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Sat Oct 7 02:43:58 1995
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Redebeitraege der Knastkundgebungen am 2.7.
Im folgenden veröffentlichen wir zwei Redebeiträge und eine Grußadresse,
die am 2.7.1995 auf den Knastkundgebungen in Rastatt und Bruchsal gehalten
wurden, wo zwei der vier Menschen sitzen, die im Zuge der bundesweiten
Durchsuchungsaktion der BAW am 13.6.95 festgenommen wurden. Ihnen und
den anderen zwei wird die Mitverantwortlichkeit für die Herstellung und
die Verbreitung der linksradikalen Zeitschrift radikal zur Last gelegt.
Konkret die Mitgliedschaft in einer kriminellen und das Werben für eine
terroristische Vereinigung (__129 und 129a).
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[Redebeitrag einer Frauengruppe aus Hamburg]
Hallo!!
Wir sind eine Frauengruppe aus Hamburg. Unsere Politik richtet sich gegen
die verschiedenen Formen von Herrschaft, gegen Patriarchat, Rassismus und
Imperialismus.
Wir haben noch keine konkrete Utopie und keine konkrete Strategie zu dem
Ziel einer herrschaftsfreien Gesellschaft - trotzdem nehmen wir
herrschende Normalität und das heißt hier herrschende Gewaltzustände nicht
kampflos hin.
Kämpfe werden auf verschiedenen Ebenen geführt.
Wir werden weiterhin gegen verinnerlichte Gewaltverhältnisse, wie die
sexistische Zwangsjacke und die alltägliche Gehirnwäsche andenken. Wir
werden laut sagen und schreiben, wie gesellschaftlliche Macht hergestellt
und ausgeübt wird. Und wir werden jede Form wählen, die uns geeignet
erscheint, Widerstand zu leisten und diese Gesellschaft im Sinne unserer
Utopie zu verändern.
Das bedeutet, kollektive Strukturen aufzubauen und zu schützen. Wir
benötigen dazu Verbindlichkeit und Auseinandersetzung und den Mut und
die Traute, die vorgegeben Handlungsrahmen zu sprengen und den eigenen
Handlungsrahmen selbst zu bestimmen.
Das heißt aber auch von denen verstärkt angegriffen zu werden, in deren
Interesse die Aufrechterhaltung des menschenverachtenden und
ausbeuterischen Systems liegt. Sie tun alles, um keinen Widerstand
dagegen entstehen zu lassen.
Dagegen schützen nur konspirative Strukturen.
Unser Interesse an der Umwälzung der herrschenden Verhältnisse für eine
herrschaftsfreie Gesellschaft wird von vielen nicht geteilt - weil es
ihnen nicht attraktiv erscheint, weil wir oftmals nicht in der Lage
sind, vielen unsere Vorstellungen zu vermitteln, weil viele ihre
Privilegien - nämlich ihren Anteil an der Macht - verlieren könnten
oder dies zumindest glauben.
Damit ist eine Gesellschaft möglich, in der Sondergesetze erlassen und
getragen werden, die Flüchtlingen und MigrantInnen die Luft abschnüren.
Wen das große nationalistische Wir nicht einschließt, ist auf dem
Arbeitsmarkt extremen Ausbeutungsverhältnissen unterworfen. Freier und
Zuhälter profitieren vom Handel mit Frauen, die keine Chance auf einen
legalen Aufenthaltsstatus haben. Ohne deutschen Stammesnachweis gibt es
kein Recht auf Bewegungs- und Organisierungsfreiheit und kein Recht auf
Datenschutz. Flüchtlinge sind allein für ihre Anwesenheit
kriminalisierbar. Allein durch ihre Anwesenheit sind sie von Knast
und alltäglicher rassistischer Gewalt bis hin zum Mord bedroht.
Dies kennzeichnet eine gesellschaftliche Entwicklung, deren Priorität die
optimale Verwertung des Menschen ist und in der die Menschen nach ihrer
Verwertbarkeit stigmatisiert, hierarchisiert und gespalten werden.
Vor diesem Hintergrund freuen wir uns mit ganzem Herzen, wenn
Abschiebeknäste und andere Knäste in die Luft gesprengt werden, über den
Aufbau von Strukturen, in denen sich Illegalisierte bewegen können, wenn
Faschisten, Rassisten und Sexisten der öffentliche Raum genommen wird.
Genauso wichtig bleibt es gegen die alltägliche patriarchale Zurichtung
anzugehen, den so verbreiteten wie staatlich protegierten Sexismus
bloßzustellen und zurückzuschlagen.
Wir glauben, daß sich viele darüber freuen !
Diese Freude und der dahinterstehende Wille, menschenverachtende,
zerstörerische gesellschaftliche Strukturen anzugreifen, soll verhindert
werden.
Unser Bewegungsrahmen soll eingeengt werden, sei es durch Kriminalisierung
oder
Einschüchterung.
Unsere Ideen und Vorstellungen sollen sich nicht entwickeln und
verbreiten.
Darum werden unter anderem unsere Medien kriminalisiert. Unseren
Handlungen
sollen Riegel vorgeschoben werden - weil in jedem radikal linken
Widerstand die Möglichkeit liegt, die Gesellschaft so zu verändern, daß
Ausbeutung (psychische und physische) nicht mehr möglich oder jedenfalls
schwerer durchzusetzen ist.
Unsere Solidarität gilt denen, die Widerstand leisten !
Wir Grüßen die kämpfenden Gefangenen !
power durch die Mauer, bis sie bricht !!
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[Redebeitrag zu den __ 129 und 129a]
Solange es linke oppositionelle Kräfte in diesem Land gibt, gibt es den
Paragraphen 129.
Schon früh ist erkennbar, welche Funktion dieser Paragraph als präventives
Repressionsinstrumentarium beinhaltet. Vom preußischen Kaiserreich über
die Weimarer Republik zum Hitler-Faschismus bis in die frühen Jahre der
BRD, diente das politische Strafrecht zur Unterdrückung und Verfolgung von
kritischen, oppositionellen Kräften.
Nach der Zerschlagung des faschistischen Staates gingen die BRD-Oberen
daran ein neues Strafrecht zu formulieren und griffen dabei auf
altbewährtes zurück: "Der moderne Staat bedarf neuer Schutzvorschriften,
die seine Verteidigungslinie in den Bereich vorverlegen, in dem die
Staatsfeinde unter der Maske der Gewaltlosigkeit die Macht
erschleichen."(Begründung 1959).
Das neue Staatschutzrecht setzt den "ideologischen Hochverrat", "die
geistige Sabotage", also die Gesinnung faktisch gleich dem Hochverrat.
Nicht der Einzelne ist zu bestrafen, sondern "die Abwehr richtet sich
gegen die mit ihm verbundene Stärke der Organisation."
Der Paragraph 129 (kriminelle Vereinigung mit verfassungsfeindlicher
Absicht) in Verbindung mit dem neugeschaffenen Paragraphen 90a(Verstöße
gegen die verfassungsmäßige Ordnung) war die Grundlage für das Verbot der
KPD (1956) und der Kriminalisierung von ca. 300.000 Menschen, die im Zuge
dieses Verbotes erfaßt, registriert, angeklagt und verurteilt wurden.
Die 60er und 70er Jahre sind geprägt von aufkommenden Kämpfen der Völker
des Trikonts gegen Kolonialismus und Imperialismus und für
Selbstbestimmung. Die Repressions- und Kriminalisierungsstrategien der
Herrschenden werden international koordiniert.
Es kam zur Terrorismusbekämpfung auf NATO-Ebene und "Subversion" im
Inneren, wie sie es nannten, wurde zur 5. Front der NATO erklärt. Der
berechtigte und rechtlich zugelassene Kampf der Völker um Befreiung sollte
kriminalisiert werden. Ausdruck findet dies in dem Beschluß der EG-
Ministerkonferenz von 1977 die "festgenommene Terroristen nicht als
Kriegsgefangene im Sinne der neuen Genfer Konvention behandeln will."
Der Begriff Terrorismus, obwohl er Eingang in die Gesetzgebung gefunden
hat, ist nicht klar definiert, sondern die "terroristischen
Erscheinungsformen" werden vielmehr ganz nach politischem Bedarf variiert,
erweitert und gewechselt. Da ist die Rede von "Ökoterroristen",
"Gewerkschaftsterroristen" und "geistigen Terroristen".
Im Zuge der Anklagen gegen die RAF kommt es in den Jahren 1974 bis 1979
allein zu 6 bedeutenden Gesetzespaketen und mehr als 25 neuen
Gesetzesbestimmungen, die speziell auf die Paragraphen 129 und seit 1976
durch das "Antiterrorgesetz" auf den Paragraphen 129a bezogen.
Die 25 Folgeänderungen bedeuteten
- neue Ermittlungsbefugnisse
- neue Haftgründe
- eingeschränkte Verteidigungsrechte
- verschärfte Haftbedingungen
- Schaffung eines kompletten Sonderrechts- und Justizsystems
Durch die Schaffung des _129a können sich die Sicherheitsbehörden nahezu
alles erlauben, inklusive selbstinzinierter Sprengstoffanschläge. Es wird
später abgesegnet und legalisiert.
Zu einer weiteren Verschärfung des politischen Strafrechts kommt es 1986
durch Erweiterung des Paragraphen 129a
Die Gesetze zur "Bekämpfung des Terrorismus" sorgten unter anderem für
problemlosere Telefonüberwachung und Hausdurchsuchungen, verschärfte U-
Haftbedingungen. Nicht nur die Anwendung von politischer Gewalt, sondern
schon die Auseinandersetzung damit oder der Protest gegen die
unmenschliche Isolationsfolter kann verfolgt und bestraft werden.
Die gebündelte Verfolgung von UnterstützerInnen und SympathisantInnen,
welche dann durch die Zentralisierung der Ermittlungsbehörden noch einmal
beschleunigt wurde, paßt ebenso in die Sondergerichtsbarkeit wie die
Ernennung des Generalbundesanwalts zur Schaltstelle in politischen
Verfahren.
Eine weitere Verschärfung des politischen Strafrechts stellt dann das
Konstrukt der "Gesamt-RAF" oder der "legalen" und "illegalen" RAF dar. Auf
4 Ebenen wird von staatlicher Seite aus versucht, den gesamten radikalen
linken Widerstand zu kriminalisieren. Das wären a) die Kommandoebene, b)
die Gefangenen aus der RAF, c) die sogenannten "illegalen Militanten" und
d) die "Sympathiewerbenden".
Anhaltspunkte für eine legale RAF-Mitgliedschaft sind
- Kontankt zu den Gefangenen aus der RAF
- Besuch von Gerichtsverhandlungen gegen 129a-Beschuldigte
- Besitz von "linkterroristischem Schriftttum"
- Konspiratives Verhalten
- Offen geäußerte antiimperialistische Grundhaltung
Diese Gesetze sollen uns zuerst einschüchtern, sollen uns spalten und
sollen uns keinen Spielraum lassen zwischen "Terrorismus" und
Parlamentarismus, vor allem, das graue Feld des "Sympathiesumpfes" soll
ausgetrocknet, soll ausradiert werden.
Ein Signal an all diejenigen, die radikalen Widerstand leisten wollen:
Sorgen wir dafür, daß ihnen das nicht gelingt! Mit all unserer Kraft, mit
unserer Solidarität und mit unserem Mut zum Leben!
Wir fordern
- Abschaffung des politischen Strafrechts
- Weg mit den Paragraphen 129 und 129a
- Einstellung der Ermittlungsverfahren
- Sofortige Freilassung der Gefangenen
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[Grußadresse von Frauenlesben]
Wir, die FrauenLesben vom bundesweiten, linksradikalen FrauenLesben-
Treffen grüßen Euch.
Unser Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse schließt auch den
Kampf gegen staatliche Repression und für die die Freiheit der politischen
Gefangenen mit ein.
Für Euren Kampf da drinne, wünschen wir Euch viel Kraft.
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projekt
idsh