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Sat Oct 7 02:43:58 1995
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Bleibt radikal
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Wir dokumentieren den Text eines Flugblattes:
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Bleibt radikal
"es ging ja nie um illegalitaet als selbstzweck, sondern als voraussetzung
fuer freie kommunikation und vermittlung radikaler politischer Inhalte"
(ID-Interview mit einer radi-gruppe, 1989)
13. Juni 1995:
Die Bundesanwaltschaft inszeniert einen gross angelegten Coup gegen
linksradikale Srukturen. Ab 6.00 Uhr morgens werden bundesweit
ca.50 Wohnungen und linke Projekte gestuermt. Die buergerlichen Medien
unterfuettern die Aktion willfaehrig als "Schlag gegen terroristische
Gruppen", zurren die Schleife um das BAW-Paket von AIZ, K.O.M.I.T.T.E. und
radikal unhinterfragt zu und sichern es durch einen medialen Doppelknoten
ab. Legitimiert durch die Zauberformel des § 129 (ob nun a oder nicht),
sowie der Stigmatisierung durch die Bezeichnung "terroristische Gruppen",
erscheint die Vorgehensweise der Bullen als normal. Dass da Wohnungen von
Hundertschaften getuermt werden, mit gezogener Knarre Kinder aus dem Bett
gezerrt werden, fiese Bullenfressen verborgen hinter ihrer
Anti-Terror-Maske diese Knarren auf die Koepfe von Menschen richten, denen
"nur" die Mitarbeit an einer linksradikalen Zeitung unterstellt wird - das
ist bundesdeutsche Realitaet. Unter dem Vorwand, sie haetten die radikal
verteilt oder gar hergestellt, wurden Menschen aus der linken Szene quer
durch die Republik, von Berlin ueber Hamburg bis Koeln terrorisiert. Die
groesste Durchsuchungsaktion gegen die deutsche Linke - kurdische GenossInnen
sind in den letzten Jahren regelmaessig in diesem Ausmass heimgesucht worden -
seit langer Zeit.
Am Abend im Fernsehen dann kaum noch ein Wort ueber AIZ
und K.O.M.I.T.T.E., dafuer aber - soviel publicity hatten wir schon lange
nicht mehr - reichlich Bilder aus dem radikal-Archiv des BKA, peppig in
Szene gesetzt und die Meldung von 4 Verhaftungen mit der Begruendung:
Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, der radikal. Zudem werde
gegen 21 Bekannte sowie weitere Unbekannte wegen der Unterstuetzung bzw.
der Mitgliedschaft in unserer "kriminellen Vereinigung" ermittelt.
Genuegend Gruende also, uns selbst abseits der normalen radikal-Ausgaben zu
Wort zu melden. Das dies nicht eben schnell geht, wissen alle, die die
radikal kennen oder selbst Erfahrungen mit ueberregionalen
Organisationsstrukturen haben.
Wir werden uns hueten, unseren Stellenwert im linksradikalen Geflecht ueber
die Intensitaet der Repression hoeher zu haengen als er wirklich ist. Wir
mussten immer mit einem solchen Schlag rechnen. Und doch ist bemerkenswert,
mit welcher Haerte der Apparat gegen ein Zeitungsprojekt vorgehen kann, ohne
auch nur mit dem Hauch eines Aufschreis von Seiten einer "linksliberalen
Oeffentlichkeit" rechnen zu muessen. Bezeichnend ist auch die Kontinuitaet,
mit der selbst in Zeiten einer schwachen radikalen Linken gegen solche
Strukturen vorgegangen wird. Kaum scheint di BAW bei ihrem ersten Versuch
gescheitert, die Goettinger Antifa (M) mittels demselben Paragraphen 129 zu
kriminalisieren, und gerade duerfte in Vergessenheit geraten sein, dass das
Koelner Kurdistan-Buero neben zahlreichen anderen kurdischen Vereinen von den
Bullen gestuermt und zuvor verboten wurde, weil es den "PKK-lastigen"
Kurdistan-Rundbrief herausgegeben hatte, da landet die Staatsgewalt ihren
naechsten Coup gegen die Reste organisierter Strukturen der radikalen Linken
in Deutschland - am gleichen Tag, an dem der Nazi-Briefbombenterror gegen
einen Luebecker SPD-Politiker zuschlaegt.
Es ist offensichtlich, dass sich dieser Schlag nicht nur gegen uns richten
sollte. Wir haben lediglich einen guenstigen Vorwand abgegeben. "Die
Aktion war eine zielgerichtete praeventive Massnahme zur Einschuechterung
gegen die linksradikale Szene", liess Innenminister und Abschiebespezialist
Kanther noch amselben Abend verlautbaren. Waehrend sich der rechte Terror
verschaerft und das grosse Deutschland in rot-gruen-schwarzer Einigkeit zum
ersten Auslands Einsatz der Bundeswehr blaest, soll klar gemacht werden, wo
der wirkliche Feind steht, naemlich links. Die Botschaft des Vormittags ist
eindeutig, der Zusammenhang AIZ, K.O.M.I.T.T.E. und radikal sollte in den
Koepfen, auch in denen der Linken, haengen bleiben, und damit eine
Gleichstellung dieser Gruppen bewirken, um die Kriminalisierung zu
vereinfachen.
Zur bescheidenen Erinnerung:
Wir machen und verteilen eine Zeitung. Eine Zeitung, in der jenseits
staatlicher Kontrolle und Selbstzensur (Schere im Kopf) unter anderem eine
Auseinandersetzung ueber Strassenmilitanz und bewaffneten Kampf stattfindet
- - und das zweifellos nicht "neutral". Wir lehnen die Anerkennung des
staatlichen Gewaltmonopols ausdruecklich ab. Im Gegenteil, wir sind
parteilich. Die bestehenden Verhaeltnisse koennen nur dann erschuettert
werden, wenn sich die linksradikalen Gruppen und Zusammenhaenge Faehigkeiten
und Strukturen aneignen, um punktuell auch schon heute wirksame Gegenmacht
entwickeln zu koennen. Dies schliesst notwendigerweise militante und auch
bewaffnete Interventionen mit ein, welche ohne Rueckkopplung und Vermittlung
ins Leere laufen. Natuerlich freuen wir uns ueber jede durch militante
AntifaschistInnen verhinderte Nazi-Veranstaltung. Als eine unserer
Aufgaben sehen wir es an, faschistische Strukturen aufzudecken, um dadurch
alte und neue Nazis angreifbarer zu machen und halten dies auch weiterhin
fuer einen - einen - wichtigen Aspekt antifaschistischer Arbeit.
Selbstverstaendlich waere auch unsere Begeisterung gross gewesen, haetten wir
den Titel der naechsten Ausgabe mit dem Bild des gesprengten
Abschiebeknastes in Berlin/Gruenau zieren koennen. Jede/r, der oder die
versucht, gegen die deutsche Fluechtlingspolitik zu intervenieren, haette
sich ueber diesen konkreten Schritt gegen die Abschiebemaschinerie gefreut.
Eine radikale Linke, die ihre Geschichte der letzten 25 Jahre ernst nimmt,
muss sich mit den Erfolgen und Fehlern von bewaffneten und militanten
Gruppen, seien es RAF, Bewegung 2. Juni, Revolutionaere Zellen oder
militante autonome Gruppen auseinandersetzen und daraus Konsequenzen fuer
die Zukunft ziehen.
Und sie darf sich nicht darauf beschraenken, in die Geschichte
zurueckzublicken, sondern muss die aktuellen Entwicklungen wahrnehmen und ein
Teil von ihnen bleiben, dh. sich in den jetzt agierenden antifaschistischen
Zusammenhaengen bewegen oder beispielsweise die Auseinandersetzung mit den
von uns sehr kritisch beaeugten AIZ fuehren. Der Raum fuer diese Diskussion
muss staaendig neu erkaempft und gegen staatliche Angriffe verteidigt werden.
Nicht mehr, aber auch nicht weniger versucht die radikal zu ermoeglichen,
indem sie eine notwendige Struktur zur Verfuegung stellt und sich punktuell
selber zu Wort meldet. Beinahe ueberfluessig zu erwaehnen, dass die
Bullenaktionen gegen die radikal immer gleichzeitig der Kriminalisierung
anderer linker Strukturen, die diesen notwendigen Raum zur Verfuegung
stellen, Vorschub leisten. So zB. der Kriminalisierung von Infolaeden und
anderen linksradikalen Zeitungen.
Dem aktuellen Angriff gegen uns liegen
im Vergleich zu den vorherigen repressiven Kampagnen zwei grundsaetzlich
neue Qualitaetsunterschiede zugrunde. Einerseits werden wir nun zur
eigenstaendigen "kriminellen Vereinigung" gemacht, andererseits wird der
radikal erstmalig "durchgaengig strafbarer Inahalt" unterstellt. Ein Blick
in die letzten Ausgaben zeigt, was denn nun alles strafbar sein soll.
Antirassistische Strassenumbenennungen in Braunschweig, Thesen zu
Nationalismus und Befreiungskampf in Kurdistan, eine Aufarbeitung der
Geschichte der patriarchalen Geschlechterspaltung, ein Aufruf zur Nutzung
nichtkommerzieller Radios, Debatten ueber linke Kampagnen zum 8. Mai ...
Strafbarer Inhalt? Mussten bisher immer einzelne Artikel, mest wegen
"Unterstuetzung terroristischer Vereinigungen" kriminalisiert werden, spart
sich jetzt die BAW die Muehe und erklaert uns der Einfachheit halber gleich
zur "kriminellen Vereinigung". Damit wird offensichtlich jeder Inhalt
kriminell. Gerade aber die Mischung aus theoretischen Aufarbeitungen und
konkretem Ein- und Angreifen, aus Diskussionen und praktischen
Handlungsanleitungen, macht die radikal fuer viele lesenswert. Und auf
diese Mischung legen wir Wert. Die radikal soll mobilisieren zum Kampf
gegen Nazis und Tips zum Stoppen des Castor-Transports geben, sie soll aber
auch informieren ueber die Debatte zum Antinationalismus oder Hintergruende
zur Enstehung kapitalistischer oder patriarchaler Strukturen vermitteln.
Und sie soll vor allem denen in den hintersten Winkel der Republik Raum
bieten fuer ihre Aktionen und Schwierigkeiten, die den Augen einer
metropolenfixierten und abgeklaerten Linken schon lange entgangen sind.
Diese Mischung erklaert die BAW als kriminell.
Was die Verfolgungsbehoerden ueber uns erzaehlen, klingt fast wie ein Krimi.
"Hochkonspirativ" seien wir organisiert, zudem haetten wir "festgefuegte
Organisationsstrukturen". Was da gefaehrlich und straight anmutet ist
jedoch eher eine banale Feststellung. JedeR, der oder die eine Zeitung
machen will, braucht "festgefuegte Organisationsstrukturen", muss sich
zusammensetzen, ueber den
geplanten Inhalt diskutieren, die Verteilung organisieren, Abos
verschicken, Artikel schreiben, auf LeserInnen antworten und und und. Was
uns von jeder legal erscheinenden Zeitung unterscheidet ist die Tatsache,
das wir diese Struktur der staatlichen Kontrolle und damit dem Zugriff der
Zensurbehoerden entzogen haben. Wir haben ueber die Jahre eine
Organisationsstuktur aufgebaut, mit der eine fuer den derzeitigen
Zustand der radikalen Linken vergleichsweise hohe Auflage von Zeitungen
verdeckt bundesweit verteilt wird. Wie in anderen Gruppen, die versuchen,
offene oder verdeckte Strukturen aufzubauen, sind wir so wieder zur
Zielscheibe staatlicher Repression geworden. Aus ihren Augen gesehen hat
die BAW dafuer gute Gruende, denn alle bisherigen Schritte gegen uns haben
ihr Ziel nicht erreicht. Immer erschien die radikal weiter und haengte sich
keinen Maulkorb um. 1982 wurden ca. 20 Wohnungen, Buchlaeden und
Druckereien durchsucht, um gegen die radikal wegen der "Unterstuetzung einer
terroristischen Vereinigung" vorzugehen. 1984 wurden zwei angebliche
Herausgeber der Zeitung zu zweieinhalb Jahren Knast verurteilt. Sie
konnten sich der Haft entziehen, da sie als Abgeordnete fuer die Gruenen ins
Europaparlament gingen. 1991 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren
gegen Zahlung einer Geldbusse ein. Der naechste Schlag folgte 1986, als die
radikal schon verdeckt organisiert war. Diesmal waren ca. 100 Buchlaeden
und Wohnungen das Ziel der Bullen. Knapp 200 Verfahren wurden eingeleitet,
letztendlich wurden fuenf Leute zu 4-10 Monaten auf Bewaehrung verurteilt.
Die Repressionswelle 1986 hatte - neben den immer miteinkalkulierten
Zielsetzungen der Einschuechterung und Abschreckung, sowie der Fixierung der
Aktivitaeten auf die Repression - vor allem eins im Sinn. Die radikal
sollte aus der Oeffentlichkeit vertrieben und ihr Wirkungskreis eingedaemmt
werden. Dies gelang nicht. Trotz dem Abspringen zahlreicher Buchlaeden,
die meist noch aus der legalen Zeit der radikal stammten und lediglich hohe
Zahlungsdefizite hinterliessen, wurde die Arbeit an der radi sowie deren
Verteilung immer dezentraler aufgeteilt. Ein ganzes Netz aus Gruppen und
Personen uebernahmen aus ihren Bedingungen heraus ein Stueck Verantwortung
fuer die Zeitung. 1989 schlugen die staatlichen Zensurbehoerden ein weiteres
Mal zu, nachdem der Amsterdamer ID-Verlag ein Interview mit uns als
Broschuere herausgegeben hatte.
Der Schlag der BAW macht einmal mehr
deutlich, dass das ganze Gezetere der buergerlichen Medien und der
Linksliberalen gegen die Politik bewaffneter Gruppen mit dem Tenor "Eure
Aktionen ermoeglichen es der Staatsgewalt, die Repressionsschraube immer
weiter anzudrehen" vollkommene Augenwischerei sind. Auch durch den
Gewaltverzicht der Guerilla wird nicht der Raum geoeffnet fuer
"gesellschaftlich andere Auseinandersetzungsebenen". Die Aufmerksamkeit der
Saubermaenner fuer Ordnung und Ruhe richtet sich weiterhin gegen
linksradikale Gruppen, die als gemeingefaehrlich definiert und im gewohnten
und bereits erreichten Niveau angegriffen werden.
Vier Leute sitzen jetzt im Knast ! Das geht auch an uns nicht eben locker
und spurlos vorbei. Daher wollen wir auf alle Faelle den Austausch und die
kommunikation mit den Solidaritaetsgruppen.
Der Vorwurf gegen die 4 lautet: Sie sollen die radikal gemacht und verteilt
haben. Aber wer "macht" denn eigentlich die radikal ? Diejenigen, die
Berichte von ihrer letzten Antifa-Aktion schicken, oder jene, die mal eben
10 Zeitungen von hier nach dort bringen und in ihrem FreundInnenkreis
verteilen, oder vielleicht der, der ein paar Berichte abschreibt und
lay-outet. oder die, die dafuer sorgt das nur ein einziges exemplar durch
die mauern des Knastes dringt ? Vielleicht meint die BAW ja auch die, die
wochenlang diskutieren, um danach lange artikel in der radi zu
veroeffentlichen. Oder jene, die tagelang hinter der Druckmaschine stehen ?
Wiir wissen nicht ganz genau, wen die Verfolgungsbehoerden als die radikal
bezeichnet, aber wir wissen, gemeint sind wir alle !
Alle die weiterhin darauf bestehen, dass die radikale Linke
Kommunikationsstrukturen braucht, die sich der Kontrolle und dem Zugriff
der Staatsgewalt des Staatsapparates entziehen. Und alle, die weiterhin
darauf bestehen, dass man/frau sich organisieren muss, um im
kapitalistisch-patriarchalen Alltag nicht unterzugehen. Deshalb liegt es
auch an uns allen, diesen Angriff nicht unbeantwortet zu lassen
und hinzunehmen.
Wir brauchen eine unkontrollierte Widerstandspresse !
Lest, nutzt, verteilt und bleibt radikal !
Powrige Gruesse an Rainer, Ralf, Werner und Andreas !
Raus mit den Gefangenen !
Die Zaehne zeigt wer's Maul aufmacht !
Einige radikal-Gruppen
Die radikal ist erreichbar ueber 1. Umschlag: NN, Van Ostadestraat 233n,
NL-1073 Amsterdam. 2. Umschlag: Z.K.
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p.
Infogruppe Hamburg (ifghh@krabat.nadir.org)
c/o Schwarzmarkt
Kleiner Schaeferkamp 46 20357 Hamburg
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Version: 2.3
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