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Bleibt radikal


  • Subject: Bleibt radikal
  • From: ifghh@krabat.nadir.org (Infogruppe Hamburg)
  • Date: 07 Jul 1995 14:11:00 +0000

  • 
    
    
    -----BEGIN PGP SIGNED MESSAGE-----
    
    
    Wir dokumentieren den Text eines Flugblattes:
    
    - ---
    
    Bleibt radikal
    
    "es ging ja nie um illegalitaet als selbstzweck, sondern als voraussetzung
    fuer freie kommunikation und vermittlung radikaler politischer Inhalte"
    
    (ID-Interview mit einer radi-gruppe, 1989)
    
    13.  Juni 1995:
    Die Bundesanwaltschaft inszeniert einen gross angelegten Coup gegen
    linksradikale Srukturen. Ab 6.00 Uhr morgens werden bundesweit
    ca.50 Wohnungen und linke Projekte gestuermt.  Die buergerlichen Medien
    unterfuettern die Aktion willfaehrig als "Schlag gegen terroristische
    Gruppen", zurren die Schleife um das BAW-Paket von AIZ, K.O.M.I.T.T.E. und
    radikal unhinterfragt zu und sichern es durch einen medialen Doppelknoten
    ab.  Legitimiert durch die Zauberformel des § 129 (ob nun a oder nicht),
    sowie der Stigmatisierung durch die Bezeichnung "terroristische Gruppen",
    erscheint die Vorgehensweise der Bullen als normal.  Dass da Wohnungen von
    Hundertschaften getuermt werden, mit gezogener Knarre Kinder aus dem Bett
    gezerrt werden, fiese Bullenfressen verborgen hinter ihrer
    Anti-Terror-Maske diese Knarren auf die Koepfe von Menschen richten, denen
    "nur" die Mitarbeit an einer linksradikalen Zeitung unterstellt wird - das
    ist bundesdeutsche Realitaet.  Unter dem Vorwand, sie haetten die radikal
    verteilt oder gar hergestellt, wurden Menschen aus der linken Szene quer
    durch die Republik, von Berlin ueber Hamburg bis Koeln terrorisiert.  Die
    groesste Durchsuchungsaktion gegen die deutsche Linke - kurdische GenossInnen
    sind in den letzten Jahren regelmaessig in diesem Ausmass heimgesucht worden -
    seit langer Zeit.
    
    Am Abend im Fernsehen dann kaum noch ein Wort ueber AIZ
    und K.O.M.I.T.T.E., dafuer aber - soviel publicity hatten wir schon lange
    nicht mehr - reichlich Bilder aus dem radikal-Archiv des BKA, peppig in
    Szene gesetzt und die Meldung von 4 Verhaftungen mit der Begruendung:
    Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, der radikal.  Zudem werde
    gegen 21 Bekannte sowie weitere Unbekannte wegen der Unterstuetzung bzw.
    der Mitgliedschaft in unserer "kriminellen Vereinigung" ermittelt.
    Genuegend Gruende also, uns selbst abseits der normalen radikal-Ausgaben zu
    Wort zu melden.  Das dies nicht eben schnell geht, wissen alle, die die
    radikal kennen oder selbst Erfahrungen mit ueberregionalen
    Organisationsstrukturen haben.
    
    Wir werden uns hueten, unseren Stellenwert im linksradikalen Geflecht ueber
    die Intensitaet der Repression hoeher zu haengen als er wirklich ist.  Wir
    mussten immer mit einem solchen Schlag rechnen.  Und doch ist bemerkenswert,
    mit welcher Haerte der Apparat gegen ein Zeitungsprojekt vorgehen kann, ohne
    auch nur mit dem Hauch eines Aufschreis von Seiten einer "linksliberalen
    Oeffentlichkeit" rechnen zu muessen.  Bezeichnend ist auch die Kontinuitaet,
    mit der selbst in Zeiten einer schwachen radikalen Linken gegen solche
    Strukturen vorgegangen wird.  Kaum scheint di BAW bei ihrem ersten Versuch
    gescheitert, die Goettinger Antifa (M) mittels demselben Paragraphen 129 zu
    kriminalisieren, und gerade duerfte in Vergessenheit geraten sein, dass das
    Koelner Kurdistan-Buero neben zahlreichen anderen kurdischen Vereinen von den
    Bullen gestuermt und zuvor verboten wurde, weil es den "PKK-lastigen"
    Kurdistan-Rundbrief herausgegeben hatte, da landet die Staatsgewalt ihren
    naechsten Coup gegen die Reste organisierter Strukturen der radikalen Linken
    in Deutschland - am gleichen Tag, an dem der Nazi-Briefbombenterror gegen
    einen Luebecker SPD-Politiker zuschlaegt.
    
    Es ist offensichtlich, dass sich dieser Schlag nicht nur gegen uns richten
    sollte.  Wir haben lediglich einen guenstigen Vorwand abgegeben.  "Die
    Aktion war eine zielgerichtete praeventive Massnahme zur Einschuechterung
    gegen die linksradikale Szene", liess Innenminister und Abschiebespezialist
    Kanther noch amselben Abend verlautbaren.  Waehrend sich der rechte Terror
    verschaerft und das grosse Deutschland in rot-gruen-schwarzer Einigkeit zum
    ersten Auslands Einsatz der Bundeswehr blaest, soll klar gemacht werden, wo
    der wirkliche Feind steht, naemlich links.  Die Botschaft des Vormittags ist
    eindeutig, der Zusammenhang AIZ, K.O.M.I.T.T.E.  und radikal sollte in den
    Koepfen, auch in denen der Linken, haengen bleiben, und damit eine
    Gleichstellung dieser Gruppen bewirken, um die Kriminalisierung zu
    vereinfachen.
    
    
    Zur bescheidenen Erinnerung:
    
    Wir machen und verteilen eine Zeitung.  Eine Zeitung, in der jenseits
    staatlicher Kontrolle und Selbstzensur (Schere im Kopf) unter anderem eine
    Auseinandersetzung ueber Strassenmilitanz und bewaffneten Kampf stattfindet
    - - und das zweifellos nicht "neutral".  Wir lehnen die Anerkennung des
    staatlichen Gewaltmonopols ausdruecklich ab.  Im Gegenteil, wir sind
    parteilich.  Die bestehenden Verhaeltnisse koennen nur dann erschuettert
    werden, wenn sich die linksradikalen Gruppen und Zusammenhaenge Faehigkeiten
    und Strukturen aneignen, um punktuell auch schon heute wirksame Gegenmacht
    entwickeln zu koennen.  Dies schliesst notwendigerweise militante und auch
    bewaffnete Interventionen mit ein, welche ohne Rueckkopplung und Vermittlung
    ins Leere laufen.  Natuerlich freuen wir uns ueber jede durch militante
    AntifaschistInnen verhinderte Nazi-Veranstaltung.  Als eine unserer
    Aufgaben sehen wir es an, faschistische Strukturen aufzudecken, um dadurch
    alte und neue Nazis angreifbarer zu machen und halten dies auch weiterhin
    fuer einen - einen - wichtigen Aspekt antifaschistischer Arbeit.
    Selbstverstaendlich waere auch unsere Begeisterung gross gewesen, haetten wir
    den Titel der naechsten Ausgabe mit dem Bild des gesprengten
    Abschiebeknastes in Berlin/Gruenau zieren koennen.  Jede/r, der oder die
    versucht, gegen die deutsche Fluechtlingspolitik zu intervenieren, haette
    sich ueber diesen konkreten Schritt gegen die Abschiebemaschinerie gefreut.
    Eine radikale Linke, die ihre Geschichte der letzten 25 Jahre ernst nimmt,
    muss sich mit den Erfolgen und Fehlern von bewaffneten und militanten
    Gruppen, seien es RAF, Bewegung 2. Juni, Revolutionaere Zellen oder
    militante autonome Gruppen auseinandersetzen und daraus Konsequenzen fuer
    die Zukunft ziehen.
    
    Und sie darf sich nicht darauf beschraenken, in die Geschichte
    zurueckzublicken, sondern muss die aktuellen Entwicklungen wahrnehmen und ein
    Teil von ihnen bleiben, dh. sich in den jetzt agierenden antifaschistischen
    Zusammenhaengen bewegen oder beispielsweise die Auseinandersetzung mit den
    von uns sehr kritisch beaeugten AIZ fuehren. Der Raum fuer diese Diskussion
    muss staaendig neu erkaempft und gegen staatliche Angriffe verteidigt werden.
    Nicht mehr, aber auch nicht weniger versucht die radikal zu ermoeglichen,
    indem sie eine notwendige Struktur zur Verfuegung stellt und sich punktuell
    selber zu Wort meldet.  Beinahe ueberfluessig zu erwaehnen, dass die
    Bullenaktionen gegen die radikal immer gleichzeitig der Kriminalisierung
    anderer linker Strukturen, die diesen notwendigen Raum zur Verfuegung
    stellen, Vorschub leisten.  So zB.  der Kriminalisierung von Infolaeden und
    anderen linksradikalen Zeitungen.
    
    Dem aktuellen Angriff gegen uns liegen
    im Vergleich zu den vorherigen repressiven Kampagnen zwei grundsaetzlich
    neue Qualitaetsunterschiede zugrunde.  Einerseits werden wir nun zur
    eigenstaendigen "kriminellen Vereinigung" gemacht, andererseits wird der
    radikal erstmalig "durchgaengig strafbarer Inahalt" unterstellt.  Ein Blick
    in die letzten Ausgaben zeigt, was denn nun alles strafbar sein soll.
    Antirassistische Strassenumbenennungen in Braunschweig, Thesen zu
    Nationalismus und Befreiungskampf in Kurdistan, eine Aufarbeitung der
    Geschichte der patriarchalen Geschlechterspaltung, ein Aufruf zur Nutzung
    nichtkommerzieller Radios, Debatten ueber linke Kampagnen zum 8. Mai ...
    Strafbarer Inhalt?  Mussten bisher immer einzelne Artikel, mest wegen
    "Unterstuetzung terroristischer Vereinigungen" kriminalisiert werden, spart
    sich jetzt die BAW die Muehe und erklaert uns der Einfachheit halber gleich
    zur "kriminellen Vereinigung".  Damit wird offensichtlich jeder Inhalt
    kriminell.  Gerade aber die Mischung aus theoretischen Aufarbeitungen und
    konkretem Ein- und Angreifen, aus Diskussionen und praktischen
    Handlungsanleitungen, macht die radikal fuer viele lesenswert.  Und auf
    diese Mischung legen wir Wert.  Die radikal soll mobilisieren zum Kampf
    gegen Nazis und Tips zum Stoppen des Castor-Transports geben, sie soll aber
    auch informieren ueber die Debatte zum Antinationalismus oder Hintergruende
    zur Enstehung kapitalistischer oder patriarchaler Strukturen vermitteln.
    Und sie soll vor allem denen in den hintersten Winkel der Republik Raum
    bieten fuer ihre Aktionen und Schwierigkeiten, die den Augen einer
    metropolenfixierten und abgeklaerten Linken schon lange entgangen sind.
    Diese Mischung erklaert die BAW als kriminell.
    
    Was die Verfolgungsbehoerden ueber uns erzaehlen, klingt fast wie ein Krimi.
    "Hochkonspirativ" seien wir organisiert, zudem haetten wir "festgefuegte
    Organisationsstrukturen".  Was  da gefaehrlich und straight anmutet ist
    jedoch eher eine banale Feststellung.  JedeR, der oder die eine Zeitung
    machen will, braucht "festgefuegte Organisationsstrukturen", muss sich
    zusammensetzen, ueber den
    geplanten Inhalt diskutieren, die Verteilung organisieren, Abos
    verschicken, Artikel schreiben, auf LeserInnen antworten und und und.  Was
    uns von jeder legal erscheinenden Zeitung unterscheidet ist die Tatsache,
    das wir diese Struktur der staatlichen Kontrolle und damit dem Zugriff der
    Zensurbehoerden entzogen haben.  Wir haben ueber die Jahre eine
    Organisationsstuktur aufgebaut, mit der eine fuer den derzeitigen
    Zustand der radikalen Linken vergleichsweise hohe Auflage von Zeitungen
    verdeckt bundesweit verteilt wird.  Wie in anderen Gruppen, die versuchen,
    offene oder verdeckte Strukturen aufzubauen, sind wir so wieder zur
    Zielscheibe staatlicher Repression geworden.  Aus ihren Augen gesehen hat
    die BAW dafuer gute Gruende, denn alle bisherigen Schritte gegen uns haben
    ihr Ziel nicht erreicht.  Immer erschien die radikal weiter und haengte sich
    keinen Maulkorb um.  1982 wurden ca.  20 Wohnungen, Buchlaeden und
    Druckereien durchsucht, um gegen die radikal wegen der "Unterstuetzung einer
    terroristischen Vereinigung" vorzugehen.  1984 wurden zwei angebliche
    Herausgeber der Zeitung zu zweieinhalb Jahren Knast verurteilt.  Sie
    konnten sich der Haft entziehen, da sie als Abgeordnete fuer die Gruenen ins
    Europaparlament gingen.  1991 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren
    gegen Zahlung einer Geldbusse ein.  Der naechste Schlag folgte 1986, als die
    radikal schon verdeckt organisiert war.  Diesmal waren ca.  100 Buchlaeden
    und Wohnungen das Ziel der Bullen.  Knapp 200 Verfahren wurden eingeleitet,
    letztendlich wurden fuenf Leute zu 4-10 Monaten auf Bewaehrung verurteilt.
    Die Repressionswelle 1986 hatte - neben den immer miteinkalkulierten
    Zielsetzungen der Einschuechterung und Abschreckung, sowie der Fixierung der
    Aktivitaeten auf die Repression - vor allem eins im Sinn.  Die radikal
    sollte aus der Oeffentlichkeit vertrieben und ihr Wirkungskreis eingedaemmt
    werden.  Dies gelang nicht.  Trotz dem Abspringen zahlreicher Buchlaeden,
    die meist noch aus der legalen Zeit der radikal stammten und lediglich hohe
    Zahlungsdefizite hinterliessen, wurde die Arbeit an der radi sowie deren
    Verteilung immer dezentraler aufgeteilt.  Ein ganzes Netz aus Gruppen und
    Personen uebernahmen aus ihren Bedingungen heraus ein Stueck Verantwortung
    fuer die Zeitung.  1989 schlugen die staatlichen Zensurbehoerden ein weiteres
    Mal zu, nachdem der Amsterdamer ID-Verlag ein Interview mit uns als
    Broschuere herausgegeben hatte.
    
    Der Schlag der BAW macht einmal mehr
    deutlich, dass das ganze Gezetere der buergerlichen Medien und der
    Linksliberalen gegen die Politik bewaffneter Gruppen mit dem Tenor "Eure
    Aktionen ermoeglichen es der Staatsgewalt, die Repressionsschraube immer
    weiter anzudrehen" vollkommene Augenwischerei sind. Auch durch den
    Gewaltverzicht der Guerilla wird nicht der Raum geoeffnet fuer
    "gesellschaftlich andere Auseinandersetzungsebenen". Die Aufmerksamkeit der
    Saubermaenner fuer Ordnung und Ruhe richtet sich weiterhin gegen
    linksradikale Gruppen, die als gemeingefaehrlich definiert und im gewohnten
    und bereits erreichten Niveau angegriffen werden.
    
    Vier Leute sitzen jetzt im Knast ! Das geht auch an uns nicht eben locker
    und spurlos vorbei. Daher wollen wir auf alle Faelle den Austausch und die
    kommunikation mit den Solidaritaetsgruppen.
    Der Vorwurf gegen die 4 lautet: Sie sollen die radikal gemacht und verteilt
    haben. Aber wer "macht" denn eigentlich die radikal ? Diejenigen, die
    Berichte von ihrer letzten Antifa-Aktion schicken, oder jene, die mal eben
    10 Zeitungen von hier nach dort bringen und in ihrem FreundInnenkreis
    verteilen, oder vielleicht der, der ein paar Berichte abschreibt und
    lay-outet. oder die, die dafuer sorgt das nur ein einziges exemplar durch
    die mauern des Knastes dringt ? Vielleicht meint die BAW ja auch die, die
    wochenlang diskutieren, um danach lange artikel in der radi zu
    veroeffentlichen. Oder jene, die tagelang hinter der Druckmaschine stehen ?
    
    Wiir wissen nicht ganz genau, wen die Verfolgungsbehoerden als die radikal
    bezeichnet, aber wir wissen, gemeint sind wir alle !
    Alle die weiterhin darauf bestehen, dass die radikale Linke
    Kommunikationsstrukturen braucht, die sich der Kontrolle und dem Zugriff
    der Staatsgewalt des Staatsapparates entziehen. Und alle, die weiterhin
    darauf bestehen, dass man/frau sich organisieren muss, um im
    kapitalistisch-patriarchalen Alltag nicht unterzugehen. Deshalb liegt es
    auch an uns allen, diesen Angriff nicht unbeantwortet zu lassen
    und hinzunehmen.
    
    Wir brauchen eine unkontrollierte Widerstandspresse !
    
    Lest, nutzt, verteilt und bleibt radikal !
    
    Powrige Gruesse an Rainer, Ralf, Werner und Andreas !
    
    Raus mit den Gefangenen !
    
    Die Zaehne zeigt wer's Maul aufmacht !
    
    Einige radikal-Gruppen
    
    Die radikal ist erreichbar ueber 1. Umschlag: NN, Van Ostadestraat 233n,
    NL-1073 Amsterdam. 2. Umschlag: Z.K.
    
    
    
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    p.
    
                     Infogruppe Hamburg (ifghh@krabat.nadir.org)
                                  c/o Schwarzmarkt  
                       Kleiner Schaeferkamp 46  20357 Hamburg
    
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    Version: 2.3
    
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