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Hauptsache Razzia / JW zu den heutigen Durchsuchungen
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               ***  Junge Welt - Leitartikel  ***
                Ausgabe von Mittwoch 14. 6. 1995
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> Unter  verschiedenen  Vorwänden  durchwühlte  die Polizei linke
> Wohnzimmer. Von Elke Spanner und Ivo Bozic
>> Hauptsache Großrazzia!
 Bundesweit  rund  50  linke  Hausprojekte,  Privatwohnungen  und
 Infoläden waren am Dienstag das Ziel einer großangelegten Razzia
 der  Polizei.  In  acht  Bundesländern  stürmten  Sondereinsatz-
 kommandos und Beamte der Landeskriminalämter  sowie  des  BKA in
 den frühen Morgenstunden die Häuser und politischen Zentren. Den
 Einsatzbefehl gab die  Generalbundesanwaltschaft (BAW) in Karls-
 ruhe, die, so ihr Sprecher Rolf  Hannich,  im  Zusammenhang  mit
 laufenden  Ermittlungsverfahren gegen  "linksextremistische  und
 linksterroristische Gruppierungen" die Durchsuchungen angeordnet
 hatte. Über  Details  und  Hintergründe der Großrazzia hatte die
 BAW den Tag über eine Informationssperre  verhängt. Die Meldung,
 die  Polizeiaktion  richte  sich gegen die Antiimperialistischen
 Zellen  (AIZ),  wollte  die  BAW    ebenfalls   nicht  eindeutig
 bestätigen.  Von  konkreten   Ermittlungsverfahren  war  in  den
 Durchsuchungsbefehlen nur  vereinzelt  die  Rede.  Hauptvorwand:
 Unterstützung   einer    terroristischen    Vereinigung    sowie
 Verbreitung der autonomen Untergrundzeitschrift radikal.
 Vier  Hausprojekte  und  Privatwohnungen    wurden    in  Berlin
 durchsucht. Der Einsatz wurde mit  dem  Verdacht der Verbreitung
 der  radikal  begründet.  In  zwei  Häusern  suchte  die Polizei
 außerdem  zwei  Männer,   nach denen  im  Zusammenhang  mit  dem
 vereitelten Anschlag auf den in Bau  befindlichen Abschiebeknast
 in Grünau gefahndet wird. Dafür brachen sie morgens um sechs Uhr
 mit  Spürhunden   in    die    Wohnungen  ein  und  hielten  die
 BewohnerInnen bis mittag fest.  Dazu,  ob  die  Ermittlungen  im
 Zusammenhang mit Grünau auch  den Hintergrund für Durchsuchungen
 in anderen Städten abgaben,  wollte  sich  BAW-Sprecher  Hannich
 ebenfalls nicht äußern.
 In Hamburg wurde  neben  mehreren Privatwohnungen eine Druckerei
 durchsucht. Die Polizei beschlagnahmte  dabei  Flugblätter sowie
 eine    Druckplatte,    auf    der    sich   ein  Flugblatt  des
 "Antirassistischen  Telefons" befand.  Darin  wird zu Mahnwachen
 wegen  rassistischer  Übergriffe in Polizeistationen aufgerufen.
 Außerdem wurden die BewohnerInnen  von  vier  Privatwohnungen im
 Schanzen-  und  Karolinenviertel  durch das SEK geweckt. Vorwand
 auch  hier:  Herstellung  und  Verbreitung der radikal . Bei den
 Durchsuchungen wurden auch zwei oder drei Menschen verhaftet. Da
 sie nach kurzer Zeit  jedoch  wieder  freigelassen  wurden,  ist
 davon auszugehen, daß ihre Festnahme nicht Ziel der Razzia war.
 Anders hingegen in Schleswig-Holstein:  In  Rendsburg und Lübeck
 nahm die Polizei zwei Männer fest,  wobei  der  Haftbefehl gegen
 sie  wegen    des    Verdachts   auf  "Mitgliedschaft  in  einer
 terroristischen Vereinigung" die  Begründung  der Durchsuchungen
 von mehreren  Wohnungen  abgab. Wie ein Mitarbeiter vom "Projekt
 Informationsdienstes Schleswig-Holstein"  der  jungen  Welt  be-
 richtete,  wurde   einer    der beiden  bereits  nach  Karlsruhe
 transportiert. Auch  für  die  Durchsuchung  des  Infoladens  in
 Neumünster  galt  die  Fahndung nach   einem  der  beiden  jetzt
 Verhafteten als Grund. Nach Aussagen der Bundesanwaltschaft soll
 er sich regelmäßig  dort  aufgehalten haben. Bei der Gelegenheit
 beschlagnahmte die Polizei sämtliches  Material aus dem Büro des
 "Informationsdienst  Schleswig-Holstein" - vom Archiv bis zu den
 Computern.
 Elf  Durchsuchungen   ließ    die  Generalbundesanwaltschaft  in
 Nordrhein-Westfalen durchführen - in Duisburg, Münster und Köln.
 Hier  waren  die  Einsätze  nicht    personenkonzentriert,    zu
 Festnahmen  kam  es  nur  kurzzeitig wegen Widerstands gegen die
 Polizei. In Köln drang die  Polizei  in  zwei  ehemals  besetzte
 Häuser, eine Wohnung  sowie  in den  Infoladen  ein.  Auch  hier
 verschafften sich die Beamten den  Zutritt  mit  der Begründung,
 sie seien auf  der  Suche  nach Beweisen für die Herstellung der
 radikal .
 Insgesamt erscheinen die Gründe für  die  bundesweite Großrazzia
 konstruiert. Auf der Suche nach den  TäterInnen von Grünau wurde
 das selbe Haus  in  Berlin-Kreuzberg bereits im Mai auf den Kopf
 gestellt. Die in der Szene immer  unbedeutender werdende radikal
 existiert  bereits  seit  rund  zwanzig Jahren und wurde von den
 Sicherheitsbehörden  schon  oft   als   Vorwand  für  repressive
 Maßnahmen    genutzt.       Offenbar    geht    es    der    Ge-
 neralbundesanwaltschaft um etwas anderes. Nachdem die Polizei in
 den  letzten  Jahren    häufiger    mit    Ermittlungen    gegen
 RechtsextremistInnen in die  Öffentlichkeit  getreten  ist,  war
 jetzt wieder ein Beweis für die Schlagfähigkeit  auch  gegen die
 radikale Linke fällig.  Der  letzte "Erfolg" in dieser Richtung,
 Bad Kleinen, liegt zwei Jahre zurück  und  ging für die BAW eher
 nach hinten los. Was  vermutlich als "erfolgreicher Schlag gegen
 Linksterrorismus" verkauft werden  soll,  war nicht mehr als ein
 mediengerecht aufgebauschter Einschüchterungsversuch.