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Instruktionen für das Kali-Yuga

Das Kali-Yuga hat noch 200 000 Jahre oder so zu agieren - eine gute Nachricht für Befürworter & Avatare des CHAOS, eine schlechte für Brahmanen, Jahvisten, Bürokraten-Götter & ihre Kettenhunde.¶

Ich wußte, Darjeeling verbirgt etwas für mich, als ich den Namen hörte - dorje ling - Stadt von Blitz und Donner. 1969 kam ich just vor Beginn der Monsunzeit an. Alte britische Bergstation, Sommerhauptquartier der bengalischen Regierung - Straßen in der Form hölzerner Wendeltreppen, die Promenadenstraße mit Blick auf Sikkim & Kangchendzönga - tibetanische Tempel & Flüchtlinge - wunderschöne gelb-zarte Menschen namens Lepchas (die wirklichen Aborigines) - Hindus, Moslems, Nepalesen & Bhutaner, Buddhisten & altersschwache Brits, die ‘47 nicht nach Hause gefunden hatten & immer noch muffige Banken und Teeläden betrieben.¶

Ich traf Ganesh Baba, einen fetten weißbärtigen Sadhu mit überkorrektem Oxford-Akzent. Ich habe nie jemanden so viel Ganja rauchen sehen, ein volles Schillum nach dem anderen. Dann schlenderten wir durch die Straßen, während er mit schreienden Kids Ball spielte oder im Basar Streit suchte, erschreckte Verkäufer mit seinem Schirm jagte und dann vor Lachen brüllte.¶

Er machte mich mit Sri Kamanaransan Biswas bekannt, einem kleinen Angestellten der bengalischen Regierung mittleren Alters in einem schäbigen Anzug, der mir anbot, mich Tantra zu lehren. Herr Biswas lebte in einem kleinen Bungalow, der auf einem steilen, pinienbewachsenen, nebligen Berg stand. Ich besuchte ihn dort täglich mit billigem Brandy zur Puja & zum Bechern - er ermunterte mich zu rauchen, während wir sprachen, ist Ganja doch Kali ebenfalls heilig.¶

Herr Biswas war in seiner wilden Jugend Mitglied der Bengali Terrorist Party. Zu dieser Partei gehörten sowohl Kali-Verehrer & häretische moslemische Mystiker wie auch Anarchisten & Linksradikale. Ganesh Baba schien zu dieser geheimen Vergangenheit zu stehen, als sei diese ein Zeichen von Herrn Biswas verborgener tantrischer Stärke, trotz seiner schäbigen, sanften Erscheinung.¶

Wir diskutierten jeden Nachmittag meine Lektüre von Sir John Woodruffe (»Arthur Avalon«); ich ging durch kalte Sommernebel; tibetanische Geister-Fallen, die in der feuchten Brise flatterten, ragten undeutlich aus dem Nebel & zwischen den Zedern hervor. Wir gaben uns dem Tara-Mantra und Tara-Mudra (oder Yoni-Mudra) hin und studierten zu magischen Zwecken das Tara-Yantra-Diagramm. Einmal besuchten wir einen dem Hindu Mars (wie der unsrige sowohl Planet & Kriegs-Gott) geweihten Tempel, wo er einen aus einem eisernen Hufnagel gefertigten Fingerring kaufte & ihn mir schenkte. Mehr Brandy & Ganja.¶

Tara: eine der Formen von Kali mit sehr ähnlichen Attributen: zwergenhaft, nackt, vierarmig und bewaffnet, auf dem toten Schiwa tanzend, Halskette aus Knochen oder abgeschlagenen Köpfen, Zunge, aus der Blut tropft, die Haut von einem intensiven Blaugrau, von der gleichen Farbe wie die Monsun-Wolken. Jeden Tag mehr Regen, die Straßen blockierende Schlammbrocken. Mein Grenzregionsvisum läuft ab. Herr Biswas & ich fahren mit dem Jeep die glattnassen Himalaya-Berge hinunter & mit dem Zug in die Stadt seiner Vorfahren, Siliguri, die in der bengalischen Ebene liegt, in der der Ganges sich in ein feuchtgrünes Delta verzweigt.¶

Wir besuchen seine Frau im Hospital. Im Jahr zuvor waren die Stadt Siliguri überflutet und mehrere zehntausend Menschen getötet worden. Cholera war ausgebrochen. Die Stadt ist eine einzige Ruine, Algen überall, die Flure des Krankenhauses noch immer mit Schleim, Blut und Erbrochenem, den Flüssigkeiten des Todes, überzogen. Die Frau sitzt ruhig auf dem Bett und harrt regungslos ihrem furchtbaren Schicksal. Dunkle Seite der Göttin. Er gibt mir eine Farblithographie von Tara, die wundersamerweise auf dem Wasser trieb & herausgefischt werden konnte.¶

In dieser Nacht nehmen wir an einer Zeremonie im örtlichen Kali-Tempel teil, einem bescheidenen halbverfallenen kleinen Schrein am Straßenrand - Fackelschein die einzige Beleuchtung - Gesänge & Getrommel von seltsamer, fast afrikanischer Synkopierung, vollkommen unklassisch, primordial & dennoch wahnsinnig komplex. Wir trinken, wir rauchen.¶

Allein auf dem Friedhof, neben einem halbverbrannten Leichnam, meine Initiation in das Tara-Tantra. Am nächsten Tag - fiebrig & spaced-out - sage ich Lebewohl & breche gen Assam auf, zum großen Tempel von Saktis Yoni in Gauhati, gerade rechtzeitig zum jährlich stattfindenden Festival. Assam ist verbotenes Territorium, & ich habe keine Genehmigung. Um Mitternacht schleiche ich mich in Gauhati aus dem Zug, wate im Stockfinsteren durch Regen & kniehohen Matsch die Pfade entlang & stolpere schließlich in die Stadt & finde ein verwanztes Hotel. Ich fühle mich hundserbärmlich. Kein Schlaf.¶

Am Morgen mit dem Bus einen nahegelegenen Hügel zum Tempel hinauf. Riesige Türme, massenhaft Gottheiten, Innenhöfe, Nebengebäude - Hunderttausende von Pilgern - seltsame auf Tigerfellen kauernde & singende Sadhus. Schafe & Tauben werden zu Tausenden geschlachtet, eine wirkliche Hekatombe - (kein weiterer weißer Sahib in Sicht) - die Rinnsteine zentimeterhoch voll Blut - Kali-Säbel mit gekrümmter Klinge, zack, zack, zack, abgeschlagene Köpfe fallen auf die glitschigen Pflastersteine.¶

Als Schiwa Sakti in 53 Teile zerstückelte & sie über das ganze Land verstreute, ist ihr Geschlechtsorgan hier niedergefallen. Einige freundliche Priester sprechen englisch & helfen mir, die Höhle zu finden, in der die Yoni ausgestellt ist. Zu diesem Zeitpunkt ist mir klar, daß ich schwer krank bin, bin aber entschlossen, das Ritual durchzustehen. Eine Masse von Pilgern (alle mindestens einen Kopf kleiner als ich) reißt mich wie der Sog am Strand nieder & schleudert mich eine stickige Wendeltreppe hinab in eine enge Höhle, in der ich - von Übelkeit geplagt & halluzinierend - auf einen unförmig wirkenden konischen Meteoriten zusteuere, der jahrhundertelang mit Ghee & Ocker eingerieben wurde. Die Menschenmenge macht mir Platz, so daß ich einen Jasminkranz über die Yoni werfen kann.¶

Eine Woche später betrete ich in Katmandu das deutsche Missionskrankenhaus, in dem ich einen Monat lang bleiben muß, um meine Hepatitis zu kurieren. Ein geringer Preis, der für all das Wissen zu zahlen ist - die Leber irgendeines pensionierten Oberst aus einer Kiplingschen Geschichte! - aber ich kenne sie, ich kenne Kali. Archetypisch an sich für all diese Schrecken. Dennoch wird sie für diejenigen, die wissen, zur großzügigen Mutter. Später meditierte ich in einer Höhle im Dschungel bei Rishikish mehrere Tage über Tara (mit Mantra, Yantra, Mudra, Räucherwerk & Blumen) & kehrte in die Heiterkeit von Darjeeling, zu seinen wohltätigen Visionen zurück.¶

Ihr Zeitalter muß von Schrecken gekennzeichnet sein, denn die meisten von uns können sie weder verstehen, noch über ihr Knochenhalsband hinaus zum Jasminkranz gelangen, noch wissen, in welchem Sinne sie eins sind. Durch CHAOS gehen, es wie einen Tiger reiten, es umarmen (selbst sexuell) & etwas von seinem Sakti, seinem Lebenssaft aufsaugen - dies ist der Pfad des Kali-Yuga. Kreativer Nihilismus. Denjenigen, die ihn gehen, verspricht sie Erleuchtung & sogar Reichtum, Teilhabe an ihrer Macht der Zeit.¶

Sexualität & Gewalt dienen als Metaphern in einem Gedicht, das durch Bildlichkeit direkt auf das Bewußtsein wirkt - oder können sonst in den richtigen Umständen entfaltet & genossen werden, erfüllt von einem Gefühl für die Heiligkeit von allem, von Ekstase & Wein bis zu Abfall & Leichnamen.¶

Diejenigen, die sie ignorieren oder sie außerhalb ihrer selbst sehen, riskieren Vernichtung. Diejenigen, die sie als Ista-Devata, oder das göttliche Selbst, verehren, erleben ihr Zeitalter des Eisens, als wäre es Gold, wissen um die Alchimie ihrer Präsenz.¶

Saurier, 0.28k



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