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Inhaltsverzeichnis Inhalt Wir waren so unheimlich konsequent... Aufwärts

Voherige Seite Der Tod von Holger Meins war »Wir hatten Angst, es gibt erneut Nächste Seite

»Wir wollten die revolutionären Ansätze weitertragen«

Unsere Situation damals war wie gesagt eine andere. Wir waren vom Zerfall der 68er Revolte geprägt, wir wollten ihre sozialrevolutionären und antiimperialistischen Ansätze weitertragen, und der Horizont von neuen sozialen Bewegungen war für uns noch lange nicht greifbar. Die Bedeutung der Anti-AKW-Bewegung haben wir einfach auch lange unterschätzt oder nur unter dem Gesichtspunkt ihrer Militanz gegen den Staat gesehen. Noch schwerwiegender war vielleicht die fehlende Auseinandersetzung mit der Frauenbewegung. Da möchte ich gar nicht drum rum reden.

Doch selbst wenn wir uns in dieser Phase direkt in den neuen sozialen Bewegungen aufgelöst hätten, was nicht unbedingt sinnvoll gewesen wäre, die Gefangenenfrage wäre geblieben. Sie saßen auch für die Geschichte einer gemeinsamen Bewegung und wären genauso für unabsehbare Zeit in den Sicherheitstrakten vergraben geblieben. Wir wollten die Gefangenen draußen haben und stellten an diesem Punkt die Machtfrage.

War das nicht schon so, als die RAF über die Besetzung der Deutschen Botschaft in Stockholm die Gefangenen befreien wollte?

Gerade aus der Niederlage von Stockholm hat sich der Gedanke entwickelt, daß wir eine präzisere Aktion machen müssen.

War die Idee der Schleyer-Entführung also ein direktes Resultat aus der Erkenntnis, Stockholm war ein Fehler?

Es war der falsche Weg. Das hat das Ergebnis gezeigt: vier Tote, auf beiden Seiten zwei, niemand war rausgekommen, im Gegenteil, die Zuspitzung wurde noch schärfer.

Und eure Analyse war, daß eine Botschaftbesetzung nicht ausreicht, um die Freilassung der Gefangenen zu erzwingen?

Daß eine Botschaft nicht reicht, und auch, daß wir politisch einen Punkt treffen müssen, an dem es zu ihren Ungunsten ausfällt, wenn sie nicht nachgeben.

Gab es in dieser Überlegung schon die konkrete Person Schleyer?

(07.09.77f), 14.87k

Nein, nein, so schnell ging das nicht. Stellt euch das nicht so vor, daß eine Aktion nach der anderen anstand. Bevor ich in den Untergrund ging, hatte ich auch ganz andere Vorstellungen davon, was RAF ist und was möglich ist. Als ich noch legal war, kannte ich viele, die dauernd darüber redeten, wie sie die RAF unterstützen wollten. Als ich dann selber im Untergrund war, mußte ich feststellen, daß das überhaupt nicht so war. Nach Stockholm stand ich plötzlich quasi vor dem Nichts. Es gab noch ein paar Mark und zwei Pistolen, die aber auch nicht richtig funktionierten.

Wie seid ihr dann auf Schleyer gekommen?

Schleyer, so wie er sich präsentierte in der Öffentlichkeit, in Interviews und all seinen Auftritten, war einfach ein Magnet. Ein naheliegender Gedanke. Es gab aber auch andere Überlegungen, beispielsweise kamen wir auf Filbinger, den baden-württembergischen Ministerpräsidenten. Filbingers Vergangenheit als Nazi-Marinerichter war damals noch nicht öffentlich bekannt. Aber bekannt war, daß er nach der NS-Zeit praktisch ungebrochen zum Landesvater geworden war. In seinem Fall sind wir sehr schnell zu dem Ergebnis gekommen, daß wir da den ganzen Landtag stürmen müßten. Das fiel natürlich aus. Schleyer ist dann übriggeblieben.

Und da habt ihr angefangen, die Entführung vorzubereiten?

Nein, zu dem Zeitpunkt wurde noch keine Aktion festgelegt. Das waren erst mal Überlegungen.

Wann war das?

Das war direkt nach Stockholm, da hatte sich die Gruppe noch gar nicht konstituiert. Da kamen erst später noch zwei andere Gruppen zusammen, die sich bis dahin nicht als RAF begriffen haben. Da gab es noch keine konkreten Pläne, aber es war eine Richtung, und wir wollten, auch bewußt im Unterschied zu Stockholm, an dieser Person klarmachen, worum es uns ging, wo wir herkommen, wofür wir eigentlich kämpfen.

Dachtet ihr, bei Schleyer könnte Schmidt nicht hart bleiben, da müssen sie austauschen?

Nein, diese Überlegung war noch nicht so weit. Erst mal haben wir Schleyer gesehen, bei dem sich alles konzentriert hat, wogegen wir, die ganze Linke, rebelliert hatten. Ich erinnere mich noch sehr gut an diese Geschichte über Schleyer im Stern 1974. Da wurde nicht nur seine NS-Geschichte thematisiert, sondern vor allem diese Ungeheuerlichkeit, wie er seine weitere Karriere, seinen Aufstieg zum BDI- und BDA-Mann, zum politischen Chef des Kapitals, als einen vollkommen bruchlosen Übergang verstanden hat. Damit hatte er öffentlich geprahlt, es war also kein Kunststück, auf ihn zu kommen.

Aber ihr habt doch damals nicht gesagt, wir entführen Schleyer, um damit die Kontinuität des Faschismus in der Bundesrepublik zu zeigen. In Italien gab es viel klarere Aktionen: Die BR haben versucht, in aktuelle Arbeitskämpfe einzugreifen, haben Manager entführt und mit runtergelassener Hose zum Schichtwechsel vor einem Fabriktor wieder laufenlassen. Das sprach für sich.

Wir haben auch immer gesagt, die besten Aktionen sind die, die für sich sprechen. Bei Schleyer mußten jedenfalls nach der Entführung keine langatmigen Erklärungen abgegeben werden, warum es gerade um ihn ging und nicht um einen anderen Vertreter der herrschenden Klasse. Vergleichbares wie in Italien ist aber auch 1975 in Argentinien gelaufen, als die Montoneros einen Vertreter von Daimler-Benz entführten. Sie forderten die Wiedereinstellung von Ausgesperrten und höhere Löhne. Ich glaube, bei den Verhandlungen damals war Schleyer auch dabei. Aber solche Aktionen lassen sich nicht einfach übertragen. Seht euch nur mal das Lohngefälle zwischen einem Arbeiter bei Daimler in Stuttgart und dem in Buenos Aires an. Es war aber zu jenem Zeitpunkt einfach noch nicht festgelegt. Die Einengung auf den Gefangenenaustausch war auch aus der Zuspitzung entstanden, auf die wir uns in der Gefangenenfrage im ganzen Jahr 77 zubewegten.

Erklär doch mal eure Dramaturgie für 1977 - vor der Schleyer-Entführung gab es das Attentat auf Buback und den Mord an Ponto.

(08.09.77a), 15.11k

Buback war der oberste »Terroristenjäger« und für die Haltung gegenüber den Gefangenen verantwortlich. Für uns war er auch verantwortlich für den Tod Siegfried Hausners, den er aus Stockholm abtransportieren ließ, obwohl Hausner lebensgefährlich verletzt war. Und wir sahen in ihm den Verantwortlichen für den toten Trakt und die Haftbedingungen von Ulrike Meinhof. Dem wollten wir Grenzen setzen.

Kam dazu, daß ihr, so hat es jedenfalls Peter Jürgen Boock erzählt, von den Stammheimern massiv unter Druck gesetzt wurdet?

Ich habe keine Lust, die jeweils neueste Variante von Boock zu kommentieren. Auf ihn trifft zu, was Regis Debray in seinem Buch »Kritik der Waffen« über die Guerillabewegung in Lateinamerika sagte: »Die größten Militaristen werden die besten Renegaten.« Während Boock wie ein Tanzbär durch die Talkshows tapst, haben andere, wie Brigitte Mohnhaupt, die in einem bayrischen Knast weggebunkert ist, keinerlei Möglichkeit, sich dazu zu äußern.

Du hast ja jetzt die Möglichkeit. Seid ihr damals unter Druck gesetzt worden?

Das kann tatsächlich erst vollständig aufgearbeitet werden, wenn alle Gefangenen etwas dazu sagen können. Gerade Boock bezieht sich immer auf eine angebliche oder tatsächliche Korrespondenz mit den Stammheimern, die außer ihm nur Brigitte Mohnhaupt kennen soll. Was soll ich also dazu sagen? Sicher, die Gefangenen wollten unbedingt raus, und dieses Gefühl, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen, kennt schließlich jeder Gefangene. Die Frage ist nur, welcher Einsatz dafür moralisch und politisch vertretbar ist.

Erst einmal haben die Verhältnisse Druck gemacht. Dazu kommt, es gab in der Zeit die Theorie vom neuen Faschismus, der aus den Institutionen kommt und keine Massenbasis braucht. Beides hat so nicht gestimmt. Diese schräge Theorie wurde nicht nur von der RAF vor- und nachgebetet, sie führte auch dazu, daß wir uns auf einen militaristischen Schlagabtausch mit dem Staat beschränkten. Gleichzeitig haben wir beispielsweise die Produktion rassistischer Mentalitäten unterschätzt, die zwischen Oben und Unten funktionieren und so neu nicht sind. 1977 war auch das Jahr, in dem sich viele SS-Traditionsverbände, von einigen Protesten der VVN abgesehen, ungestört treffen konnten. Warum haben wir die nicht attackiert? Statt dessen wurden in einigen Fällen leichtfertige Assoziationen zwischen Isolations- und Vernichtungshaft und Auschwitz hergestellt, die nicht nur zu grotesken Fehleinschätzungen und »Handlungszwängen« führten, sondern die auch gegenüber den Opfern der Vernichtungslager schäbig waren. Dabei waren die Bedingungen in den Isolationstrakten schlimm genug. Um dagegen zu handeln wäre kein zusätzlicher »Druck« notwendig gewesen. Wir waren ja auch keine Gruppe, die nur darauf gewartet hat, was die Stammheimer sagen. Mit solchen Erklärungen versuchen einige, sich aus der Verantwortung zu schleichen.

Das heißt nicht, daß nicht auch an den Stammheimern vieles hätte kritisiert werden müssen. Ich hab' mich oft gefragt, was passiert wär', wenn wir sie tatsächlich rausgeholt hätten. Ob ich mich mit ihnen verstanden hätte. Damals ging ich automatisch davon aus. Heute bin ich da eher skeptisch. Aber wenn sie draußen gewesen wären, hätten wir sie wenigstens kritisieren können. Der Schmerz, daß das nicht ging, der bleibt bis heute hängen. Damals dachten wir, wenn wir die Gefangenen befreit haben, dann können wir wieder auf die ursprünglichen Ziele der RAF zurückkommen - die Ziele, die schon während der 68er Revolte entstanden.

Du hast vorhin angesetzt, die Dynamik jener Zeit, 76/77, zu beschreiben. Da warst du bei Bundesanwalt Siegfried Buback. Der Anschlag auf ihn sollte die anderen Gefangenen schützen. Habt ihr erreicht, was ihr wolltet?

(08.09.77c), 13.18k

Nein, sonst hätten wir uns die weitere Eskalation ja ersparen können. Nach dem Tod von Holger Meins und dem Anschlag auf den obersten Berliner Richter, Günther Drenckmann, gab es im Spiegel ein Interview mit den Stammheimern, in dem sie deutlich gesagt haben: Wenn es Beerdigungen gibt, wenn Schmerz, Leid und Trauer, dann auf beiden Seiten.

Hättet ihr euch dieser Konfrontation nicht entziehen können?

Das hätte damals bedeutet, daß wir die Gefangenen aufgeben, daß wir sagen müssen: Eine Befreiungsaktion geht einfach nicht, andere Initiativen sind jetzt dringender. Heute würde ich eher sagen, wir hätten damals mehr Geduld einfordern müssen. Obwohl, es ist ja heute noch schwer, mitansehen zu müssen, wie der Staat auch gegenüber kranken Gefangenen wie Helmut Pohl oder Adelheid Schulz hart bleibt.

Ihr habt dann also in relativ kurzer Zeit eine Struktur aufgebaut, um Schleyer entführen zu können. Wie lief das?

Es waren wie gesagt zunächst verschiedene Gruppen, die erst mal nicht im RAF-Zusammenhang standen.

Dann war das 1977 quasi eine Nachgründung oder Neugründung?

Nein, dieser Begriff der zweiten Generation RAF stimmt so nicht. Das waren teilweise Leute, die aus alten Zusammenhängen übriggeblieben waren, teils aber auch neue Leute, die aus ihren Erfahrungen sagten, daß jetzt mit der RAF zusammen eine Chance für die Zukunft offengehalten wird.

Haben sich eure Hoffnungen am Erfolg der Lorenz-Entführung 1975 orientiert? Oder habt ihr gedacht, ein so wichtiger Mann wie Hanns Martin Schleyer wird auf jeden Fall ausgetauscht?

(08.09.77b), 15.71k

Am Augenmaß der Bewegung 2. Juni hätten wir uns ruhig ein Beispiel nehmen können. Aber die Lorenz-Entführung hat wohl auch die Kräfteverhältnisse verändert. Wir waren ursprünglich davon ausgegangen, daß Schleyer allein für den Austausch der Gefangenen nicht reicht. Deshalb sollte außer Schleyer noch der Chef der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, entführt werden. Da hätten wir das durch seine braune Vergangenheit belastete Finanzkapital, für das die Dresdner Bank stand, und Schleyer mit seiner Rolle in den Kapitalistenverbänden, also den Politiker, zusammengehabt. Ein Gewicht, an dem sie nicht vorbeigekonnt hätten. Durch die Bekanntschaft einer damaligen Genossin mit der Familie Ponto erschien uns die Entführung des Bankiers als die militärisch leichtere Aktion. Das ging bekanntlich schief. Ponto wurde erschossen, weil einer von uns die Situation falsch eingeschätzt hat. Es war auch falsch, die private Bekanntschaft für so etwas auszunutzen. Das hat unsere Erfolgsaussichten schon zu Beginn sehr eingeschränkt. Die zweite Schwierigkeit war, daß Schleyer ursprünglich diese SEK-Bewachung nicht gehabt hat. Die höchste Sicherheitsstufe wurde für ihn erst infolge der Ponto-Aktion angeordnet. Angesichts dieser Schwierigkeiten haben wir selbst schon damals der Aktion skeptisch gegenübergestanden. Zudem gab es gleich vier Tote, den Fahrer und Schleyers Bewacher. Damit wurde die Eskalation verschärft und ein Austausch noch weniger wahrscheinlich.



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