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Die Phase Juni 90 - März 93 (Nr.140 - Nr.147)

Wie anstrengend die Phase davor gewesen war, welche im Flugi recht anschaulich beschrieben wurde, symbolisiert der Titel der letzten Nummer dieser Phase, die 139 vom November 89. Ein kleiner Vogel (nein, nein das ist keine Ente, die haben nämlich keinen spitzen Schnabel) der durch das Titelblatt fliegt und den Spruch sagt: "LEER NÄCH?!" Genau so fühlten wir uns - voll leer gepumpt -, die Pause war mehr als angesagt gewesen.
(Tja, der Titel entstand aber nicht als bewußtes Symbol dessen, sondern entstand aus einer spontanen Idee heraus, weil wir keinen vorbereitet hatten. Aber von heute aus betrachtet paßt er dennoch ganz gut für diese Zeit).
Schon während der vergangenen Nummern verteilten sich die Arbeiten in und um die radi allmählich gleichmäßiger innerhalb der Struktur, und der permanente Ausnahmezustand verwandelte sich in einen gelegentlichen (meistens sogar abschätz- und kalkulierbaren) Stress .
Wichtigste Grundvoraussetzung für die Einbindung von immer mehr GenossInnen wurde die Umstellung auf eine Jahreskonzeption. Nach einem Testprojekt mit der zweiten Jahreshälfte 89 und den Nummern 138/139, sowie den Interviews mit dem ID und der Konkret, zogen wir eine erfolgreiche Bilanz: 100% aller Vorhaben erfüllt sowie noch weitere Diskussionen angegangen, die nicht ausschließlich zeitungsfixiert waren.
Damit war die Zeit gekommen, nicht mehr von Nummer zu Nummer zu konzipieren, sondern die Möglichkeit geschaffen, daß alle langfristiger ihr Leben auf die radi einstellen können. Was eben vor allem auch hieß, mehr Platz und Plan für andere Projekte zu bekommen.
Damit ändern wir jetzt auch die Art und Weise, wie wir die weitere radi-Geschichte Revue passieren lassen. Genauso wie die Struktur weiträumiger agierte, so wollen wir das mit dem Text jetzt auch machen. Haben wir bisher mehr oder weniger die einzelnen Nummern behandelt, wollen wir jetzt dazu übergehen, einige inhaltliche Stränge kurz zu begutachten, die wir in den radi-Ausgaben bis heute verfolgt haben.
Warum? Nun, nach unserer Einschätzung ist die folgende Phase diejenige, in der die radi dem am nächsten gekommen ist, wo sie von Anfang an hin sollte. Eine Angleichung der Aufmerksamkeit für Inhalt und Struktur zugleich.
Getragen von einer steigenden Anzahl von Gruppen und Zusammenhängen, die sich nach und nach für alle Belange der radikal verantwortlich fühlten, fehlte der radi-Struktur am Ende "nur" noch eine Umsetzung dieser Erfahrungen in ein weitere neuere Konzeption, um die gleichzeitige Verantwortung für Struktur und Inhalt zu stabilisieren. Ein kleines Schrittchen, das nicht gelingen sollte. Im Gegenteil, mit dem Austritt einiger Gruppen wurde die radi wieder zurückgeworfen. Unsere Hoffnung bleibt aber, daß es mit den Erfahrungen aus den Debatten während dieser acht Nummern (140-147) gelingen sollte, diese Hürde das nächste Mal zu überspringen.
Was mit "Erfahrungen" gemeint ist, versucht ein Extraabschnitt mit dem Namen "Der Konflikt" zu verdeutlichen. Die verschiedenen Stränge, die wir zuvor beschreiben, stehen als Beispiel für die positive Entwicklung in dieser Zeit. Immer mehr Gruppen beteiligten sich inhaltlich, forderten eine Beteiligung ein bzw. entwickelten unterschiedliche Vorstellungen und Schwerpunkte innerhalb der Zeitungsarbeit.
Es wird wohl nachvollziehbar sein, daß um so mehr GenossInnen sich verantwortlich an der radi beteiligen, desto mehr Sorgfalt in die verschiedenen Bereiche gesteckt werden kann. Und so war die Entwicklung nur vor der davor gemachten Erfahrung zu vollziehen. In dem Maße, wie alle GenossInnen im Verteilungsnetz erfahrener wurden, desto mehr Kapazitäten wurden in den Köpfen frei, um sich anders in die Diskussionen um die radi einzubringen.
Wir sagen bewußt Erfahrung und nicht Routine, weil das heißen würde, es hätte sich ein reibungsloser Ablauf eingespielt. Dem war nie so. Den kann es unter unseren Bedingungen nicht geben. Immer wieder tauchen Unwägbarkeiten auf - die den kostbar zusammengestellten Zeitablauf völlig auf den Kopf stellen.
Aber während in der ersten Zeit der Vernetzung auf Unvorhergesehenes noch panisch reagiert wurde, spielte sich mit der Zeit eine Art Galgenhumor ein. Es entwickelte sich ein spezieller Sarkasmus (copyright by radikal), mit dem den groteskesten Situationen entschlossen entgegengetreten wurde. Die Erfahrungen der letzten Jahre ließen uns gerade auch auf eine Geschichte von Pannen zurückblicken, aus der allemal die Zuversicht gezogen werden konnte, daß trotz einer Ansammlung von menschlichen Fehlern und Unachtsamkeiten sowie höheren Naturgewalten letztlich doch immer die radi herausgebracht wurde.
In der Zeit bis dahin kam es immer auf einzelne an, die für sich die Entscheidung trafen, ihren normalen Alltag über einige Zeit ("sag zum Abschied leise Servus") auszusetzen, um alles in die radi zu investieren. Entscheidungen von einzelnen konnten damit ohne Frage positiv sein, weil sie eine von allen erkannte Misere durch gesteigerten Energieaufwand ausbügelten. In der gewachsenen Struktur konnten sie sich aber zum Überfahren anderer auswachsen. Je größer die Struktur wurde, desto eher wurden durch einzelne Entscheidungen andere Entscheidungsstrukturen (die naturgemäß sehr langsam sind) übergangen.
Eine dieser Situationen war beispielsweise die "Warnung" per Flugi im Juni 89 gewesen, dadrin warnten wir vor der weiteren Benutzung unserer Postadresse, da wir davon ausgingen, daß die Bullen die Post beschlagnahmt hätten. Nur eine Woche später folgte die "Entwarnung", denn es gab eine ganz andere Erklärung dafür. Einige hatten vorschnell aufgrund einiger Infos gehandelt, ohne abzuwarten, was von denjenigen kommt, die es in diesem Falle am besten wissen mußten.
Unter anderem diese Geschichte wurde im Schlußteil des Flugis als Fehler angesprochen, aber was für die weitere Entwicklung entscheidender wurde: Die persönlichen Verhältnisse (ebenfalls im Flugi angesprochen, als die zu kurz gekommenen) blieben schlecht.
Mehr noch - schon bei der Frage über die Wiederaufnahme des regelmäßigen radi-Betriebes gab es Uneinigkeit. Die einen wollten noch mehr Zeit in eine genaue Vorbereitung der Struktur stecken, andere wollten die Pause nicht endlos strecken und den Rest der offenen Fragen während des Machens klären.
Als diese Phase schließlich begann, zeichneten sich die Schwierigkeiten bereits ab. Während die strukturelle Seite sich wie beschrieben weiter stabilisierte und einschliff, ging es mit der inhaltlichen Zusammenarbeit kontinuierlich bergab. Was noch vier Nummern improvisiert zusammenhielt, erlebte nach der Nr.143 seinen ersten Einbruch. Während ein Zusammenhang aufgrund des destruktiven Ablaufes der Produktion eine inhaltliche Rahmendebatte der gesamten Struktur einforderte, damit die verantwortlichen Gruppen nicht alleine entscheiden, verweigerten andere die Debatte völlig.
Nun aber zu den Strängen:

"Aus den Erfahrungen lernen"

Die "Gegen das Vergessen"-Combo startete in der Nummer 139 ihre Serie, damals noch einfach überschrieben mit "Gegen Vergessen". Erste gedankliche Vorläufer gab es schon in Nummer 134. "Eine unserer Vorstellungen ist es, hier verstärkt Geschichtsbewußtsein zu vermitteln. (...) Wir gehen davon aus, daß fast alle Überlegungen von uns (räusper) und anderen schon gemacht worden sind.(...) Sich international zu begreifen oder eben auf eine eigene Geschichte (die nicht mit der autonomen Bewegung beginnt)zu beziehen, heißt auch, zu schauen, was für Rückschlüsse wurden daraus gezogen. Dieses zu vertiefende Geschichtsbewußtsein ist für uns ein erheblicher Bestandteil der revolutionären Debatte" (Nr. 134, Seite 78). Letztendlich entstand das "Gegen das Vergessen" aus einer genialen Fehlplanung heraus. Die eigentliche Idee war, in einem kurzem Rundumschlag durch die Geschichte zu den Kämpfen der ArbeiterInnenbewegung in den siebziger Jahren, und von dort hoppla hopp zur Guerilla und insbesondere zu den Wurzeln der autonomen Bewegung zu kommen. Abschließen sollte der Artikel mit einer Verknüpfung von all dem mit dem 1.Mai-Aufstand in Berlin 1987. Der entsprechende Text wurde für die Nummer 138 fertiggestellt, um dann - einmütig (was ein Wunder nach dieser Verquasung) - von allen wieder als zu platt in die dafür zuständigen Ausschüsse zurückverwiesen zu werden. Das Team begann von vorne, als Anfangspunkt wurden die 1848er Revolten genommen, beendet wurde der erste Teil mit dem Aufkommen des Faschismus in der Weimarer Republik in der Nummer 139. Dort heißt es zum Selbstverständnis, es geht darum, "das Auge und die Wahrnehmung dafür zu schärfen, daß die Erfahrungen, Niederlagen, Verarschungen, aber auch Erfolge des letzten Jahrhunderts einen Bodensatz bilden, aus dem wir schöpfen können.(...) Daß klar wird, warum wir meinen, daß nur autonome Frauenorganisierung die Struktur und die Bedingung dafür sein kann, daß Frauen sich befreien und nicht permanent für andere Interessen des Klassenkampfes von ihren eigenen Sachen abgelenkt werden. (...) Und natürlich sollte die Geschichte auch antörnen, das verbuddelte Wissen hervorholen, daß vor dem Faschismus hier den Herrschenden zeitweilig der Arsch auf Grundeis ging, angesichts der Leute unter Waffen, die plündern..."
Hoffnungsfroh erklärten die AutorInnen nach dem ersten Teil, der zweite solle sich mit der Geschichte des Faschismus beschäftigen, danach dann aber werde man und frau sich Aktuellerem widmen. Doch zunächst folgten drei weitere Teile, die sich mit verschiedensten Aspekten des Faschismus und dem Stalinismus beschäftigten. Beispielsweise thematisierten sie im November 1990, im Jahr der Wiedervereinigung, den 9. November: "Wir werden sicherlich in den nächsten Jahren damit konfrontiert sein, daß die Herrschenden und das stolze deutsche Volk diesen Tag als Jubeltag anläßlich der Maueröffnung begehen. Dies ist ein Aufruf dazu, neben der Wachhaltung und dem Erinnern an die Geschichte auch mit Aktionen dafür zu sorgen, daß der 9.11. nicht zum Jubeltag der deutschen Einheit wird. Der 9.11. hat bereits mehrmals Geschichte geschrieben. 1918 war es der Beginn der Novemberrevolution, die durch Freikorps und SPD zerschlagen wurde. 5 Jahre später, 1923 inszenierte Hitler einen Putschversuch genau an diesem Tag, um die Erinnerung an den roten Aufstand mit all seinen und ihren Hoffnungen für eine bessere Gesellschaft zu begraben. Und wiederum 15 Jahre später, am 9.11. 1938, inszenierten die Nazis Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung im Deutschen Reich" (Nummer 141, Seite 43). In der 142 über das "Verschwinden der jüdischen Bevölkerung: Alle haben es gewußt": "Die Faschisten konnten also mit ihrer offensiven, antisemitischen Propaganda auf offene Ohren hoffen, denn dem Antisemitismus wurde von keiner Partei entgegengetreten. Eher war es für die SPD und die KPD kein Problem bzw. eine Irreleitung grundsätzlich richtigen Klassenverhaltens." Ein GdV beschäftigte sich ausschließlich mit Konzentrationslagern und dem jüdischen Widerstand in den Ghettos Osteuropas.
Eben in der Nr.142 mußte die Gruppe einräumen, sich wohl ob des Umfangs einer einigermaßen brauchbaren Geschichtsaufarbeitung tüchtig verkalkuliert zu haben. Sie fragten die LeserInnen um Rat, ob es mit dem Projekt weitergehen solle. Das Resultat war eine Zustimmung nach SED-Manier, und das ohne Schmuh!
Zwei Nummern später erschien der erste Teil zur deutschen Nachkriegsgeschichte, andere aus der radi-Struktur hatten die GdV-Arbeit zu diesem Thema übernommen. Etwas unbeeinflußt von der "antideutschen Kritik" beschäftigt sich der Block mit den Lebensbedingungen in Deutschland nach Kriegsende, der Entwicklung der linken Kräfte und dem Einfluß insbesondere der USA auf die deutsche Entwicklung. Dennoch ist bereits auf der ersten Seite, im Oktober 1991, zu lesen: "...immer wieder im Kopf zu behalten, daß es eben (leider) große Teile des'deutschen Volkes' waren, die den Nazis hinterhergerannt sind, die sich einen Dreck darum gekümmert haben, was die Faschisten während ihrer Eroberungskriege in den ersten Kriegsjahren in anderen Ländern angerichtet haben. (...) Der Hunger hielt in Deutschland Einzug mit den alliierten Truppen. Sie brachten ihn notwendigerweise mit, denn sie trieben die faschistischen Heere aus dem besetzten Europa heraus, das bis dahin von diesen ausgeplündert worden war." Der nächste Teil beschäftigte sich mit den fünfziger Jahren, der Kriminalisierung der KPD und mit dem Mief der deutschen Aufbaugeneration, im dritten wurde die Enstehungsgeschichte der DDR thematisiert.
Wir haben immer wieder mitgekriegt, daß mit der GdV-Serie gearbeitet wurde. Die Serien zur Nachkriegsgeschichte wurden später, im Zuge der Debatten um den 8. Mai 1995, von vielen genutzt. Gefreut haben wir uns auch über jenen Lehrer, der uns geschrieben hat, er würde die GdV-Serie als Unterrichtsmaterial benutzen.
Und dann kam mal wieder ein break. Das ursprüngliche Ziel, die Geschichte bis heute aufzuarbeiten, schien immer wie ein gigantischer Koloß, kaum vorstellbar, wie die Komplexität (die natürlich zu früheren Zeiten auch nicht anders, für uns aber anders wahrnehmbar war) der Entwicklung der Linken rund um die 68er-Bewegung, die Zeit der Siebziger bis hin zur autonomen Bewegung der 80er faßbar gemacht werden könnte. Parallel zu diesen unaufgelösten Überlegungen und zu den heftigsten Streitereien innerhalb des Projekts setzten sich zwei GdV-Männer zum Ziel, im Rahmen der Serie die Geschichte patriarchaler Strukturen im Zusammenhang mit der Entwicklung des Kapitalismus unter die Lupe zu nehmen. Im Vorwort zum ersten der folgenden drei Teile heißt es zur Begründung:
"In den letzten Jahren gab es in der gemischten autonomen Linken ab und zu - zwar bescheiden und nach anfänglich männlich moralischer Betroffenheit mit abnehmender Tendenz - Diskussionen und Artikel zum Verhältnis Kapitalismus und Patriarchat. Klaus Viehmann u.a. versuchen im 'Drei zu Eins, Klassenwiderspruch, Sexismus und Rassismus' ein netzartiges Geflecht von Unterdrückungsstrukturen darzustellen, die Wildcat-Redaktion reagiert darauf mit dem krampfhaften Versuch, gegen eine zunehmende Ausdifferenzierung der Linken den gemeinsamen Feind Kapital als das die Klasse Verbindende hochzuhalten. Manche radikale Feministinnen begreifen die Geschlechte als Klassen, zwischen denen ein antagonistischer Widerspruch besteht, während einzelne Antifa-Strömungen immer noch in ihrer Propaganda auf das patriarchale Bild des antifaschistischen Kämpfers der 30er Jahre zurückgreifen. Wir (Männleins) von der 'Gegen das Vergessen'-Gruppe bilden uns natürlich nicht ein, mal eben Klärung in dieses Tohuwabohu unterschiedlichster Positionen zu bringen. Im Rahmen unserer Arbeit im GdV wollen wir Grundlagen vermitteln, die für diese Auseinandersetzungen wichtig sind. Unsere eigenen Standpunkte wollen und können wir deshalb natürlich nicht außen vor lassen. Das 'Gegen das Vergessen' sollte nie, wenn es diesem Anspruch auch manchmal nicht gerecht wurde, ausschließlich 'andere' Geschichtsvermittlung sein. Es sollte immer in Bezug zur jetzigen Situation gesetzt werden, Erfahrungen aus der vergangenen Gegenwart für die heutige genutzt werden. Wir wollten Kontinuitätslinien, aber auch Brüche aufzeigen." (Nummer 149, Seite 14)
Daraufhin folgte eine umfangreiche Beschreibung der "Zeit der Hexenverfolgung". In der nächsten Nummer beschäftigt sich die GdV-Redaktion mit der Aufklärung, Geschlechterpolarisation und der "Entdeckung der Liebe". Unter anderem versucht die Combo, den Zusammenhang zwischen "dem kriegerischen Mann und dem Helden der Arbeit" zu verdeutlichen.
Den vorläufigen Abschluß der Serie bildet eine 15seitige Ausführung zum Thema Erziehung und Sexualität, um Pädagogik, zivilisationstheoretische Ansätze eines Soziologen namens Elias, über den "Sexualitätsbefreier" Freud und den französischen Philosophen Michel Foucault zur Frage der "Wahrheitsproduktion von Sexualität".

Autonome Organisierung - raus aus dem eigenen Saft

Natürlich waren wir, über den eigenen Tellerand hinausblickend, immer interessiert an Versuchen autonomer Zusammenhänge, verbindlichere Strukturen aufzubauen. Im Oktober 1991 veröffentlichten wir in der Nummer 144 ein "Diskussionspapier zur Autonomen Organisierung" der Göttinger Antifa (M). Für die Antifa (M) ein erster Schritt hin zu einer bundesweiten Organisierung, die mittlerweile unter dem Namen Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) bekannt ist. Nicht zufällig ist ausgerechnet die Antifa (M) trotz legaler Struktur, in derselben unangenehmen Situation wie die radikal: Wie uns will die Bundesanwaltschaft auch die Antifa (M) zur kriminellen Vereinigung erklären. Verbindliche Organisierungsansätze radikaler linker Männer und Frauen, die sich zudem nicht von der Notwendigkeit militanter Politik distanzieren, sind den Staatsbütteln schon immer ein Dorn im Auge gewesen.
"Unser Ziel ist die Organisierung einer offensiven autonomen Politik, die aus vergangenen Formen und Inhalten des autonomen Widerstandes entwickelt wird und an bestehenden Strukturen anknüpft", schreiben die Göttinger GenossInnen. Unter dem "Vorzeichen Antifaschismus" sollen Antifa-Gruppen im gesamten Bundesgebiet organisiert werden. Die Antifa (M) legt sogar schon "Modellvorschläge" vor, nach denen sich in Städten Antifas in offenen und internen Plenen treffen sollen und dann weitergehend regional bis hin zu Delegiertentreffen auf bundesweiter Ebene. Inhaltliche Voraussetzung sollten "Imperialismusdiskussionen, Klärung des Verhältnisses zu den Befreiungsbewegungen im Trikont, unser Verhältnis zum BRD-Staat, Patriarchatsdiskussion, unser Verhältnis zum bewaffneten Kampf und zu den Gefangenen" sein.
Ein Ansatz, der uns logischerweise interessierte. Eine radi-Gruppe kümmerten sich mehr um solche Vorschläge, Widersprüche und Alternativen. So erschien in derselben Nummer auch ein Papier "Nur die Phantasielosen flüchten in die Realität. Für einen neuen Ansatz in der Organisisierungsdebatte". Wie auch die Antifa (M) beziehen sich die AutorInnen auf Erfahrungen der autonomen Bewegung und deren Stillstand. "Wir sind kein gesellschaftlicher Faktor mehr, öffentlich sprachlos bis introvertiert". Allerdings schlagen sie eine "politisch-militärische" Organisierung vor:
"Die vielen Versuche, mit Kampagnen, Infoläden, Zeitungen usw. zu einer Verknüpfung der vorhandenen Struktur zu kommen, waren und sind zwar unverzichtbar, das Problem konnten sie jedoch nicht lösen. ...Deshalb glauben wir, daß in der nächsten Zeit sehr vieles davon abhängen wird, ob sich Organisierungskerne als politische Avantgarde konstituieren (nicht sich zu solchen erklären!), also ob einzelne vormachen, wie es gehen könnte und darüber hinaus in der Lage sind, neue Leute aufzufangen....D.h. nur über militante Aktionen wird es möglich sein, strategische Diskussionen anzuleiern, ebenso wie einzelne Themen zu besetzen. Das steht auch im Gegensatz zur derzeitigen Verwendung von klandestinen Aktionen in der BRD, die entweder einen Schlußpunkt in der Dynamik bilden (wenn sich die Massen nicht mehr mobilisieren lassen), oder aber nur noch moralisch losgelöst von jeder Dynamik stattfinden... Die Organisation stellen wir uns als eine politisch-militärische vor."
Konkret sollen klandestin arbeitende Kleingruppen miteinander vernetzt werden. Neue Menschen sollen gewonnen werden, indem "jede/r Militante in ihren/seinen bisherigen politischen Strukturen weitermacht und die Leute danach abklopft, ob mit ihnen eine gemeinsame politische Praxis möglich wäre."
Vielen schien das wohl doch eher nach altem Wein aus neuen Schläuchen anzumuten, jedenfalls blieben auf diesen zweiten Vorschlag die Reaktionen aus, auf das Papier der Antifa (M) allerdings kamen zahlreiche Antworten, die wir in den folgenden Nummern veröffentlichten. So wird in einem Papier kritisiert, daß "für die Antifa (M) der Imperialismus wieder an erster Stelle der geforderten Klärungsprozesse steht und dann erst das Patriarchat". Das zeige, wie wenig sich doch geändert habe. In mehreren Erwiderungen wird kritisiert, die Gruppe beziehe sich unkritisch auf die KPD der zwanziger Jahre: "Nur unter Ausklammerung der Differenzen, die sich jenseits der hohen Parolen abspielen, ist heutzutage die Organisierung von mehr Menschen möglich. Nur so können wie damals Stalinisten, von den Nazis übergelaufene Nationalbolschewisten, Arbeiter, die ihre Kinder schlagen, Arbeitslose u.a. organisiert werden - und kaum Frauen, Juden und Jüdinnen nur auf der untersten Ebene (aus dem ZK wurden sie rausgeworfen), kaum Schwule und Lesben, da eben Patriarchat, Antisemitismus und Heterosexualität zu keiner Zeit Thema für die Partei waren."
Auch in der Nummer 147 finden sich vier Kritikpapiere auf den Vorschlag der Antifa (M). Nun faßten sich zwei von der radi ("Hinz und Kunz") ein Herz und organisierten ein Gespräch mit der Antifa (M) und deren KritikerInnen.
"Wir haben den Organisierungsvorschlag der Antifa (M) und einen Großteil der Reaktionen in den letzten drei Ausgaben der radi dokumentiert. Wir waren dabei zwar maulfaul aber nicht zufrieden, weil uns das Ganze trotz der zahlreichen Statements nicht gerade als Diskussion vorkam. Das lag einerseits am Nichtverhalten der Antifa (M), andererseits am ausschließlichen und teils arroganten Ton der Kritik, was wiederum die Verweigerungshaltung erklärte", resumieren Hinz und Kunz. "So entstand während der letzten radi die Idee, es nicht bei der unbefriedigenden Dokumentation von Papieren zu belassen." Diskutiert wird über die verschiedensten Kritikpunkte: über die Notwendigkeit, jenseits der autonomen Szene Menschen zu mobilisieren, über das taktische Verhältnis der Antifa (M) zu bürgerlichen Medien, über Tripple Oppression und den Bezug auf die Geschichte der KPD, die "Antifaschistische Aktion" und Antiimperialismus.
In der Diskussion und auch danach ließen sich die Widersprüche zwischen den verschiedenen Fraktionen nicht auflösen. Hinz und Kunz waren nicht zufrieden, zumal "wir nur eine begrenzte Zahl von Seiten für dieses Gspräch haben, und ich mir es eh schon horrormäßig vorstelle, die ganze Sache auf dieses Maß zu kürzen" - ein ständiges Problem in unserer Arbeit. Und doch waren die radi-Beiträge zu der Debatte um den Organisierungsvorschlag der Antifa (M) vor allem für jene wichtig, die nicht in den Hochburgen der linken Szene leben und sich nicht als "Insider" im nächsten Infoladen über den gerade aktuellen Stand informieren können.

Sexarbeiterinnen in der BRD

So überschrieben "Frauen aus der radikal" ihre dreiteilige Serie über Prostitution. "Wir wollen durch diesen Artikel dazu beitragen, einseitige, diskriminierende Bilder von Prostituierten innerhalb der Linken abzubauen und die Frauen in ihrem Kampf unterstützen." Die radi-Frauen haben mit diesen Artikeln die gängigen Bilder (auch von Linken) von Huren in Frage gestellt. "Wir sind uns sicher, daß sich viele LeserInnen nicht vorstellen können, wie Frauen ohne Armut und Zwangsverhältnisse, also durch eine 'freie' Entscheidung (soweit sie Frauen in der BRD möglich ist) dazu kommen, die Prostitution zu wählen." Sie stellen das Dienstleistungsverhältnis von Prostituierten in den Zusammenhang mit "normalen" ehelichen oder auch szenespezifischen Beziehungen. "Die Dienstleistungen, die den Huren von ihren Freiern bezahlt werden, leisten die meisten Frauen in dieser Gesellschaft unbezahlt, aber deswegen noch lange nicht aus echter Zuneigung oder dem Bedürfnis nach Sexualität mit einem Mann." Die Opferrolle, in die Prostituierte auch von Linken gedrängt würden, hänge damit zusammen, daß eine Frau, die Sex verkauft, eine ziemliche Bedrohung für Männer in ihrer Rolle als Tonangeber des Sex sei. Einen ganz grundlegenden Unterschied machen sie aber bei den Drogenprostituierten aus, die würden "ohne Zwang, so viel Knete für den nächsten Schuß besorgen zu müssen", den Job nicht machen.
Die radi-Frauen stellen sich hinter Forderungen der Prostituiertenprojekte und begreifen deren Kämpfe als Arbeitskämpfe wie in jedem kapitalistischen Betrieb. "Dennoch betrachten wir Prostitution an sich nicht zwangsläufig als eine Erscheinungsform des Patriarchats, sondern sehen eher, daß Sexarbeit, wie sie hier und heute üblich ist, stark vom Patriarchat geprägt ist. Deshalb bedeutet Kampf dem Patriarchat für uns nicht automatisch auch Kampf der Prostitution."
In einem Abschweif in die Utopie schreiben sie: "Davon, ob es in einer befreiten Gesellschaft für alle befriedigende Möglichkeiten für das Ausleben ihrer Sexualität gibt (solange andere nicht durch das Ausleben verletzt und herabgesetzt werden) und davon, ob es überhaupt Männer und Frauen gibt, die bereit sind, diese Dienstleistungen zum Kauf anzubieten, wird es abhängen, ob es weiterhin Prostitution geben wird und ob wir das gut finden." Und fordern, daß auch Frauen ein vielfältiges Angebot an Dienstleistungen zur Verfügung stehen soll. "Jede Frau müßte die Möglichkeit haben, ohne große Strapazen auf sich nehmen zu müssen, Sex nach ihren Vorstellungen kaufen zu können."
Zwar entsprachen diese Positionen nicht gerade dem Mainstream innerhalb der linksradikalen und feministischen Szene, leider aber blieben die Reaktionen von außen knapp. Eine Frau, die selbst "drei Jahre anschaffen war und`s ziemlich übel fand", kritisierte die Darstellung, nach der Frauen bei der Prostitution die Tonangebenden seien. "Sexarbeit ist wie viele andere Jobs auch, eine Arbeit FÜR Männer und nicht gegen sie." Bei den Frauen innerhalb der Struktur stießen die Artikel auf großen Widerspruch. Beispielweise wurde den Frauen vorgeworfen, ihre Sichtweise wäre absolut idealistisch. In der Nummer 149, nachdem die Serie zu Ende war, reagierten andere Frauen aus der radi ("Matta, Carla Hari, Sari Hara und der Rest") mit einem eigenen Artikel. Die schon erwähnte "Gleichberechtigung", nach der Frauen sich ohne große Strapazen Sex kaufen können sollen, sei an der heutigen Form der Konsumgesellschaft orientiert. "Wir haben zwar keine konkreten Vorstellungen von den sexuellen Möglichkeiten in einer befreiten Gesellschaft und finden es auch nicht wichtig, sich darüber Gedanken zu machen. Wir finden es einen grundsätzlich falschen Ansatz, darüber nachzudenken, wie Sexualität vom Rest des Menschen getrennt werden und weiterhin als Ware und Dienstleistung gehandelt werden kann."
Auch andere Positionen waren umstritten: "Die gesellschaftlichen Werte, Normen, Zwänge sitzen tief. Es ist die Frage, wie wir all dies beseitigen und ob wir jemals zu einem gesellschaftlichen Zustand kommen werden, in dem z.B. oben genannte Normen für Sexualität überwunden und alle Frauen und Männer frei davon sexuell aktiv werden können", schrieben "einige Frauen aus der radikal". Eine völlig falsche Vorstellung von Sexualität, reagierten die anderen: "Diesen Ur-, End- oder Glückszustand von einer Sexualität unabhängig von gesellschaftlichen Normen und Werten gibt es nicht. Er erinnert uns an einen vom Christentum geprägten Glauben an das Paradies oder an einen 'natürlichen Sex". Diskussionen in diese Richtung griffen später die Macher des "Gegen das Vergessen" wieder auf.
So spannend die Artikel zu den Sexarbeiterinnen und die darauffolgenden Diskussionen waren, endeten sie für uns mit der traurigen Einleitung des 3.Teils: "Wir verkünden unseren Ausstieg aus dem Projekt radikal." Im Zuge des "Konflikts" waren die Autorinnen eine der beiden Gruppen, die nach der Nummer 147 im Sommer 1993 ausgestiegen sind. "Trotzdem hängen wir den Computer nicht an den Nagel. Die Arbeit als Frauenredaktionsgruppe hat uns Spaß gemacht, und wir haben uns vorgenommen, weiterhin zusammenzubleiben, inhaltlich zu arbeiten und Beiträge zu veröffentlichen."


Das Ende eines Mythos - no lovesong

Im Juli 1991 veröffentlicht "eine Gruppe aus dem Traditionszusammenhang der Revolutionären Zellen" ein Papier, in dem sie eine Aktion der RAF sowie einige militante Angriffe von sich RZ nennenden Zusammenhängen kritisiert. "This is not a love-song". "Tatsächlich kommt uns einiges von dem, was militante Gruppen in den letzten Monaten gemacht haben, als traurige Karikatur dessen vor, wofür mehrere Generationen Militanter seit Anfang der siebziger in diesem Land gekämpft haben", heißt es dort. Gemeint waren der Beschuß der Bonner US-Botschaft durch ein Kommando der RAF, der Versuch Revolutionärer Zellen, die Goldelse von der Siegessäule in Berlin zu sprengen und die Brandstiftung einer RZ im Berliner Reichstag. "Insbesondere meinen wir das tödliche Briefbombenattentat auf den Berliner Baustadt Hanno Klein". Zwar schrieb die Gruppe, "die militante und bewaffnete Widerstandserfahrung sei ein gewichtiges Faustpfand für zukünftige Kämpfe", und doch stellt das Papier zeitlich den Beginn einer Phase dar, in der RZ-Gruppen ihre eigene Politik radikal hinterfragen. Wir haben es als radi nur sehr unbefriedigend geschafft, aktiv in dieser Diskussion mitzumischen, obwohl wir uns gerade auf die Organisierungsformen und die Praxis der RZ sehr stark bezogen hatten. Und doch, ganz ohne uns fand die Debatte auch nicht statt.
Die radi veröffentlichte das erwähnte Papier im Oktober 1991, ergänzt durch eine sechsseitige Antwort "einiger Frauen aus der radikal". Sie kritisieren den arroganten Ton der RZ und beschäftigen sich mit dem Militarismus-Vorwurf, den die Zelle anderen militanten Gruppen macht. Während die RZ "politischen Mord als Mittel revolutionärer Politik ablehnt, weil der Stand der sozialen Kämpfe in diesem Land weit davon entfernt ist, daß die Liquidierung des politischen Gegners zu einer Macht- und Überlebensfrage geworden wäre", sehen die radi-Frauen das anders: Sie räumten ein, "daß die Verantwortlichen für die Haftbedingungen der Gefangenen damit rechnen müssen sollten, zur Rechenschaft gezogen zu werden."
So richtig ging die Diskussion um die RZ los, als eine Gruppe das Papier "Gerd Albartus ist tot" veröffentlicht hatte (abgedruckt in der radi 145 vom Februar 1992). War es in dieser Erklärung noch der selbstkritische Umgang mit der eigenen Geschichte (Antisemitismus in der Linken, Verhältnis zu nationalen Befreiungsbewegungen...), so schob eine andere Revolutionäre Zelle im Januar 1992 andere Kaliber nach. Sie geben in dem Papier "Das Ende unserer Politik" die Selbstauflösung ihrer Gruppe bekannt.
Zwar erfordere die Entwicklung Deutschlands nach der Wiedervereinigung "im Grunde eine ganz andere Stufe der Organisierung militanten und bewaffneten Widerstands. Aber wir können das nur noch als leeren Anspruch formulieren. In Wahrheit sind wir von der Geschichte überrollt worden... Wir meinen, daß mit der Fortschreibung des RZ-Mythos nichts gewonnen ist, sondern daß es im Gegenteil darauf ankommt, eine historische Etappe abzuschließen, verkrustete Strukturen und Kampfmittel aufzugeben, um überhaupt wieder eine Chance zu bekommen, als politische Subjekte in den gegenwärtigen gesellschaftlichen Prozeß eingreifen zu können."
Ein heftiger Schlag, der an uns (zumindest den hier Schreibenden), wenn auch mehr unbewußt als kollektiv diskutiert, nicht spurlos vorbeiziehen sollte. Die internen Debatten unter uns radi-Gruppen fielen genau in diese Phase, in der innerhalb der radikalen Linken (wenn auch spärlich) diese Diskussion über die Auflösung einer RZ stattfand. Ein Jahr später, in der Nummer 147 vom März 1993, veröffentlichen wir in der radi ein Interview, das Gruppen von uns schriftlich mit einer Revolutionären Zelle geführt hatten.
"Aber weder die Großmachtbestrebungen der BRD, noch die Ausrichtung nach Osten oder die sogenannte neue Weltordnung stellen etwas völlig Neues dar. Wer von dieser Geschichte überrollt wurde, hatte entweder die Augen fest verschlossen oder gebraucht diese Geschichte jetzt vielleicht nur als Vorwand, um der Mühe mit revolutionärer Politik ein Ende zu machen. Es ist auch keine Organisierung des Widerstandes auf einer ganz anderen- 'höheren' - Ebene erforderlich, sondern überhaupt erst mal eine tragfähige Organisierung", reagiert die interviewte Gruppe auf die Selbstauflösungserklärung einer RZ. In weiten Teilen beschäftigt sich das Gespräch zwischen uns und der RZ-Gruppe, die sich nicht dem traditionellen RZ-Spektrum zuzählt, mit den Perspektiven, Erfolgen und Niederlagen der Linken in Sachen Flüchtlingspolitik. Jene Gruppe, die ihre Selbstauflösung verkündete, hatte von einem Scheitern ihrer Kampagne gegen imperialistische Flüchtlingspoltik gesprochen.
Sehr deutlich wird, daß sich die Fragen der Revolutionären Zelle mit denen deckten, die sich auch uns - nein, einigen radi-Gruppen - damals stellten. So fragten wir: "Randale auf den Straßen und Plünderungsaktionen, der Gebrauch von Mollies, militante Angriffe auf Bullen, vieles, was lange Zeit hierzulande hauptsächlich von der Linken praktiziert wurde, wird mittlerweile von den Rechten als Mittel im politischen Kampf benutzt und ist dadurch nicht mehr eindeutig zuzuordnen...Die Autorinnen und Autoren des Papiers 'Das Ende unserer Politik' vertraten die Ansicht, daß sich der Gebrauch von Feuer und Flamme heutzutage verbiete...Wir würden das eher so sehen, daß wir uns ganz genau und phantasievoll überlegen müssen, wie das Ziel jeweils zu erreichen ist. Wenn es zum Beispiel um die ZAST (Zentrale Abschiebestelle) geht, bzw. um Akten und Computerdaten, ist es vielleicht eindeutiger, die Disketten rauszuholen." Dem zustimmend ergänzte die RZ, "wann welche Aktionen gerechtfertigt sind, um dem Ziel revolutionärer Gegenmacht näher zu kommen, muß genau bestimmt werden. Die aktuelle gesellschaftliche Situation muß einbezogen werden, d.h. auch die Tatsache, daß Rechte und Faschisten sich ähnlicher Mittel bedienen wie wir. Dadurch werden die Mittel an sich, wie z.B. Brandanschläge, nicht falsch."
In derselben radi-Ausgabe erschien auch eine Kritik an der RZ, die ihre Auflösung bekanntgegeben hatte, formuliert von einer Gruppe namens "Molche". Leider fehlte eine öffentliche Auseinandersetzung zum Thema Revolutionäre Zellen in den folgenden Nummern. Geplant war eigentlich eine Sondernummer, die sich nur mit Fragen nach der Perspektive militanter und bewaffneter Politik nach verschiedenen Veröffentlichungen von RAF und RZ beschäftigen sollte. Sie fiel aber leider unserem internen Konflikt zum Opfer.

Antirassismus - militanter

Antifaschismus

Lange bevor die autonome Szene den staatlichen und institutionalisierten Rassismus zum Thema machte, griffen die RZ mit ihrer Kampagne ab 1986 staatliche Institutionen der Abschiebe- und Lagerhaltungspraxis an. Die radi dokumentierte diese bei ihrem zwischenzeitlichen Auftauchen im Jahre 1987 (Nr.133) ausführlich und versuchte in den folgenden Nummern wenigstens ein Stück weit, diesen ebenfalls zu thematisieren.
In der Nr.136 erschien ein längerer Bericht über eine Verwüstung eines Flüchtlingslagers in Heilbronn durch die dortigen InsassInnen. Im Antirepressionsblock der Nr.138 wurde versucht die ganz normale rassistische Praxis von Justiz und Bullen an einigen wenigen Beispielen aufzuzeigen, wie zB. Razzien. Damals waren die noch eine ungewohnte und neue Qualität der offensiven Ausgrenzung - heute sind sie mittlerweile gängige Normalität - es verwundert niemanden mehr, wenn Sicherheitsdienste durch die Straßen patrouillieren, wenn ganze Sonderkommissionen gegründet werden, um HütchenspielerInnen aufzumischen oder Baustellen auszuheben.
Einige Zeit später im März `91 folgte ein Bericht zu einer Kirchenbesetzung von Roma in Tübingen. In der Einleitung dazu formulierten einige von uns folgende Fragestellungen:
"Die RZ-Kampagne zur Blockierung der Flüchtlingspolitik der Herrschenden scheint zwar den stillen Beifall vieler GenossInnen zu finden, aber an offensiven, praktischen Initiativen fehlt es. Wir fragen uns, wie eine radikale Linke ihrer Verantwortung gerecht werden will, an der Seite der Unterdrückten zu stehen, wenn sie den Versuchen, dem rassistischen Konzept aus Massendeportationen einerseits, Vertreibung in Lager andererseits, eine Praxis entgegenzusetzen, so teilnahmslos gegenübersteht.
Sicher das - Wie blockieren? Wie aufhalten? - ist eine entscheidende Frage - die wir aber nur im Wechselspiel Diskussion und Praxis lösen werden."
Ein Jahr später stellten sich ganz andere Konstellationen. Während viele autonome Gruppen, ausgelöst durch die Pogrome und vielen Brandanschläge, sich verstärkt dem Schutz von Flüchtlingsheimen widmeten - so auch stärker mit ihnen zusammenarbeiteten, was wieder neue Fragestellungen an eigene blinde Flecken und eigene rassistische Verstrickungen zur Folge hatte - gab eine RZ ihre Auflösung bekannt und konstatierte das Scheitern ihrer Kampagne.
Die gesellschaftliche Umbruchsituation nach `89 wird in der radi nur sehr schleichend wahr- und zur Kenntnis genommen. Von einem Interview mit Leuten aus Leipzig in der Nr.141 (im November 90) abgesehen, dauerte es noch bis zur Nr.143, bis die ersten etwas genauere Überlegungen dazu anstellen.
In einem Artikel "Go Trabi Go" sind ansatzweise Beschreibungen über staatliche rassistische Strukturen zu DDR-Zeiten zu finden und eine Problematisierung der aktuellen Unmutsäußerungen gegen die Abwicklungen durch die Treuhand, daß vielerorts ihr rassistischer Kern einfach weggeleugnet wird. Zum ersten Mal ausführlicher wird von der Notwendigkeit geredet, militant den immer lauter werdenden deutschen Mob zur Raison zu rufen.
Im Oktober 1991 erscheinen in der Nummer 144 zwei Texte im Antifa-Block. Es sind die "Doitschstunde" von der L.U.P.U.S.-Gruppe (Rhein-Main), die im Februar desselben Jahres erstveröffentlicht wurde, und als Antwort einer radi-Gruppe die "Schneutzstunde".
Die "Doitschstunde" analysiert die Bedeutungslosigkeit und die offensichtliche Abwesenheit der autonomen, linksradikalen Bewegung im Vereinigungsprozeß. "Es ist nicht die Niederlage, die uns so ohnmächtig macht, sondern die Bedeutungslosigkeit, die uns mit den deutsch-deutschen Ereignissen vor Augen geführt wurde." Darauf aufbauend kritisieren die AutorInnen das undifferenzierte Heraufbeschwören eines "4.Reiches" durch antifaschistische Kreise nach dem Fall der Mauer und führen zahllose Belege für die veränderten ideologischen Werte an, die mit einer faschistischen Neuauflage nichts zu tun haben.
"Wenn wir im folgenden die Veränderungen innerhalb des kapitalistischen Systems nach 1948 zu beschreiben versuchen, dann auf dem Hintergrund unserer Einschätzung, daß diese Veränderungen und eben nicht die Kontinuitäten des deutschen Faschismus bestimmend für die Stabilität des Nachkriegsdeutschlands sind. Diese Einschätzung schließt die These mit ein, daß sich unsere Schwierigkeiten, militanten Widerstand zu verbreitern, weniger aus den Kontinuitäten als aus den erfolgten Veränderungen erklären lassen."
Unter der Überschrift "Autonomer Antifaschismus - ein (Zwei)kampf gegen die 'Vorboten des 4.Reiches'?" sehen sie zusammengefaßt folgende Entwicklung linksradikalen Widerstandes:
"Eine Auseinandersetzung, die auf dem Höhepunkt fast alle gesellschaftlichen Bereiche erfaßte, an der kaum jemand vorbeikam, verengte sich mit den Jahren zusehends auf eine Auseinandersetzung zwischen Autonomen und Faschos - nicht mitten in den Verhältissen, mehr im Schatten der Verhältnisse."
L.U.P.U.S. stellt einerseits fest, daß wir in der Lage sein müssen, andere und uns selbst zu verteidigen, wenn Angriffe von faschistischen Gruppen erfolgen - zugleich aber fragen sie: "warum müssen wir, wie so oft, Neonazis hinterherrennen, warum diese Auseinandersetzung geradezu suchen?"
Die "Schneutzstunde" gibt genau auf diese Frage und die gesamte Behandlung des militanten Antifaschismus im L.U.P.U.S.-Papier eine Antwort:"Wir haben uns gefreut über die Kritik am Faschismusbegriff, und überhaupt finden wir das meiste, was die analytische Seite des Papiers betrifft, richtig. Wir haben mit den Zähnen geknirscht bei den Abschnitten des Papiers, wo es um praktische Antifapolitik, insbesondere militanten Antifaschismus geht. Wir sind mit den diesbezüglichen Aussagen überhaupt nicht einverstanden und wollen das nicht unkritisiert stehen lassen."
Der militante Antifaschismus würde zu wenig bei L.U.P.U.S. behandelt, was äußerst defensiv wäre. Ihre Ausgangsthese ist dabei, daß eher zuwenig den Faschisten nachgerannt werden würde und daß sich auch aus der geschichtlichen Erfahrung ableiten lasse, daß gegen Faschismus und faschistoide Tendenzen "eine offensive Politik der Demoralisierung und wenn möglich politischen Isolierung" betrieben werden müsse - Selbstschutz und Verteidigungskampf sei zu wenig.
Die SchneutzerInnen vertreten weiterhin die Auffassung, daß "die Idee, vom 'reinen' inhaltlichen korrekt bestimmten Kampf gegen das Kapital oder gegen die wesentlichen Pfeiler der Macht ein Fehler im linken Denken sei, der Tradition hat." Das Auftreten für offensive Militanz würde zu oft in die "Hirnlosen-Ecke" gestellt werden.
Die AutorInnen plädieren des weiteren für eine verstärkte Unterstützung seitens der Metropolen ("den ruhigeren Gegenden") - "in diesem Sinne sollte man das ganze Land mit einer verstärkten Reisetätigkeit überziehen", denn "gesellschaftliche Stimmungen wie z.B. Rassismus können eine militante Ausdrucksform haben. Je nachdem, wie ungehindert sich dieser Rassismus gewalttätig austoben kann, wirkt das wieder zurück in die Gesellschaft, erweitert die Toleranzgrenze, der Terror wird alltäglich. Oder andersherum, wenn wir die militante Spitze des Rassismus abbrechen, sind die deutschen SpießerInnen auch wieder kleinlauter."
Schließlich betonen sie noch, daß die Ereignisse nach der Wende "einfach eine Nummer zu groß" für die radikale Linke gewesen seien und daß es daher Selbstbetrug sei, daran zu bemessen, wie groß unser Einfluß sein kann. In der Verantwortung dem rassistischen Klima was entgegenzusetzen, sei die Möglichkeit gegeben, sich vom Zaungastdasein wieder einzubringen.
Mitte 1992 erscheint das Buch "Geschichte, Rassismus und das Boot" mit mehreren aktuellen Texten der L.U.P.U.S.-Gruppe (aber auch z. B. einer MigrantInnen-Gruppe).
Erfreulicherweise will L.U.P.U.S. die Debatte nicht im Sande verlaufen lassen, sondern widmet zwei Texte unter anderem einer Erwiderung auf die "Schneutzstunde". Weniger erfreulich der formelle Umgang von L.U.P.U.S.:
"Wir halten die Bezugnahme auf den radikal-Text aus mehreren Gründen für wichtig, trotz der - auch durch Kriminalisierung der radikal bedingten - beschränkten Verbreitung und erschwerten Zugänglichkeit." Eigentlich sollte nach so einer Erkenntnis die logische Konsequenz sein, den Text mit abzudrucken, auch weil sich zwei weitere Texte ihrerseits darauf beziehen - aber leider hielt L.U.P.U.S. nicht so viel davon und faßte den Text lediglich nach eigenen Gutdünken zusammen und lieferte einige Zitate daraus.
Im Text "Doitschprüfung" erneuern sie ihre Kritik am Verhältnis zwischen weißen Autonomen und Flüchtlichen, die sie erst als Subjekte wahrnehmen würden, wenn diese angegriffen werden. Sie problematisieren:
"Doch wenn Brandanschläge auf Flüchtlingslager und die Überfälle auf MigrantInnen wieder in die Dunkelziffern abgedrängt sind, die Scheinwerfer abgebaut sind und damit wieder Normalität signalisiert wird, wird sich für uns die Frage stellen, was sich wirklich im Verhältnis zu Flüchtlingen und MigrantInnen verändert hat. Oder, ob nicht gerade in dieser Art von autonomer Politik Kampagnenopfer vorprogrammiert sind (...) Das Entscheidende für uns ist das Erleben, daß Deutsche ihr eigenes Verhältnis zur rassistischen Gewalt nicht mehr durch Indifferenz und Gleichgültigkeit bekunden, sondern durch offene Sympathie und lustvolle Befriedigung. (...) Die neue rassistische Lebensqualität ist eine Antwort auf eine soziale Wirklichkeit, in der wir kaum noch vorkommen, auf die wir schon lange keine militanten Antworten mehr haben."
L.U.P.U.S. thematisiert im folgenden den Verlust der Straße, in der sich keine linke Praxis & Kultur mehr abspielen würde, wie sie in den 70ern und 80ern noch bestimmend waren - welche eben nicht durch RassistInnen erobert wurde, sondern durch Urbanisierungskonzepte, Yuppieisierung. Selbst wenn es gelänge die Faschisten von der Straße zu verdrängen, wer würde dann den Raum besetzen.
"Volks-Fronten" läßt sich nicht so leicht zusammenfassen, deswegen sparen wir es uns, empfehlen wollen wir ihn aber dennoch.
In der Nummer 146 findet sich dann wieder eine Entgegnung von MitautorInnen der "Schneutzstunde". In "Aufschwung-Rückwärtsrolle" finden sich nicht unbedingt neue Argumente "Was kommt dabei heraus, wenn wir einige Aussagen von Lupus in ihrem neusten Werk kritisieren, die unsere Schneutzstunde kritisieren, die wiederrum Lupus Doitschstunde kritisiert? Eine öffentliche Diskussion hat für uns ihren Wert in den Anstößen, die von ihr ausgehen. Wenn zwei (kontrovers) diskutieren, so sollte das möglichst kein 'GelehrtInnenstreit' werden, für den sich niemand interessiert, oder den keine/r mehr versteht", sondern es geht den AutorInnen erneut darum: "Es scheint, als würde uns wieder die Rolle zufallen, den zum Teil sehr guten Fragestellungen und Untersuchungsansätzen von Lupus praxisbezogene hinzuzufügen und einzufordern. Zu stark ist unsere Ahnung, Befürchtung, daß GenossInnen sich aus diesen Fragestellungen und Fragezeichen Berge der Ohnmacht auf ihren Schreib- und Küchentischen errichten, sich die alltäglichen Horrormeldungen von rassistischen Übergriffen aus den Zeitungen daneben legen und abwarten."

Knast und Strafe

Im Zusammenhang mit Knästen und Knastkämpfen ist und war uns vor allem die Aufhebung des zentrierten Blickes der Szene auf die politischen Gefangenen ein verschärftes Anliegen. Bis zur Nummer 142 beschränkten wir uns hauptsächlich auf die umfassende Dokumentation von Kämpfen und Revolten der sozialen Gefangenen, die wir als "politisch eigenständige" Ansätze wahrgenommen wissen wollten. Dazu zählt aber auch die Aneignung eines Begriffes von Repression, der weitaus mehr umfaßt, als die beständigen Versuche staatlicher Behörden, die Linke in die Defensive zu drängen und über repressive Attacken auf sich selbst zurückwerfen.
Unter anderem deshalb wenden wir uns auch gegen eine Überbewertung des 13.6. oder anderer Verfahren wie beispielsweise gegen die Göttinger Antifa (M). Natürlich können diese Angriffe nicht einfach hingenommen werden, weil sie den Wirkungskreis linksradikaler Organisierungsansätze (so bescheiden oder irrelevant sie auch in ihrer gesellschaftlichen Wirkung sein mögen) weiter beschneiden sollen. Allerdings drehen sie sich in bezug auf Repression alle im eigenen Saft.
In der Nr.138 wurde dem Hungerstreik im Knast ein ganzes Heft gewidmet und darin der Blick speziell auf die Kämpfe der sozialen Gefangenen gerichtet - in der Nummer 140 wird der 90er Knastkampf in der JVA Moabit in einem Bericht zusammengefaßt. Es folgen Berichte über die sogenannten Amnestie-Aufstände `91, verbunden mit einem Kritikpapier von Knackis aus der JVA Buchsal an der Forderung nach Amnestie.
Nach dem überwiegenden Berichtcharakter findet sich in der Nummer 145 schließlich ein Artikel "Die wilden fliegen...": "Es ist ruhig geworden um die Knäste, aber nicht in den Knästen... Wir (das sind nur Männer) haben in älteren Texten gestöbert, die sich mit dem Thema befassen, und (mittlerweile schon einige Jahre alte) Diskussionspapiere gefunden, wo Leute frustriert feststellen, daß sich dazu inhaltlich und praktisch seit Jahren nichts groß geändert hat, und bei vielen Papieren nur das Datum ausgetauscht werden müßte, um direkt als topaktueller Diskussionsbeitrag akzeptiert zu werden... Wir wollen Unklarheiten und Widersprüche der 'Szene' zu Knast und staatlicher Gewalt aufzeigen, die Diskussion wieder anleiern, genauer als das bisher gelaufen ist, und versuchen zu erklären, warum wir uns ein Leben ohne Gefängnis durchaus vorstellen können. Die Überlegung, wie wir uns einen Umgang mit 'Scheißverhalten' vorstellen, also Verhaltensformen und Handlungen, die einem gleichberechtigten Zusammenleben entgegenstehen, einzelne unterdrücken usw. (also eigentlich 'unsoziales Verhalten'), ohne die Leute, die da Scheiße machen, zu isolieren und wegzusperren, ist gleichzeitig ein wichtiges Rumprobieren an einer Utopie von einer befreiten Gesellschaft. Wenn wir keine langfristigen Konzepte auf Tasche haben zur Verhinderung von Herrschaft wird die nächste Revolution ein relativer Flopp wie manche andere auch."
Nach einer Beleuchtung und Bewertung der Zusammensetzung der Gefangenen wird versucht, sich dem anzunähern, wie sich eine linke Repression auswirkt und inwieweit sie sich von der herrschenden Auffassung von Bestrafung unterscheidet. Unter der Überschrift "Selbstorganisierung anstatt regelnde Obrigkeit" findet sich dann folgende These: "Was wir uns im Groben vorstellen anstatt der Strafe von oben, von einer übergeordneten, anonymen Instanz: Vergeltung durch die Geschädigten und ihr Umfeld, Ächtung innerhalb der Gemeinschaft, Auseinandersetzung, Wiedergutmachung wo möglich. Keine Ausgrenzung und Isolierung von Männern und Frauen, die Scheiße bauen, sondern Konfrontation innerhalb der sozialen Umgebung. Das heißt nicht, daß z.b. eine Frau, die von einem Mann angegriffen, vergewaltigt o.ä. worden ist, weiterhin mit seiner ständigen Anwesenheit konfrontiert sein muß. sondern daß, nach evtl. Vergeltungsmaßnahmen, es einen Platz für ihn geben muß, wo er die Möglichkeit hat, zusammen mit anderen Männern der Gemeinschaft sich über sein Verhalten auseinanderzusetzen und weiterhin der Kontrolle durch andere unterworfen ist, dadurch aber auch die Möglichkeit hat, sich zu ändern, etwas gut zu machen."
Leider gab es auch auf solche spannenden Ansätze keine Reaktionen. Grundsätzliche Fragen zu stellen scheint eine Angelegenheit für philosophische StudentInnen und ProfessorInnen zu sein, aber nicht für welche, die sich linksradikal schimpfen. Dabei sollte es doch gerade möglich sein, auch mal wieder Tabu-Zonen zu überschreiten und grundsätzlicher zu fragen, wo wir eigentlich hin wollen.
Gerade bei der Frage nach Zensur und Bestrafung halten wir eine solche Diskussion für sehr wichtig. Dies betrifft beispielsweise so heikle Fragen wie den Umgang mit MißbraucherInnen, Vergewaltigern und Faschisten. Insofern fanden wir zum Beispiel den Ansatz der Göttinger Antifa (M), einen verbindlichen und nachvollziehbaren Umgang zu schaffen, wie mit einem Vergewaltigungsvorwurf innerhalb der Organisation umgegangen werden soll, sehr spannend. Aber auch die Frage nach der Forderung von einem Verbot faschistischer Presse, während die radi bei erwiesenermaßen verfassungsfeindlicher Tendenz am liebsten legal erscheinen würde, wirft Fragen auf.
In der Nummer 147 wird in einer Art GdV der Gefängnisse die Erinnerung auf das Entstehen des Knastes gelegt. Es beschreibt, daß in der Logik, die hinter dieser Art des Strafens steht, der Grundgedanke der Erziehung steckt.
Unter Zuhilfenahme von Michel Foucaults Werk "Überwachen und Strafen" wird ausgeführt:
"Er meint also, daß die eigentliche Aufgabe des Gefängnisses sein Scheitern ist. Es darf und soll gar nicht so funktionieren, wie es in der Öffentlichkeit stets propagiert wird: Es soll Krimininelle produzieren, auf die sich der Haß aller 'anständigen' Menschen richten läßt. Das Gefängnis produziert also eine an den gesellschaftlichen Rand gedrängte, aber kontrollierte Gruppe von Leuten. Es ist zudem gelungen, diese Gruppe in der Gesellschaft sozusagen als 'pathologische Subjekte', als krankhafte Menschen darzustellen... Die bürgerliche Gesellschaft hat demnach mit der Erfindung der Strafhaft, der Schaffung einer negativen Haltung im Volk bezgl. illegaler Handlungen und einer ständig zunehmenden und (aus vorgenanntem Grund) mehr und mehr akzeptierten allgemeinen polizeilichen Überwachung ein Instrumentarium zur Verfügung, das sie zur Produktion von Gefangenen hervorragend einsetzen kann."
Wem dies zu krass formuliert wurde, dem wird anhand des BTM-Gesetzes noch ein Beispiel vorgesetzt, oder mit den Abschiebehaftvorschriften, die eine ganze Gruppe von Menschen zu Kriminellen gemacht hat.

Der Praxisteil

Anläßlich der RAF-Aktion gegen Herrhausen erschien in der Welt ein Artikel mit folgendem Wortlaut: "In der linksradikalen Zeitschrift 'Radikal' wird in der Ausgabe 140 vom Juni 1990 der Bau einer Bombe, wie sie beim Herrhausen-Mord verwendet wurde, exakt beschrieben. Auf Seite 26 des Blatts findet sich eine Stückliste für die Schaltung einer Lichtschranke mit präziser Bezeichnung der erforderlichen Bauteile."
Im Intro der Nr.142 antworten wir darauf in einer spontanen Ahnung der Ereignisse vom 13.6.: "Auf den Scherz ließe sich höhnisch lachen. Es hat mal wieder lange gedauert bis auch der Welt gesteckt wurde, daß die radi die RAF ist. Jetzt können wir`s ja offen zugeben: Da kam nämlich wirklich jemand von dem Kommando vorbei, das Herrhausen umgenietet hat. Wir tranken einen gemütlichen Tee und informierten uns gegenseitig über den Stand unserer jeweiligen RAF-Ebene. Demnächst wird auch Edzard Reuter dran glauben müssen, und ihm wird eine noch viel perfidere Technik zum Verhängnis werden. Wenn die Zeit reif ist, informieren wir euch natürlich umgehend über das neue Modell.
Scherz mal beiseite, dieser kurze Artikel ist eine dreiste Unverschämtheit. Die Welt schreibt seit Jahren solchen Mist über die radi. Es ist zwar bekannt, daß sie das inoffizielle Amtsblatt von Bullen und Regierenden darstellt, aber daß sich die Redakteure nicht mal die Mühe geben, die gesteckten Verlautbarungen nachzurecherchieren, verblüfft uns immer noch.
Liegt wahrscheinlich daran, daß dieser Lüge nur in unserer lächerlichen Auflage widersprochen werden kann, und so einen Giganten wie den Springer-Konzern schert das natürlich einen Dreck. Hauptsache, bei den LeserInnen dieses Scheißblattes ist ein Bild geprägt worden, wenn`s mal heißt 'radikal-Redakteure' verhaftet, 'RAF-Mitgliedschaft wird geprüft' oder so ähnlich.
Wenn sie mal jemand von uns einbuchten sollten, wird`s schon ein bischen knifflig das zu vermitteln, besonders wenn sie mit Solidarität (hoffentlich) rechnen müssen und ein deftiges Urteil bei rauskommen soll. Eine Zeitung ist halt eine Zeitung, und eine Bombe unterscheidet sich ein bißchen davon."
Soweit so gut, daß die bürgerliche Presse unseren Praxisteil herbeizitiert um uns erfolgreich diffamieren zu können, geschenkt...
Aber auch von durchaus wohlmeinenden KritikerInnen wird auf diesen Teil der Zeitung eine ganze Masse an Halbwissen projiziert. Wie ein roter Faden zieht sich das durch die Zeit der illegalen radikal.
Um mal ein aktuelles, aber auch nettes Beispiel herauszusuchen: Angela Marquardt, stellvertretende Bundesvorsitzende der PDS, sagte kürzlich in einem Interview mit der Solizeitung radikale Zeiten über ihre Wahrnehmung der radikal: "Manchmal lese ich sie auch, um mich zu amüsieren. Wenn da so Artikel, wie über Bomben bauen erscheinen oder ähnliches... Und manche Dinge, na wie gesagt, das mit den Bomben bauen, für mich ist das eher witzig, sowas nehme ich dann nicht so richtig ernst. Aber wenn man ernstzunehmenden Anspruch hat, dann weiß ich nicht, ob das dann sein muß."
Mal abgesehen davon, daß es durchaus verständlich ist, wenn sich eine stellvertretende PDS-Bundesvorsitzende zu diesem Thema reserviert und distanziert ausdrückt, weil ihr sonst die gesamte GegnerInnenschaft der PDS auf die Pelle rücken könnte ("da sehen wir es mal wieder, die PDS unterstützt die bombenlegende radikal, d.h. die PDS selbst ist der rote Wolf im Schafspelz, etc.pp.") finden wir es spannend, herauszufinden, was die Genossin Marquardt dazu veranlaßt, ausgerechnet "Bomben" herbeizuzitieren.
Wir haben in unseren Heften gekramt, und siehe da, oh Wunder, wir wurden fündig - in den ersten illegalen Nummern, 128 und 129, wurden tatsächlich Bombenanleitungen veröffentlicht. In den zehn folgenden Jahren wurden ausschließlich Anleitungen zu Brandsätzen und verschiedenste Varianten von Zeitzündern sowie eine Unzahl verschiedenster anderer Dinge im Bereich der Praxis beackert.
Wir sagen das nicht, um uns auf diesem Gebiet zu verharmlosen - "aber die radi druckt doch nur Anleitungen zu Brandsätzen ab, das ist doch nicht so schlimm" - , sondern um deutlich zu machen, daß gerade zu diesem Block Mythen und Ungenauigkeiten gesponnen wurden und werden.
"Bombe" als Oberbegriff klingt offensichtlich größer und gefährlicher. Der Reflex zu einer Distanzierung wird stärker angeregt. Gerade in heutigen Zeiten islamistischen Bombenterrors in Algerien oder Israel, fehlerhaft transportierten Bomben in London, sowie der Eskalationsstrategie der ETA gegen Zivilisten in Spanien wird mit dem Stichwort der "Bombe" ziellose und verantwortungslose Gewalt herbeiassoziiert.
Wir werden darauf weiter unten noch zurückkommen. Fest steht jedenfalls, daß z.B. Angela Marquardt diesen Teil der radikal-Ausgaben nicht gelesen hat, sonst würde sie nicht von "Bomben" reden, sondern müßte differenzieren und von Zeitzündern, Funkenstrecken oder Brandsätzen sprechen. Zusätzlich müßte sie einräumen, daß die letzte derartige Anleitung im Februar `92 veröffentlicht wurde.
Wir finden es toll, daß sie schon so lange die radikal liest. Und daß ihr heute noch als eine der ersten Sachen "Bomben" einfallen - die Brandsätze waren - finden wir noch faszinierender.
Das verweist darauf, wie der Repressionsdruck die Wahrnehmung der Zeitung in eine bestimmte Richtung drängt - erzeugt durch eine künstliche Diskussion, die von Paragraphen erzeugt und beständig neu reproduziert wird und in der die wenigsten, die sich dazu äußern, überhaupt eine Ahnung haben, wovon sie reden.
Wenn die BAW von uns als dem "Untergrundblatt" redet, das den Status einer Zeitung nicht verdient hat, weil es eben Anleitungen und Erklärungen militanter und bewaffneter linksradikaler Gruppen abdruckt, müssen wir hier von den restlichen Medien reden, die sich an jedem mittelmäßigen Kiosk befinden.
Beispielsweise die zahllosen Waffenmagazine, mit deren Erläuterungen sich Gasknarren mühelos in scharfe Knarren umbauen lassen. Oder die kriegsverherrlichende Literatur über die "genialen" Leistungen der deutschen Bomberverbände, der tapferen Infanterie im Rußlandfeldzug. Ist es eigentlich schon jemandem aufgefallen, daß dieses Genre an Völkermordliteratur immer frecher in den Kaufhäusern ausgestellt wird - gab es nicht auch mal eine Zeit, wo solche Sachen eher verschämt in der Ecke standen? Die Renaissance dieses Genres hinaus aus der Schmuddelecke geht Hand in Hand mit der Ausweitung der Kompetenzen der deutschen Bundeswehr - deren Status als mordender Haufen auf Abruf ja nun auch nicht mehr so benannt werden darf. Oder wie ist es bestellt um die sexistische Werbung, um den sich immer weiter ausfächernden Pornomarkt, der Frauen im Mediendesign als Lustobjekt verkauft. Es ist eine Gewaltstruktur der Medien, wenn aus wenigen Fällen falscher "Mißbrauchsbeschuldigungen" eine Kampagne inszeniert wird, hinter der die tatsächlichen Relationen des Mißbrauchs völlig verschwinden.
Oder wieso wird die durchaus zielgerichtete Gewalt der Pflegeversicherung, die sich in zunehmender Stigmatisierung von Behinderten durch bürokratisch festgelegte Pflegezeiten ausdrückt, von den Medien nicht als solche erwähnt?
Der Medienmainstream verteidigt und rechtfertigt jeden Tag die bestehenden strukturellen Gewaltverhältnisse - plädiert für die "vernünftige" Weltmachtrolle Deutschlands, für einen "abgesicherten" Standort Deutschlands mit Billigstlöhnen und abgeschotteten Grenzen.
Angesichts des weiterhin gültigen Brecht-Ausspruchs, "Was ist schon ein Banküberfall gegen die Gründung einer Bank", ist eine Gewaltdebatte, die sich an den Verbesserungen von Brandsatzanleitungen festmacht, eine Farce ohnegleichen.
Die Erwähnung von Anleitungen, um sich zu distanzieren, hat eine Funktion innerhalb linker Debatten: Wer in der politischen Analyse nur Wert darauf legt, daß eine parlamentarische Opposition, und/oder eine legale außerparlamentarische Bewegung in diesem Lande etwas ändern, wird diesen Praxisteil der Zeitung natürlich als "wortradikal" abtun und als überflüssigen Bestandteil einer "linksradikalen" Zeitung begreifen.
Die radikal wird auch in Zukunft keine Aufspaltung zwischen Theorie und Praxis betreiben: "wir haben uns gedacht, militanz ist nicht allein eine theoretische sache, sondern etwas sehr praktisches. die theorie kannst du untereinander besprechen und veröffentlichen in bestimmten zeitungen. aber die praxis muß auch den besten freundInnen gegenüber geheim bleiben. sie ist oft die isolierte entwicklung einer gruppe, es gibt kaum kommunikation und austausch, und das ist für uns ein grund für den mythos 'anschläge' und warum vielen menschen dieser schritt so schwer fällt. militante aktionen sind kein privileg besonders hochwertiger perfektionisten, und sie erfordern auch nicht die fähigkeiten einer spezialistIn. alle können es, denn alle können lernen und mit ihrem bedürfnis nach militanz umgehen." (Interview, 1989)
Eine in der Vergangenheit häufig geäußerte Kritik an der radi lautet, sie tauge hauptsächlich dazu, im Archiv eingeordnet zu werden. Die Praxisauseinandersetzungen sind in der Tat zeitlos, also auch äußerst gewinnbringend zu archivieren.
Wir halten nichts davon, wenn gerade in Fragen der Praxis alle wieder am Punkte Null anfangen, und alle das "Wie und Womit" selbst herausfinden. Es reicht , daß die bereits vorhandenen Anleitungen umfassend ausprobiert und verstanden werden müssen. Das ist Arbeit genug und erfordert schon große Sorgfalt und Behutsamkeit. Wenn es bereits erprobte und sichere Vorgehensweisen gibt, müssen diese vermittelt werden, damit nicht die nächsten wieder weitaus gefährlichere Methoden anwenden.
Erfahrungen des militanten Widerstandes müssen weitervermittelt werden, auch wenn es manchmal durchaus sinnvoll sein kann, sich aus linksradikaler Sicht mit Aktionen etwas zurückzuhalten.
Die radi hält damit ein Wissen fest, das vielleicht erst in fünf oder zehn Jahren wieder wichtig werden wird. Wir setzen damit im Bereich Praxis den Anspruch um, daß jede linksradikale Bewegung in der Lage sein muß, ihre Erfahrungen transparent zu machen.

Nun mal zum Verlauf der Ausgaben:

"wir haben einen prozeß im kopf, in dem viele aktionsformen gleichberechtigt entwickelt werden. wesentlich ist, daß du darüber auch öffentlich diskutieren mußt. dies öffentliche in der radi - allein das schon - ist ein schritt gegen die vereinzelung und den mythos 'militante aktion'.
über die radi kann der austausch revolutionärer praxis laufen, weil sie die repression nicht berücksichtigen muß und relativ weit verbreitet ist. wir wollen nicht über scheren in den köpfen diskutieren, sondern dort weitermachen, wo es keine scheren gibt; also wir stellen nicht die notwendigkeit von militanz in frage, sondern wollen damit weiterkommen.
dann ist es konstruktiv, wenn genossInnen aus eigener erfahrung sagen: das klappt so nicht, anders geht es besser. gerade das wechselspiel wollen wir erreichen." (interview 1989)
In der Nr.140 (Juni 90) ließ eine Gruppe von uns heftig Dampf ab, weil genau das im Interview angesprochene Wechselspiel zwischen Zeitung und Aktionsgruppen nicht stattfand:
"In der letzten radi hatten wir eine ausführliche Anleitung für einen Brandsatz veröffentlicht. Wir haben bewußt ein relativ einfaches und gebräuchliches Modell gewählt, damit dieses Mittel des Widerstandes für viele verständlich und machbar ist und sich so die Distanz dazu verringert. Daß es nicht gleich in Massen produziert und angewendet wird, war schon klar. Sowas läuft höchstens nach einer längeren Auseinandersetzung und Austausch von Erfahrungen.
Wir sind restlos enttäuscht von den zu null tendierenden Reaktionen von GenossInnen auf diese Anleitung. Wir wissen, daß es Erfahrungen damit gibt. Findet ihr jede Einzelheit gebongt? Gibt es für kein Detail einen konstruktiven Vorschlag zur Verbesserung? Ist die Idee, sich mit möglichst vielen an einem Modell auszutauschen und weiterzukommen abwegige Spinnerei aus einem kranken Hirn?
Die Papierfluten zu Inhalt und Theorie des militanten Widerstandes stehen jedenfalls in keinem Verhältnis zur Auseinandersetzung mit diesem Teil der Praxis.
Wir schließen daraus:
- ihr findet, das Thema ist in den Zirkeln gut aufgehoben, und es soll aus für uns unerfindlichen Gründen auch dort bleiben. Alle anderen müssen die miesen Erfahrungen dann halt wiederholen, und wenn`s Verletzte gibt, Pech gehabt.
- ihr findet, wir profilieren uns mit solchen Themen, d.h. wir schieben ein angeblich revolutionäres Bewußtsein vor, um uns wichtig zu machen. Wie würdet ihr`s denn anders machen, hää?
- ihr seid faul wie die Stinkböcke und Stinkziegen, ihr selbst lest ganz gern solche Infos, tut aber einen feuchten Dreck dafür, anderen eure Erfahrungen zu vermitteln."
Daran anschließend wird ausdrücklich eine Anleitung für "Eingeweihte" veröffentlicht, die einen Zeitzünder beschreibt.
Zur nächsten Ausgabe kamen dann einige Reaktionen, Kritiken und eine Verbesserung. Diese wurde mit dem ausdrücklichen Hinweis "Nicht von uns getestet" veröffentlicht. In der Nummer 142 vom März `91 finden sich dann folgende Sätze in dem Artikel "Freischwimmerin": "Nach Erscheinen der Zeitung haben sich ein paar Leute von uns hingesetzt, die bis dahin keinerlei Erfahrung mit der Materie hatten, und sich an der Schaltung versucht. Wir sind kläglich gescheitert. Wir haben ein paar offensichtliche Fehler in der Anleitung selbst herausgefunden...
Wir haben die Panne diskutiert und beschlossen, künftig nichts mehr an Anleitungen reinzunehmen, was wir nicht selbst vorher getestet haben. Versprochen! Außerdem ist uns aufgefallen, daß auch in den letzten Ausgaben viele Sachen zu ungenau und verwirrend dargestellt wurden und auch unsere Kommentare dazu nicht frei sind von Fehlern und Mißverständnissen..." [Vollständig dokumentiert wird dieser Artikel auf den folgenden Seiten, Anm.]
Es folgen neben einer Erklärung, warum die radi nach wie vor Anleitungen veröffentlicht, grundlegende Worte bezüglich der Vorbereitung und den Bedingungen für die Durchführung von klandestinen Aktionen. Es werden grundlegende Tips zum Einkaufen von Bauteilen gegeben, sämtliche Bauteile werden erläutert, die Anleitungen der Nr.140 und Nr.141 verbessert. Daran anschließend stellen die Automarderinnen auf weiteren acht Seiten eine Testreihe zum Knacken von Autos vor.
Diese Seiten veranschaulichen sehr gut die Weiterentwicklung innerhalb der radikal, was die Einsicht angeht, gegenüber abgedruckten Anleitungen die volle hundertprozentige Verantwortung zu übernehmen. Damit sollte in Zukunft ausgeschlossen sein, solche Kritiken zu erhalten, wie in der Nummer 132. Damals hatte eine Gruppe "Hau weg die Scheiße Sektion West" kritisiert:
"Es mangelt aber an anderem. Es mangelt vor allem am technischen Wissen und an Gründlichkeit bei der Umsetzung. Das ist auch an der Nr.131 auf Seite 62 und 63 zu merken (Anleitung zum Abfackeln von Baufahrzeugen, d.S.). Solche Anleitungen sind gerade für Unerfahrene auf diesem Gebiet eine Anleitung zum Selbstmord. Auf zwei Seiten werden mindestens sieben verschiedene Methoden vorgestellt, von denen wir den Eindruck haben, daß sie von den Verfasserinnen nicht alle ausprobiert worden sind. Stimmt das?"
Ob die VerfasserInnen es selbst ausprobiert hatten, wußten wir damals nicht, da uns das Papier zugeschickt wurde. Was aber stimmte, war, daß sich damals nicht alle in der Redaktion mit diesem Bereich der Zeitung auseinandersetzten.
"Es beschäftigen sich immer nur einzelne mit Erklärungen und Anleitungen, während andere diesen Block zwar wichtig fanden, aber teilweise nicht mal den Inhalt kannten." (ebenfalls Nr.132)
Dies war auch schlichtweg unmöglich, denn eine einzige Gruppe, die eine ganze Zeitung produziert, kann nicht gleichberechtigt alle Bereiche diskutieren und einzelne "ExpertInnen" können keine Diskussion innerhalb einer Gruppe ersetzen.
In dem Maße, in dem sich mehr und mehr Gruppen an der radikal beteiligten, konnte auch mehr und mehr Sorgfalt in den Bereich der Praxis gesteckt werden. Eine Anleitung zu testen, gegebenenfalls zu überarbeiten und dann auch noch für alle verständlich und nachvollziehbar zu erklären, ist keine Arbeit wie einen Artikel zu diskutieren (damit soll nicht gesagt werden, daß das Entwickeln von guten und weiterbringenden Diskussionen nicht auch anstrengend und zeitraubend ist). Aber es ist eine Aufgabe, die eine Gruppe vollständigst ausfüllt und damit auch deine sonstige Arbeit in der radikal für diesen Zeitraum lahmlegt. Du mußt die Orte finden, wo du testen und basteln kannst, schließlich gehst du ja nicht einfach mal bei dir in den Keller. Oder du mußt, wie für den Auto-Artikel, einen Test-Bruch nach dem anderen durchführen.
Erst als wir die strukturelle Möglichkeit dazu hatten, aufgrund der immer wieder sporadisch aufgetauchten Kritiken eine grundsätzliche Änderung im Umgang mit Anleitungen zu garantieren, vollzogen wir sie. Womit eindrucksvoll bewiesen wäre, daß das Sein das Bewußtsein bestimmt. Selbst wenn mal wieder eine Zeit kommen sollte, wo wir kräftemäßig nicht dazu in der Lage wären, eine Anleitung selbst zu testen, würden wir hinter dieses Kriterium nicht mehr zurückfallen.
An der Grundsituation, wie sie in der Nr.132 beschrieben worden ist, hat sich grundsätzlich nichts verändert, auch in jener Phase waren die Anleitungen immer eine Angelegenheit bestimmter einzelner Gruppen und andere verließen sich auf deren sorgsame Arbeit.
So wie wir durchaus unterschiedliche politische Auffassungen innerhalb der radikal haben, so bestehen auch unterschiedliche Gewichtungen bei der Frage der Wichtigkeit einer Praxisweitervermittlung. D.h. es wurde nie eine Anleitung durch die Struktur gejagt mit der Aufforderung, "das letzte Mal hat Gruppe XY die Anleitung getestet, wer will es denn dieses Mal machen?", sondern die Gruppen interessierten sich von sich aus genau für diese Arbeit.
In der nächsten Ausgabe sollte dann die Praxis greifbarer werden und den Ruch der Klandestinität wieder verlieren. Die Nummer 143 erschien mit einer Nähanleitung für eine modische Einklautasche, die mittels eingenähtem Maschendraht die Kaufhauspiepgeräte übertölpeln kann. Leider hat trotzdem keine Modezeitschrift unser Nähmuster übernommen - linksradikales Modedesign scheint nicht dem Mainstream zu entsprechen. Auf der Rückseite findet sich eine Reklame für eine umfassende Bauanleitung von zwei Sendermodellen zur Abstrahlung einer eigenen Frequenz oder zur Überstrahlung von starken offiziellen Sendern.
Das "autonome Stadtfernsehen/Stadtradio" aus Österreich hatte uns eine Broschüre zugeschickt - und wir vertrieben diese dann einige hundert mal an Interessierte gegen 30 DM Unkostenbeitrag. Ganz am Rande: Das war ein enormes Zuschußgeschäft, das nicht mal unsere immensen Kopierkosten abdeckte. Zugleich bedeuten solche Zusatzarbeiten und Serviceleistungen immer, unser nicht gerade narrensicheres und unbürokratisches System für Postbearbeitung zusätzlich auf die Probe zu stellen.
Sind diejenigen, die die Post bearbeiten und Briefe beantworten, auch dieselben, die zugesagt hatten, die Broschüren zu verschicken, und sind diese wiederum dieselben, die die normalen Nachbestellungen erledigen?
Weiter kann die Problemstellung nicht erläutert werden, aber sie soll verdeutlichen, daß eine Unmasse Probleme auf dich zukommen, wenn du nicht in einem beheizbaren Büro sitzt, wo auf der linken Seite die alten radikal-Ausgaben liegen, auf der rechten ein Stapel Sendebroschüren und vor dir auf dem Tisch die Post von zwei Tagen, die du nun bei einem Kaffee abarbeitest - möglichst noch den Telefonhörer seitlich ans Ohr gequetscht um gleichzeitig mit deinen GenossInnen abzuquatschen, wer denn nächste Woche Bürodienst macht.
(Das sind so die kleinen Träumereien, die einige von uns immer wieder heimsuchten, wenn welche sich empört beschwerten, daß sie noch keine Antwort auf ihren letzten Brief bekommen hatten, daß sie noch keine alte bestellte Ausgabe bekommen hätten usw.)
Nach Volxstromtips und einer zugeschickten Anleitung zur Fahnenverunglimpfung (anläßlich des neu entstandenen Feiertages 3.10.) folgt in der Nr.145 vom Februar `92 der Abdruck einer getesteten Funkenstrecke zum Zünden von Brandsätzen.
Diese hatte die Gruppe "Molche" anläßlich des Golfkrieges am 23.4.91 eingesetzt, um einen Ventilschacht einer NATO-Pipeline in die Luft zu jagen.
Über Tips zum Einklauen geht es weiter zum Artikel "Computer-Sik" in der Nr.147 (März 1993):
"Wir haben in unserer Reihe 'Bastelanleitungen' diesmal einen ungewöhlichen Beitrag aufgenommen. Er hat insofern nichts mit Zündern, Funkenstrecken, Klautaschen und all dem zu tun, als daß sich aus ihm keine Handlungsanweisungen ableiten lassen, die sich direkt in eine revolutionäre oder zumindestens das herrschende System angreifende Tat umsetzen lassen.
Vielmehr hat dieser Beitrag einen präventiven Charakter, um unser subversives Tun weniger angreifbar zu machen. Gerade deswegen denken wir, daß er unsere verehrte LeserInnenschaft interessieren dürfte. Wir gehen davon aus, daß durch den technologischen Wandel, der bestimmt nicht spurlos an euch vorübergezogen ist, sich mittlerweile viele von euch mehr mit Computern rumschlagen wollen oder müssen als Funkenstrecken zusammenzulöten und zum Einsatz zu bringen."
In der Nr.148 vom November `93 findet sich auf Seite 57 eine Querspalte, die darüber informiert, daß die Faschisten in ihren Zeitungen den Compi-Sik-Artikel nachgedruckt haben:
"Aus dieser Erfahrung jetzt den Schluß zu ziehen, Infos über militantes oder konspiratives Verhalten nicht mehr zu veröffentlichen, halten wir für falsch. Letztendlich kommt es darauf an, wer diese Informationen umsetzt, und vor allem: Mit welchen Inhalten....
Dennoch: Nach dem Erstarken rechter Militanz in den letzten Jahren ist neben der Frage, welche Inhalte durch Militanz transportiert werden (sollen), auch Wert auf die Frage der (militanten) Mittel zu legen. In dem Interview mit der rz (letzte Ausgabe) ist dazu einiges gesagt worden."
In der nächsten Ausgabe ist die Fragestellung des Wie-und-Was-Abdrucken bereits als Thema ins Intro aufgestiegen, was ausdrückt, daß es breiter in der radikal herumschwappt und nicht nur eine einzelne Gruppe beschäftigt:
"Einige von uns haben sich intensiver mit dem Thema 'Briefbomben' beschäftigt und es ist auch ein längerer Artikel fertig, wie sie erkannt und entschärft werden können. Aber wir veröffentlichen ihn vorerst nicht, weil wir befürchten, daß evtl. eher die Faschos davon profitieren, denn sie könnten bei der Herstellung der Briefbomben versuchen, die Erkennungsmerkmale zu ändern oder zu vermeiden. Außerdem kann mensch nicht erklären, wie die Teile entschärft werden können.
Daß solche Anleitungen von Faschisten interessiert aufgenommen werden, wurde uns besonders nach dem 'Compi-Sik'-Artikel deutlich, der in mehreren Faschozeitungen nachgedruckt wurde und uns in dieser Hinsicht einige Bedenken und Kritik eingebracht hat. Diese haben wir in der radi 138 (ja ja, so kann es gehen, und schon sind wir wieder im Jahre `89 gelandet, außen auf der Nummer war's auch schon 1993, aber wir schreiben derzeit das Jahr `94 im goldenen März, und es ist immer noch die Nummer 149) reichlich lässig und lapidar abgehandelt, ohne der Problematik im geringsten gerecht zu werden. Wir diskutieren jetzt darüber und stellen uns ganz allgemein die Frage, wie wir zukünftig mit sog. 'Praxisteilen' umgehen sollen. Seit einiger Zeit schon werden Brandanschläge, Vermummung, Konspirativität etc. eher mit Faschos in Zusammenhang gebracht und von diesen praktiziert.
Wir wissen im Moment noch nicht, wie wir damit umgehen sollen, wollen aber auch nicht ganz darauf verzichten, Tips und Tricks zur Praxis abzudrucken. Welchen Ausweg wir finden, wird sich erst noch zeigen. Jedenfalls gibt es diesmal wieder keine 'Praxis."
In der Nummer 150 findet sich dann doch der Beitrag zum Erkennen und Öffnen von Briefbomben sowie praktische Tips und Überlegungen zu einem Leben in der Illegalität. Anlaß war ein zugeschicktes Interview mit einem, der im Fall Kaindl gesucht wurde.
In der Einleitung finden sich auch die bedeutsamen Sätze, die die BAW so gerne in ihren Haftbefehlen anläßlich des 13.6. zitiert hat:
"Illegal zu leben ist nichts Exotisches. In die Illegalität geht man, wenn man muß. (Frau auch!) Dieses Muß betrifft in der momentanen Situation zum größten Teil ausländische Frauen und Männer, die aus ihren Herkunftsländern fliehen vor Krieg, politischer Verfolgung, Diskriminierung als Frau oder Angehörige bzw. Angehöriger einer bestimmten Nationalität, Hautfarbe, Religion, oder weil ihr materielles Leben nicht mehr gewährleistet ist. Allein in der BRD leben viele Tausende illegal.
Für Deutsche erübrigen sich aufgrund des herausragenden Lebensstandards solche Überlegungen zur Flucht. Für uns wird das Thema erst aktuell, wenn wir verschärfter Repression ausgesetzt sind."
Aktuell hatten wir schließlich einen Beitrag übernommen, der sich mit dem Erkennen und Umgehen mit Observationen beschäftigt. Zwar gab es solche Beiträge immer mal wieder, aber wir dachten, eine regelmäßige Auffrischung kann nichts schaden, gerade nach dem ganzen 13.6.-Tango.
Zum Abschluß wollen wir wieder an den Anfang zurückkehren. In einer Erwiderung auf die bürgerliche und linke Fixierung auf bombensprengende Bastelanleitungen hatten wir gesagt, daß die letzte brennbare Anleitung mittlerweile über vier Jahre zurückliegt. Das hat nichts mit einem inneren Läuterungsprozeß zu tun, sondern damit, daß subversive und revolutionäre Praxis ein dermaßen weites Feld ist, und daß Sprengsätze und Brandsätze eben nur ein (und nicht der) Bestandteil davon sind. Daß wir in den letzten Jahren nichts mehr aus diesem Bereich veröffentlicht haben, können wir zu einem großen Teil mit einem letzten kleinen Auszug aus dem Interview von `89 beantworten. Auch damals hatten wir von der Nummer 133 bis zu Nummer 138 keine brennbare Anleitung veröffentlicht, was das fragende ID-Archiv zu der hoffnungsvollen Ansicht verleitete:
"In den letzten Nummern hat man keine Anleitungen mehr gelesen. Hat diesbezüglich bei euch eine Reflexionsphase stattgefunden?"
Die interviewte Gruppe antwortete darauf: "wenn in den letzten ausgaben der radi weniger klassische anleitungen drin sind, dann liegt das nicht nur an uns. es werden weniger erklärungen geschickt, und es laufen derzeit auch weniger anschläge, als z.B. nach tschernobyl. aber das ist nicht der einzige grund, denn es gibt immer gruppen, die eine kontinuierliche militante praxis haben.
wir wollen keinesfalls darauf verzichten, und die tat, und alles was damit zusammenhängt, soll inhaltlicher schwerpunkt der radi bleiben. allerdings erwarten wir gerade bei diesem punkt die verantwortliche beteiligung von anderen, weil wir uns nicht alleinverantwortlich für den inhalt der zeitung sehen. es wurde schon gesagt, daß wegen der organisatorischen arbeit weniger zeit und kraft für die inhaltliche bestimmung bleibt, als wir möchten. das wird sich erst langsam ändern. wenn genossInnen meinen, daß die revolutionäre praxis in den letzten ausgaben zu kurz kam, dann stimmt das für verschiedene bereiche, aber wir gehen nicht auf sammelfahrt und wollen - wie gesagt - nicht allein bestimmen und interpretieren, was sache aller sein muß." (Interview 1989)
An dieser Haltung hat sich innerhalb der radikal auch in den Jahren 93-96 nichts geändert, allenfalls würden wir vielleicht heute den inhaltlichen Schwerpunkt in Bestandteil umbenennen. Es wurde in dieser Zeit nichts zugeschickt, was uns veranlaßt hätte, diese Anleitung zu testen und der Öffentlichkeit vorzustellen. Wir sehen dies auch als Ausdruck davon, welchen Stellenwert militante Aktionen innerhalb des Aktionsfeldes der linksradikalen Gruppen heute haben.
Im Intro der Nummer 149 wurde eine konkrete Fragestellung innerhalb der radikal-Diskussionen angeschnitten, nämlich inwieweit durch die mittlerweile verbreitete Militanz der Rechten sich der Umgang mit dem Abdrucken von Anleitungen bei uns ändern muß.
Darüberhinaus können Aktionen, die früher nur mit "links" entziffert wurden, diese Wirkung nicht mehr so für sich beanspruchen. Hier sei ein kleines Beispiel dafür eingestreut, was wir darunter verstehen: In der OLGA der Nummer 146 wurde auf der Bullenseite ein Zeitungsausschnitt dokumentiert mit der Überschrift: "Polizeiwache erneut von Vermummten überfallen", dies spielte sich in Senftenberg ab. In der Nummer 147 folgte dann ein empörter Leserbrief:
"Ihr habt wohl nicht alle Tassen im Schrank, die Meldung von Senftenberg als positiv hinzustellen... Die Senftenberger und Dresdner werden vom Stuhl fallen, wenn sie eure Meldung lesen, falls sie die lesen, da gab's nämlich große Diskussionen hinterher, was ist, wenn die unsere Häuser und Läden mit 80,100 Leuten überfallen...Wo sollen denn 90 linke Vermummte in so einem Kaff wie Senfte herkommen? Das ist das letzte Nest, da werdet ihr noch öfters was hören von dort, und zwar von den Nazis."
Mal abgesehen davon, daß auch damals nicht alle in der radi sich entschieden hätten, aus "Angriffen von Vermummten" bereits ein positives linkes Ereignis abzuleiten - wird hoffentlich verständlich, was wir damit meinen. Vermummung ebenso wie Brandanschläge waren seit Anfang der 70er bzw. 80er überwiegend per se von der Symbolik positiv durch Linke besetzt. Heute sind wir stärker damit konfrontiert, daß sie lediglich eine formale Methodik sind, die noch nichts über Identität und Verfaßtheit aussagt.
Dies heißt aber im Umkehrschluß nicht, dort wo es angebracht ist, auf diese Methoden zu verzichten - sondern vor allem, daß die Medien mittlerweile es noch leichter haben, die gleichen diffamierenden Codes gegenüber rechts und links zu verwenden.
Es ist also nicht mehr als eine Aufforderung an linksradikale Gruppen, sich noch genauer zu überlegen, wo und wann sie ihre Brandsätze ablegen. Wenn das Ziel eindeutig gewählt ist - und deren gibt es in Deutschland 1996 weiterhin genügend -, dann läßt sich auch weiterhin schwerlich ein rechter Brandanschlag mit einem linken vermengen. Desweiteren verweisen wir auf den Text der "Freischwimmerin", die ein sehr gutes Zitat in ihre Einleitung eingebaut hatte, welche Kriterien für Vermittelbarkeit und Fingerspitzengefühl bei Aktionen vonnöten sind, damit sie nicht medial gegen uns gewendet werden können.
Dennoch bleibt festzuhalten, daß wir die Diskussionen und Überlegungen aus der Fragestellung im Intro der Nr.149 nicht alleine als unser Thema begreifen, sondern sie muß von allen beantwortet werden, die die radi nutzen und lesen - es ist aber kein einziger Beitrag in der Vergangenheit dazu eingetroffen.
Da wir gerade bei Medienwirkungen sind, uns fiel in diesem Zusammenhang ein Absatz in der Geschichtsbetrachtung der Jahre 80-84 auf (veröffentlicht in der Interim, müßte aber auch hier in dem Buch zu finden sein [Siehe das Kapitel "Zeitschrift für unkontrollierte Bewegungen", Anm.]): "Damals ging es noch darum, nach dem 'deutschen Herbst', Militanz wieder als Möglichkeit aufzuzeigen, während es heute eher darum geht, sich nicht ausschließlich auf Militanz reduzieren zu lassen."
Pauschal werden hier unterschiedliche Stränge zusammengeworfen, die unserer Meinung nach getrennt betrachtet werden müssen.
Die Funktionalisierung der medialen Ereignisverarbeitung mittels starker Militanz(symbolik) hat oft eine Ignorierung durch die Medien durchbrochen. Heute, bei fehlender Stärke, bekommen wir die fehlende Medienaufmerksamkeit gerade vorgeführt. Passiert nichts - wird auch nicht berichtet.
Medien suchen das Spektakuläre, das Ereignis, und bei linken und linksradikalen Mobilisierungen sowieso das, was eine Distanzierung erzeugen soll. Wenn es keinen Krawall gibt, wird ein Feuerwerkskörper hochstilisiert.
Das heißt, um mediale Aufmerksamkeit zu erringen, werden wir nicht auf bestimmte Methoden verzichten können. Die Frage ist aber: Sollen wir unsere Politk so sehr danach bestimmen, in die Medien zu kommen? Gehen wir nicht genau der globalen Medienlogik auf den Leim, wenn wir den Erfolg der meisten Mobilisierungen daran bemessen, wie stark linksradikale Politik in den Medien vorkommt?
Wir würden also das Dilemma anders beschreiben: Linksradikaler Politik ist (nicht erst seit gestern, sondern bereits im Laufe der 80er) der soziale Raum und das gesellschaftliche Umfeld abhanden gekommen, in der sie sich abspielen, mobilisieren und ausstrahlen kann. Sie hat sich immer stärker dem medialen Raum zugewandt (auch durch Erklärungen, die lediglich in den eigenen Medien auftauchen). Medial vermittelte Politik kann aber nur ein Bestandteil linksradikaler Praxis sein.
In dem Sinne, wie die militanten Angriffe die Methode wurden, in den medialen Raum einzubringen, haben die Angriffe an Schärfe verloren. Es wird in den nächsten Jahren auch darum gehen, die Methoden wieder voneinander zu trennen. Das eine ist die Eroberung medialen Raums auf eine Art und Weise, die den Distanzierungsspielraum klein hält - das andere sind die militanten Angriffe.

O.L.G.A.

Mit der Nummer 142 wird dieser Strang, damals noch unter dem Namen PIEFKE, begonnen. Stehen die anderen Stränge vornehmlich für eine politisch-inhaltliche Richtung, die durch mehrere Beiträge in den verschiedenen Nummern ausgebaut und vertieft werden sollte oder die immer wieder ein Thema aufgreift und beleuchtet, so steht die O.L.G.A .für einen anderen Zeitungsansatz - ein anderes, direkteres Verhältnis zu den LeserInnen.
Nicht zufällig entsteht sie zu genau dem Zeitpunkt, an dem sich immer mehr Gruppen verschiedene Schwerpunkte in den einzelnen Ausgaben setzen.
Die erste Gruppe, die dieses Projekt gründet, versteht den O.L.G.A.-Ansatz als direkte Kritik an der internen Entwicklung innerhalb der radikal. So stellt die O.L.G.A. ausdrücklich die zugeschickten Berichte in den Mittelpunkt ihres Wirkens. Sie möchte den diversen Beiträgen einen Platz innerhalb der radikal sichern und durch eine beständige Auswahl kleinerer Nachrichten quer gestreut durch die linksradikale Erlebniswelt zum Mitmachen animieren.
Die Behandlung der Post ist in der Geschichte der radikal immer ein Anlaß für Kontroversen gewesen (siehe z.B. bereits das Intro der Nummer 131). Während eine Tendenz befürwortete, die Auswahl der Beiträge solle sich entsprechend stark an den zugeschickten Artikeln orientieren, hielten andere dem entgegen, "daß sie sich nicht den ganzen Stress der verdeckten Produktion machen würden, um dann die Auswahl an der Postsichtung zu orientieren".
Dabei ging es nicht darum, ob die Beiträge in der Zeitung auftauchen (denn darin waren sich trotz sicherlich unterschiedlicher Gewichtung alle einig), sondern ob die Redaktionsgruppen ein eigenständiges Verhältnis dazu entwickeln. Wird sich mit der Post beschäftigt, weil sie zufällig dem Thema entspricht, das die Gruppe sowieso beackern will, oder nimmst du die Post zum Ausgangspunkt, und fällst aufgrund der Sichtung die Entscheidung, dich mit einem Thema zu beschäftigen, daß offensichtlich vielen auf den Nägeln brennt.
Während ersteres mit der Zeit die Redaktionsgruppen immer mehr entfremden würde, würde zweiteres den Bezug wachhalten.
Wurde bis zu den Nummern 138/139 die eingegangene Post immer ausreichend berücksichtigt, weil einfach die Kapazitäten eigenständiger Redaktionsgruppen, die den Raum anders hätten füllen können, gar nicht vorhanden waren, so sahen die O.L.G.A.-GründerInnen dies ab 1991 stark gefährdet.
Nicht zufällig befürworteten die O.L.G.A. am Anfang vor allem jene, die schon seit langer Zeit die LeserInnenbriefe beantworteten und dabei immer wieder die Erfahrung machten, daß aus zunächst vorsichtigen Nachfragen von LeserInnen mit der Zeit rege Briefkontakte entstehen konnten.
Ihr findet hier [nebenstehend] die erste Einleitung (PIEFKE) aus der Nummer 142.
Das Projekt O.L.G.A. war sowohl intern als auch bei den LeserInnen äußerst umstritten. Zwei Umfragen bei LeserInnen ergaben zwischen BefürwoerterInnen und GegnerInnen jeweils ein ausgewogenes Remis. Es reichte von zustimmenden und begeisterten Stimmen wie "Youh eure O.L.G.A. war wieder absolute OBERSPITZE" bis hin zu dem abgenervten "Eure O.L.G.A. war wieder nur zum überblättern, klasse fänd ich es, wenn ihr mehr eigene Sachen abdrucken würdet."
Intern war die Stimmungslage anläßlich der O.L.G.A. entschieden angespannter - was die Schilderung oder Deutung des O.L.G.A.-Ansatzes auch so schwer macht. Diese Beschreibung läßt sich nicht davon trennen, daß mit Gründung der O.L.G.A. eine Debatte losgetreten wurde, die schließlich mit dem Austritt zweier Zusammenhänge endete.
Dies ist bitte nicht so zu verstehen, daß die O.L.G.A. der Anlaß zum Austritt war, eher war sie der Aufhänger einer längst überfälligen Debatte.
Die KritikerInnen wollten aufgrund des gesamten Ablaufes der Produktion der Nummer 143 eine Diskussion über die inhaltliche Zusammensetzung der radikal einfordern. Sie verstanden die bunte Mischung innerhalb der O.L.G.A. als eine Bestärkung diffuser aktionistischer Aktivitäten innerhalb der autonomen Szene, wo es doch eher darum gehen müsse, nicht alles nebeneinanderzuklatschen, sondern sich mit eigenen "radikalen" Überlegungen präsent zu machen.
Des weiteren akzeptierten sie nicht, daß sich eine Gruppe innerhalb der radikal berufen fühlte, als SachverwalterIn der Post bzw. eines Themenspektrums, in diffuser Breite aufzutreten. So gab es bei den Ausgaben 144-147 immer wieder Streitigkeiten, wer denn nun zuständig sei für die antifaschistischen Aktionen.
Die andere Seite sah sich damit in ihrer Arbeit beschnitten. Sie verweigerte eine gemeinsame inhaltiche Diskussion der gegensätzlichen Auffassungen über die Bestimmung einer radikal und sah sich aufgrund ihres strukturellen Zustandes überfordert, diese Diskussion zu jenem Zeitpunkt zu führen.
Was sich lediglich erreichen ließ, war das Einverständnis, daß sich die radikal in verschiedenen Teilen ihrer Ausgaben an verschiedene LeserInnenkreise wende. Alle könnten der O.L.G.A. zuarbeiten, aber die eine Gruppe wollte die Bestimmung über deren konkrete Zusammensetzung und ein festes Seitenkontingent. Die geforderte inhaltliche Debatte über den politischen Rahmen der radikal sollten die miteinander führen, die daran interessiert waren. Im späteren Verlauf blieb es ungefähr Remis, was den Streit um die Notwendigkeit einer O.L.G.A. betraf. Letztlich akzeptierten alle das Bestehen der O.L.G.A., aber die Verhältnisse untereinander waren längst nicht mehr zu kitten.
Hier soll noch einmal etwas ausführlicher erklärt werden, warum wir heute weiterhin denken, daß die O.L.G.A. ein Bestandteil jedes weiteren radi-Konzeptes bleiben sollte, obwohl wir teilweise in der damaligen Diskussion gegenteiliger Auffassung waren. In der Nummer 149 steht folgende ganz kurz zusammengefasste Einleitung:
"Die O.L.G.A. ist der Block in der radikal, in dem wir die Briefe, Berichte, Flugblätter, Erklärungen, Aufrufe, Zeitungsschnipsel etc. von euch LeserInnen über gelaufene oder anstehende Aktionen aller Art, über Prozesse und andere Schweinereien, sowie alles, was ihr uns sonst noch zuschickt, verarbeiten. Wir fassen einige Sachen zusammen, ordnen alles thematisch an und ergänzen das Ganze durch Berichte aus anderen Zeitschriften oder auch durch eigene Beiträge, und fertig ist die O.L.G.A..."
Nach unserem Verständnis soll die radi ein Medium verschiedenster Strömungen des linksradikalen Widerstandes sein. Wir begreifen die radi nicht als unser alleiniges Medium, denn wir haben genausowenig wie andere Gruppen die Weisheit gepachtet und haben genau wie alle anderen eingegrenzte Wahrnehmungsfähigkeiten, manchmal auch Scheuklappen und Engstirnigkeit. Bestimmten Themen widmen wir zehn Seiten, manche lassen wir ganz außen vor, und andere sollen unserer Meinung nach nicht unkommentiert in die radi, weil sie gänzlich unserer Sicht widersprechen.
Wir reden von medialer Macht, so wie sie jede Redaktion ausübt, und damit von Realitätskonstruktion, die durch subjektive Auswahlkriterien entsteht. Wir reden aber auch von Schreibhemmungen, die entstehen könnten, wenn ein ganzes Heft von vorne bis hinten durchstrukturiert wäre und es von Schlußfolgerungen und Resümees nur so wimmeln würde. Nicht, daß wir so ein Heft produzieren wollen würden, das ist nicht unser Interesse, wir meinen vielmehr, die radi lebt davon, daß sie allen die Möglichkeit einräumt, sich zu äußern.
Ein Medium, daß für jede Mobilisierung bereits die passenden Kritiken und Schlußfolgerungen parat hätte, würde diesen Mythos erzeugen:Die betreffenden Gruppen haben alles klar, also komm ich mit dem, was ich zu sagen habe, eh nicht durch. Aus so einem Mythos, einer Überhöhung des Mediums, würde nur Passivität resultieren. Er würde auch absolut nicht der Realität entsprechen. Weder sind radikal-Gruppen überall vor Ort, noch läßt sich alles vom Schreibtisch aus richtig beurteilen.
Ein inhaltlich völlig durchstrukturiertes Medium kann zwar zur Beantwortung unserer eigenen Fragen durchaus produktive Hilfestellungen geben, schreibt aber zugleich eine Aufgabenverteilung fest. Die einen machen, und die Medien kommentieren - das ist für uns und die radikal grundsätzlich der völlig falsche Dampfer. Eine Erwartungshaltung an die radi, die uns auf produktive Bewertungen, schlaue Analysen und Entdeckungsreisen jenseits der autonomen Realität festschreibt, will uns auf ein rein mediales Verhältnis zur linksradikalen Bewegung festlegen.
Die radi soll als Medium auf zwei Füßen immer weiter wachsen. Sie soll einerseits helfen, neue Kriterien in den linksradikalen Diskussionen zu entwickeln sowie Widersprüche in den Debatten klären oder suchen. Andererseits muß sie zugleich in der Lage sein, ein realistisches - nicht durch die Brille einer Redaktionsgruppe verzerrtes - Abbild der linksradikalen Zusammenhänge aufzeigen zu können.
Das mag vielen müßig erscheinen, weil sie andere Interessen haben oder weil sie Schiß vor Stagnation haben. Aber wir wissen keinen anderen Weg, mit der Erkenntnis umzugehen, daß sich die radi an unterschiedliche Wissensstände richtet. Wir halten nichts davon, hinter jede Mobilisierung noch einen pädagogisch zurechtweisenden Kommentar zu hängen, wie es hätte besser laufen können. Zumal wir viel zu oft daneben liegen würden. Ein politisches Häufchen, das sich immer mehr in strategische, grundsätzliche Debatten oder Analysen verirrt, ohne bodenständig zu bleiben, d.h. ohne in einer permanenten Rückkopplung einzubeziehen, was vor Ort, an der Basis, in den einzelnen Regionen passiert, erstarrt und kann nicht radikal sein.
Deshalb wird es die O.L.G.A. auch weiterhin in einer eigenständigen Form geben, keine Frage.
Unter anderem die O.L.G.A. erinnert daran, daß wir hier eine Struktur zur Verfügung stellen - und sich niemand, der das Blatt mehr als einmal liest, nur zurücklehnen kann, um zu sehen, was die linksradikalen Kräfte wieder so alles treiben. Die häufig zitierte Passage aus unserem ersten Flugblatt nach dem bundesanwaltschaftlichen Manöver vom 13.6., "Wer ist die radikal?" entspricht dieser Vorstellung.
Genau darum geht es, wir alle sind es. Es geht hier um unsere Kommunikation untereinander. Es geht um die Kommunikation zwischen Jüngeren und Älteren. Diese wirkt im wesentlichen nicht nur als räumliche Trennung, sondern als soziale Konstruktion im Kopf. Resignierte und Hoffnungsvolle - Belesene und Betroffene - der Austausch zwischen den langfristig Denkenden und den spontan vor Ort agierenden. Damit wollen wir keine Schablonen aufmachen (es gibt sehr wohl viele, die beides auf Tasche haben) - aber dennoch sehen wir immer wieder, daß es erhebliche Kommunikationsschwierigkeiten untereinander gibt. Nicht zuletzt in der radi selbst.
Und natürlich geht es um die Debatte und die Entwicklung einer konstruktiven Streitkultur zwischen den unterschiedlichen politischen Ansätzen, genauso wie zwischen denjenigen, die unterschiedliche Methoden des Kampfes und der Aktion befürworten. Das alles gilt es wahrzunehmen, auch im Gefälle der regionalen Bedingungen.
In diesem Sinne ist auch die Darstellung der verschiedenen Stränge, die wir stellvertretend für die Phase 140-147 herausgegriffen hatten, ein konkreter Fall für eine O.L.G.A.-Kritik.
Wir erfassen hier in dem Buch aus unserer langen Beschäftigung mit Organisierungsansätzen und linksradikaler Geschichte nur die "großen" Themen (mal abgesehen davon, daß wir sie eh nur referiert haben, anstatt sie mit heutigen Positionen zu ergänzen), die Wichtigkeit suggerieren.
"Seht her, was wir als radi Wichtiges zu sagen gehabt haben" - in so einer Tendenz liegt immer auch die Gefahr, sich selbst am Aufwertungsspiel medialer Beweihräucherung zu beteiligen.

"Der Konflikt"

So, liebe Leute, jetzt müßte hier eine Aufarbeitung unserer heftigsten Auseinandersetzung aus heutiger Sicht folgen, die innerhalb der radikal Konsens ist. Solch eine Aufarbeitung gibt es aber nicht, deshalb haben wir uns für folgenden Weg entschieden. Zunächst einmal dokumentieren wir Beiträge, die dazu in der radi erschienen sind:
- drei Beiträge verschiedener Gruppen und Zusammenhänge aus der Nummer 146.
- das Flugi, welches den Austritt einiger Zusammenhänge bekannt gibt und die Rückkehr der radikal zur pragmatischen Arbeitsweise ankündigt. In etwa dasselbe Horn bläst auch das
-Intro der Nummer 148, welches den Abschluß der Dokumentation bildet.
Nach dieser Dokumentation folgt dann unter der Überschrift "Zum Konflikt aus heutiger Sicht" unsere Schlußfolgerung aus dem Ablauf des Konfliktes - dies ist ausschließlich die Sichtweise dieses schreibenden Zusammenhangs innerhalb der aktuellen radi-Zusammensetzung und somit in der Struktur undiskutiert.



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