Die Phase 1988/89 (Nr.134 - Nr.139)
Mit der Nr.134 (zwei Jahre nach der Nr.132) wurde eine neue Runde der
radi eingeläutet. Die Voraussetzungen schienen weitaus
erfolgversprechender.
Jene, die von der alten Gruppe übriggeblieben waren, hatten zwei weitere
Jahre politische Geschichte auf dem Buckel - die Neuen, die dazugestoßen
waren oder in der Folgezeit noch dazu stießen, waren ebenfalls
überwiegend GenossInnen, wo die radi nicht das erste politische
Projekt war. Zudem war ein Prozeß in Gang gekommen, in dem sich die
Zentrierung auf die Stadt Berlin langsam auflöste.
Mit diesen Änderungen im Gepäck machten wir uns auf, endlich ein
regelmäßiges Erscheinen zu gewährleisten. Dabei wurde schnell
klar, daß die bundesweite Verteilstruktur noch so ungewohnt war,
daß die Kräfte sich weitaus stärker darauf konzentrieren
mußten als auf die Erstellung der einzelnen radikal-Ausgaben.
Trotzdem sollten eigentlich alle Beiträge von allen beteiligten Gruppen
gesichtet und diskutiert werden. Ein wichtiger Bestandteil war die
Fortführung der internen Zeitungsdiskussion, die in der Nr.133 mit den
Beiträgen und Diskussionen über das radi-Info begonnen wurde.
Dabei kam es schon während der Nr.134 zu einem handfesten Krach zwischen
zwei Redaktionsgruppen. Anlaß war ein Diskussionsbeitrag, den die
Männer der einen Gruppe verfaßt und an ihr Papier zur
Zeitungsdiskussion angehängt hatten. Unter dem Titel "Es
rappelt in der Kiste" wird das männliche
(Nicht-)Selbstverständnis des Patriarchats von männlicher Seite
kritisiert und eingefordert, daß die Männer aus den Gruppen eigene
Diskussionen führen müßten. "Obwohl in den letzten zwei bis drei Jahren die von Frauen immer
wieder initiierte Debatte zur patriarchalen Struktur innerhalb der radikalen
Linken langsam an Boden gewinnt, d.h. an Vergewaltigungen endlich nicht mehr
nur in der autonomen Frauenbewegung diskutiert wird, sehen wir den
grundsätzlichen (Zu)stand immer noch weitestgehend unverändert.Die
einen (Männer) sehen Diskussionen um das Patriarchat im Kampf als
Behinderung an, ständig mit ihrer eigenen Rolle konfrontiert zu sein.
Schlimmstenfalls kommt der Vorwurf der Spaltung, begründet über
Erfahrungen mit Frauen - die von ihrem Selbstverständnis her mit Typen gar
nichts mehr zu tun haben wollen und die dementsprechend kompromißlos
vorgehen. Die anderen (Männer) kapitulieren vor der Komplexität des
Patriarchats, stellen die Erfahrungen der Kollektive entgegen, wollen also
keine Pauschalurteile über Männer hören und sind ermüdet,
weil keine Praxis den Diskussionen folgt. Vor diesem Hintergrund finden wir es
wichtig, daß innerhalb dieser Zeitung die anti-patriarchale Debatte von
Männern fortgesetzt wird, weitergehend die Gründung von
Männergruppen und ein Standpunkt zu Vergewaltigung."
In einem Beitrag "Wo seid ihr Genossen" antwortet ein Mann
der anderen Gruppe in einer persönlichen Antwort direkt dahinter: "In dem Papier steht formal nichts Schlechtes drin. Jeder Satz hat
eine Aussage, die je nachdem wie mann es betrachtet, richtig ist. Aber mir geht
es weniger darum, was ihr sagt, als das, was ihr weglasst. Also um die
Einseitigkeit der Sicht und wie ihr es fertigbringt, die gesellschaftlichen
Verhältnisse und euch selber als Subjekte darin in einen Topf zu werfen.
Das ist der zweite Knackpunkt. Ihr habt gelöst, wie und wo die Machtform
Patriarchat in der Gesellschaft zu finden ist, aber wo befindet ihr euch selber
darin?... Ihr nehmt die Schablone und legt sie den einen Männern an, die
mit funktionalem Kampf im Kopf Frauen der Spaltung bezichtigen. Und die
anderen, die ermüdet vor der Komplexität des Patriarchats
kapitulieren. Mich müsst ihr in die zweite Kategorie reinpulen, denn ich
kapituliere vor eurer komplexen Abstraktheit des Begriffs."
Männliche Versuche, in die radi eine Anti-Patriarchats-Diskussion
einzubringen, waren nach dieser Auseinandersetzung erst mal für fünf
Jahre verschwunden. Dann formulierte eine Gruppe von Männern das Vorhaben,
in der kommenden radikal-Ausgabe einige Seiten zu einem Männerblock
zusammenzustellen. Eine andere Gruppe antwortete darauf: "Männer sollten sich zuerst dort, wo sie im Alltag leben und
sich bewegen, kritisch reflektieren, anstatt die Diskussionen dazu in einem
eigenen Block zu kanalisieren. Nichts gegen die Inhalte, aber es ist doch nicht
nötig, sie unter einer festen Blocküberschrift (welcher progressive
und selbstkritische Überlegungen darstellen soll) anzuordnen. Wir finden
den Block überflüssig."
Es muß dazu erklärt werden, daß es seinerzeit ein
festgeklopftes und beschlossens Konzept zur Entschärfung des Konfliktes
gab, daß alle Gruppen "autonom" beschließen
können, was sie in die Zeitung nehmen wollen, eine Regelung, die diese
Gruppe, die sich hier äußert, stark befürwortet hatte.
Dennoch wird ausgerechnet dieser Block negativ bewertet, es wird mit
Unterstellungen gearbeitet, sich aber nicht die Mühe gemacht, die Kritik
bzw. Abwehr näher zu begründen.
Die Argumentationslinie, daß sich Typen "zuerst" mal
kritisch selbst hinterfragen sollten, ist mehr als banale Binsenweisheit zu
bezeichnen. Wenn eine Gruppe vorschlägt zu einem Thema etwas zu machen,
ist davon auszugehen, daß sie sich bereits drüber bis zu einem
gewissen Grade auseinandergesetzt hat, ansonsten würde sie es ja nicht
vorschlagen. Innerhalb der radi blieb damit die Thematisierung von
Patriarchat ausschließlich den Frauen vorbehalten. Hier endete die
Fortschrittlichkeit einer radikal im uralten Abwehrmuster. Wie der Block
schließlich ausgesehen hätte, war nicht mehr in Erfahrung zu
bringen, die Betreffenden stiegen im Verlauf des Konfliktes vorher aus dem
Projekt radikal aus.
Zurück zur Nr.134: Die technischen und strukturellen Erfordernisse
führten dazu, daß die inhaltliche Diskussion der nächsten
Ausgaben in den Hintergrund gedrängt wurde.
Einzelne Gruppen planten und erstellten "ihre" Seiten, die
Beiträge wurden aber nicht untereinander diskutiert. Phasenweise wurde
sich zwar ausgetauscht, aber auch hier dominierten immer die technischen
Diskussionen und strukturellen Überlegungen. Was in die radi kommen
soll, wurde meistens hinten angehängt.
Wie gesagt, die technische Dominanz lag zu einem großen Anteil daran,
daß sich die Vernetzung noch nicht eingespielt hatte. Vieles mußte
ausprobiert, verworfen, wieder hervorgeholt, mit kleinen Veränderungen
wiederholt usw. werden. Nicht zufällig stand beim Interview von 89 mit dem
ID-Archiv genau dieser strukturelle Teil der Arbeit der radikal im
Vordergrund.
Orientierungspunkt war die Regelmäßigkeit, einigerrmaßen
Erfahrung und Routine dadrin zu gewinnen und sich nicht von kleinen
unvorhergesehenen "Nebensächlichkeiten" aus der Bahn werfen
zu lassen. Nebenbei wurden ganze Pläne von Neustrukturierungen erdacht,
aufgrund von Erfahrungen überarbeitet, kritisiert, ausgewertet und neu
umgesetzt. Jede Panne in dieser Zeit beflügelte letztlich zu neuen
Überlegungen, wie künftig dieses oder jenes Problem anders angegangen
werden könnte.
Ein Jahr verging wie im Flug - und weil der Platz im Buch begrenzt ist -,
machen wir nun einen großen Sprung (und löschen damit kurzerhand so
einiges, was wir bereits geschrieben hatten. Was ne Chaos-Planung!) und lassen
uns nach der Nr.139 im O-Ton eines Flugis vom März 1990 eine Bilanz der
Zeit bis dahin ziehen.
Das Flugi druckte die Interim in der Nummer 95 vom 22.3.90 ab.
3.1990 abdruckte: