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Wed Sep 25 23:29:06 1996
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"Die INTERIM finde ich übrigens völlig öde ... "
Ein Gespräch über autonome Medien
Frans: Mit der Einladung hatten wir euch allen ja so eine Art Fragen- oder
Themenkatalog geschickt. Als Einstieg in's Gespräch lese ich ein paar
Punkte einfach mal vor:
Wie haben sich die eigenen Projekte in den letzten Jahren verändert?
Welche Relevanz haben sie für die Linke bzw. die Gesellschaft insgesamt?
Was für eine Rolle haben Frauen in autonomen Medien? Wie steht es mit der
Resonanz? Dienstleistungsprojekt oder mehr? Wie sieht es mit dem Bezug der
autonomen Medienprojekte zueinander aus? Welche Erfahrungen gibt es mit
Repression? Wie ist Vermittlung oder Erzeugung von linkem Bewußtsein via
Medien überhaupt möglich? In welchem Verhältnis stehen Form und
Inhalt von Medien? Wie seht ihr die politischen Perspektiven, wo können
die Projekte in fünf Jahren stehen?
Marily: Ich finde, daß die Fragestellungen - mindestens bei mir - das
absolute Gegenteil von der Art sind, wie ich an Sachen herangehe oder wie ich
an Dingen arbeite, denn ich setze mich nicht hin und mache mir genaue
theoretische Gedanken, wie was ablaufen soll oder was mein Ziel ist, sondern
das passiert alles ziemlich spontan, ziemlich unerwartet und eigentlich ist es
immer mehr ein Reagieren auf Sachen, was ich mache. Deswegen muß ich
übrigens auch früher gehen.
Frans: Aber das liegt ja wahrscheinlich auch an dem Medium mit dem du
arbeitest, nämlich der Fotografie?
Marily: Ich meine auch den Umgang - vielleicht sollte ich euch ein Foto machen, um das zu erklären (lacht) -, aber ich möchte es doch in Worte
fassen. Es gibt einen anderen Blick als den theoretischen, nämlich:
hingehen und ansehen, was da ist. Ohne fertige Bilder im Kopf.
Sol: Es liegt vielleicht am Medium Fotoreportage, daß du dir nicht ganz
genau Gedanken machst, wie es nachher aussieht, aber wenn du eine Zeitung
machst, dann mußt du dafür sorgen, daß ein bestimmtes
Mischungsverhältnis zwischen Theorie, Reportagen, Musik, Kultur,
Interviews usw. rauskommt.
Marily: Das stimmt, aber die Mischung kann eh rauskommen, und bei Zeitungen
kannst du vorher auch überlegen, machst du sie für eine Zielgruppe
oder wegen der Sachen, die dir wichtig sind?
Frans: Findest du es falsch, es anders zu machen, oder nur unterschiedlich?
Marily: Ich mache das, was ich für wichtig halte und bin froh über
alle, die das gleiche gut und wichtig finden wie ich. Zielgruppendenken ist mir
fremd.
Pauline: Aber das ist doch auch ein Konzept, dein Konzept, so ähnlich wie
bei uns im Radio Sendungen auch entstehen. Und in dieser Runde ist das ein
Beispiel für unsere Unterschiede, über die wir uns unterhalten
können.
Frans: Erzähl doch mal, warum du jetzt weg mußt, weil das ja auch
typisch ist für deine Arbeit.
Marily: Neun Jugendliche aus Liberia sind als 'blinde Passagiere',
versteckt zwischen Kakaosäcken auf einem Schiff in Hamburg angekommen.
Drei von ihnen wurden direkt zum UG gebracht und die anderen sechs konnten wir
nach größeren Abenteuern auf dem Schiff abholen. Alle haben jetzt
einen Asylantrag gestellt. Das Photo habe ich aufgenommen kurz nachdem sie in
Hamburg waren. Sie haben Klamotten der philippinischen Seeleute an und bedanken
sich mit diesem Photo bei der Besatzung. Und seit Tagen bin ich eigentlich nur
damit beschäftigt. Alles andere ist jetzt weniger wichtig.
Willi: Ich finde wichtig zu sehen, daß Autonome, diese verschwommene
Linke, bei Medien nur an Information, also an Vermittlung von Wissen denken,
und das ist ein Unterschied zu dem was Marily sagt. Denn das ist ein eigenes
Bedürfnis nach Ausdruck, da geht es nicht unbedingt um klassische
Aufklärung über die Verhältnisse. Gerade Printmedien dealen mit
Wissen, was möglichst klar, und nicht pointiert oder assoziativ
rüberkommen soll. Bloß nicht mal was anderes! ... Wir als
PlakatmacherInnen arbeiten ja eher zwischen dem, wie Marily es sieht, und
Informationsvermittlung.
Marily: Wichtig ist mir, parallel zu praktischer Arbeit mit Flüchtlingen
die Fotos zu zeigen, dieses Problem der 'Blinden Passagiere', das fast
niemand kennt, zu vermitteln. Ich habe ein Riesenbedürfnis, das zu
vermitteln. Nicht es für mich alleine zu machen, sondern andere
einzubeziehen.
Sol: Bei Fotos hast du ja auch sehr den künstlerischen Aspekt ...
Marily: ... also da weigere ich mich, das als künstlerisch zu bezeichnen
(lacht) ...
Sol: ... da hast du ja Prioritäten, Flüchtlingsarbeit oder
Fotografieren ...
Marily: ...nee, das ist eins für mich.
Sol: Okay, ich meine nur, daß z.B. während des Kaindlprozesses acht
Monate lang keine Arranca erschienen ist, weil unsere Priorität da
logo war, unsere Genossin und die anderen Leute rauszuhauen. Und was Willi zu
den Printmedien meinte, es war bei der Arranca immer wichtig, auch
Kulturelles drin zu haben und nicht streng das Aufklärungskonzept zu
verfolgen, wo du den Leuten die Welt erklärst und sie dann verstehen, wie
böse alles ist, und sie dann anfangen, alles zu ändern. Wir haben
z.B. Fotoseiten, und Grafik/Layout hat bei uns ja auch einen hohen Stellenwert,
aber bei den meisten autonomen Medien gebe ich dir schon recht.
Traute: Ich finde es falsch, zu trennen zwischen Fotografie, Printmedien usw.
Es kommt sehr auf die Haltung an, die dahintersteht. Einerseits mußt du
sehen, was ist da, und andererseits auch, wozu haben wir Lust und Interesse was
zu machen. Zu trennen zwischen denen, die ein Foto machen, und denen, die lange
Artikel schreiben, wäre verkehrt.
Pauline: Wie soll da sonst auch ein Radio als Medium einsortiert werden? Im
Radio willst du als Machende etwas vermitteln oder informieren, aber ich bin
als Interviewende ja auch aktiv. Der politische Aspekt dessen, was du selber
willst, ist also drin. Da geht es dann nicht nur um die Zielgruppe.
Jule: Bei uns entstehen Sendungen oft so, daß eine gerne Themen wie
'Frauen in der Musik' machen will, ohne vorherige feste Vorstellung, was
dabei rauskommt. Es können Interviews werden, es kann eher theoretisch
werden oder einfach eine Musiksendung - das ist je vom persönlichen Ansatz
und Interesse der sendungproduzierenden Frauen abhängig, und es wird
entscheidend von den Interviewpartnerinnen mitbestimmt.
Pauline: Für unser Radio ist es typisch, daß wir uns bisher an
klassischen Formen der Informationsvermittlung orientieren, aber damit haben
wir ganz viele Möglichkeiten, Radio zu machen, noch nicht verwirklicht. Du
fängst erstmal mit dem machbar Erscheinenden an, ob du nun geschriebene
Texte verarbeitest oder Interviews, das sind die Anfänge, aber es kann
noch viel mehr sein.
Frans: Wie geht ihr als Infoladen damit um, ihr produziert ja keine Texte oder
Sendungen?
Ella: Für uns passen diese Punkte aus dem Themenkatalog für dieses
Gespräch ganz gut in unsere Diskussionen, weil wir in erster Linie
informieren wollen und darüber diskutieren, was wir eigentlich verbreiten
wollen, an wen wir rangehen wollen. Dabei immer die Frage: Sind wir ein reiner
Dienstleistungsbetrieb, oder können wir selber Diskussionen in gewisse
Bahnen lenken, antreiben.
Sol: Mir fällt es schwer, nur über das Medium Arranca zu
reden, denn ohne f.e.l.s würde es die Arranca nicht geben. Viel von
dem Inhalt der Arranca sind f.e.l.s-Diskussionen. Die Arranca ist
also keine losgelöste Zeitung. Und ein Kriterium, zusätzlich zu den
genannten - wozu habe ich Lust, was ist interessant - ist: Was ist politisch
wichtig. Wir überlegen schon, was wollen wir an Diskussionen anschieben.
Also keine absoluten Weisheiten, es sind ja auch konträre Positionen in
der Arranca, wo wir uns selbst nicht einig oder unsicher sind. Wir
wollen aber keine Zielgruppenzeitung machen, wir suchen uns keinen Sektor, den
wir bedienen wollen. Aber wir haben bei theoretischen oder politischen Texten
den Anspruch, daß sie auch für Leute verständlich sein sollen,
die sich nicht seit Jahren täglich damit beschäftigen. Bei Literatur
oder Kultur ist das natürlich anders. Du kannst einem Dichter nicht sagen:
"Schreib dein Gedicht einfacher!"
Frans: Habt ihr als Plakatgruppe eigentlich auch diesen Anspruch auf
Verständlichkeit und 'Breitenwirkung'?
Traute: Wir haben uns immer wieder als Maxime gesetzt, wegzuwollen von dem, was
sonst so auf der Straße als 'autonomes Plakat' klebt. Wir wollen
ein Spektrum erweitern oder Sachen ausprobieren, also wie neue Formen der
Gestaltung aussehen können. Vieles fanden wir langweilig und unleserlich,
wie diese schlechtkopierten Schnipselplakate. Wir wollen vermitteln, aber
manchmal haben wir einfach Lust, was Schönes zu drucken, z.B. ein Plakat,
was auf die Beverly-Hills-TV-Seifenoper Bezug nimmt, und verbinden das mit dem
monatlichen Veranstaltungskalender der Roten Flora.
Pauline: Wir reden gerade über zwei unterschiedliche Fragen. Die eine ist,
will ich etwas vermitteln, Information rüberbringen, und das andere ist
die Frage nach den eigenen Inhalten und Interessen. Das eine ist eine Debatte
darüber, inwieweit das Medium vermitteln kann oder was Vermittlung ist.
Und das andere ist die Frage, was in autonomen Medien für Inhalte laufen.
(Marily zeigt ein Flora-Plakat mit der Überschrift 'Die Dame wirft den
Frechling durch Beinwegzug zu Boden', darüber sind zwei entsprechende
historische Fotos abgedruckt und darunter die monatlichen Termine der Roten
Flora.)
Willi: Dieses Plakat reagierte auf eine heftige Sexismusdebatte, alle fanden es
dufte. Aber mir ist es zu populistisch, wir wollten eigentlich mehr anecken in
der Szene. Es ging uns beim Beverly-Hills-Plakat auch darum, die
eingeschränkte Wahrnehmung von dem, was die Rote Flora ist, zu erweitern.
Also zu sagen: Ihr seht diese Sendung doch, also macht was mit dem, was ihr
außerhalb der Flora erlebt, und lebt nicht nur auf eurem autonomen
Planeten. Blickerweiterung finde ich ziemlich wichtig. Durch unsere Plakate
wird die Flora ja auch neu und anders identifiziert.
Traute: Wir haben übrigens auch unsere Gruppentreffen, wo es logo um
anderes als bei einer Zeitungsredaktion geht, aber von der Organisation der
Gruppe her ist der Unterschied zu einer Zeitungsredaktion nicht so groß.
Finn: Euer Vorteil ist ja, daß ihr jeden Monat ein Plakat macht ...
Willi: Das ist eher ein Problem, wir müssen jeden Monat eins machen, und
seit dem Brand der Flora sind wir auch am Bauen und kommen zu gar nichts mehr.
Die konzeptionelle Idee war mal, nicht klassische Werbung für die Flora zu
machen, sondern wir halbieren die Plakate und suchen uns irgendein Thema, was
uns paßt, und darunter setzten wir die Termine in der Flora.
Frans: Es geht jetzt nur um Plakate, aber ich will mal fragen, ob ihr hier
meint, daß es ein Medium gibt, also Plakat, Zeitung, Computer usw. was
eher von links aus nutzbar ist als von rechts. Oder ist Medium generell
neutral? Gibt es ein Medium, das originär links ist?
Marily: Die Medien sind genauso politisch wie die Menschen, die sie machen. Es
ist nur ein Werkzeug.
Pauline: Ein Medium wird dann links, wenn die Struktur oder Organisation und
was mit ihm gemacht wird, entsprechend ist. Radio z.B. gibt es als privates,
öffentlich-rechtliches und freies Radio, und alle Inhalte der Gesellschaft
von rechts bis links finden sich da wieder. Aber es gibt kein privates Radio
mit direkter Beteiligungsmöglichkeit, und es gibt kein freies Radio, wo es
einen Chef gibt.
Ella: Medien werden für Propaganda gebraucht und Geschichte hat ja
gezeigt, wie Medien von rechter Propaganda genutzt werden können, und
deswegen sind sie erst mal neutral und sie müssen inhaltlich besetzt
werden.
Frans: Es gibt aber Medien, die eher sinnlich-sozial sind, die Leute eher
organisieren und zusammenbringen, und es gibt Medien, die eindimensional ohne
Menschenbeteiligung funktionieren.
Sol: Ich denke nicht, daß Medien grundsätzlich neutral sind. Das
Spektrum reicht ja von Zeitungen und Zeitschriften über Radio, Fernsehen,
CD-Rom, Internet, Film, Video oder SoundSystems usw. Und da gibt es Medien, die
eher dafür prädestiniert sind, einen Austausch mit Teilnahme und
Kommunikation zu ermöglichen als andere. Es hängt auch sehr von der
Machart der Medien ab ...
Willi: ...aber dann ist es nicht mehr das Medium ...
Sol: ... doch, weil du hast in einer Wochenzeitschrift eher
Eingriffsmöglichkeiten als in einer Halbjahreszeitung, die von der
Redaktion selbst fertig gemacht wird. Du hast bei einem Live-Radio eher
Möglichkeiten, dich zu beteiligen, als bei einem Fernsehprogramm, bei dem
Tapes vorproduziert und abgespielt werden. Du kannst evtl. beim Internet mehr
Möglichkeiten zum Intervenieren haben als bei BTX, wo du nur abrufen
kannst.
Jule: Der Unterschied ist z.B. der, daß wir beim Flora-Brand entweder ein
Interview mit Flora-Leuten machen können, oder aber wir setzen uns ohne
die Flora-Leute hin und erzählen selbst was ins Mikro.
Finn: Aber neben der Form - Interview oder Bericht - stellt sich ja auch die
prinzipielle Frage der Zugangsmöglichkeiten. Alleine von den technischen
Nutzungsvoraussetzungen her. Fernsehen oder Video wird nur von ganz wenigen
genutzt, da stellt schon allein die Beherrschung der Technik für viele
Leute ein kaum zu überwindendes Hindernis dar. Auch bei Plakaten ist es
nicht so einfach, es kann nicht jedeR mal eben ein Plakat entwerfen und
drucken. Manche Medien sind da, so wie sie angelegt sind, einfacher
zugänglich, auch vom finanziellen Aufwand her. LeserInnenbriefe an
häufig erscheinende Zeitungen können viele Leute leicht nutzen,
Flugblätter sind billig und leicht zu machen.
Traute: Was heißt eigentlich Öffentlichkeit? Sind das die, die das
Medium machen, oder geht es darum, etwas für die Öffentlichkeit
zugänglich zu machen. Plakate, Demos oder das, was auf der Straße
stattfindet, sind doch zugänglicher als eine Zeitschrift. Wer zu Hause
vorm PC sitzt, braucht viele Voraussetzungen, Geld und Wissen. Toll, auf die
andere Seite der Welt damit zu kommen, aber Öffentlichkeit - Inhalte - zu
transportieren, hängt davon ab, wie du Leute erreichen kannst, wie du es
da präsent machen kannst, wo die Leute rumlaufen.
Frans: Wie macht ihr im Infoladen das? Ihr müßt doch etwas unter die
Leute bringen.
Ella: Das sind simple Sachen erst mal, z.B. wie oft wir was nachkopieren oder
ob bestimmte Texte vorne ausliegen oder was ins Fenster kommt, welche Plakate
und Flugblätter wir aushängen. Also die generelle Überlegung,
wofür wir mobilisieren wollen.
Sol: Aber erst mal müssen die Leute im Laden drin sein ...
Ella: ... klar, deshalb machen wir mehr Werbung, kleine Handzettel sowie
Büchertische auf Veranstaltungen und Konzerten. Oder von den
überregionalen Infoladentreffen aus gab's mal ein Plakat, was in allen
Städten hing.
Frans: Ein anderer Punkt, wo seht ihr die Relevanz eurer Projekte für die
Linke und die Gesellschaft insgesamt? Ist das ein ganz marginales Eckchen,
bedient ihr nur die Szene oder doch mehr? Ist das eigentlich wichtig, was ihr
macht?
Marily: Bei meinen Fotos weiß ich das gar nicht, sicher sehen sie viele
Leute, wenn sie in der taz oder so abgedruckt werden, aber ohne die
Fotos würde die Praxis auch laufen, oder? Das ist schwer
einzuschätzen, wenn du selber drinsteckst.
Ella: Früher waren wir in einem Stadtteil ohne Copyshop, aufgrund unseres
Kopierers kamen auch Nicht-Szenemenschen in den Laden. Jetzt ist es so,
daß eh hauptsächlich Jüngere kommen und daß sie eher
durch so Sachen wie kleine Spuckis in den Laden kommen und dadurch auch
Bücher oder Zeitungen in die Finger bekommen. Dafür hat der Laden
sicher seine Relevanz.
Pauline: Radio ist eine totale Chance, weil es direkt ins Haus geht, du
mußt zum Zuhören nicht erst irgendwohin gehen. Du mußt auch
nicht in irgendeiner Struktur oder Szene sein. Radio spricht Einzelpersonen an,
die es nutzen können oder nicht. Zur Zeit senden wir in einem Fenster des
offenen Kanals, umrahmt von Hobby-DJs und Christfunk. Das paßt gar nicht
zu freiem Radio, und unsere Reichweite ist dadurch sehr eingeschränkt.
Eine andere - eigene - Frequenz, wo seit zehn Jahren für gekämpft
wurde, würde unsere Relevanz verändern.
Finn: Ich denke, die Relevanz der Computernetze ist im Moment trotz des ganzen
Hypes und Medienspektakels, das um sie gemacht wird, doch ziemlich gering. Und
das gilt im allgemeinen und speziell auch für die 'linke' Nutzung
der Netze. Ausnahmen sind vielleicht Spezialgebiete wie die
Lateinamerikasoliarbeit oder die Internet-Seite der radikal. Wichtig ist
da aber, daß z.B. die Möglichkeiten des Internet nur dann eine
Relevanz bekommen, wenn man sich nicht auf sie beschränkt. Ohne das
Transparent auf der Demo und ohne die Hinweise in den Szenezeitungen hätte
ja niemand etwas von der radikal im Internet gemerkt. Jetzt aber
können Leute die radikal lesen, die die Zeitung sonst nicht kriegen
können oder nur mal reinsehen wollen.
Sol: Es wirkt jetzt so, als stünden die Medienprojekte gegeneinander.
Arranca z.B. hat eine bestimmte Funktion, keine Massenzeitung mit
riesiger Reichweite, aber sie soll Diskussionen bei den Linken anschieben, die
eine politische Praxis haben. Aber wir machen mit f.e.l.s auch Demos,
AnwohnerInnenflugblätter, Veranstaltungen und Konzerte, auch Plakate und
vereinzelt Radio, was über Kabel in Berlin bloß keine Reichweite
hat. Kommunikation kann ja auf vielen Ebenen stattfinden, was wir auch nutzen
sollten. Wir wollen auch sprachlich mehr als die alte Szene erreichen. Von
jungen Antifas bis zum linken Gewerkschaftsspektrum, oder KünstlerInnen
mit linken Ansatz, aber insgesamt ist es schwer einzuschätzen, wen wir
eigentlich erreichen.
Marily: Sol, du hast vorhin gesagt, ihr bemüht euch um eine einfache
Sprache, das hat sowas 'von oben', was mir nicht gefällt ...
Sol: ... ich meinte verständliche Sprache, also nicht so ein Politslang
und keine akademische Sprache. Wenn wir z.B. einen Artikel zu Medizin drin
haben, dann muß der auch für medizinische Laien lesbar sein, denn
mit denen wollen wir ja diskutieren. Es zählt nicht das akademische
Wissen, sondern die Erfahrungen, auf deren Ebene ich kommunizieren
möchte.Ich könnte z.B mit vielen MigrantInnen nicht diskutieren, wenn
ich nur einen hochakademischen Diskurs über multiethnische
Identitäten oder sonstwas wiederkäue, da hätte ich auch gar
keinen Bock drauf.
Traute: Von wegen Sprache und für wen du ein Medium machst: Als
Druckgruppe ist uns wichtig, was wir gerade interessant finden oder was wir
gerade Lust haben zu vermitteln, und wir hoffen, daß es gerade dadurch
Leute anspricht. Wir haben z.B. zum 8. Mai Texte kopiert und geklebt, denn wir
wollten nicht nur Parolen rausbringen, sondern haben ganze Texte von
KZ-Überlebenden genommen und auf große weiße Flächen
geklebt, zum Teil mit Bildern, aber du mußtest stehenbleiben, um es zu
lesen. Leider sind diese Plakate auch von Linken und Antifas überklebt
worden, dabei waren diese Texte antifaschistisch. Das wurde von denen, die da
überklebt haben, anscheinend gar nicht wahrgenommen. Was du vermitteln
willst und was ankommt, ist also sehr relativ in der Praxis.
Willi: Es gibt immer das Problem der Form. Was mich interessiert:
Beschäftigen wir uns überhaupt mit der Form, oder gibt es gar ein
Dogma, das eine bestimmte Form politisch vorschreibt? Es gibt m.E nicht eine
Form, in der alles erklärbar ist. Linke machen sich darüber zu wenig
Gedanken. Manche Beiträge, z.B. in der Zeck (autonomes Hamburger
Infoblatt, Anm.) sind dermaßen schlecht gestaltet und geschrieben, oder
im freien Radio so flach vorgelesen, daß es nicht zum Aushalten ist.
Frans: Diese ganze Trennung zwischen Form und Inhalt ist ja eine
künstliche, denn kein Inhalt kommt ohne Form rüber, und eine Form,
die keinen Inhalt hat, ist absolut leer, ist gar nichts. Das Verhältnis
zwischen Form und Inhalt ist es, was oft nicht stimmt.
Ella: Wenn man politische Diskussionen voranbringen will, dann muß man
aber auch jedeR die Chance geben, was zu schreiben, auch wenn es von der Form
her nicht überwältigend ist, d.h. der Schreibstil zu wünschen
übrig läßt. Es geht da um Beteiligungsmöglichkeiten ohne
vorher Anspruchhürden hochzuziehen.
Frans: Daß Texte der oft bemühten Antifa-Kids literarisch auch mal
schlecht und ihre Plakate vielleicht nicht immer ästhetisch sind, ist ja
klar, aber es wäre elitär, ihnen deshalb irgendeine Beteiligung an
Diskussionen und Praxis zu verweigern ...
Sol: ... ich finde das, was 30jährige Autonome schreiben oder layouten oft
viel schlimmer anzusehen als das, was Antifa-Kids machen (Gelächter).
Willi: Es geht ja um den linken Kodex, der vorgibt, wie was auszusehen hat und
wie du was über welches Thema zu schreiben hast. Das ist dann immer das
gleiche.
Frans: Wo kommt denn der linke Kodex her, ist das der gleiche wie ein
bürgerlicher oder wo kommt der her?
Traute: Es gibt genauso eine linke 'heimelige Wohnstube' wie bei unseren
Eltern. Wir wollen da doch raus und uns in der Gesellschaft bewegen. Aber viel
passiert doch so, daß es Raster gibt, in die alles reinpassen muß
und kaum jemand sich darüber hinaus traut. Antifa-Kids, egal ob's
gefällt, experimentieren da mehr.
Willi: Als Beipiel für einen Kodex fallen mir die ganzen 'Antis'
ein, die unter einen Text gehauen werden, aber die im Text überhaupt nicht
erfahrbar sind. Was das sein soll, ist als alltägliche Erfahrung nie drin.
Es dringt nie durch die Haut des Lesers, es sind nur tote Steine im Regal, wo
dann 'Antisexismus', 'Antirassismus', 'Antikapitalismus'
draufsteht.
Pauline: Da geht's wohl oft um Zusammenhalt einer Gruppe durch eine bestimmte
gemeinsame Form, weniger um das Erreichen anderer.
Zusammengehörigkeitsgefühl zu einer bestimmten Gruppe zu fördern
scheint da wichtiger als eine Debatte über Antirassismus in der ganzen
Welt. Geht es um Kommunikation mit Personen, die den autonomen Ausweis noch
nicht in der Tasche haben und alle Ismen drauf haben, oder geht's nur noch um
gegenseitige Bestätigung scheinbarer Gewißheiten?
Hild: Es ging vorhin um sowas wie Exklusivität und um
Rollenfestschreibungen, z.B. daß die Zeck so aussieht, wie sie
aussieht, und bestimmte Erwartungen bedient. Ihr alle benutzt ja eure Medien,
ob Radio, Zeitung oder Plakat auf eine Art, die exklusiv ist. Sie stehen euch
zur Verfügung und anderen stehen sie nicht zur Verfügung. Da ist die
Frage, wieweit könnt ihr euch öffnen, daß andere diese Medien
benutzen können? Sucht ihr bewußt andere Leute zum Mitmachen zu
bewegen? Und was erwächst aus Eurer Möglichkeit, die Medien bedienen
zu können? Erwächst aus dieser Verfügungsgewalt eine
Verantwortung für die Inhalte, die ihr transportieren wollt, oder nicht?
Und wo wird euch als Plakatleuten eine Rolle zugeschrieben, wo werdet ihr auf
etwas festgeschrieben bzw. je nach Medien in Schubladen gesteckt?
Frans: Wir sollten da zwei Sachen rausnehmen: einmal die
Teilnahmemöglichkeit an den Medienprojekten und zum anderen, ob ihr
aufgrund eurer Verfügungsgewalt eine Verantwortung habt für die
politischen Inhalte?
Jule: Wir als Radio wollen ja gerade von der Exklusivität weg. Als
Frauenprojekt wünschen wir uns, daß Frauen selber Sendungen machen
oder sich mehr daran beteiligen. Im Radio- oder Fernsehbereich sind
Frauenstimmen viel zu wenig zu hören, und wir wollen das ändern. Wir
haben Frauenprojekte, z.B. welche, die zu Frauengeschichte arbeiten, wegen
gemeinsamer Sendungen und Sendekonzeptionen angesprochen. Generell kann jede
bei uns mitmachen. Allerdings wird das bisher zu wenig wahrgenommen.
Pauline: Inhaltlich sind wir natürlich nicht völlig freischwebend und
offen für alles Mögliche. Wir haben zwar keine festgeschriebene
Definition von dem, was Feminismus ist, und wir setzen uns auch aus
verschiedenen Frauen zusammen, die das verschieden füllen. Bisher ist es
nicht vorgekommen, aber es ist schon möglich, daß mal Frauen zu uns
kommen, die politisch anders drauf sind, und dann würde es Diskussionen
geben, ob wir für die auch offen sind. Bei der Exklusivität will ich
noch etwas ganz Wichtiges ergänzen, daß Radio ein Medium für
Leute ist, die sonst kein Medium haben. Ganz viele andere Sprachen, Gruppen von
MigrantInnen, die sonst kein Medium haben, können zu Wort kommen. Radio
Lora in Zürich oder Radio Dreyeckland haben z.B. Programme in fast zwanzig
Sprachen.
Frans: Wie ist es beim Infoladen mit Exklusivität und Zugänglichkeit?
Ella: Na ja, das ist schwierig, denn wir sind ein Laden für die Szene,
bzw. die macht den Laden und bestimmt den auch. Es ist schon so, daß der
Laden sich aus verschiedenen Spektren zusammensetzt wie Antifa oder
Internationalismus, und wir haben auch Tage, wo nur Frauen den Laden machen und
reinkommen, oder den Antifa-Jugendfront-Tag. Es gibt mehrere Gruppen, die
mitmachen, und die 'Schwelle', in den Schwarzmarkt zu gehen, ist schon
niedriger geworden, aber immer noch nicht niedrig genug, selbst wenn inzwischen
bei uns so was wie ein SchülerInnenpraktikum möglich ist. Und
politische Verantwortung hat der Laden für uns sowieso, ganz klar.
Finn: Die Frage von Zugänglichkeit und politischer Verantwortung stellt
sich bei den Computernetzen - glaube ich - ganz anders. Zugänglichkeit ist
erst mal ein technisches Problem. Bisher haben einfach noch wenige aus der
Szene einen Internetzugang, und die Scheu vor der Technik ist doch ziemlich
groß. In Berlin gab es da im Frühjahr mit dem Internet-Cafe eine
sehr gute Initiative, mit der versucht worden ist, das Internet erst mal
vorzustellen und neue Leute an das Medium heranzuführen. Die
Zugangsschwelle könnte viel niedriger als bei einer Szenezeitung oder
einem Infoladen sein, weil du da nicht solche Vorbedingungen an szenetypischem
Verhalten und Wissen mitbringen mußt. Da im Gegensatz zu anderen Medien
viel mehr Einzelpersonen ihre Meinung im Netz äußern, wird da ganz
viel veröffentlicht, ohne daß sich Gedanken über politische
Verantwortung gemacht werden. Aber das ist auch der großen
Anonymität des Mediums geschuldet, die NutzerInnen sind ja nicht greifbar.
Andere gehen mit dem Internet wie mit einem Zeitungsprojekt um, wie die
Infogruppe Hamburg oder der Informationsdienst Schleswig Holstein, die im
Grunde mehr oder weniger eine Zeitschrift oder ein Archiv in den Computer
verlagern. Die haben einen ähnlichen Ansatz und politische Verantwortung
wie Zeitschriftenleute.
Traute: Diese Computerfeindlichkeit der Szene hängt sicher nicht nur mit
fehlendem Geld zusammen. Ich denke, damit wird viel zu wenig gearbeitet, und
ich fände es gut, damit offensiver umzugehen.
Willi: An sich sind wir eine offene Werkstatt, Leute können bei uns
drucken. Wir stellen da nur Know-how und Geräte zur Verfügung.
Beteiligung aller am Medium, so nach dem Motto: das ist das Schönste, was
die Autonomen anbieten können, klingt zwar gut, aber wenn die Leute mit
dem Medium nicht so gut umgehen können, leider oft auch nicht daran
interessiert sind, besser damit umgehen zu lernen, ist das so einfach nicht.
Viele wollen ein Plakat für einen Anlaß und sind wieder weg.
Pauline: Frauen haben leider oft eine große Scheu vor den technischen
Hürden beim Radiomachen. Da ist es wichtig, daß wir mehr beim
Sendungmachen helfen.
Jule: Im Radio entsteht ja bei Livesendungen etwas im Prozeß des Machens.
Das macht das Direkte und Authentische am sogenannten Betroffenenradio aus.
Sol: Oft ist reines 'Betroffenenradio' nicht hörbar, nur eine tolle
Selbsterfahrung für die, die es machen ...
Jule: ... muß eigentlich alles hörbar in dem Sinne sein, oder kann
es für die im Studio auch ein Experiment sein, das das Kriterium der
Hörbarkeit gar nicht erfüllt?
Sol: Da würde ich auf die Verantwortung zurückkommen. Wenn du ein
Medium hast, was andere nicht haben, dann mußt du damit auch was
politisch machen, dann will ich nicht nur Musik oder das hören, worauf die
am Regler gerade Bock haben.
Willi: Was heißt eigentlich Verantwortung? Das muß schon
ausgefüllt sein.
Sol: Verantwortung heißt für mich, daß du ein Medium nicht als
dein persönlich-privates Teil nutzt, sondern daß es in einem
politischen Rahmen steht und du auch nicht als Einzelperson damit arbeitest,
sondern eingebunden bist in ein Kollektiv, du Diskussionen hast und das alles
wiederum als Teil einer größeren Bewegung siehst. Die Arranca
ist ja nicht unser Parteiblatt, und das ist hoffentlich auch ersichtlich. Bei
Radio hieße das, daß nicht nur die Gruppen angesprochen werden, die
sich eh kennen, sondern daß ein breiterer Kontext da ist, der
Kommunikation ermöglicht.
Pauline: Da kommt der Punkt der Nutzung rein, also ist die Bereitschaft
vorhanden, sich auf dieses Medium einzulassen und es zu nutzen? Es ist leider
sehr anstrengend, Leute zu motivieren, überhaupt mal was anderes
auszuprobieren, für sich als Form etwas anderes zu wählen als z.B.
ein Flugblatt.
Hild: Dem Radio wird eben die Rolle zugewiesen, hörbar zu sein, aber die
anderen Medien wie Grafik oder Zeitung bekommen viel mehr Spielraum für
Ausdruck zugestanden. Es gibt ja auch Versuche wie Radio Patapoe, die
experimentell sind ...
Finn: ... das hat aber einen ganz anderen Sinn, konträr zu jedem
Informationsvermittlungskonzept. Da wird ja reines Rauschen gesendet, und es
werden überhaupt keine Inhalte vermittelt, ein interessantes Experiment
eher.
Jule: Das hat viel mit Hörgewohnheiten zu tun, die meisten von uns kennen
Radio nur als Hintergrundmucke im Auto oder Radionachrichten. Es kann dich aber
vielleicht auch zum Zuhören zwingen, wenn du in den Sendungen diese
Gewohnheiten durchbrichst. Freies Radio hat ja den Anspruch, bewußt
gehört zu werden, in einer visualisierten Welt, bei der nur ganz wenig
noch übers Ohr läuft. Im Extremfall heißt das dann: Hör zu
- oder schalt ab! Aber so dogmatisch ist es bei uns nicht, es gibt auch bei uns
im freien Radio VerfechterInnen des 'besseren Dudelfunks'.
Sol: Zu der Offenheit der Arranca noch mal. Wir hatten damals gar nicht
vor, eine Zeitung zu machen. Wir hatten alle größeren linksradikalen
Zeitungen angeschrieben und gesagt: Wir sind die Leute, die das und das gemacht
haben und vorhaben, wir sind daran interessiert, was zusammen mit euch zu
machen. Entweder gab's gar keine Reaktion, z.B. wie beim ak, der jetzt
Leute einbinden will, um sein Überleben zu erleichtern, oder wir haben gar
keine Offenheit für uns als 'Neue' gefunden und deshalb unsere
eigene Zeitung gemacht. Die Redaktion von Arranca ist wie jede AG von
f.e.l.s. offen, Leute können da also hinkommen. Es gibt allerdings ein
Konzept, was einen gewissen Rahmen vorgibt, irgendeine stalinistische Sekte
wird sicher keine Chance kriegen, dort einzusteigen. Alle Schwerpunktartikel
werden besprochen und diskutiert, also von der Redaktion gestaltet.
Frans: Wie sieht eigentlich die Binnenstruktur eurer Projekte aus, sind es
Kollektive? Wie arbeitet ihr zusammen, hat das Auswirkungen auf eure Praxis?
Ella: Da hat sich einiges geändert. Zunächst war der Schwarzmarkt ja
ein Buchladen, die Infoladengruppe ist erst Ende der 80er Jahre entstanden. Es
gibt ein wöchentliches Plenum, und da geht es viel um Technix, was
bestellt und geregelt werden muß usw., aber es gibt auch inhaltliche
Diskussionen, früher haben wir sogar selbst Papiere verfaßt, in
denen wir in bestimmten Diskussionen Stellung bezogen haben. In unseren
Diskussionen war es schon eine Frage, ob wir überhaupt eine politische
Gruppe sind und uns gemeinsam verhalten können. Das ist inzwischen
auseinandergerückt, die einzelnen machen die Tage im Laden, und die
Tagesgruppen gehören auch enger zusammen, aber das Gesamttreffen ist ein
reines Techniktreffen. Außerdem wird der Frauentag von einer eigenen
Frauengruppe gestaltet, die zum Plenum nur delegiert. Genauso wie die
Antifa-Jugendfront einen Tag gestaltet und mit Delegierten auf dem Plenum
sitzt.
Frans: Wenn Ihr als Schwarzmarkt an die Öffentlichkeit geht, wird
das kollektiv beschlossen?
Ella: Mehr oder weniger, manchmal tun das die einzelnen Tagesgruppen für
einzelne Bereiche, aber es soll versucht werden, es kollektiv hinzukriegen. Es
wird z.B. gemeinsam besprochen, welche politischen Gruppen bei uns ein Fach
bekommen oder auch nicht.
Sol: Die Arranca -Redaktion ist wie f.e.l.s. ein Kollektiv, und
zumindest die Schwerpunktthemen werden vordiskutiert und im f.e.l.s.-Plenum
vorgestellt. Wenn`s geht, werden auch die Artikel von AutorInnen
außerhalb der Redaktion gemeinsam mit ihnen diskutiert. Es ist aber nicht
so, daß alle Artikel von allen inhaltlich geteilt werden müssen.
Nach Erscheinen wird jede Arranca, Inhalt, Mischung, Grafik, im
Gesamtplenum von f.e.l.s nochmal besprochen.
Jule: Bei Paula gibt es eine Plenumsstruktur, auf der wir in erster Linie
Organisatorisches besprechen, was durch die wöchentliche
Sendungsproduktion anfällt. Aber wir diskutieren auch über das, was
im FSK generell läuft, wozu wir als Paula was einbringen wollen. FSK
besteht ja aus verschiedenen sendungsmachenden Radiogruppen und externen
Gruppen, die sowas wie die 'öffentliche Meinung' vertreten, wie z.B.
die Hamburger Frauenzeitung, oder Rock-City, Hamburger
Studienbibliothek, die sich als politisches Plenum des FSK verstehen und die
Inhalte und Sendezeiten mitbestimmen wollen. Inhaltliche Diskussion findet eher
in der Form statt, daß wir nachträglich unsere Sendungen besprechen.
Aber vorab gibt es keine inhaltliche Diskussion zu Themen, die kommen sollen.
Pauline: Solche Diskussionen laufen in der Gruppe, die die Sendung produziert,
die sich für dieses Thema bildet. Es gibt aber ein diskutiertes Statut des
FSK, was die Inhalte betrifft, also z.B. keine sexistischen Inhalte zu
senden.
Willi: Bei uns sieht es so aus, daß wir seit sieben Jahren als Gruppe
relativ kontinuierlich in der Flora sind, und unsere Plakate werden als Idee
gemeinsam diskutiert, aber die Umsetzung - wie transportieren wir den Inhalt
usw. - klappt manchmal nicht. Das hängt oft daran, wer Lust und Zeit hat,
etwas zu machen, da sitzen dann eher zwei, drei Leute zusammen. Gedruckt wird
es gemeinsam und geklebt auch. Es gibt ein gemeinsames Vertrauen darin,
daß das, was die einzelnen machen, auch in Ordnung ist und wir es als
Gruppe auch so lassen können.
Traute: Bei uns finde ich noch gut, daß wir alles machen, vom Entwurf bis
zum Druck, und daß sich beim Drucken noch etwas verändern kann. Das
unterschiedliche gestalterische und technische Wissen der einzelnen macht
einerseits die Gruppe aus, andererseits gibt es darum immer wieder Konflikte.
Einige studieren oder haben sich beruflich mehr mit Gestaltung und Drucken
beschäftigt als andere. Das führt dann oft dazu, daß der Raum
zum Ausprobieren stillschweigend beschnitten wird.
Pauline: Die Radiogruppen sind offen für alle, und neue Gruppen
können zum FSK-Plenum kommen und versuchen, einen Sendeplatz als Gruppe zu
erhalten. Bei manchem Themen kooperieren wir mit bestehenden Gruppen, wenn wir
sie im Radio vorstellen wollen, oder z.B. eine kommende Sendung zu Sextourismus
und Frauenhandel, die wir zusammen mit Frauen machen, die zu dem Thema schon
länger arbeiten. Diese Idee kam auch eher von denen als von uns selbst.
Finn: Vielleicht noch stärker als bei den Freien Radios verwischt sich die
Trennung zwischen AnbieterInnen und NutzerInnen in den Computernetzen. Es gibt
natürlich auch da Gruppen, die eher kollektiv organisiert sind, vor allem
im linksradikalen 'Computer-Infogruppen'-Bereich. Dazu kommen aber
massenhaft Einzelpersonen, die ja zum größten Teil nicht aus der
Linken kommen und ihre Meinung zu allen möglichen Themen
äußern. Die Einzelpersonen spielen eine wesentlich
größere Rolle als in den anderen Medienbereichen.
Jule: Bei Paula ist es so, daß keine Profi ist, keine kommt aus dem
Medien- oder Technikbereich, und es ist für die Binnenstruktur wichtig, zu
sehen, daß dort auch ohne Zugangsvoraussetzungen etwas gemacht werden
kann.
Pauline: Es ist Teil der Strukur und Arbeit, Wissen weiterzugeben, daß
also fehlendes Wissen kein Hinderungsgrund für eine Mitarbeit ist. Denn
gerade Frauen meinen oft, sie müßten erst Ahnung haben, um mitmachen
zu können. Dieses Kompetenzdenken, erst mitmachen zu können, wenn du
gut bist, das gilt sicher auch für Druckgruppe und Zeitungen, oder?
Sol: Bei der Arranca läuft auch so was wie eine Selbstschulung,
viele trauen sich ja anfangs auch nicht zu, Artikel zu fabrizieren. Das kann
mit Begleitung funktionieren oder mit Vorstrukturieren und Aufteilen in einer
kleinen Gruppe.
Ella: Von wegen offener Struktur und so, bei uns konnte früher nicht jedeR
in die Ladengruppe rein, zwei Leute im Laden mußten die Person ein wenig
kennen, und so ganz offen war es nicht. Der Grund war die Sorge vor Repression
und Bespitzelung, die ja nicht unbegründet ist.
Frans: Was gibt's für Erfahrungen mit Kriminalisierung, und wie geht ihr
damit um? Wird das als 'Schere im Kopf' einkalkuliert?
Ella: Bei uns gibt's da reichlich Erfahrungen, gerade mit Durchsuchungen des
Ladens, und wir geben solche Erfahrungen auch an Leute weiter. 1991 war z.B.
eine große Razzia, wo das Buch Die Rote Zora gesucht und auch ein
T-Shirt zur radikal mitgenommen wurde, oder die
Menschenjägerplakate, die sie bei einer kleineren LKA-Razzia einen Monat
vorher noch übersehen hatten. Das waren die Plakate mit Fotos von
Mitgliedern der berüchtigten 'E-Schicht', einer Bullenwache im
Schanzenviertel. Wir haben auch beim Erscheinen von neuen radikal immer
mit Durchsuchungen gerechnet, aber das bisher letzte Mal waren sie wegen der
ERNK-Plakate da, aber haben auch nach nichts anderem gesucht. Wir besprechen
regelmäßig, wie man sich bei Durchsuchungen verhält, was
beachtet werden muß, oder wie man den Laden in gewisser Weise sauber
hält. Bei der großen Durchsuchungswelle gegen Infoläden vor ein
paar Jahren haben wir auf den überregionalen Infoladentreffen darüber
geredet, wie wir dem mit einer Kampagne begegnen können. Daß wir
z.B. bei einer Beschlagnahme bewußt genau diese Sachen in allen
Infoläden und Büchertischen oder Kneipen nach außen tragen.
Dazu gab's damals ein Papier mit hohen Ansprüchen, 'Offensive 92',
die dort beschriebene Praxis, wie bundesweit auf eine Durchsuchung reagiert
wird, konnte leider nicht umgesetzt werden. In der Hinsicht ist zur Zeit leider
viel verebbt.
Frans: Aber ihr überlegt euch schon, was ihr auslegt und womit ihr euch
unverhältnismäßigen Ärger einhandeln könntet?
Ella: Also diese ERNK-Plakate haben wir gleich wieder ins Fenster gehängt,
das war nicht so irre gefährlich. Wir sehen auch zu, nicht zuviel von
manchen Zeitungen im Laden zu haben. Selbst wenn wir nicht immer groß
offensiv damit umgehen, so ist es doch genau die Funktion des Infoladens, Texte
und Zeitungen unabhängig von ihrer zugestandenen Legalität zu
verbreiten.
Finn: Wieso haben die Durchsuchungen eigentlich abgenommen in den letzten
Jahren?
Ella: Wahrscheinlich, weil die Infoläden nicht mehr die Bedeutung haben.
Zur 91er-Razzia gab's ja z.B. Artikel in der Welt 'Autonome trommeln
über Infoläden zur Gewalt' oder so, da waren sie ja auch noch eine
wichtige bundesweite Struktur, Knotenpunkte in den Städten. Viele
Läden haben sich aber aufgelöst, und wir sind in Hamburg auch nicht
mehr der Punkt, an dem alle Informationen und Austausch zusammenlaufen.
Vielleicht finden die uns nicht mehr so wichtig ...
Sol: Die radikal hat es jetzt aber auch in einer Phase getroffen, wo sie
nicht mehr die Bedeutung hatte wie früher, ohne das genauer analysieren zu
wollen.
Pauline: Unser Ansatz ist bestimmt nicht, die Grenze da zu setzen, wo sie von
Repressionsseite gesetzt wird, aber es gibt schon eine 'Schere im Kopf',
auch auf bundesweiten Radiotreffen war das spürbar, als es darum ging, was
eigentlich sendbar ist und was nicht. Bei Paula reden wir da schon drüber,
und wir informieren uns auch, was möglicherweise kriminalisiert wird, aber
das war noch nie ein Grund, etwas nicht zu senden. Repression hat freie Radios
allerdings schon getroffen, Radio Dreyeckland hatte 129a-Verfahren,
Radio Z in Nürnberg auch, bei Lora in der Schweiz wohl auch.
In Dresden gab's Druck auf coloRadio wegen der Berichterstattung
über die Durchsuchung des Dresdner Infoladens Schlagloch wegen der
radikal.
Finn: Unter dem Aspekt der Zensur sind die ganzen Computernetze interessant,
weil da speziell das Internet die Repressionsorgane vor ganz neue Probleme
stellt. Die radikal war trotz Kriminalisierung sofort im Internet
verfügbar und für die BAW auch nicht mehr zugänglich - was daran
liegt, daß hier eine schwer greifbare virtuelle Struktur aus Daten und
nicht eine mit konkreten Personen und beschlagnahmbarem bedruckten Papier
besteht. Ein sozusagen schlechtes Beispiel für solche Zugriffsprobleme
sind die Internetseiten des US-Neonazis Zündel, wo T-Online den Zugriff
auf den Rechner, auf dem sich seine Internetseite befand, gesperrt hatte, aber
einen Tag später die Seite bei anderen Servern verfügbar war.
Prinzipiell geht das natürlich mit allen Inhalten. Da stellt ein so
unhierarchisch strukturiertes Netz das Verlangen nach Unterdrückung
unliebsamer Informationen vor ganz neue Probleme.
Frans: Aber diese Inhalte sind von Sicherheitsdiensten kontrollierbar, alles
was abgefragt wird, ist registrierbar ...
Finn: ... kontrollierbar schon, aber durch erhältliche
Verschlüsselungsprogramme wie das berühmte PGP ist dort vielleicht
eine größere Sicherheit möglich als bei normalem Telefon- oder
Briefverkehr.
Sol: Bei der Fülle des Materials ist es trotz Wortbankenprogrammen auch
für die BAW oder sonstwen kaum möglich, alles zu lesen. Es ist ja
gerade Mode in Internetkreisen, an alle Texte Worte wie 'raf' oder
'radikal' dranzuhängen, damit die Wortbankenprogramme in der Masse
der Dateien ersticken.
Finn: Was die Möglichkeiten der Geheimdienste betrifft, sollten wir uns
keinen falschen Hoffnungen hingeben. Die haben ihren Apparat über
Jahrzehnte aufgebaut, gehegt und gepflegt und bei abnehmenden linken
Aktivitäten sind da Ressourcen frei. Die können schon ein paar
tausend Texte durchgehen, wenn sie daran Interesse haben, Masse ist da nur ein
Handicap, kein genereller Schutz vor Verfolgung. Außerdem führt die
zunehmende Kommerzialisierung auch zu einer immer stärkeren
Zentralisierung des Internet und damit wieder zu einer leichteren Kontrolle.
Aber wie gesagt, diese kostenlos erhältlichen
Verschlüsselungsprogramme, die derzeit auch von Gruppen in der Szene
propagiert werden, die bieten schon einen ziemlichen Schutz, der ihnen
zumindest die Arbeit sehr erschwert.
Willi: Plakate von uns sind nicht kriminalisiert worden ...
Frans: ...Warum denn nicht?
Willi: Wir sind zu lustig (lacht). Vielleicht haben wir es auch nur nicht
mitgekriegt. Wir sind als Rote Flora Druckerzeugnisse und Propaganda
Gruppe bekannt, unsere Plakate sind mit unserem Gruppennamen gestempelt, und
wir drucken auch regelmäßig in der Flora. Aber weil die Bullen da
nicht so gerne reingehen, ist das ein gewisser Schutz für uns. Ein Plakat
von uns zur radikal könnte z.B. kriminalisiert worden sein, ohne
daß wir es wissen. Das war ein Plakat, wo Originalseiten eingeklebt
wurden, um eben das, was verboten wurde, erst recht zu zeigen. Zum Kleben
dieser Plakate haben wir noch andere angesprochen, damit wir nicht abgegriffen
werden.
Traute: Wir haben schon darüber geredet, damit wir uns im klaren
darüber sind, was abgegriffen werden könnte, aber Rücksicht
genommen in dem Sinne, daß wir deshalb etwas nicht gemacht haben, das
gab's nicht.
Finn: In der Geschichte gab es ja viele Plakate, die kriminalisiert worden
sind, und Leute, die deshalb Verfahren hatten, z.B. die Hungerstreik-Plakate.
In der letzten Zeit gab es wohl nur das Verfahren gegen kuk aus
Göttingen wegen dem Weiterstadt-Plakat, das erwähnte
Menschenjägerplakat und eben das Verbot der PKK-Symbole. Die wurden ja
auch an der Flora oder am Hafen abgerissen oder übermalt, was absolut
lächerlich war, weil sie gleich neu geklebt wurden. Und bei einer
Plakatwand zu den Castor-Transporten an der Flora wurde mal ein Bolzenschneider
und ein Stein übermalt, das war oberlächerlich.
Jule: Im Radio wird Kriminalisierung vielleicht noch mal ein Thema, weil wir ab
Sendebeginn auf dem neuen Kanal eine presserechtlich Verantwortliche haben
werden, die dann persönlich greifbar ist. Das ist eben nicht wie bei einem
Plakat, was du nachts anonym kleben kannst.
Ella: Im Infoladen gibt es formal auch einen Inhaber, der die ganzen Schreiben
und Verfahren erst mal kriegt, das war auch oft ein Thema bei uns.
Sol: Bei uns gab's da auch ein paar Sachen, so ging nach der Verhaftung von
Birgit Hogefeld rum, daß in ihrem Rucksack Briefe waren, in denen ihr
über ein - laut taz - 'Geheimtreffen' berichtet wurde, wo wir
als Arranca und f.e.l.s. angeblich dieses neue
Gegenmacht-von-unten-Konzept der RAF legal durchführen würden. Darauf
haben wir bewußt offensiv reagiert und auf einer Pressekonferenz ganz
klar gesagt, daß zum einen unser Konzept älter ist als dieses neue
RAF-Konzept, und zum anderen wir es nicht verwunderlich finden, wenn die RAF
sich als linke Gruppe für linke Diskussionen interessiert. Und dieses
Treffen war ein ganz öffentliches zum Organisierungsansatz, wo jede Gruppe
einfach hinkommen konnte und wo in der Arranca Nr. 0 zu eingeladen
worden war. Aber auf dieser Schiene wurde von VS und Bullen mitsamt ihrer
Verlautbarungspresse immer weiter gefahren, die Arranca wird dort immer
als 'aufwendig gemachtes Organ' beschrieben, und einzelne von uns wurden
observiert, gerade beim Kaindl-Fall.
Frans: Aber bestimmte Artikel der Arranca sind nie kriminalisiert
worden?
Sol: Nein, bisher nicht, aber wir unterschreiben ja auch nicht namentlich. Es
ist schon vorgekommen, daß Bullen versucht haben, in unseren Treffpunkt
zu kommen und Personen zu kontrollieren. Das alles richtet sich aber eher gegen
den Organisationsansatz als gegen die Publikation, auch wenn die nicht
unerwähnt bleibt in VS-Berichten o.ä. und Post verschwindet.
'Schere im Kopf' gibt's bei uns nicht, wir schreiben, was wir wichtig
finden.
Frans: Ein Aspekt, den wir noch besprechen sollten, ist Internationalismus,
sowohl die Kontakte der Projekte ins Ausland als auch die Zusammenarbeit mit
MigrantInnen.
Willi: Wir haben dazu leider nicht viel zu sagen, wir praktizieren ihn nicht
und machen dazu auch weniger. Die fehlende Zusammenarbeit mit MigrantInnen
finde ich das größte Manko. Ich will da nicht jammern, denn entweder
machen wir da was, oder es bleibt ein Manko.
Traute: Zu internationalen Themen haben wir schon was gemacht, viel zum
Golfkrieg, mal was zu Libyen, oder zu Mumia Aba Jamal. In letzter Zeit haben
wir viel zu Jugoslawien diskutiert, woraus aber noch kein Plakat entstanden
ist. Aber wir haben bisher eben nichts mit Leuten aus anderen Ländern
zusammen gemacht.
Ella: Das internationale Infoladentreffen lief ja noch ziemlich lange und
daraus ist auch die CLASH als Zeitung in englisch und deutsch
entstanden, die es in etwa zehn Ländern gab. Es nannte sich zwar
international, aber es war ja nur westeuropaweit und doch immer sehr
BRD-dominiert. Aus anderen Ländern waren in der Regel nur zwei, drei
Läden da. Die Treffen waren aber schon international verteilt, mal in der
Schweiz, auch in Oslo, oder London ...
Frans: Gibt's jetzt andere Kommunikationsformen zwischen den Läden, also
Computervernetzung oder so was?
Ella: Wir haben ja keinen ... (lacht). Nee, da läuft sehr wenig, auch wenn
wir ein paar Infoladenadressen bis in die USA haben, und es gibt auch einen
Verteiler, wo zuletzt zum Florabrand was rumging, aber das sind eher punktuelle
Anlässe. Eine richtige Vernetzung gibt es nicht mehr.
Frans: Arbeitet ihr mit MigrantInnen zusammen, wie z.B. das Zürcher
Infocafé Kasama, wo sie einen Tag in der Woche machen und das
Café eh nutzen?
Ella: Leider überhaupt nicht, und die Überlegung, einen
MigrantInnentag zu machen, ist nie realisiert worden. In der B 5, diesem
offenen Café, arbeiten aber die Leute von der MigrantInnenzeitung
KöXüz mit. Es gab mal türkische und kurdische
GenossInnen, die selbst ein Archiv aufbauen wollten und sich deshalb unseres
angesehen haben, aber daraus ist auch nicht mehr entstanden.
Frans: Wir hatten uns überlegt, eine MigrantInnenzeitung zu diesem
Gespräch einzuladen, aber es kam uns etwas alibimäßig vor, da
autonome Mediengeschichte einfach wenig mit MigrantInnen zu tun hat und kaum
Kontakte bestehen.
Finn: Über bestimmte News-Groups (Diskussionsbretter) läuft schon ein
internationaler Austausch. Oder es gibt zum Beispiel die Arm the Spirit,
eine autonome Zeitschrift aus Toronto, die es als Papierausgabe in den USA
gibt, die aber hauptsächlich als e-mail in aller Welt zu bekommen ist. Die
sind so aktuell, daß manches schon auf englisch im Internet zu haben ist,
während es außerhalb von Hamburg noch nicht mal im (deutschen)
Original zugänglich ist. Ein positives Beispiel für internationale
Vernetzung ist der Gebrauch dieser Medien durch die EZLN. Sie hat das Internet
sehr schnell für die Verbreitung ihrer Erklärungen genutzt.
Hild: Und das ist auch keine einseitige Kommunikation, denn du kannst deine
Briefe oder Texte auch an die EZLN oder den Sub schicken. Das wird dann
gesammelt, gedruckt und in die Dörfer in Chiapas ausgefahren, damit es
dort präsent ist und eine Kommunikation darüber stattfinden kann. Man
braucht da auch gar nicht so viele Computer in der Organisation, ein paar
reichen ...
Finn: ... Aber die schlechte Ausstattung und der hohe Preis für Computer
ist für Trikontbewegungen oft ein großes Problem; und Versuche,
Computer für die EZLN nach Mexiko zu bringen, scheitern oft am
us-amerikanischen Zoll. Beim Embargo gegen Kuba ist es noch krasser.
Traute: Nach meinen Erfahrungen ist aber dort die Bereitschaft, mit
Computermedien zu arbeiten, viel größer als hier in der Szene,
obwohl es dort viel schwieriger ist, da ranzukommen. Weil es dort weniger
Zugang und eine stärkere Kontrolle der Printmedien gibt, ist das eine
Möglichkeit, zu veröffentlichen.
Finn: Bei allen internationalistischen Organisationen, z.B. den NGOs
(Nicht-Regierungs-Organisationen), wird Computerkommunikation sehr stark
genutzt. Zu allen offiziellen UNO-Konferenzen finden ja inzwischen
Gegenkonferenzen statt, für die der Informationsaustausch und die
Diskussionen zum Teil übers Internet laufen. Ein Beispiel ist auch der
Krieg in Jugoslawien, wo ein Großteil der unzensierten Nachrichten von
unabhängigen Friedensgruppen übers Internet kam. Und Frauen aus
Zagreb haben mit Frauen in Belgrad z.B. nur über eine e-mail-Adresse in
Österreich kommunizieren können. Im Gegensatz zu Briefen und Telefon
ist es den Regimes bisher nicht gelungen, diese Internet-Verbindungen, gerade
wenn sie verschlüsselt oder auf Umwegen laufen, effektiv zu unterbinden.
Aber von der linksradikalen Szene wird es eben kaum genutzt, sich da
einzumischen, und wenn, ist es eher ein privater Nutzen. Und in dieser endlosen
Informationsmasse sind einzelne dann auch leicht verloren. Viele klicken sich
da durchs WWW, das World Wide Web, aber es wird mit den Infos kaum
politisch-praktisch gearbeitet.
Frans: Steht das Internet eigentlich MigrantInnen offen, oder nutzen die das?
Finn: In Hamburg gibt es in der Mailbox des linken CL-Netzes einen Teil, der
nennt sich INFO-IST, das steht für Informationsservice Istanbul, dort gibt
es eine unabhängige Türkei- und Kurdistanberichterstattung auf
kurdisch und türkisch. Und verschiedene kurdische Nachrichtenagenturen
nutzen das Internet sehr stark.
Pauline: Im Radiobereich hat das Internet gerade im Trikont eine wichtige
Funktion, es wird dort von den Radios sehr genutzt. Im Trikont hat das Radio
auch eine ganz andere Rolle als hier, eine viel größere, weil es
eben zugänglicher und nicht so teuer wie Printmedien ist. AnalphabetInnen
sind ja auch auf Radio angewiesen. Bei freien Radios gibt's eine weltweite
Organisation, wie den Weltverband freier Radios AMARC, da wird ein offizieller
Programmaustausch organisiert, viel läuft aber auch über
persönliche Kontakte und Kassettenaustausch. Informationsdienste wie
COMCOSUR, die hauptsächlich über Argentinien und Uruguay berichten,
sind an diese Strukturen angeschlossen. Diese weltweiten Kontakte finde ich so
wichtig, weil durch sie die Leute von dort direkt hier zu hören sind und
der Eurozentrismus mal aufgebrochen wird und nicht immer nur 'über'
berichtet wird. Es gibt auch ein Projekt bei Radio Dreyeckland, das heißt
INTERCONNECTIONES, da geht es sowohl um konkrete gegenseitige
Unterstützung von Radios als auch um Informationen über
Befreiungsbewegungen. In dem Rahmen gab es Treffen von VertreterInnen freier
Radios verschiedener Länder, wo es auch ein spezielles
Frauenaustauschprogramm - 'Frauen schaffen sich einen Kommunikationsraum'
- gibt. In dem Rahmen wird seit anderthalb Jahren zu einem Thema jeweils ein
Beitrag aus dem Norden und einer aus dem Süden gesendet, der also jeweils
zwei Blickwinkel zu einem Thema zeigt. Das wird in Freiburg synchronisiert und
an alle Radios, die es haben wollen, verschickt. Im Radio- und generell im
Medienbereich gilt ja, daß viel Vernetzung zwischen Männern
läuft und Frauen unterrepräsentiert sind. Und in gemischten Projekten
sind sie nicht diejenigen, die den Zugang herstellen. Frauen in Radios brauchen
unbedingt eine direkte Kommunikation untereinander.
Finn: Bei den Computernetzen ist das noch mal krasser, das sind ganz extreme
Männermedien. Wobei es seit einiger Zeit Initiativen von Frauen gibt,
exklusive Frauenmailboxen aufzubauen und das Internet zu nutzen. Beim
Mailboxverbund WOMAN e.V. werden die Zugangsberechtigungen z. B. direkt
über die Systembetreuerinnen nur an Frauen vergeben.
Sol: Ist es eigentlich so, daß auch Leute aus anderen Ländern sich
dafür interessieren, was hier los ist? Denn oft gibt es hier viele
Informationen über dieses oder jenes Land, die Rezeption hat sich auch
verändert, aber in Lateinamerika besteht im Prinzip kein Interesse an dem,
was es hier für Ansätze gibt. Wir wollen nicht nur einbringen, was in
Mexiko los ist, sondern auch einfordern, daß sie sich für das
interessieren, was hier los ist, was wir hier politisch arbeiten, und mit ihnen
darüber diskutieren.
Pauline: Dieses eben beschriebene Austauschprojekt bringt genau das.
Nächsten Monat sind wir z.B. dran, hier etwas zu Migration und Rassismus
zu machen, und der Gegenblickwinkel ist der von Schwarzen Frauen, die an der
Pazifikküste von Kolumbien Radio machen. Bei der feministischen Vernetzung
geht es ganz oft um idealisierende Bilder von Europa, wo gerade von Radiofrauen
im Trikont Aufklärung über die Realität hier gefordert wird.
Stichwort Prostitution, oder auch ökonomische Gründe, nach Europa zu
gehen. Inzwischen ist es für uns auch eine Herausforderung, Beiträge
zu produzieren, von denen wir wissen, daß sie ganz woanders in der Welt
ausgestrahlt werden. Bei diesen internationalen Radiotreffen kam es mir so vor,
als sei da eine Gleichgestelltheit erreichbar, die woanders in internationalen
Beziehungen nicht da ist. Ein Projekt sieht z.B. vor, daß jetzt für
drei Monate Leute aus Afrika zu freien Radios in der BRD kommen werden und
andere von hier dorthin fahren.
Finn: Manche Radiosendungen, z.B. welche von Mumia Abu Jamal oder Sendungen des
BBC, sind, in digitale Daten umgewandelt, übrigens über das Internet
abrufbar und abhörbar. Das ist eine ganz interessante Möglichkeit,
die ziemlich neu ist. Normalerweise kommt man an Radiosendungen ja
höchstens über schlecht zugängliche Kassettenarchive ran. Und
sonst gibt's nur die Manuskripte, aber nicht die gesendete Sprache und
Töne.
Sol: Es gibt ja die klassische Soliarbeit, wo du Wasserträger für
irgend jemanden bist, es gibt auch das Informieren-über-ein-Land, aber was
wir eigentlich wollen, ist, einen politischen Austausch zu organisieren. D. h.
sich als politische AkteurInnen gegenseitig ernst nehmen. Wir informieren in
der Arranca natürlich auch über andere Länder, indem wir
Texte von dort übersetzen, um über dortige Diskussionen zu
informieren. Texte von uns sind auch schon in's Spanische übersetzt
worden, aber das ist noch selten. Zum Baskenland haben wir sehr gute Kontakte,
wir machen Veranstaltungen dort und hier mit Leuten von dort. In bezug auf
Europa, Stichwort Maastricht, wird versucht, mehr Kontakte zwischen linken
Gruppen zu knüpfen. Klassische Soliarbeit machen wir z. Zt. zu
Benjamín Ramos Vega, der wegen angeblicher ETA-Mitgliedschaft in Berlin
in Auslieferungshaft sitzt. Wir haben auch was zu Kurdistan in der
Arranca gemacht, sind allerdings aus einem Bündnis rausgegangenen,
weil es da keinen politischen Austausch gab und wir nur irgend etwas
Vorgegebenes mitausführen sollten. Als Arranca haben wir auch
Lesungen mit Schriftstellern aus anderen Ländern organisiert.
In der Gruppe sind einige wenige MigrantInnen, wobei diejenigen eher hier
aufgewachsen sind und Erfahrungen mit deutscher Linker haben. Wir haben in der
Kaindl-Kampagne und auch sonst mit türkischen oder kurdischen
undogmatischen Leuten oder Gruppen zusammengearbeitet. Unsere Antifa-AG hat
viel zusammen mit VietnamesInnen gemacht, z.B. erscheint jetzt eine
Arranca-Sondernummer zusammen mit der ZAG zu dem Thema. Es gab
auch eine Radiosendung, wo VietnamesInnen zu Wort kamen. In der Arranca
schlägt sich das so nieder, daß wir z.B. in der Nummer zum Zustand
der Linken auch ein Interview mit jemandem von Antifa Genclik hatten. Es gab
auch die Überlegung, mehr in deutsch und in türkisch zu machen, aber
bisher sind da nur Kleinigkeiten gelaufen. Cengic, der wegen Kaindl noch
gesucht wird, haben wir mal ein Gedicht in türkisch gewidmet, nur in
türkisch, und wer den Inhalt wissen will, soll halt irgendwelche
türkischen Leute fragen. Das ist natürlich insgesamt noch zu wenig,
was an Zusammenarbeit mit MigrantInnen in der Arranca läuft.
Frans: Eines unserer Themen sollte 'Frauen in autonomen Medien' sein. Wie
sieht es da aus?
Sol: Bei f.e.l.s. sind eher mehr Frauen als Männer und in der
Arranca sind es ungefähr gleichviele. Es gibt eine Frauen-AG, und
es ist Teil unseres Konzeptes, daß eigene Strukturen von Frauen - oder
MigrantInnen - als notwendig angesehen und zugelassen werden.
Pauline: Gibt es bei euch denn auch eine Männer-AG?
Sol: Eine Männer-AG gibt es nicht. Es soll auch keine
Frauenzuständigkeit geben für bestimmte Fragen, das wollen weder
Frauen noch Männer.
Frans: Mal mehr auf das Medium Arranca bezogen, welche Rolle spielen
Frauen da? Ihr habt ja z.B. keine Frauenseiten.
Sol: Die Arranca-Frauen sehen da auch keine Notwendigkeit drin, ich
denke, es sollen schon frauenspezifische Aspekte, oder wie man das nennen will,
mit rein. Die Sachen sollen auch nicht nur von Frauen diskutiert werden,
sondern von der ganzen Redaktion. Auch bei der nächsten Nummer mit dem
Schwerpunktthema Sexualität, Erotik und Lust, wo es ganz umfangreiche
Diskussionen gab, war das so.
Frans: Wenn eine Frau von euch gekommen wäre, hätte sie vielleicht
anders erzählt, ich weiß es nicht. Ist ja etwas blöde, wenn du
nun Frauenpositionen referieren sollst ...
Sol: Klar gibt es bei uns wie überall die Schwierigkeiten, daß
Männer sich in den Vordergrund spielen, daß sie mehr reden oder in
Diskussionen alles dreimal sagen. Männer neigen auch bei uns eher dazu,
Delegiertenfunktionen zu übernehmen, wobei wir versuchen, daß das
nicht so ist oder zumindest thematisiert und verändert wird, aber wir sind
sicher nicht besonders anti-patriarchal oder sonst irgendwas ... Bei den ersten
Arrancas ist uns erst später aufgefallen, daß dort viel mehr
Interviews mit Männern als mit Frauen waren, wir haben dann versucht,
bewußt Frauen zu interviewen, z.B. in den letzten Nummern eine
italienische Frau zu Anti-Rassismus, oder Sprayerinnen.
Jule: Im FSK habe ich schon den Eindruck, daß dort
schwerpunktmäßig Männer anzutreffen sind, und im Gesamtprojekt
FSK gibt es die Tendenz, 'Frauenthemen' Radio St. Paula zuzuschieben. Das
zeigt sich dann an solchen Dingen, daß - obwohl auch die Männer mit
dem FSK-Statut das antisexistische Fähnchen hochhalten - für die
praktische Durchsetzung wieder allein die Frauen zuständig sind und dann
z.B. das Musikarchiv von sexistischen Titeln befreien müssen. St.
Paula versteht sich wie gesagt als feministisches Radio, wobei das begrifflich
nicht exakt bestimmt ist. Der kleinste gemeinsame Nenner ist, daß wir
Themen von einem Frauenstandpunkt aus betrachten wollen, bis zu rein
feministischen Themen. Bei uns läuft auch nur Musik von Frauen, zumindest
von Sängerinnen. Wir können uns aber auch vorstellen, die gemeinsame
Infokonferenz des FSK mitzutragen und dann Nachrichten von einem
Frauenstandpunkt aus zu machen. Ein anderer Bereich wären Sendungen zu
feministischer Theorie, wie zu den Thesen von Judith Butler oder Birgit
Rommelspacher.
Pauline: Konsens ist, daß wir uns nicht auf 'Frauenthemen'
abschieben lassen, wir wollen Frauen sichtbar machen, wo immer sie handeln. Es
geht immer um diesen Blickwinkel auf die Welt, und darum, Frauenstimmen
hörbar zu machen im Radio. Die üblichen Radios sind sehr patriarchal,
Frauen tauchen als hübsche Nachrichtensprecherinnen auf, aber die
Nachrichten geschrieben hat ein Mann usw. Im Technikbereich ist es für uns
auch wichtig, eigene Erfahrungen zu machen, und da sind die Zeiten, wo
bewußt keine Männer im Studio sind, für uns wichtig.
Radio St. Paula ist daraus entstanden, daß Frauen von Radio St. Pauli
sich von den Männern getrennt haben, um ein eigenes Projekt zu
gründen, Radio St. Pauli ist wegen fehlender Frequenz dann auch
eingegangen, und wir sind neu entstanden. Wir sind nicht die Frauenredaktion im
FSK, sondern ein eigenes Radio, das ist wichtig für unseren Status dort.
Wir legen viel Wert auf unsere Autonomie, besonders bei den ganzen Finanzen und
in Erinnerung an den Stress, den die feministische Redaktion bei Radio St.
Pauli hatte.
Frans: Welchen Stress gab es da?
Jule: Es gab Stress darüber, wieviel Geld für ein Frauenkonzert
ausgegeben werden durfte, und wie bei allen freien Radios ging es um Sexismus
in Wortbeiträgen und vor allem im Musikbereich, wo sich Männer
besonders gerne 'locker-flockig' mit einem sexistischen Stil tummeln. Bei
Radio Dreyeckland haben Frauen deswegen versucht, sich nachträglich eine
eigene Struktur zu erkämpfen, aber das geht viel schwerer, als von
vorherein eine zu haben, wie das bei uns ist.
Ella: Wir haben seit 1988 einen Frauentag, der sich mit dem Beginn der
Infoladengruppe noch mal neu konstituiert hat. Das war auch ganz klar,
daß es Frauen gibt, die nur mit Frauen arbeiten wollen, und Frauen, die
in der gemischten Infoladengruppe mitarbeiten. Als wir umgezogen sind, gab es
Diskussionen um einen Frauenraum im neuen Laden, und das ging ziemlich heftig
ab, weil wir in den neuen Räumen weniger Platz hatten. Da ging's
gegeneinander, ob Archiv oder ob Frauenraum, das war ziemlich schrecklich. Der
Frauenraum hat sich dann durchgesetzt und in den letzten Jahren wurde an sich
beschlossen, daß sich bei bestimmten Anlässen, z.B. als es um die
Verteidigung eines Vergewaltigers durch einen linken Anwalt ging, Frauen und
Männer auch getrennt treffen sollten. Jedoch sind diese getrennten Treffen
immer sehr schnell 'eingeschlafen'. Da die Diskussionen um Sexismus in
der Szene bei uns im Laden sehr vielschichtig waren, ist es schwierig, da jetzt
noch in ein, zwei Sätzen etwas zu sagen, ohne bestimmte Punkte dabei zu
übergehen.
Als ich da vor sechs Jahren angefangen habe, war die Gruppe noch total
männerdominiert, aber das hat sich gewandelt, inzwischen sind es fast mehr
Frauen.
Pauline: Zum FSK noch ein Nachsatz: In Radio St. Pauli gab es
immer die Rolle, daß entweder wir Frauensachen einbringen mußten,
oder es gab sie nicht. Wir mußten da immer kampfesbereit einlaufen. Das
hat sich in letzter Zeit doch etwas verbessert, da achten jetzt auch andere
Radiogruppen etwas mehr drauf. Das ist sicher ein Resultat unseres Drucks, aber
mit der Zeit kommt es vielleicht doch zu gewissen Einsichten auch bei
Männern.
Finn: Was dieses Thema angeht, sind die Computernetze leider ein absolutes
Negativbeispiel. Kaum irgendwo ist soviel sexistische Scheiße zu finden,
wie dort. Da meinen sicher viele, im Schutze der Anonymität die Sau
rauslassen zu können, da laufen selbst in den linken Diskussionsbrettern
heftige sexistische Anmachen.
Andererseits wird das Internet von den feministischen Wissenschaftlerinnen auch
eifrig genutzt. Und bei der Suche nach feministischen Texten ist dort einiges
zu finden. Und im Kunstbereich sind beispielsweise die Plakate der Guerilla
Girls aus New York als Grafiken im WWW zu bewundern.
Hild: Bei diesen Computergeschichten kannst du Geschlechter nicht mehr sehen
oder hören, du kannst dich als Typ als Frau und umgekehrt ausgeben. Macht
das was möglich, oder ist das Mist? Haben diese virtuellen Personen mit
der Realität dadurch noch weniger zu tun?
Finn: Es wird oft als Möglichkeit dargestellt, dieses 'gender
swapping', aber ich sehe das eher als interessante theoretische
Möglichkeit, als das es eine erkennbar verbreitete Praxis wäre.
Willi: Um nicht alles dreifach zu sagen, wir sind paritätisch besetzt.
Beim Drucken selbst gibt es Unterschiede im Umgang, das war zeitweise
schwierig, vonwegen Sachen aus der Hand nehmen usw. Es dauerte lange, das auf
ein erträgliches Maß zu bringen.
Traute: Also ich als Frau (lacht) ... Es gibt bei uns immer mal wieder
Diskussionen über Wahrnehmungen, die unterschiedlich sind, aber thematisch
sind die Plakatthemen nicht aufgeteilt zwischen Frauen und Männern. Wenn
Frauengruppen zum Drucken kommen, dann macht das eine Frau von uns. Die ganzen
Sachen sind bei uns nicht so ganz anders wie das, was schon gesagt worden ist.
Und die Frage, welche Auswirkungen ein feministischer Ansatz auf die
Ästhetik hat, würde den Rahmen dieses Gesprächs echt sprengen.
Willi: Ich möchte noch mal zurückkommen auf den Anfang, was
heißt eigentlich 'autonome Medien'? Sind das Medien, die Autonome
machen, oder sind das die, die mir Saft in die Birne geben? Ich bewege mich
seit zehn Jahren in der Szene, fühle mich der auch sehr verbunden, aber
ich lese kaum die Flugis und ziehe viel mehr aus Büchern, wo weder vorne
noch hinten autonom drauf steht. Außerdem ist für mich Musik ein
ganz wichtiges Medium, und ich glaube, daß viele auch deshalb zur
autonomen Szene gekommen sind, weil sie eine bestimmte Musik gehört haben,
die ihrem Lebensgefühl einen Ausdruck gegeben hat. Ohne Musik wäre
hier ganz viel gar nicht passiert.
Frans: Leider trifft das auch auf Faschomusik, solche Bands wie
'Screwdriver' zu ...
Willi: Trotzdem gibt es diese Wirksamkeit der Musik, und wir verwenden sie ja
auch auf Parties für die Szene.
Finn: Damit sind wir ja jetzt bei den Perspektiven autonomer Medien. Auch wenn
es sicher stimmt, daß das meiste, was zu weiterreichenden Diskussionen
anregt, nicht in autonomen Medien steht, spielen sie dennoch eine ganz
hervorragende Rolle, gerade für die politische Szene. Indem sie
nämlich nicht nur Diskussionen widerspiegeln, sondern auch die ganzen
Aktionen und verstreuten Aktivitäten bündeln und sichtbar machen.
Gerade während der Politisierung ist da für jemanden wie mich, der
aus einer Kleinstadt kommt, die Symbolfunktion der radikal ganz
wesentlich. Das war das einzige erreichbare Nicht-Mainstream-Medium und ich
habe sie mit großen Augen gelesen. Die ganzen Aktionen, die
'verbotenen' Papiere, das hat doch die Attraktivität der
linksradikalen oder autonomen Szene ausgemacht. Und das darf bei der
Beurteilung der autonomen Medien nicht unterschlagen werden. Es geht nicht
immer nur um die Inhalte, sondern auch darum, was die Medien
repräsentieren oder symbolisieren. Dieser subversive Reiz, den sie auch
dadurch haben, daß sie nur so halb-legal oder ganz illegal
erhältlich sind.
Willi: Ich würde mir dennoch wünschen, daß sich die autonomen
Medien mal in Bereiche trauen, wo sie nicht sicheren Fußes gehen
können. Es ist sicher wichtig, eine autonome Zeitung aufzuschlagen und zu
sehen, juhu, wir leben noch, aber das wird irgendwann hohl und langweilig. Wenn
es gar keine autonomen Zeitungen gäbe, würden sie mir sicher fehlen,
mich stört aber das Übermaß der Blätter, die alle
ähnlich wirken. Da wird zu oft im eigenen Brei gekocht, da passiert zu
wenig.
Ella: Ich finde, du verallgemeinerst da ziemlich, weil es doch eine Vielzahl
von Medien und auch Diskussionen gibt. Es hat sich über die Jahre doch
auch was geändert, Standpunkte sind kritisiert und verändert worden,
es gab doch nicht nur selbstgenügsamen Stillstand. Und wenn Musik auch
wichtig ist, so müssen wir doch Wissen und Geschichte vermitteln für
Politisierungen. Früher auf'm Dorf, wo ich aufgewachsen bin, war die
radikal fast die einzige linke Zeitung, an die du rangekommen bist, und
das war toll, und darüber konnte ich was erfahren. Und so wie ich damals
wollen Jüngere heute auch so was lesen oder wissen, was mal war. Verdamm
das doch nicht so in Bausch und Bogen.
Sol: In Berlin hast du den Vorteil mehr mitzukriegen, und in der radikal
stehen dann einfach nicht mehr soviel Sachen, die du nicht eh schon kennst, und
den Geschichtsteil kann ich mir rauskopieren (Gelächter). Aber trotzdem
hat die radikal genau die wichtige Funktion gehabt, Leute zu erreichen
und zu verbinden, die eben nicht in einer Großstadt wohnen. Die
Interim finde ich übrigens völlig öde, da wird kaum noch
aufeinanderbezogen diskutiert, ihre Funktion ist eher die Selbstvergewisserung
der Szene, daß es sie noch gibt. Es werden bei den meisten Blättern
keine Grenzen überschritten, es ist meist vorher klar, welche Positionen
man beziehen muß. Wo es z.B. kaum was zu gibt, weswegen wir auch das
Thema genommen haben für die Arranca, ist Sexualität, Lust und
Erotik aus einem positiven Aspekt. Die Debatten um Mißbrauch usw. waren
und sind wichtig, aber eben nur eine düstere Seite von Sexualität,
die lustvolle Seite ist aber nie ein Thema. Es gibt auch keine
Auseinandersetzungen um Literatur oder Gedichte mehr, in alten radikal
gab's die ja sogar noch. Gesellschaftliche Bereiche werden nur so oder so
wahrgenommen, selten widersprüchlich.
Pauline: Themen werden schon ziemlich viele behandelt in den autonomen
Zeitungen oder Medien, aber wie sie behandelt werden, das ist gerade bei
'heiklen Themen' sehr eng und starr. In der Sexismusdebatte gab es hier
in Hamburg z.B. eine Stellungnahme von El-rojito-Männern (zu ihrer
Auseinandersetzung mit einem Vergewaltiger in ihrer Gruppe, Anm.) und eine von
Frauen dagegen, aber die ganzen Widersprüche und Uneindeutigkeiten werden
ausgeklammert. Offene Fragen kommen nicht mehr vor. Da wo Brisanz drinsteckt,
wird auf sicheren Pfaden wie Boykottaufrufen und Nicht-mehr-miteinander-Reden
gewandelt. Was dazu führt, daß sich alles noch mehr ausspezialisiert
und die Szene sich in noch mehr Unterszenen aufteilt. Die von uns
gewünschte Funktion von Diskussionen, Unterschiede zu klären und
Positionen zusammenzuführen, die fehlt doch zunehmend.
Finn: Manchmal glaube ich, daß es diesen autonomen Mainstream, der alles
beherrscht und Meinungsäußerungen vorschreibt, so gar nicht gibt,
daß da eine Chimäre aufgebauscht wird, gegen die sich leichter
polemisieren läßt. Kaum jemand vertritt diesen Mainstream, aber alle
gehen davon aus, daß es ihn gibt. Und dieses Stereotyp, daß in den
Szenemedien nichts drin wäre, das stimmt doch auch nicht. In der
Interim gab es z.B. heftige Streits um Pädophilie/Päderastie,
da standen Positionen scharf gegeneinander. Die Antinationalismus-Debatte
wäre ein weiteres Beispiel für Diskussionen in solchen Zeitungen. Man
macht es sich zu einfach, wenn man nur sagt: In den autonomen Medien findet
nichts statt.
Frans: Wir sind uns anscheinend alle einig, daß etwas stattfinden sollte
und daß Ausbrüche aus dem 'autonomen Mainstream', den es
vielleicht gar nicht gibt, stattfinden sollten.
Willi: Ja, es soll etwas ergänzt werden, überhaupt eine Neugier, die
ist mir wichtig. Es muß auch das angesprochen werden, was bei den
Menschen nicht nur aus Hirnmasse besteht. Das, was scheinbar nicht politisch
ist.
Sol: Es gibt nach unseren Erfahrungen viele Leute in der linksradikalen Szene,
die unsere Kritik an den Autonomen geteilt haben, aber es hat sich nichts
geändert innerhalb der autonomen Bewegung, oder nur ganz schleppend oder
durch neue jüngere Leute. In einem großen Rahmen war es nicht
möglich, die Kritik oder Verhaltensweisen usw. zur Diskussion zu stellen
und daraus gemeinsam Konsequenzen zu ziehen. Diesen Rahmen gibt es nicht.
Frans: Aber diesen großen Rahmen sollten autonome Medien doch darstellen.
Ella: Das Problem ist doch, daß sie nicht eine Einheit bilden, daß
sich die Bewegung samt Medien auf Splittergrüppchen verteilt hat. Auch bei
dem ominösen 'autonomen Mainstream' gibt es -zig Unterteilungen, und
deswegen ist es schwierig, eine grundsätzliche Politikneubestimmung oder
neue Aktionsformen allgemein durchzusetzen. Das gleiche gilt für neue
Theorien oder Perspektiven. Wir müßten erst mal wieder mehr
aufeinanderzugehen. Ich komme mir etwas merkwürdig hier vor, weil ich
sonst an Autonomen auch Kritik habe, aber sie gegen manche Angriffe hier auch
verteidigen würde.
Frans: Alle Versuche, sich über die autome Bewegung hinaus auszuweiten,
waren ja auch nicht von großem Erfolg gekrönt. Insofern ist die
Szene das, was von den autonomen Medien heute zu erreichen ist.
Traute: Es ist leider auch so, daß z.B. in der Zeck - interessante
- Artikel stehen, an denen es Kritik gibt, aber diese Kritik wird privat
geäußert und fließt nicht wieder in die Zeck. Die
Möglichkeit von LeserInnenbriefen wird überhaupt nicht genutzt. Und
wenn in Artikeln nur in feststehenden Formeln geschrieben wird, ist ja auch
wenig Platz für Nachfragen, was hinter den Formeln steht, da meist nix
zurückkommt, was erklärend ist.
Sol: Woran das liegt, weiß ich auch nicht, aber das ist diese Unart,
Dissens nicht direkt auszutragen, nicht einfach eine Stellungnahme zuzuschicken
zur Veröffentlichung, sondern es statt dessen irgendwo anders abzudrucken
und nichtmal zur Kenntnis zu geben. Eine wirkliche Auseinandersetzung
miteinander findet nicht statt. Das Feedback auf die Arranca ist auch
gering, obwohl es in letzter Zeit mehr wird. Ganz verrückt wird's, wenn
wir zufällig erfahren, daß sich irgendwo Gruppen über Artikel
in der Arranca gebildet haben, die uns aber nie mal direkt ansprechen.
Frans: Bücher sind ja eh kein typisches autonomes Medium, es gibt immer
nur einzelne Titel, die in der Szene ähnlich breit wie Zeitungen oder
Broschüren zur Kenntnis genommen werden. Auf Bücher bekommen wir auch
nur ganz selten schriftliche Reaktionen und wir wissen auch nicht, ob sich
Gruppen mit einzelnen Büchern intensiv beschäftigen. Daß das
nicht passiert, ist vielleicht dasselbe wie bei autonomen Medien - in einen
Infoladen gehst du vielleicht am ehesten, beim Radio anrufen ist schon drei
Stufen höher, und einen Leserbrief an die Arranca zu schreiben ist
extrem anspruchsvoll. Und ein Plakat drucken zu gehen bei solchen ExpertInnen
wie der Floradruckgruppe ist ja auch kein leichter Gang.
Pauline: Unser Gespräch spiegelt gerade wieder, wie in unseren Kreisen mit
Medien umgegangen wird. Der Umgang ist total konservativ und unkritisch, es
geht meistens um Lesen und Schreiben, also Printmedien. Abgesehen davon sind
Reaktionen auf unsere Sendungen auch selten mehr als ein 'fand ich gut'
und 'Ihr seid doch die Fachfrauen, ich kann das nicht so beurteilen'. Da
wird uns eine Rolle zugeschrieben, die wir gar nicht haben wollen. Wir sind
doch nicht die Frankfurter Rundschau, die du einfach mal liest und nie
darauf reagierst.
Finn: Wenn es kaum Auseinandersetzungen in den Medien gibt, spiegelt das den
Zustand wider, daß es kaum Auseinandersetzungen außerhalb der
Medien gibt. Wieso sollten sie auch gerade dort laufen?
Frans: Das war aber ein Anspruch, Diskussionen zu ermöglichen und zu
verbreitern. Die radikal ist gerade zwecks Ermöglichung aller
Diskussionen, auch der über Militanz, seit Jahren verdeckt gemacht worden.
Finn: Ja, aber wenn z.B. Gruppen ihren Dissens nicht mal untereinander
austragen, wieso sollten sie ihn dann in einem größeren Rahmen
führen. Der Rahmen füllt sich doch erst, wenn alle mehr voneinander
wollen und sich auch aneinander reiben.
Hild: Wenn du dich nicht mehr gegenseitig als ein Teil von etwas Ganzem
begreifst, wenn es diese Auffächerung und Spezialisierung gibt, ja auch
wegen altem Stress miteinander, oder aufgrund einer z.T. gewählten
Individualisierung, wenn das alte Gefühl des autonomen 'wir' weg
ist, dann hast du ja auch keinen Grund mehr, dich auszutauschen. Wieso sollste
dann noch Diskussionen führen? Natürlich ist das fatal falsch, aber
dann ist es völlig logisch, daß alle nur noch für sich und ihre
Grüppchen arbeiten. Die Medien können nicht widerspiegeln, was die
Menschen nicht mehr sind ...
Frans: ... aber die Medien könnten ein bißchen besser sein als die
allgemeine Situation ...
Hild: ... ja, klar.
Ella: In Hamburg wird die Zeck zwar oft kritisiert, aber sie hat sich
doch schließlich aus kleinen Anfängen durchgesetzt und ist weit
verbreitet, sie ist sogar kostenlos und überall zu bekommen.
Frans: Es gibt offensichtlich ein Interesse an so einem Blatt, auch wenn alle
damit unzufrieden sind, wahrscheinlich sogar die, die es machen.
Hild: Aber was ist das für ein Interesse? Ist es inhaltlich, ist es der
Szeneklatsch, die Veranstaltungstips oder ein Ratgeber dafür, wie du dich
in der Szene zu verhalten hast?
Pauline: Das mit dem Interesse finde ich auch wichtig, aber ein Punkt, der mir
noch einfällt, ist diese Überflutung mit allem, was auf uns
tagtäglich einströmt. Ich schaffe einfach nicht, alles zu lesen oder
zu hören oder gar zu antworten. Manchmal muß ich mir eingestehen,
daß ich nichts anderes als Witze oder den Hamburg-Teil der taz
noch lesen will.
Sol: Noch mal zu dem Interesse an so Zeitungen wie der Zeck, wieso es
das gibt. Für Berlin kann ich sagen, daß die Interim nur noch
wenige von all denen nutzen, die in Berlin Politik machen. Das ganze
Antifaspektrum, junge Leute generell, das antirassistische Spektrum, die alle
schlagen sich in der Interim nicht nieder, höchstens als
Veranstaltungshinweis. Die Interim repräsentiert schon lange nicht
mehr die linksradikale Szene in Berlin.
Finn: Und diese Differenzierung in Szenen spiegelt sich ja in den Zeitschriften
wider, im Schwarzmarkt ist da ein volles Antifa-Zeitschriftenregal mit
zehn, fünfzehn Zeitungen, aber es gibt keine szenenübergreifenden
linken Zeitungen mehr, was die radikal ja mal war und als Anspruch wohl
immer hatte. Jetzt macht jede Szene ihr eigenes Blättchen.
Ella: Dabei findest du in allen verschiedenen Städtezeitungen oft genau
das gleiche, weil vieles einfach nachgedruckt wird. Der Anspruch an die
Zeck wäre, in einer Stadt wie Hamburg die Diskussion voranzubringen
und da nicht noch mal eh vorhandene Artikel nachzudrucken. Bei der
Interim ist das Gute noch, daß sie eine überregionale
Verbreitung hat.
Traute: Ich habe auch den Eindruck, daß die Zeitungsregale immer voller
werden, die Zersplitterung immer größer, aber die Aktionen immer
weniger. Was sonst nicht passiert, wird als Papier produziert. Das schluckt die
Arbeitskraft mancher Gruppen, nur, was verändert das denn? Die Linke, von
der wir reden, hat doch nicht das Ziel, möglichst viel Papier zu
produzieren, sondern die herrschende Realität zu verändern.
Finn: Und wenn wir keine Lust mehr auf Papier haben, dann produzieren wir eben
Daten. Da hocken dann schließlich die weltweit superinformierten
Individuen in ihren Zimmern, aber es ist keine kollektive Praxis mehr da. Das
sehe ich als große Gefahr. Die Sachen, die man aus den Netzten rausziehen
kann, müssen über Zeitungen, Radio oder sonstwie genutzt und nicht
hohl angehäuft werden.
Sol: Dafür mußt du wissen, was du willst. Je mehr das unklar wird,
desto mehr hast du nutzlose Informationsmassen.
Pauline: Bei dem Radio ist mir auch wichtig, daß ein Sprachrohr da ist,
daß ich und wir einen Raum haben, wo wir uns äußern
können, was ohne Radio viel schwieriger wäre. Wenn die ganzen Medien
nicht da wären, würden wir merken, welche Realität von den
Medien auch geschaffen wird.
Traute: Warum steckt ihr dann eigentlich soviel Zeit in eure Radiolizensierung?
Warum sendet ihr nicht einfach? Sicher, da gibt es Gründe, aber dabei
verschwindet oft der Blick darauf, daß wir einfach was machen
können. Da ist die radikal ein Beispiel für
einfach-was-veröffentlichen, und sei es aus dem sogenannten Untergrund.
Pauline: Überlegt haben wir das schon, und Frauen sind auch aus dem Radio
rausgegangen, weil sie weniger Orgakram und mehr inhaltlich arbeiten wollten.
Aber technisch ist es mit Piratensendern auch schwieriger geworden, die sind
schneller anpeilbar als früher.
Frans: Zum Abschluß solltet ihr etwas zur Vernetzung sagen, was die
verschiedenen Medien miteinander zu tun haben - könnten - und was in ein
paar Jahren sein könnte, sein sollte.
Finn: Im Computerbereich war Vernetzung ja stets das Anliegen. Abgesehen davon,
daß Computer ja eh vernetzt sind ... (Gelächter) ... na gut, im
Ernst, viele Zeitschriften wie die Zeck, die Göttinger
Drucksache oder die radikal oder Antifazeitschriften sind inzwischen
im Internet, oder sie drucken Texte aus dem Internet ab. Insofern existieren
die beiden Sphären Printmedium und Computer nicht so getrennt. Oder die
Infoläden in USA, da steht in fast allen - es gibt allerdings nicht so
viele - ein öffentliches Terminal, über die auch ein reger Austausch
mit den anderen Läden stattfindet. Es ist kein Zufall, daß die
größeren linksradikalen Internetzeitungen aus den USA kommen.
Perspektivisch könnte ich mir vorstellen, daß mehr nach Sachen
außerhalb des eigenen Blickwinkels oder Bekanntenkreises gesucht wird,
daß Zeitungen das Internet nutzen, um Themen von der anderen Seite der
Welt oder von anderen Gruppen, mit denen man sonst keinen Kontakt hat,
aufnehmen. Das wird alles keine tolle Veränderung bringen, aber es
könnte die heute teilweise mühsame Kommunikation über
große Strecken etwas vereinfachen. Dafür müßten die
anderen Medien über die Möglichkeiten berichten, und es muß
Veranstaltungen wie das Internet-Café geben, um den Leuten die Angst zu
nehmen. Und ich finde es wichtig, das Internet mit eigenen Inhalten zu besetzen
und es nicht allein der Kommerzialisierung zu überlassen, selbst wenn
linke Inhalte da auf absehbare Zeit nur eine kleine Rolle werden spielen
können.
Traute: Um die eh vorhandene Vereinzelung nicht noch mal zu potenzieren,
wäre es wichtig, solche Cafés oder Räume zu schaffen, die
öffentlich zugänglich sind, damit dort Computer gemeinsam genutzt
werden können.
Frans: Das würden wir ja alle unterstreichen, daß Computernetze an
kollektive Strukturen angebunden sein müssen, weil sonst die Gefahr zu
groß ist, daß alle einzeln wie die Idioten vor ihren Kisten hocken.
Pauline: Für mich haben Computer schon eine sehr eindimensionale
Dimension, wie da mit Text und Sprache umgegangen wird, ich wünsch mir da
mehr.
Ella: Ich sehe das auch eher kritisch, wir hatten wie gesagt mal einen Computer
im Laden, und uns hat diese Informationsflut gestört, da wir ja eh so
viele Infos bloß verwalten und immer noch mehr reinkriegen, wo wir jetzt
schon am überlegen sind, ob wir alles haben müssen und oft doch nur
so wenig damit anfangen.
Ich würde lieber so'ne althergebrachte Vernetzungsmethode haben: erst mal
Diskussionsstrukturen innerhalb der Stadt aufbauen und daraus versuchen
bundesweit zu organisieren. Wo wir vor allem in den nächsten Jahren dran
überlegen müssen, wäre eine neue Inhaltsbestimmung hinzukriegen,
nicht eine Organisation aufzubauen, sondern definieren, was uns zusammenbringt.
Für diese Diskussion brauchst du natürlich auch Strukturen und
Medien, und die können das auch vorantreiben.
Jule: Das Radio ist ohne Vernetzung mit Projekten, in der Stadt oder sonstwo,
gar nicht lebensfähig, weil wir unsere kommende Sendezeit mit den paar
Frauen, die wir sind, gar nicht sinnvoll füllen können. Ich sehe im
Radio eine Chance für Diskussionen, z.B. eine Art regelmäßiges
Studiogespräch zu etablieren, wo verschiedene Frauen live, entweder als
'Expertinnen' oder auch nur so über ein Thema, diskutieren
könnten. Je mehr Gruppen unser Radio nutzen würden, desto besser
sieht es für die Zukunft aus.
Jule: Die Möglichkeit, da direkt und mündlich aufeinander reagieren
zu können, finde ich eine große Chance. Auch um die ganzen
Differenzen auszutragen. Von mir aus können sich die Gruppen die
Köpfe einschlagen im Studio.
Frans: Von wegen 'einschlagen': Anfang der 70er Jahre war der Saxophonist
von Ton Steine Scherben irgendwie an eine Einladung zu einer SFB-Jugendsendung
gekommen. Auf die Moderatorenfrage hin, was denn sein Anliegen sei, holte er
eine kleine Axt aus der Tasche und fing an, den Studiotisch kleinzuhauen. Aus
dem off hörsteste nur 'Aus! Abdrehen!', und das war's dann gewesen
mit der 'Diskussion mit jungen Leuten'. Aber damals gab's ja auch noch
keine freien Radios ...
Sol: Wir versuchen, Vernetzung mit Zeitschriften aus anderen Ländern
hinzukriegen, also erst mal Übersetzungen auszutauschen, z.B. mit
ekintza zuzena, hika und resiste aus dem Baskenland,
Derive e approdi aus Italien, und auch anderen. Wir haben auch schon
Radio gemacht, aber in Berlin hört niemand Kabelkanal, und bessere
Aussichten sind da ganz beschissen. Unser Problem ist immer, daß wir
für all die Projekte, die wir gerne machen würden, viel zu wenig
Leute sind. In der Arranca wollen wir eigentlich in jeder Ausgabe ein
politisches Projekt vorstellen, und da böte sich z.B das Radio St. Paula
an, das ich total interessant fände in einem Gespräch oder einer
Reportage vorzustellen. Wir werden auch bald im Internet sein mit der
Arranca.
Was sind unsere Pläne? Monatszeitschrift, Tageszeitung, Radiosender,
Fernsehsender, Satellitenprogramm... (Gelächter) Es ist schwer zu sagen,
wir werden uns in den nächsten Jahren einfach dem anpassen, was notwendig
ist oder notwendig erscheint. Wenn wir mal meinen nichts mehr zu sagen zu
haben, oder wenn alles woanders stehen kann, werden wir die Arranca
beenden. Den Eindruck haben wir aber zur Zeit überhaupt nicht.
Perspektiven? Schwer zu sagen. Spontan fällt mir ein, daß wir gerne
auch zusammenarbeiten würden mit Leuten, die nicht zum klassischen
autonomen Spektrum gehören, von anarchist to the front, einem neuen
linksradikalen Hip-hop-Magazin, bis hin zu DJs und natürlich mit sozialen
Initiativen, wie z.B. im Berliner Bündnis gegen Sozialabbau.
Traute: Und wir würden gerne weiter Plakate machen. Wir machen ja ein
überschaubares Medium, das wir selbst herstellen und zum Schluß auf
die Straße hängen, und das kann ziemlich schnell gehen. Wir stehen
da auch bereit für andere, was eigentlich viel zu wenig genutzt wird. Und
wir wollen Propaganda machen für Initiativen und Sachen, die wir gut
finden. Aber die, die zu uns kommen, sollen uns nicht nur als
Dienstleistungsunternehmen sehen, sondern sich auch selbst mit der Form -
Plakat - beschäftigen und werden auch eingebunden, die drucken dann ja
selbst mit.
Finn: Seid ihr eigentlich an Zusammenarbeit mit anderen PlakatmacherInnen
interessiert?
Willi: So viele Gruppen gibt es nicht, und bei den wenigen sind die Stile auch
sehr unterschiedlich, aber da hätte ich schon Interesse dran. Ich finde es
deswegen auch schade, daß kuk von der Göttinger Antifa heute
nicht kommen konnte, selbst wenn das wahrscheinlich ein Streitgespräch
geworden wäre. Perspektivisch hängen meine Vorstellungen immer noch
an der Flora, auch wenn sie gerade nicht so gut aussieht. Denn da treffen sich
immer noch viele, und nicht zuletzt könnte mehr an den Schnittstellen
zwischen kulturellem und politischem Bereich gearbeitet werden. Vielleicht
machen wir in fünf Jahren gar keine Plakate mehr, sondern Performances
oder sonst was, das ist wirklich offen.
Pauline: Im Radiobereich sind auch ganz viele Ideen noch nicht verwirklicht, in
fünf Jahren werden wir hoffentlich nicht nur dreieinhalb Stunden senden,
sondern eine eigene Frequenz haben. Am besten mit Morgenradio, und
Mädchenradio, was ich total klasse finde. Der Kontakt zu Migrantinnen und
Sendungen in anderen Sprachen wäre ausbaubar - da ist die Lust am
Probieren und Realisieren noch ganz stark.
Frans: Mögliche staatliche Repression haben wir jetzt gar nicht
einkalkuliert ...
Sol: Na ja, auch wenn ich sie kaum gelesen habe, finde ich toll, daß es
die radikal gibt, schon wegen der illegalen Produktions- und
Vertriebsstrukturen, und vielleicht müssen wir in ein paar Jahren darauf
zurückgreifen. So gesehen denke ich, die Arranca wird's, egal wie,
weiterhin geben ....
Frans: ... 'radikal ist Arranca', dann mal andersherum ...
Sol: ... und als konkrete Perspektive wollen wir eine Art
Arranca-Sonderblatt, so vier bis acht Seiten, was wir dann verteilen bei
geeigneten Anlässen.
Frans: Und ihr, habt ihr eine Leuchtreklame in fünf Jahren ...
Finn: ... oder dann nur noch eine Stunde pro Tag offen?
Ella: Nee, schön wäre, wenn wir dann noch mehr Leute sind und der
Laden von mehr Gruppen aus der Stadt getragen wird. Perspektivisch wäre es
schön, wenn die Jüngeren mehr werden und den Laden als ihren sehen
würden und die junggebliebenen Alten ihn für ihre politische Arbeit
nutzen würden.
Frans: Möchte noch jemand etwas sagen?
(Mehrere): Ach, wir könnten noch stundenlang weiterreden, aber nicht mehr
heute ...