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          Sat Oct  7 02:43:58 1995
         
       
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größter Staatsschutzangriff auf linke Strukturen seit fast 10
Größter Staatsschutzangriff auf linke Zusammenhänge seit  
fast 10 Jahren:
Zu den Verhaftungen und Durchsuchungen am 13.6.95 Am 13.6.95  
kam es auf Anordnung der Bundesanwaltschaft (BAW) bundesweit  
zu ca. 50 Durchsuchungen von Privatwohnungen, Räumlichkeiten  
von Arbeitsloseninitiativen, Frauen-Notruf- Projekten,  
verschiedenen Infoläden und antifaschistischen Zentren.
Die eingesetzten Polizisten gingen dabei z.T. mit äußerster  
Brutalität vor: Wohnungen wurden von vermummten SEK-  
Angehörigen in Kampfanzügen und mit gezogenen Waffen  
gestürmt, Türen wurden aufgesprengt, Blendschockgranaten  
kamen zum Einsatz, selbst Kinder wurden stundenlang  
festgehalten. Zwei Betroffene mußten eine Stunde nackt und  
gefesselt auf dem Boden liegen. Zufällig anwesende Personen  
wurden zu Zeugen erklärt, um sie mit Androhung von Beugehaft  
und anderen Repressalien zu sofortigen Aussagen zu  
erpressen: Wenn Sie nicht mehr sagen, kommen Sie nach  
Karlsruhe und das kann lebensbedrohlich für Sie werden.-  
(ein Staatsanwalt in Lübeck)
Gegen vier Leute aus Rendsburg, Lübeck, Münster und Berlin  
wurden Haftbefehle erlassen. Vorgeworfen wird ihnen,  
Mitverantwortliche für die Herstellung und den Vertrieb der  
linken Zeitschrift radikal- zu sein. Die radikal- wird in  
den Haftbefehlen zur kriminellen Vereinigung- erklärt und  
demgemäß nach den ±± 129 bzw 129a verfolgt. Die Verhafteten  
wurden in die Knäste Bruchsal, Karlsruhe, Rastatt und  
Heimsheim verschleppt. Ihre Haftbedingungen sind an das 24-  
Punkte-Programm des BGH angelehnt, d.h. sie sind vollkommen  
isoliert von anderen Gefangenen, Besuche laufen nur mit  
Trennscheibe, die Post dauert Wochen, wenn sie überhaupt  
durchgelassen wird, Zellendurchsuchungen und Erniedrigungen  
wie vollkommenes Entkleiden gehören zum normalen  
Tagesablauf.
Um den martialischen Polizeieinsatz am 13.6. gegenüber der  
Öffentlichkeit zu rechtfertigen, ließ die BAW zunächst  
medienwirksam verbreiten, es ginge vor allem um einen Schlag  
gegen die Antiimperialistischen Zellen-, das K.O.M.I.T.E.E.-  
und das legale RAF-Umfeld-, die für zahlreiche Anschläge in  
den letzten Jahren verantwortlich- seien. Doch angesichts  
der offensichtlichen Haltlosigkeit dieser Behauptung räumte  
Bundesinnenminister Kanther noch am gleichen Abend in der  
ARD ein, Ziel der Aktion sei eine zielgerichtete präventive  
Maßnahme zur Einschüchterung gegen die linksradikale Szene-.  
Und die in Staatsschutzangelegenheiten gewöhnlich gut  
unterrichtete Welt- ergänzte einen Tag später, das Vorgehen  
richte sich gegen die anarcho-kommunstisch orientierten  
Autonomen-, deren Betätigungsfelder Antifaschismus,  
Antirassismus, Antiimperialismus und Antikolonialismus-  
sind. Niemand anders als Kanther, der sich schon in den 70er  
Jahren für die Todesstrafe für hausgemachte Terroristen-  
stark machte, StartbahngegnerInnen als Faschisten  
bezeichnete und Kritik an seiner Politik rassistisch als  
Negeraufstand- abgetan hatte, hätte das politische Kalkül  
des Polizeieinsatzes besser auf den Punkt bringen können:  
mit einem willkürlich konstruierten und künstlich  
aufgebauschten Bedrohungsszenario durch eine Gefahr von  
links- soll das Augenmerk von den faschistischen  
Mordanschlägen und Umtrieben abgelenkt und dem immer größer  
werdenden gesellschaftlichen Druck, endlich wirksam dagegen  
vorzugehen, begegnet werden. Die politische Ausrichtung des  
Staatsschutzapparates gegen den Feind, der links steht- (so  
der ehemalige Generalbundesanwalt Rebmann) soll unter allen  
Umständen aufrechterhalten werden.
Die Ermittlungen gegen die vier Hauptbeschuldigten laufen  
bereits seit zwei Jahren, die Durchsuchungsbeschlüsse wurden  
schon vor drei Monaten ausgestellt ohne daß es für die BAW  
Anlaß zum Handeln gegeben hätte. Doch nach dem erneuten  
Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge und dem äbergreifen  
der faschistischen Briefbombenanschläge auf die BRD war für  
die Staatsschutzstrategen in Bonn, Wiesbaden und Karlsruhe  
offensichtlich der politisch geeignete Zeitpunkt zum  
Losschlagen - gegen Linke und AntifaschistInnen - gekommen.  
Die Kriminalisierung richtet sich dabei nicht nur gegen  
bestimmte Menschen, die sich den faschistischen Umtrieben  
tatsächlich entgegenstellen, zunehmend werden auch die  
Betätigungsfelder Antifaschismus, Antirassismus und  
Antiimperialismus- zum Bestimmungsmerkmal für terroristische  
Aktivitäten- erklärt, wenn sie mit regem  
Informationsaustausch- und europaweiter Kommunikation-  
(Zitat aus den Durchsuchungsbeschlüssen) verbunden sind.  
Selbst die minimalsten in der Linken noch vorhandenen  
organisatorischen Strukturen des Informationsaustausches  
sollen zerschlagen werden. Dazu gehört, daß bei fast allen  
durchsuchten Wohnungen und Info-Läden sämtliche  
Computeranlagen, Fax- und Telefongeräte, Dateien und Archive  
entwendet wurden, um sie so arbeitsunfähig zu machen. Der  
Polizeieinsatz diente darüberhinaus der totalen Ausforschung  
der persönlichen und politischen Zusammenhänge linker  
Strukturen (selbst Gartenteiche und Gemüsegärten wurden  
durchsucht und umgegraben, in einer Wohnung wurde die Kartei  
eines Kindes für den Disney-Fan-Club beschlagnahmt), mit der  
die Grundlage für die Kriminalisierung weiterer Menschen  
geschaffen wird. In Schleswig-Holstein wurden in Lübeck  
morgens um 6.00 Uhr sechs Wohnungen und Arbeitsstätten  
durchsucht und die Alternative- sowie die dortige  
Bauwagensiedlung von 150 schwer bewaffneten, zum Teil  
vermummten, PolizistInnen gestürmt. Neben einer Vielzahl von  
persönlichen und politischen Aufzeichnungen wurden  vorallem  
Computer, Software und Zubehör beschlagnahmt. Einer der  
ingesamt vier Verhafteten wurde bei der Staatsschutzaktion  
in Lübeck festgenommen und noch am gleichen Tag nach  
Karlsruhe geflogen.
In Neumünster wurde mit einem Durchsuchungsbefehl für den  
Infoladen auch gleich die Räume des Informationsdienstes  
Schleswig-Holstein und des Notrufs für vergewaltigte Frauen  
durchsucht. Umfangreiche Beschlagnahmungen (Computer usw.)  
gab es hier vorallem beim Informationsdienst.
In Rendsburg stürmte die Polizei eine WG mit gezogenen  
Pistolen. Auf diese freundliche Art wurden nicht nur drei  
Erwachsene sondern auch ein sechsjähriges Kind aus dem Bett  
geholt. Ein Bewohner der WG wurde verhaftet und ebenfalls am  
gleichen Tag nach Karlsruhe geflogen, auch von ihm wurden  
zahlreiche private und politische Unterlagen beschlagnahmt.  
In vielen Städten wird begonnen die Solidaritätsarbeit zu  
organisieren, deren vorrangiges Ziel die Freilassung der  
vier Verhafteten und die Rückgabe der beschlagnahmten  
Materialien ist. Es geht aber auch darum, den Versuch linke  
Politik als terroristisch- zu denunzieren, zurückzuweisen.  
Solidaritätsarbeit kostet viel Geld, die Gefangenen brauchen  
eine aufwendige Betreuung durch RechtsanwältInnen, deshalb  
spendet auf das Konto:
                        Sparkasse Kiel
                        BLZ: 210 501 70
                        Konto: 91 01 28 80
                        Inhab: Rote Hilfe e.V.
Was ist die radikal-?
Anfang der 80er Jahre entwickelte sich die radikal- zu einer  
bedeutenden bundesweiten Zeitung der immer größer werdenden  
autonomen und Hausbesetzerszene. Die radikal- wurde zu einem  
Forum, auf dem über Erfahrungen und Strategien des linken  
Widerstandes in der BRD diskutiert wurde. Neben  
Diskussionsbeiträgen war es für die MacherInnen aber immer  
schon wichtig, unterdrückte oder totgeschwiegene Nachrichten  
zu veröffentlichen, dazu gehörten und gehören unter anderem  
auch Erklärungen von Gruppen zu militanten Anschlägen in der  
BRD. Die Staatsschutzstellen waren von Anfang an darum  
bemüht, das Erscheinen und Verbreiten der radikal- zu be-  
bzw. verhindern. Nach zahllosen Hausdurchsuchungen und  
Ermittlungsverfahren wurden ein Mitbegründer der Zeitschrift  
und ein Herausgeber 1984 in Berlin zu 2 1/2 Jahren Knast  
verurteilt. Schon damals waren die Paragraphen 129a (Werbung  
für eine terroristische Vereinigung), ± 140 StGB (Billigung  
von Straftaten...) und ± 111 (Öffentliche Verbreitung...)  
Grundlage der Verurteilungen. Trotz dieser harten Urteile  
erschien die Zeitung weiter und alle Bemühungen der  
Staatsanwaltschaft der HerausgeberInnen habhaft zu werden,  
verliefen im Sande. Da sie die Produktion der Zeitung nicht  
verhindern konnten, änderten die Staatsschützer ihre Taktik  
und versuchten nun die Vertriebsstruktur der radikal- zu  
zerschlagen. 1986 kam es zu  zahllosen Hausdurchsuchungen  
bei linken Buchhandlungen und vermeintlichen radikal--  
HandverkäuferInnen. In 87 Ermittlungsverfahren versuchten  
die Staatsanwälte Verurteilungen wegen ±129a zu erreichen.  
Aber nur in wenigen Fällen gelang dies: so wurde z. B. 1987  
ein Handverkäufer der Radikal- in Frankfurt zu sieben  
Monaten Knast auf vier Jahre Bewährung verurteilt. Die  
Bedeutung der radikal- hat in den letzen Jahren in der  
linken Auseinandersetzung immer weiter abgenommen. Zum einen  
hat dies mit dem Niedergang vieler linker Strukturen und der  
Krise der Linken zu tun, anderseits aber lebt die Zeitung  
noch von ihrer Geschichte und ihrem Mythos, zu dem auch die  
Kriminalisierung nicht unwesentlich beiträgt. Trotz alledem:
Die radikal- wird gemacht, radikal- wird vertrieben,  
radikal- wird gekauft und auch gelesen. Die Kriminalisierung  
der radikal- ist nur ein Beispiel für die zahllosen Versuche  
der Staatschutzbehörden linke Öffentlichkeitsarbeit und  
Diskussion zu verhindern. Immer wieder sehen sich Verlage,  
Buch- und Infoläden, Zeitschriften und ihre VerteilerInnen  
mit Ermittlungsverfahren konfrontiert, deren eigentliches  
Ziel es ist, eine Kommunikationsstruktur zu zerschlagen und  
die öffentliche Debatte von Aktionen und Positionen aus der  
militanten Linken zu verhindern. Neu an den jetzt  
bekanntgewordenen Ermittlungsverfahren ist, daß die  
RedakteurInnen einer Zeitung als Mitglieder einer  
terroristischen Vereinigung verfolgt werden, daß gegen sie  
auf Grund inhaltlicher redaktioneller Beiträge eine  
Mittäterschaft- an von anderen Gruppen begangenen Anschlägen  
konstruiert wird. Wird diese Rechtsauslegung der  
Bundesanwaltschaft von den zuständigen Oberlandesgerichten  
bestätigt, ist das nichts anderes als das Todesurteil für  
den Rest kritischen Journalismus in der BRD.
 Der staatlichen Kriminalisierung ist die radikal- durch  
aufwendige Produktions- und Vertriebsbedingungen bisher  
immer entgangen, die Alternative wäre gewesen, auf das  
Veröffentlichen von bestimmten inhaltlichen Themen zu  
verzichten oder die Zeitung ganz einzustellen.
V.i.S.d.P.: Rote Hilfe e.V., Postfach 6444,
24125 Kiel, Tel/Fax: 0431/7 51 41
                        Spendenkonto:
                        Sparkasse Kiel
                        BLZ: 210 501 70
                        Konto: 91 01 28 80
                        Inhab: Rote Hilfe e.V.
Schreibt den Gefangenen:
Werner Konnerth, Rainer Paddenberg,
Andreas Ehresmann, Ralf ???
über Ermittlungsrichter am BGH
76125 Karlsruhe
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