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Resolution für die 90er Jahre: Boykottiert die Cop-Kultur!!!

Wenn von einer fiktiven Figur gesagt werden kann, sie habe den Popkult der achtziger Jahre dominiert, dann war es der Cop. Womit du dich auch beschäftigt hast, die Scheißbullen waren überall. Schlimmer als im wirklichen Leben. Zum Kotzen langweilig.¶

Machtvolle Cops, die die Erniedrigten und Beleidigten beschützen und sich um ein halbes Dutzend oder mehr Artikel der Bill of Rights nicht scheren - »Dirty Harry«. Nette, humane Cops, die mit menschlicher Perversität zurechtkommen müssen, mal auf die sanfte, mal auf die harte Tour kommen, weißt du, barsch & durchtrieben, aber dennoch mit einem weichen Kern - Hill Street Blues -, die übelste TV-Show aller Zeiten. Neunmalkluge schwarze Cops, die mit geistreichen rassistischen Bemerkungen gegen tölpelhafte weiße Cops zu Felde ziehen, & schließlich lieben sie sich doch - Eddie Murphy, Klassenverräter. Für den masochistischen Thrill haben wir niederträchtige Cops, die drohen, unsere behagliche, auf Konsens basierende Realität von innen her zu untergraben, wie von Giger entworfene Bandwürmer, die aber in letzter Minute vom letzten aufrechten Cop weggeblasen werden, von Robocop, dem idealen Amalgam aus Prothese und Sentimentalität.¶

Wir waren von Anfang an besessen von Cops - aber die Kerle von ehedem mimten wichtigtuerische Deppen, Keystone Cops, Car 54 Where Are You, einfältige Bobbies, geschaffen für Fatty Arbuckle oder Buster Keaton, damit die sie mundtot und klein und häßlich machen konnten. Aber im idealen Drama der achtziger Jahre hat der »kleine Mann«, der die Cops oder ''Blauen'' einst zu hunderten mit seiner anarchistischen Bombe das Fürchten lehrte, die er ganz unschuldig zum Zigarettenanzünden verwendete, der Tramp, das Opfer mit der plötzlichen Macht des reinen Gewissens, keinen Platz mehr in der Darstellung. Einst waren »wir« dieser Tramp, der Hobo, jener quasi-surrealistische, chaotische Held, der durch wu-wei über die lächerlichen Diener einer verachteten & irrelevanten Ordnung siegt. Nun aber sind »wir« auf den Status von Opfern ohne Macht reduziert, oder aber Kriminelle. »Wir« spielen diese zentrale Rolle nicht mehr; nicht länger die Helden unserer eigenen Geschichten, wurden wir von dem Anderen marginalisiert & ersetzt, dem Cop.¶

Die Cop-Show hat nur drei Darsteller - Opfer, Krimineller und Polizist - aber die ersten beiden sind nicht ganz menschlich - nur das Schwein ist real. Seltsamerweise schien die Gesellschaft in den achtziger Jahren manchmal nur aus denselben drei Clichés/Archetypen zu bestehen. Zunächst aus den Opfern, den jammernden Minderheiten, die irgendwelche »Rechte« einklagten - und wer bitte gehörte in den achtziger Jahren nicht zu einer »Minorität«? Scheiße, selbst Cops beschwerten sich wegen der Mißachtung ihrer »Rechte«. Dann die Kriminellen: größtenteils nicht-weiß (trotz der obligatorischen & eingebildeten »Integration« seitens der Medien), größtenteils als pervers dargestellt (d.h. die verbotene Widerspiegelung »unserer« Begierden). Ich habe gehört, daß einer von vier us-amerikanischen Haushalten einmal pro Jahr beraubt wird & jedes Jahr fast eine halbe Million von uns wegen Kiffens festgenommen werden. Angesichts solcher Statistiken (selbst wenn wir annehmen, daß sie »verdammte Lügen« sind) wundert es einen, wer in unserem polizeistaatlichen Bewußtsein NICHT entweder Opfer oder Krimineller ist.¶

America's Most Wanted - die erfolgreichste TV-Game-Show der achtziger Jahre - eröffnete uns allen die Möglichkeit, die Rolle des Amateurcops zu spielen. Bislang war dies nur eine Medienphantasie von Ressentiment & Rache für die Mittelklassen. Natürlich haßt der Cop des wirklichen Lebens niemanden so sehr wie den Vigilanten - seht euch nur an, was den armen &/oder nicht-weißen Selbschutzgruppen der Neighbourhoods wie etwa den Black Muslims widerfuhr, als sie versuchten, den Crack-Handel in Brooklyn zu unterbinden: die Cops griffen sich die Muslims, die Pusher laufen frei herum. Wirkliche Vigilanten bedrohen das staatliche Gewaltmonopol, lèse-majesté, was schlimmer ist als Inzest oder Mord. Aber mediale Vigilanten funktionieren innerhalb des Cop-Staates perfekt; es wäre richtiger, in ihnen unbezahlte Spitzel zu sehen: telemetrische Petzen, Elektro-Schnüffler, Eintagsdenunzianten.¶

Was ist es, was »Amerika am meisten sucht«? Bezieht sich diese Redewendung auf Kriminelle - oder auf Verbrechen, auf Objekte des Begehrens in realer Präsenz, nicht-repräsentiert, nicht-mediatisiert, im wahrsten Sinne des Wortes gestohlen & angeeignet? Amerika sucht am meisten ... ein Ende der beschissen Arbeit, ein Ende der Ehe, sucht den Drogenkonsum (weil es dir nur mit Drogen so gut geht, wie die Leute in der TV-Werbung zu sein scheinen), Sex mit einem heiratsfähigen Knacki, Sodomie, Einbruchsdiebstahl, ja, verdammt. Welche Vergnügungen jenseits der Medien sind denn NICHT illegal? Selbst das Barbecue im Freien verstößt heutzutage gegen Rauchverordnungen. Die simpelsten Freuden bringen uns in Konflikt mit dem Gesetz; letztendlich ist Vergnügen einfach zu stressig, und es bleibt nur noch die Glotze - und der Spaß an der Rache, stellvertretender Verrat, der kranke Thrill der Geschwätzigen. Amerika kann nicht haben, wonach es sucht, stattdessen gibt es America's Most Wanted. Eine Nation von kleinen Arschkriechern, die sich anschicken, zur Elite der Tyrannen zu gehören.¶

Natürlich leidet das Programm noch unter ein paar seltsamen Realitätsverzerrungen: So werden zum Beispiel die dramatisierten Abschnitte à la cinema verité von Schauspielern gespielt; einige Zuschauer sind blöde genug zu glauben, die Filmszenen zeigten tatsächliche Verbrechen. Daher kriegen die Schauspieler ständig Ärger & werden gar selbst festgenommen, neben (oder statt) der wirklichen Kriminellen, deren Konterfeis nach jedem gezeigten Fall eingeblendet werden. Kurios, was? Niemand macht irgendeine wirkliche Erfahrung - alle sind auf den Status von Geistern reduziert - Medienbilder kappen jeglichen Kontakt mit dem Alltagsleben & entfernen sich von diesem - Telefonsex - Cybersex. Finale Transzendenz des Körpers: Cybergnosis.¶

Wie televangelische Vorläufer bereiten uns die Mediencops auf das Kommen des Weltengerichtes oder die Begeisterung für den Polizeistaat vor: die »Kriege« gegen Sex und Drogen; totale Kontrolle, jeglichen Inhalts beraubt; eine Karte ohne Koordinaten in irgendeinem bekannten Raum; mehr als bloßes Spektakel; die schiere Ekstase (»außerhalb-des-Körpers-stehen«); obszönes Simulakrum; bedeutungslose gewalttätige, zum letzten Prinzip der Herrschaft erhobene Zuckungen. Image eines Landes, das von seinen Images des Selbsthasses, dem Krieg zwischen den schizoiden Hälften einer gespaltenen Persönlichkeit aufgezehrt wird, Super-Ego gegen Id-Kid im Kampf um die Schwergewichtsweltmeisterschaft einer verlassenen Landschaft, ausgebrannt, verschmutzt, leer, trostlos, unwirklich.¶

Wie das Rätsel um den Mord stets eine Übung in Sadismus ist, so beinhaltet die Cop-Fiction immer auch die Frage der Kontrolle. Das Bild vom Inspektor oder Detektiv sagt etwas aus über »unsere« mangelnde autonome Substanz, über unsere Transparenz angesichts des starren Blicks der Autorität. Unsere Perversität, unsere Hilflosigkeit. Ob wir sie nun als »gut« oder«böse« erachten, unsere obsessive Beschwörung der Eidolons von den Cops enthüllt das Ausmaß, in dem wir uns die manichäische Weltsicht zu eigen gemacht haben, die sie symbolisieren. Millionen kleiner Cops tummeln sich überall, wie versteckte hungrige Geister - sie füllen die Leinwand, wie in Keatons berühmtem Two-Reeler, den Vordergrund überwältigend, eine Antarktis, wo sich nichts bewegt, außer Horden unheilvoller blauer Pinguine.¶

Wir schlagen eine esoterisch hermeneutische Exegese des surrealistischen Slogans »Mort aux vaches!« vor. Wir beziehen uns dabei nicht auf den Tod einzelner Cops (»Kühe« im Argot der damaligen Zeit) - bloße linke Rachephantasien - engstirniger umgekehrter Sadismus -, sondern vielmehr auf den Tod des Bildes vom flic, der inneren Kontrolle & ihrer unzähligen Widerspiegelungen im ''NoPlace Place'' der Medien - dem »grauen Raum«, wie Burroughs ihn nennt. Selbstzensur, Angst vor den eigenen Begierden, »Gewissen« als interiorisierte Stimme der Autorität des Konsenses. Diese »Sicherheitskräfte« umzubringen, würde in der Tat Fluten an libidinöser Energie freisetzen, nicht aber zu dem in den Theorien von Law and Order prophezeiten gewalttätigen Amoklauf führen. Die Nietzscheanische »Selbstüberwindung« bietet das Prinzip für die Organisation des freien Geistes (wie auch der anarchistischen Gesellschaft, zumindest in der Theorie). In der Polizeistaats-Persönlichkeit ist libidinöse Energie verdammt & auf Selbstunterdrückung gerichtet; jegliche Bedrohung der Kontrolle führt zu Gewaltausbrüchen. In der Persönlichkeit des freien Geistes fließt Energie ungehindert & daher aufrührerisch, aber sanft - ihr Chaos findet ihren seltsamen Attraktor, wodurch neue spontane Ordnungen entstehen können.¶

In diesem Sinne rufen wir also zum Boykott des Bildes vom Cop auf & zu einem Moratorium seiner Produktion in der Kunst. In diesem Sinne ... ¶

MORT AUX VACHES!



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