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Sat Oct 7 02:43:58 1995
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Bremer Stellungnahme z.d. Durchsuchungen
+++++ weitergeleitet am Fr, den 07.07.95 von SpinnenNetz Bremen +++++++
*Eine Prise Staatsschutz*
Bremer Stellungnahme zu den bundesweiten Hausdurchsuchungen am 13.6.'95
Am Dienstag, dem 13 Juni wurden in mehreren Staedten mindestens 80 Wohnungen,
Arbeitsstaetten und Laeden durchsucht. Als Vorwand dienten der
Bundesanwaltschaft(BAW) Durchsuchungs- und Haftbefehle nach ^U 129 und
^U 129a (Werbung-, Unterstuetzung fuer- und Mitgliedschaft in einer
"kriminellen" und/oder "terroristischen" Vereinigung). Konkret ging es
bei den Duchsuchungen um mindestens 3 verschiedene Komplexe: Unterstuetzung
bzw. Mitgliedschaft in den "Antiimperialistischen Zellen"(AIZ), denen
verschiedene Anschlaege in den letzten 2 Jahren zur Last gelegt werden,
Unterstuetzung oder Mitgliedschaft in der Gruppe K.O.M.I.T.E.E., der ein
missglueckter Anschlag auf den Neubau eines Abschiebegefaengnisses in Berlin
und ein weiterer Anschlag auf eine Bundeswehrkaserne zugerechnet wird und
als dritter Punkt den Vertrieb und die Herstellung der Zeitschrift "radikal",
verbunden mit Werbung und Unterstuetzung von "terrorisischen Vereinigungen".
Die in den Wohnungen oder Laeden angetroffenen Personen wurden von
Sondereinsatzkommandos um 6.00 morgens vorlaeufig festgesetzt. Fast ueberall
wurden bei dem Eindringen dieser Sondereinsatzkommandos saemtliche Tueren
zerstoert, die Maenner und Frauen wurden unter Waffengewalt von vermummten
und mit schusssicheren Westen ausgestatteten Polizisten gefesselt und der
Bundesanwaltschaft und dem Bundeskriminalamt uebergeben. Dabei wurden auch
Kinder mit vorgehaltener Waffe bedroht und terrorisiert. Beschlagnahmt
wurden in den durchsuchten Wohnungen und Laeden Computer, Disketten,
Kommunikationsmittel wie Telefax und Mobiltelefone, persoenliche Unterlagen,
Briefe, Fotos und politische Texte usw. Mit den Unterlagen vom
Grundbuchamt wurden die Wohnungen vom BKA nachgemessen, um so eventuell
vorhandene Zwischenwaende aufspueren zu koennen. In einem Fall in Bremen
wurde die Stahltuer einer Wohnung vom Sondereinsatzkommando aufgesprengt.
Die Folgen der Eingriffe in die politische Arbeit der Maenner und Frauen
sind noch nicht genau abzusehen, ebensowenig wie weit mit diesen
Durchsuchungen und der damit verbundenen Beschlagnahmungen z.B.
erwerbstaetige Arbeit beruehrt wird. Die Aktion der Bundesanwaltschaft war
zielgerichtet. Sie diente sowohl zum Auffinden von Personen zwecks
Vorfuehrung beim Haftrichter, als auch dem Aufspueren von strukturellen
Zusammenhaengen in den Staedten. Die Persoenlichkeit und der einzelne
Zusammenhang innerhalb der linksradikalen Bewegung sollte auf das
genaueste ausspioniert werden. Dafuer wurde alles, was von Interesse sein
koennte beschlagnahmt: Bankauszuege, um zu erforschen, wovon einzelne Leute
leben, Tagebuecher, Buecher und Broschueren in denen einzelne Textpassagen
unterstrichen sind, um detaillierter zu erfahren, womit sich einzelne
beschaeftigen, was sie moeglicherweise auch nur bewegt, Fotos und persoenliche
Briefe von Eltern, Verwandten und FreundInnen, Telefonbuecher und
Adressenlisten.
4 Leute aus verschiedenen Staedten wurden noch am selben Tag zum
Haftrichter nach Karlsruhe geflogen. Zur Zeit sind alle 4 im Knast und
den ueblichen Sonderhaftbedingungen fuer politische Gefangene ausgesetzt.
Die vier Maenner wurden auf verschiedene Gefaengnisse verteilt:
Heinzheim, Karlsruhe, Rastatt und Bruchsal.
Ein Vorwand - neben der Mitgliedschaft in einer kriminellen/terroristischen
Vereinigung wie AIZ und K.O.M.I.T.E.E. - ist der Vorwurf der
redaktionellen Mitarbeit und Verbreitung der linken Zeitschrift "radikal".
Die neue Dimension dieser Aktion ist, dass Redaktionsarbeit selber zur
Taetigkeit einer "kriminellen Vereinigung", deren Zweck das Begehen von
Straftaten sei, stilisiert wird. Dies koennte Auswirkungen auf alle
linken und feministischen Veroeffentlichungen haben. Damit wird die
bundesdeutsche Gesinnungsjustiz und ihr Charakter deutlich:
Immer wieder werden politische Menschen aus ihren Zusammenhaengen
herausgerissen und jahrelang hinter Gitter, Stahlbeton und
Glasbausteine gesperrt.
Mit den ^U^U 129 und 129a wird jede Schueffelei und Aushorchung und die
Gewalt des Staates legitimiert. Gleichzeitig werden damit den
verschiedenen Polizeien der einzelnen Bundeslaender und dem
Verfassungsschutz viele weitere Gruende fuer Drangsalierung und
Ermittlungstaetigkeiten gegeben.
Die jetzige Durchsuchungs- und Festnahmeaktion legitimiert dann auch
im Nachhinein die teils jahrelange Observation und Telefonueberwachung
einzelner aus den linksradikalen Zusammenhaengen. Und es schafft die
Voraussetzung fuer jede weitere Massnahme der Bundesanwaltschaft
in der Zukunft. Kaum eineR wird jemals so richtig fassen koennen,
was sich die Herren und Damen der obersten bundesdeutschen
Strafverfolgungsinstanz in ihren Gesinnungshirnen ausdenken, wie sie
die "neuen Erkenntnisse" umsetzen und mit welchen Mitteln sie zu
ihren naechsten Schlaegen gegen die verschiedenen Widerstandsstroemungen
ausholen werden.
Ansonsten: Fuer viele ist es noch voellig offen, ob und wie gegen
sie ermittelt wird, ob sie "Beschuldigte" oder ZeugInnen werden
sollen, oder ob ihre Ermittlungsverfahren irgendwann klammheimlich
eingestellt werden.
*Zu den Durchsuchungen im einzelnen (kein Anspruch auf Vollstaendigkeit):*
In Bremen wurden 7 Wohungen, 5 Laeden und Arbeitsstellen wegen der
Zeitschrift "radikal" und den AIZ durchsucht. 8 Personen sind
direkt von den Ermittlungen betroffen. Nur in zwei Faellen wurden
Begruendungen fuer die Durchsuchungen vorgelegt. Die Ermittlungen
gegen 5 Maenner und Frauen richten sich gegen die Zeitschrift "radikal";
bei den drei anderen wird wegen des Verdachtes der Mitgliedschaft
in den AIZ ermittelt - konkret geht es um den "Anschlag" auf die
FDP-Zentrale in Bremen vom 26. o9. 1994. Wie bei den Durchsuchungen
nach den ^U^U 129 und 129a ueblich, wurde auch das vermeintliche
"naehere Umfeld" der Betroffenen ausspioniert.
So wurden dann der Frauenbuchladen Hagazussa, der Infoladen "Umschlagplatz",
der BBA-Infoladen und eine Praxistherapiegemeinschaft durchsucht.
In dieser Praxis wurden ebenso die Computer und Zubehoer beschlagnahmt.
Damit verfuegt die Bundesanwaltschaft ueber intime und persoenliche
Patientinnendaten.
In Hamburg sind 15 Wohnungen und Arbeitsstellen betroffen. Alle
Betroffenen wurden zuerst in verschiedene Polizeiwachen verschleppt
und anschliessend im Polizeihochhaus am Berliner Tor erkennungsdienstlich(ED)
behandelt. Die Vorwuerfe in HH waren zum einen die Unterstuetzung und
Herstellung der Zeitschrift "radikal" und zum anderen die Unterstuetzung
und Mitglieschaft in den AIZ. Im Falle der AIZ ermittelt die
Bundesanwaltschaft wegen eines Anschlages auf das Rechtshaus der
Uni Hamburg 1992. Die Tatsache, dass einige der Beschuldigten in
Hamburg Jura studieren oder Leute kennen, die dies tun, reicht
offensichtlich als Begruendung fuer die Durchsuchungen.
In Berlin wurden 5 Wohungen und 2 Haeuser durchsucht, hauptsaechlich
wegen der Zeitschrift "radikal" und wegen der Gruppe K.O.M.I.T.E.E.
Eine Person wurde in Berlin verhaftet.
In Oldenburg wurde eine und in Koeln wurden 5 Wohnungen, das Anti-Cafe,
ein Infoladen, das Archiv Radikal und der Frauenraum durchsucht.
In Muenster wurden 5 Wohnungen durchsucht, dabei wurde eine Person
festgenommen.
In Luebeck wurden 4 Personen festgenommen, drei nach der ED-Behandlung
wieder freigelassen. Durchsucht wurden das Arbeitslosenzentrum,
drei Bauwagen, eine Schreinerei und ein Elektrobetrieb.
In Neumuenster wurden die Raeume des Informationsdienstes Schleswig-Holstein
leergeraeumt.
In Rendsburg wurde eine Person verhaftet und nach Karlsruhe geflogen.
*Eine eindeutige Warnung - ein eindeutiges Signal*
Die Durchsuchungen und Festnahmen waren lange vorbereitete Aktionen
der Bundesanwaltschaft. Wie inzwischen bekannt ist, wird seit mindestens
1993 gegen den Komplex "radikal" ermittelt; in den beiden anderen
seit 1994. Was mittels der 3 Komplexe auf den ersten Blick wie
"Quer-Beet" ausschaut, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als eine
wohldurchdachte Strategie der Bundesanwaltschaft.
Mit dem Gesamten - "radikal", AIZ und K.O.M.I.T.E.E. - soll in der
Oeffentlichkeit der Eindruck entstehen, als existiere eine
gefaehrliche "Allianz terroristischer und krimineller Gruppen"
in der Bundesrepublik. Tatsaechlich sieht es ganz anders aus:
Das eine ist eine Zeitung, und das andere sind militante Gruppen.
Beide verstehen sich als Teile der linksradikalen Strukturen.
Damit wird auch deutlich, um was es den Bundesbehoerden mit den
Durchsuchungen und Festnahmen geht. So soll eine Bewegung eingeschuechtert
und verunsichert, einzelne kriminalisiert und die Zeitung "radikal"
in ihrer politischen Arbeit zerschlagen werden. Durch den
mediengerechten Verkauf der Aktion der Bundesanwaltschaft als
"Schlag gegen den Linksextremismus" soll wieder einmal von den
wirklichen Verhaeltnissen und Gefahren, die von der Politik der
Bundesregierung ausgehen, abgelenkt werden. Diese Regierung
will freie Hand fuer ihre Kriege, z. B. im ehemaligen Jugoslawien,
und den staatlichen Rassismus. Das Konstrukt der "Gefahr von Links"
soll die dafuer noetige Friedhofsruhe liefern. Nicht mit uns!
Sofortige Freilassung der Inhaftierten!
Rueckgabe aller beschlagnahmten Gegenstaende!
Einstellung aller Ermittlungsverfahren!
Weg mit den ^U^U 129 und 129a!
Fuer freie politische Kommunikation!
Und:
Keine Aussagen - nirgendwo!
Keine Spekulationen ueber irgendetwas und irgendwen!
Spendet auf unser Solidaritaetskonto:
Kontonr.:117 030 48
BLZ:290 501 01 (Sparkasse Bremen) - Stichwort 13.6.
Bremen, 24. Juni '95 - Bremer Solidaritaetskomitee
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