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Sat Oct 7 02:43:56 1995
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Hausdurchsuchungen bundesweit
Da wir es noch nicht geschafft haben eine Zusammenstellung der Ereignisse
fertig zu stellen (diese wird im Laufe des Vormittags erscheinen)
verschicken wir hier den Artikel aus der Jungen Welt vom 14.6.95
Dokumentiert aus Junger Welt vom 14.6.95
> Unter verschiedenen Vorwänden durchwühlte die Polizei linke
> Wohnzimmer. Von Elke Spanner und Ivo Bozic
>> Hauptsache Großrazzia!
Bundesweit rund 50 linke Hausprojekte, Privatwohnungen und
Infoläden waren am Dienstag das Ziel einer großangelegten Razzia
der Polizei. In acht Bundesländern stürmten Sondereinsatz-
kommandos und Beamte der Landeskriminalämter sowie des BKA in
den frühen Morgenstunden die Häuser und politischen Zentren. Den
Einsatzbefehl gab die Generalbundesanwaltschaft (BAW) in Karls-
ruhe, die, so ihr Sprecher Rolf Hannich, im Zusammenhang mit
laufenden Ermittlungsverfahren gegen "linksextremistische und
linksterroristische Gruppierungen" die Durchsuchungen angeordnet
hatte. Über Details und Hintergründe der Großrazzia hatte die
BAW den Tag über eine Informationssperre verhängt. Die Meldung,
die Polizeiaktion richte sich gegen die Antiimperialistischen
Zellen (AIZ), wollte die BAW ebenfalls nicht eindeutig
bestätigen. Von konkreten Ermittlungsverfahren war in den
Durchsuchungsbefehlen nur vereinzelt die Rede. Hauptvorwand:
Unterstützung einer terroristischen Vereinigung sowie
Verbreitung der autonomen Untergrundzeitschrift radikal.
Vier Hausprojekte und Privatwohnungen wurden in Berlin
durchsucht. Der Einsatz wurde mit dem Verdacht der Verbreitung
der radikal begründet. In zwei Häusern suchte die Polizei
außerdem zwei Männer, nach denen im Zusammenhang mit dem
vereitelten Anschlag auf den in Bau befindlichen Abschiebeknast
in Grünau gefahndet wird. Dafür brachen sie morgens um sechs Uhr
mit Spürhunden in die Wohnungen ein und hielten die
BewohnerInnen bis mittag fest. Dazu, ob die Ermittlungen im
Zusammenhang mit Grünau auch den Hintergrund für Durchsuchungen
in anderen Städten abgaben, wollte sich BAW-Sprecher Hannich
ebenfalls nicht äußern.
In Hamburg wurde neben mehreren Privatwohnungen eine Druckerei
durchsucht. Die Polizei beschlagnahmte dabei Flugblätter sowie
eine Druckplatte, auf der sich ein Flugblatt des
"Antirassistischen Telefons" befand. Darin wird zu Mahnwachen
wegen rassistischer Übergriffe in Polizeistationen aufgerufen.
Außerdem wurden die BewohnerInnen von vier Privatwohnungen im
Schanzen- und Karolinenviertel durch das SEK geweckt. Vorwand
auch hier: Herstellung und Verbreitung der radikal . Bei den
Durchsuchungen wurden auch zwei oder drei Menschen verhaftet. Da
sie nach kurzer Zeit jedoch wieder freigelassen wurden, ist
davon auszugehen, daß ihre Festnahme nicht Ziel der Razzia war.
Anders hingegen in Schleswig-Holstein: In Rendsburg und Lübeck
nahm die Polizei zwei Männer fest, wobei der Haftbefehl gegen
sie wegen des Verdachts auf "Mitgliedschaft in einer
terroristischen Vereinigung" die Begründung der Durchsuchungen
von mehreren Wohnungen abgab. Wie ein Mitarbeiter vom "Projekt
Informationsdienstes Schleswig-Holstein" der jungen Welt be-
richtete, wurde einer der beiden bereits nach Karlsruhe
transportiert. Auch für die Durchsuchung des Infoladens in
Neumünster galt die Fahndung nach einem der beiden jetzt
Verhafteten als Grund. Nach Aussagen der Bundesanwaltschaft soll
er sich regelmäßig dort aufgehalten haben. Bei der Gelegenheit
beschlagnahmte die Polizei sämtliches Material aus dem Büro des
"Informationsdienst Schleswig-Holstein" - vom Archiv bis zu den
Computern.
Elf Durchsuchungen ließ die Generalbundesanwaltschaft in
Nordrhein-Westfalen durchführen - in Duisburg, Münster und Köln.
Hier waren die Einsätze nicht personenkonzentriert, zu
Festnahmen kam es nur kurzzeitig wegen Widerstands gegen die
Polizei. In Köln drang die Polizei in zwei ehemals besetzte
Häuser, eine Wohnung sowie in den Infoladen ein. Auch hier
verschafften sich die Beamten den Zutritt mit der Begründung,
sie seien auf der Suche nach Beweisen für die Herstellung der
radikal .
Insgesamt erscheinen die Gründe für die bundesweite Großrazzia
konstruiert. Auf der Suche nach den TäterInnen von Grünau wurde
das selbe Haus in Berlin-Kreuzberg bereits im Mai auf den Kopf
gestellt. Die in der Szene immer unbedeutender werdende radikal
existiert bereits seit rund zwanzig Jahren und wurde von den
Sicherheitsbehörden schon oft als Vorwand für repressive
Maßnahmen genutzt. Offenbar geht es der Ge-
neralbundesanwaltschaft um etwas anderes. Nachdem die Polizei in
den letzten Jahren häufiger mit Ermittlungen gegen
RechtsextremistInnen in die Öffentlichkeit getreten ist, war
jetzt wieder ein Beweis für die Schlagfähigkeit auch gegen die
radikale Linke fällig. Der letzte "Erfolg" in dieser Richtung,
Bad Kleinen, liegt zwei Jahre zurück und ging für die BAW eher
nach hinten los. Was vermutlich als "erfolgreicher Schlag gegen
Linksterrorismus" verkauft werden soll, war nicht mehr als ein
mediengerecht aufgebauschter Einschüchterungsversuch.