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Sun Jun 10 19:09:25 2001
 

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Voherige Seite »Wir wollten die revolutionären Ansätze weitertragen« »Wir wollten Schleyer nicht demütigen oder Nächste Seite

»Wir hatten Angst, es gibt erneut Tote im Knast«

Aber ihr habt Schleyer doch wohl durchgehend observiert und hättet von den Begleitern wissen müssen.

Ja sicher, das war uns bekannt. An diesem Tag waren aber drei statt der üblichen zwei SEK-Beamten bei Schleyer. Das war nicht vorhersehbar. Vorhersehbar war, daß man denen nicht sagen konnte, so, jetzt haltet euch mal fein raus, sondern daß es nur geht, wenn die SEK-Beamten erschossen werden. Beim Fahrer hatten wir gesagt, daß es möglichst vermieden werden soll. Es war unsere gemeinsame politische Entscheidung. Aber die Durchführung folgte dann eben der militärischen Logik. Jedes Opfer auf beiden Seiten ist zu bedauern, aber die Polizisten sind in einer Gefechtssituation erschossen worden, in der sie ja auch elf Schüsse aus der Maschinenpistole und drei aus der Pistole abgegeben haben. Der Fahrer hatte zwar eine Werkschutzausbildung für Entführungssituationen, aber er war unbewaffnet. Deshalb finde nicht nur ich seinen Tod um so bedauerlicher.

Aber aller Skepsis zum Trotz habt ihr nicht überlegt, den Plan fallenzulassen?

Diese Diskussion hat es schon gegeben. Die andere Seite waren aber die Verhältnisse im Knast. Wir hatten Angst, wenn das so weitergeht, dann gibt es unter Umständen erneut Tote, und wir stehen wieder da und können nur trauern. Wir haben dann gedacht, jetzt sollen sie selbst einmal spüren, wie das ist, in eine Situation zu kommen wie unsere Gefangenen.

Hat Schleyer das begriffen?

Nach seiner Entführung hat er auf den Videos davor gewarnt, das Gefangenenproblem militärisch zu lösen. Da hat er allerdings bereits gespürt, daß er von seinen politischen Freunden fallengelassen wird.

Das habt ihr auch gemerkt?

Natürlich.

Ihr hattet also relativ früh nicht mehr den Eindruck, daß die Bundesregierung auf eure Forderungen eingehen würde?

Wir wußten, daß sich innerhalb von wenigen Tagen zeigt, wie der Krisenstab sich entscheiden wird, ob sie z.B. die Kommuniqués veröffentlichen oder die Videos, die gemacht wurden. Wären die im Fernsehen veröffentlicht worden, wäre es für die Regierung sehr schwer geworden, einen Austausch abzulehnen. Es gab also sehr früh Anzeichen, daß es nicht so schnell läuft.

Die Aktion war aber nicht auf längere Sicht angelegt. Wir wollten Leben gegen Leben, einen schnellen Austausch von Gefangenen. Wenn das nicht läuft, sollte Schleyer erschossen werden.

Habt ihr mit Schleyer so darüber geredet?

(09.09.77), 14.28k

Ja, das war von vornherein klar. Als sich herausstellte, daß der Krisenstab immer nur neue Möglichkeiten suchte, dieser Entscheidung auszuweichen, wußten wir, daß sie ihn nicht austauschen wollen. Sie hofften, uns zu finden und zu liquidieren. Im Grunde genommen war das schon klar, als sie die erste Wohnung gefunden hatten, die sie dann gestürmt haben, ohne erst mal nachzusehen, ob da überhaupt jemand drin ist. Da zeichnete sich die Haltung schon ab. Und wir mußten überlegen, wie es weitergehen soll. Setzen wir das Ultimatum um oder nicht. Gibt es noch die Möglichkeit, daß der Druck stärker wird, wenn man das Ultimatum verlängert? Wir mußten schauen, welche Möglichkeiten es noch gibt, ein neues Versteck zu finden und so weiter. Das war die nächste wichtige Entscheidung.

Ihr hattet noch Hoffnung?

Wir sagten, wenn es in dieser Einheitsfront im Krisenstab überhaupt Widersprüche gibt, dann muß man denen Zeit geben zu wirken. Beispielsweise Spielraum für den Einfluß von Kräften aus der Industrie. Von Schleyer selbst sind dann auch Initiativen gestartet worden, er hat seine politischen Freunde angeschrieben.

Das waren seine Ideen?

Ja sicher, das kann man daran sehen, daß er viele Sachen geschrieben hat, die wir niemals so formuliert hätten - er hat zum Beispiel von Terroristen gesprochen. Er kannte seine Freunde und seine politische Klasse ja besser als wir und wußte, wo er ansetzen mußte. Er selbst hatte nicht die Einschätzung, daß er wirklich alles für einen Austausch mobilisieren konnte, aber er hat darauf gebaut, daß seine Freunde ihn nicht hängenlassen. Das war eine der erschütterndsten Erfahrungen für ihn, zu erleben, daß er mit all der Macht, die er vorher hatte, auf einmal aus seiner politischen Klasse, von seinen politischen Freunden fallengelassen wurde.

So habt ihr das empfunden?

Nicht von Anfang an, aber diese menschliche Tragödie hat sich abgezeichnet und die hat auch jeder von uns mitgekriegt.

Ist in einer solch harten Situation, die ja ganz viel Entschlossenheit und Verhärtung eurerseits bedeutet, so ein Gefühl überhaupt möglich?

Eine solche Situation geht an keinem vorbei. Bei aller Anspannung - niemand verhält sich in so einer Situation nur rational, nur entsprechend seiner politischen Auffassung.

Haben sich da wirkliche Gesprächssituationen zwischen euch und Schleyer entwickelt?

Ich würde sagen, nur Gesprächssituationen. Als Polizeiverhörspezialisten waren wir sicher völlig ungeeignet und als solcher hat sich auch niemand aufgespielt.



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