nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Sun Jun 10 19:09:27 2001
 

Inhaltsverzeichnis Inhalt Wir waren so unheimlich konsequent... Aufwärts

Voherige Seite »Wir hatten Angst, es gibt erneut »Nach der Landshut-Entführung glaubten wir an Nächste Seite

»Wir wollten Schleyer nicht demütigen oder vorführen«

Aber ihr habt doch gezielt Tonbänder dieser Gespräche aufgenommen.

Sicher hatten wir gezielte politische Fragen. Aber diese Auseinandersetzungen, diese Diskussionen waren keine Verhöre.

Boock sagt, es habe Kreuzverhöre gegeben und ihr hättet sogar geplant, Schleyer vor ein Volksgericht zu stellen.

Beide Begriffe fassen nicht annähernd, was damals tatsächlich gelaufen ist.

Warum habt ihr mit Schleyers Vergangenheit damals überhaupt nicht öffentlich gearbeitet?

Das war sicher ein politischer Fehler, aber wir wollten ihn in dieser Situation nicht demütigen oder vorführen, weil er wußte, daß die Aktion für ihn tödlich enden kann. Schleyer war ja nicht populär oder beliebt, und wir hatten deshalb auch die Befürchtung, daß er nicht mehr austauschfähig ist, wenn wir ihn weiter runtermachen.

Deshalb haben wir auch die Idee, ihn mit seiner SS-Nummer und einem Schild »Gefangener seiner eigenen Geschichte« abzulichten, schnell verworfen. Das hat aber im Nachhinein eine verrückte Umkehrung bedeutet: Schleyer wurde, nach dem was er geschrieben und gesagt hat, nur noch als Familienvater, als Opfer gesehen.

Habt ihr damals überlegt, wie ihr dem Argument der Bundesregierung begegnen könnt, ein Austausch würde nur dazu führen, daß die Leute aus dem Untergrund neue Straftaten begehen. Habt ihr jemals daran gedacht, öffentlich zu erklären, den bewaffneten Kampf einzustellen?

(11.09.77a), 14.77k

Andreas Baader hat ja so einen Vorstoß gegenüber einem Vertreter der Bundesregierung gemacht. Ihr wißt, was daraus geworden ist.

Ihr habt nie ernsthaft überlegt, euch dem Angebot Baaders anzuschließen?

Wir wußten von diesem Angebot nichts. Es war nicht festgelegt, daß wir mit dem bewaffneten Kampf so weiter machen würden, aber das wollten wir so nicht einbringen.

Warum nicht?

Seht es mal so herum: Wir hatten Schleyer und die Gegenseite macht nicht nur mobil, sondern sie verhängt die Kontaktsperre, sie bricht ihre eigenen Gesetze. Überall setzt sie noch eins drauf. Sie sagt, sie macht keine Fahndung und veranstaltet tatsächlich die größte Fahndung aller Zeiten, sie bläst zur Hatz auf alle, die überhaupt nur irgend etwas Kritisches gegen den Staat gesagt haben, sie verordnet die Nachrichtensperre. In dieser Situation der Zuspitzung zu verlangen, daß wir sagen: Es war eigentlich gar nicht so gemeint, wir wollen nur friedlich in irgendeinem Palästinenserlager den Flüchtlingskindern helfen - das hätte uns doch niemand abgenommen. Die Frage ist, ob es in der Situation Initiativen hätte geben können, die unterhalb der Ebene eines Austauschs einen Ansatzpunkt finden, an dem man hätte sagen können: Schluß jetzt, es hat genug Tote gegeben, jetzt suchen wir was anderes. Ich weiß auch nicht, wie wir reagiert hätten, wenn wir gewußt hätten, was Andreas Baader angeboten hat. Es wäre zumindestens eine Chance gewesen, darauf Bezug zu nehmen. Für uns waren die Gefangenen aber sechs Wochen verschwunden. Wir wußten überhaupt nicht, was mit denen passiert war. Wir konnten uns in unserer Phantasie alles mögliche vorstellen - die Stimmen, die die Wiedereinführung der Todesstrafe forderten, haben ihren Teil dazu beigetragen.

Statt dessen habt ihr den Druck erhöht. Erst hat Schleyer an seine politischen Freunde geschrieben und dann kam die Flugzeugentführung. War das ein Angebot der Palästinenser, oder habt ihr euch an die Palästinenser gewandt?

Es kam als Angebot. Ich weiß nicht genau wie, weil ich nicht bei der Hälfte der Gruppe war, die in Bagdad war, aber die anderen haben uns natürlich gefragt. Unsere Genossen haben uns, die wir in Westeuropa geblieben sind, gefragt, ob wir damit einverstanden sind.

Ihr hattet kein Problem mit der Entführung eines Flugzeugs voller Urlauber? Widersprachen Flugzeugentführungen nicht dem Konzept der RAF?

Bis dahin hatten wir uns Flugzeugentführungen auch nur aus der Sicht der Palästinenser vorstellen können, aber nicht zur Durchsetzung unserer Forderungen in Deutschland. Es gab ein Papier der Stammheimer Gefangenen, in dem sie die Flugzeugentführung nach Entebbe 1976 heftig kritisieren. Der Kritikpunkt war die Beteiligung von zwei deutschen RZ-Mitgliedern an einer Aktion gegen Israel, dem Land, das ja auch der Fluchtort für die Opfer des Holocaust war. In diesem Papier wird aber auch angedeutet, daß es anders bewertet werden muß, wenn ein deutsches Flugzeug entführt wird. Nach einer langen Debatte war das ein ausschlaggebender Punkt für unsere Zustimmung, weil die Gefangenen diese Frage offen gelassen haben und wir deshalb das Gefühl hatten, nicht gegen ihre Interessen zu handeln. Wir hätten auf keinen Fall gegen den Willen der Gefangenen gehandelt.

War es dann doch eure Initiative? Haben eure Leute, Boock und andere, den Palästinensern gesagt, ihr müßt uns helfen, wir kommen allein nicht mehr weiter?

(11.09.77b), 14.75k

Nein, nein, das war ganz sicher nicht so. Dazu muß ich etwas genauer darauf eingehen, wie unsere Zusammenarbeit mit den Palästinensern eigentlich aussah. Die Palästinenser hatten eigene Interessen bei so einer Aktion. Schon auch, daß die Gefangenen rauskommen, es ging ja auch um zwei palästinensische Gefangene, die in einem türkischen Knast saßen, aber sie haben dabei einen ganz anderen Hintergrund gehabt. Die haben sich gesagt, ein Land wie die Bundesrepublik, das wichtigste Land in der EG, ist in eine Konfrontation verwickelt, auf die die ganze Welt schaut, da können wir unser Anliegen mit einbringen. In dem Flüchtlingslager Tel al-Zatar in Beirut waren damals die Syrer den Falangisten zu Hilfe gekommen, als diese 6.000 Palästinenser massakriert haben. Die Fraktion innerhalb des palästinensischen Widerstands, die die Landshut entführt hat, wollte in dieser Situation verhindern, daß die Syrer oder andere arabische Regierungen sich auf Kosten der Palästinenser mit Israel einigen. Wir wurden in diesem Konflikt auch in bezug auf Israel von der deutschen Geschichte eingeholt.

War euch nicht klar, was es bedeutet, wenn bei der Flugzeugentführung 80 unbeteiligte Urlauber umgebracht werden?

Es entschuldigt nichts, aber wir haben dabei an die erfolgreichen Flugzeugentführungen von Leila Khaled gedacht, deren Buch lange als Kultbuch in der Linken zirkulierte. Es war für uns ein Problem, die Mallorca-Urlauber und Schleyer auf eine Stufe zu stellen. In dieser speziellen Situation, in der Dynamik, die sich nach der Schleyer-Entführung entwickelt hatte, konnte das Angebot aber die Lösung sein. Wir sind davon ausgegangen, daß die Bundesregierung durch die Flugzeugentführung die Gelegenheit bekam zu sagen: O.K., wir sind hart geblieben bei Schleyer, aber jetzt können wir nicht mehr, jetzt müssen wir austauschen.

In dieser Haltung steckte ein grotesker Widerspruch. Wir haben einerseits geglaubt, die Bundesrepublik befinde sich in einer Entwicklung hin zum Faschismus und haben deshalb der politischen Klasse alles mögliche zugetraut. Aber genau an diesem Punkt haben wir unsere eigene Analyse nicht ernst genommen und gesagt: So, jetzt müssen sie austauschen, das können sie sich nicht leisten. Warum eigentlich nicht?

Wir sind damit nicht aus der Verantwortung entlassen, weil wir einfach darauf vertraut haben. Aber für uns wäre es die Lösung gewesen: Schleyer wird nicht erschossen, die Gefangenen kommen raus.



Voherige Seite »Wir hatten Angst, es gibt erneut »Nach der Landshut-Entführung glaubten wir an Nächste Seite

Inhaltsverzeichnis Inhalt Wir waren so unheimlich konsequent... Aufwärts

Kontakt: nadir@mail.nadir.org