie personen oder institutionen, die für frauenverachtung stehen,
angegriffen haben. zusätzlich betroffen von alltäglicher sexistischer
gewalt gehen frauen von anderen bedingungen als typen aus, entwickeln ihre
eigenen aktionsformen. wir glauben, daß es viele frauen gibt, die
ähnliche erfahrungen machen/gemacht haben wie wir. die genervt sind vom
verhalten vieler typen auf demos oder bei aktionen, daß patriarchat im
linken widerstand selten zum thema gemacht wird, daß hierarchie für
viele immer noch ein fremdwort ist, oder höchstens im zusammenhang mit den
schweinen gesehen wird. frauen, die lust haben ihre militanz zusammen mit
anderen frauen weiterzuentwickeln.
beim schreiben der folgenden seiten, wo wir öfters steckenbeblieben
sind, wurde uns bewußt, wie oft wir worthülsen benutzen, die das,
was wir sagen wollen, nur ungenau beschreiben, daß unsere sprache
verstümmelt ist und wir unsere eigene erst finden müssen. das
hängt sicher damit zusammen, das wir uns mit dem, was sexismus und
herrschaftsstrukturen ausmacht, noch genauer auseinandersetzen müssen.
das hält uns aber nicht davon ab, darüber eine diskussion
einzuläuten. weil es uns erstmal wichtiger war rauszukriegen, wie unsere
eigene militanz aussehen kann, sind wir nur oberflächlich auf die
'bauchschmerzen' eingegangen, die wir oft, wenn wir was mit typen
zusammen machen, haben.
wir glauben/wissen daß viele frauen zu diesem thema was zu sagen haben
und warten - sehnlichst - auf eure kritik. schreibt uns welche gedanken dazu in
euren köpfen brodeln, was ihr in euren diskussionen entwickelt habt und
schickt uns erklärungen von aktionen, die ihr in diesem zusammenhang
gemacht bzw. mitgekriegt habt!!!"
Aus den Erfahrungen mit dem Hungerstreik hatten wir insofern gelernt, daß
wir uns bemühten, zu den beiden Großmobilisierungen der ersten
Hälfte des Jahres jeweils Hintergrundmaterial zur Verfügung zu
stellen. So leitete die erste Nummer ein Abriß der Entwicklung im
arabischen Raum ein, während sich in der zweiten Nummer neben einer
Schilderung der Pfingstereignisse in Wackersdorf und einer
"wortradikalen" Aufarbeitung von Kleve eine kurze Zusammenfassung
der Anti-AKW-Highlights ab 1974 befand, sowie eine kurze Schilderung der
Atomlobby.
Klar, ansonsten wurden die vielen Aktionen möglichst umfangreich
dokumentiert. Einklauaktionen, Aktionen gegen die Firmen, die von der WAA
profitierten, antifaschistische Aktionen, Störungen des
"Stammheim"-Films sowie Aktionen anläßlich des
Krieges.
Auch die beiden Titel entsprechen der damaligen Stimmung: eine arabische Frau
im Schneidersitz mit einer Kalashnikov vor sich steht für die wachsende
Thematisierung antiimperialistischer Themen.
Die SägerInnen am Bauzaun auf dem zweiten Titel für die neue Hoffnung
in die "Wirksamkeit" von Massenmilitanz. Gerade die Mobilisierung
gegen die WAA mit ihrer bunten Durchmischung von Bürgerlichen und Chaoten
wurde in der Folgezeit ja zum autonomen Mythos hochstilisiert, dem in den
nächsten Jahren mit den Barrikadentagen am Hafen sowie dem 1. Mai in
Berlin noch weitere folgen sollte. War die autonome Szene 84/85 noch
weitestgehend verunsichert (auch damals wurde viel über die Krise
linksradikaler Politik geredet) - so wurde das durch die militanten Erfolge der
Jahre 86-89 in einigen Metropolen erst mal wieder zweitrangig.
Wenige Tage, nachdem wir die Nummer 132 herausgebracht hatten, erreichte uns
die Nachricht, daß die Bullen den Großteil beschlagnahmt
hätten. Ich fand den weiteren Ablauf ziemlich zutreffend im Interview von
`89 beschrieben, deswegen sollen die das doch jetzt weitermachen.
radikal 1984-1989. Ein Interview
"das postamt in bielefeld, wo alles aufgeflogen ist, war eine
entscheidende schnittstelle zwischen der illegalen und öffentlichen
struktur. ähnlich ist es bei der auslandsadresse. beide punkte waren
unverzichtbar, um den großen vertrieb zu bewältigen und um
wenigstens eine möglichkeit für die kommunikation zwischen illegaler
redaktion und außenwelt zu ermöglichen. an diesen punkten war die
gefahr am höchsten für alle beteiligten, also auch für uns.
während über die post die zeitungen aus der illegalen struktur
rausgehen, ist der weg der briefe über die öffentliche adresse genau
umgekehrt.
die gefährdung war uns bewußt, und wir haben sie in kauf genommen.
das hieß akzeptieren, daß keine andere möglichkeit der
verteilung vorhanden war, die die post hätte ersetzen können. so
haben wir den postvertrieb dann organisiert: möglichst große
sicherheit im verhältnis zu den eigenen kräften und
möglichkeiten. z.b. wurden die zeitungen auf mehrere städte verteilt
aufgegeben.
dann kam der hammer. wie die 132 und die namen der leute aufgeflogen sind, hat
uns lange mundtot gemacht. es war plötzlich klar, daß von dem
bewußtsein der gefahr zuwenig umgesetzt wurde, und dann noch am
heikelsten punkt überhaupt. angesichts der summe und auswirkung der fehler
hast du nicht nur die arbeit an der zeitung bezweifelt, sondern ob wir selbst
dazu in der lage sind trotz über zwei jahren erfahrung. die stimmung war
eine art kollektives schachmatt.
das fing damit an, daß gerade die 132 zu einem wesentlich
größeren teil auf einem postamt aufgegeben wurde als geplant. der
grund war eine nicht vorhergesehene 'naturgewalt', die wir nicht genauer
beschreiben können. jedenfalls haben die betreffenden genossInnen in einer
hektischen situation, in der keine zeit für überlegungen war, so
entschieden. andere hätten evtl. anders gehandelt, aber im nachhinein
läßt vieles sich klarer beurteilen als in der konkreten situation.
die große menge kann auch ein grund gewesen sein, warum die postler
mißtrauisch wurden, wahrscheinlicher waren es die offenen umschläge
der einzelabos. wenn du die zeitung offen als 'büchersendung'
verschickst, hat es 90 pfennig gekostet. beim geschlossenen versand sind es 3
mark, und insgesamt hätte das mehrere tausend mark mehr porto bedeutet.
der schlimmste fehler war, wie die paketkarten beschriftet waren. das problem
ist schon vor der 132 ansatzweise aufgefallen, aber in der hektik war es
plötzlich weg. dafür konnten wir uns selbst eine reinhauen, aber die
folgen werden nicht ungeschehen. zwischen august 86 und februar 87 wurden 60
läden und 59 wohnungen durchsucht. fünf leute wurden stellvertretend
für alle zu teils hohen bewährungsstrafen verurteilt, nachdem
insgesamt gegen 192 nach SS 129a ermittelt wurde.
es lief so ab, daß zuerst die offenen einzelabos aufgeflogen sind, die in
einem gesonderten bereich der post abgegeben wurden. ca. eine woche später
hatten sich die bullen über bka, baw und bgh mit einem
beschlagnahmebeschluß bis in die paketannahme vorgearbeitet. viele pakete
waren da schon weg, aber nicht die dazugehörenden paketkarten. ein
abschnitt mit empfänger, absender und gewichtsangabe wird aufbewahrt
für spätere reklamationen. ohne diese abschnitte hätten die
empfänger der bereits verschickten pakete nicht ermittelt werden
können.
jede information der paketkarte hatte für die bullen eine wichtige
funktion. anhand des absenders - das war die gültige auslandsadresse - und
des einheitlichen schriftbildes auf den aufklebern, konnten sie mühelos
den verteiler unter anderen paketkarten herausfischen. neben dem empfänger
bekamen sie auch eine zahl auf dem aufkleber geliefert, die sie als anzahl der
zeitungen im paket interpretierten. das mußten sie dann nur noch mit der
gewichtsangabe durch die post vergleichen und behaupten, daß hier und
dort jeweils soundsoviel zeitungen angekommen wären. oft fanden sie bei
den durchsuchungen noch das paket selbst, rechnungen, begleitschreiben und
sogar ältere ausgaben. aber es wäre nicht nötig gewesen, denn
der rest war formsache. ein regionaler staatsanwalt fügte der anzahl ein
'zum zwecke der verteilung' hinzu und beantragte ohne große
verrenkungen nach 129a.
der hintergrund all dieser 'oberflächlichkeiten' waren
machtstrukturen innerhalb des kollektivs. frauen mußten gegen die
bevormundung durch männer und deren art, politik zu machen,
ankämpfen. es gab starke unterschiede in der frage, auf welche menschen
wir uns beziehen, über die wertigkeit von militanz, und entsprechend in
welchen politischen bereichen schwerpunkte gelegt werden müssen. all das -
und noch viel mehr - führte zu destruktiven kämpfen untereinander,
und die beiden teile der nr.132 wurden grob das produkt zweier fraktionen. nach
der 132 spaltete sich die gruppe, weil einige sich zu hassen begannen und alle
anderen sich dagegen nicht durchsetzen konnten. die repression trieb den
konflikt auf die spitze. der schlag nahm dir die ruhe und den abstand, die
genau zu diesem zeitpunkt nötig waren, damit wir uns ohne eindruck von
außen mit uns selbst beschäftigen können." (...)
"nach der 132 haben wir uns von einigen ansätzen und hoffnungen
grundlegend verabschiedet. es fand ein ziemlich plötzlicher und
umfassender bruch statt. ab da ging es nicht mehr allein um diese zeitung,
sondern um das ob und wie revolutionärer propaganda aus der
illegalität in die öffentlichkeit. wir hatten mehrere
zeitungsprojekte vor augen, die entweder an der repression gescheitert sind
und/oder daran, daß die eigenen strukturen sie nicht getragen haben. das
gehört zusammen. wir standen an einem punkt, den die meisten erst gar
nicht erreichen. wir haben das so als einen geschichtlichen teufelskreis
gesehen. (...)
wenn sich genossInnen jahrelang nicht in die illegalität drängen
lassen, dann führen sie einen kampf, der notwendig ist und nie
grundsätzlich aufgegeben werden darf. mit der radi haben wir den
anderen weg eingeschlagen. nach der 132 ging es einfach nur darum, ob dieser
andere ansatz eine perspektive hat und verwirklicht werden kann, oder eben
jetzt gescheitert ist. also nicht allein für die radi, sondern
stellvertretend für einen gangbaren weg nach der kriminalisierung
autonomer zeitungen. wir haben angefangen, langfristig zu überlegen, und
sind dabei auf notwendige bedingungen gestoßen, deren verwirklichung
zuvor mehr oder weniger dem zufall überlassen wurde.
als erstes: die illegale zeitung kann sich nicht mehr auf einen
öffentlichen verteiler stützen. sie muß mit autonomen
strukturen vertrieben werden. wenn solche strukturen aufgebaut werden
können, dann entspricht diese organisierung dem wesentlichen ziel und
selbstverständnis, die eigenen inhalte auch in die eigene hand zu nehmen.
du verläßt dich nicht auf funktionen, die z.t. gewinnorientiert
arbeiten oder wegen ihrer angreifbarkeit bestimmte grenzen nicht
überschreiten können.
als zweites: die radi ist nicht irgendeine zeitung, weil das projekt im
verhältnis zu repression und widerstand mehrere entwicklungsstufen hinter
sich hat. der umgang mit ihr bedeutet viel zwangsläufiger knast, und
staatlichen angriff, als bei vielen anderen zeitungen. die ebene der
konfrontation kann zur stärke des widerstandes werden, wenn daran
bewußtsein entsteht und sich organisiert. das heißt, die verteilung
der zeitung setzt kenntnis der situation und bewußtsein der
gefährdung voraus und muß entsprechend organisiert werden. welche
deswegen zeit, arbeit und risiko in kauf nehmen, müssen sich viel mehr mit
genau diesem projekt identifizieren als viele buchhandlungen. gibt es
überregional genug genossInnen, die verantwortung übernehmen und die
sache so auch zu der ihren machen, dann schwebt die radi nicht im
luftleeren raum, weil eine basis von unten existiert. dann lohnt es,
weiterzumachen und die arbeit mit mehreren neu zu bestimmen.
die entwicklung bis heute und wahrscheinlich noch viel länger ist der
versuch, eigenständige und eigenverantwortliche strukturen mit der
radi umzusetzen." (...)
"in manchen situationen ist es möglich, sich nicht
zurückdrängen zu lassen. in anderen ist es klüger, mit neuen
mitteln und möglichkeiten denselben zweck zu erzielen und die bullen ins
leere laufen zu lassen. eine illegale zeitung kann derzeit nicht auf
öffentlichen und breiten druck vertrauen, was nicht bedeutet, daß er
keine rolle spielt.
die repression hat erfolgreich abgeschreckt, aber es ist auch bewußtsein
entstanden. die radi kann abonniert werden, und über neue
möglichkeiten auch der öffentlichen verteilung erreicht sie leute in
verschiedenen bereichen. die auflage steigt wieder. es hat also nicht geklappt,
die zeitung auf eine bestimmte szene zu isolieren, und es wäre auch
weniger erfolgversprechend, die neue struktur mit den alten mitteln
anzugreifen. sie werden versuchen, leute zu finden, als köpfe aufzubauen
und einzuknasten. aber ihre abschreckung würde nicht mehr so leicht
greifen, weil hinter der verteilung der radi heute ein anderes
bewußtsein steht. eben die erfahrung der repression gegen die 132 und zig
andere schweinereien gegen kommunikationsstrukturen in den letzten jahren.
wir denken, daß dadurch insgesamt das verhältnis zur radi
genauer geworden ist. also nicht nur bei solchen, die verteilen, sondern auch
bei leserInnen. daß du eine zeitung vom ladentisch kaufen kannst, ist
normal. aber wenn sie z.b. von vermummten verteilt wird, mußt du dir
schon was dabei denken. als solche aktionen anfingen, haben viele leute den
kopf geschüttelt und sich gefragt, was für ein gehabe dahinter
steckt. mit der zeit sind welche von sich aus aktiv geworden, haben solche
aktionen gemacht oder sie geschützt. dadurch wird eine ganze menge
vermittelt, z.b. wieweit die repression schon fortgeschritten ist und daß
du zu solchen aktionen einfach gezwungen wirst. sie konfrontieren mit dem
abstrakten begriff von zensur. es wird klar, daß genossInnen selbst was
für den austausch und die kommunikation untereinander tun, weil
angreifbare strukturen das nicht vollständig gewährleisten
können."
[ ... und weiter geht es hier ]