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»Ich wollte meinen Prozeß politisch offensiv | »Wir wollten die revolutionären Ansätze weitertragen« |
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Da hast du beschlossen, zur RAF zu gehen?
Ich wußte damals auch, wie ich die Leute vom 2. Juni erreichen konnte. Doch jemand hatte einen toten Briefkasten nicht geleert oder mir einen falschen gesagt - der Kontakt kam nicht zustande.
Die wären für dich vielleicht viel passender gewesen.
Das haben schon manche gesagt, aber die Geschichte ist halt anders gelaufen.
War das nicht so wichtig?
Beim 2. Juni gab es nicht nur Arbeiter- und in der RAF nicht nur Bürgerkinder, daran würde ich es nicht unbedingt festmachen. Als ich in Berlin und noch in der Legalität lebte, habe ich sowohl Frauen aus dem 2. Juni wie auch aus der RAF im Knast besucht. Die hatten wohl ihre Auseinandersetzungen untereinander, aber mir hat das nicht viel bedeutet. Ob ich damals die Ina Siepmann aus dem 2. Juni besucht hab' oder Ingrid Schubert aus der RAF, entscheidend war, das es jemand aus der Bewegung war, der eingefahren ist. Die konnten oder wollten wir nicht hängenlassen.
Aber die unterschiedlichen Konzepte waren dir doch bewußt?
Klar, die kannte ich. Aber sie waren zu dem Zeitpunkt - zumindest für mich - noch nicht ausreichend in der Praxis überprüft, die Lorenz-Entführung und die Botschaftsbesetzung in Stockholm waren da noch nicht gelaufen.
Es wäre heute sicher interessant, genauer zu untersuchen, wie sich die unterschiedlichen Konzepte von Stadtguerilla ausgewirkt haben. Auf die Abkopplung der RAF von den sozialen Bewegungen und die verheerenden Auswirkungen werden wir bei 77 sicher noch kommen. Die Bewegung 2. Juni, die ihre Stärke und sprachliche Ausdruckskraft aus der Wechselwirkung mit ihrem sozialen Milieu bezog, hatte in der Beziehung sicher die besseren Karten. Als allerdings ihr sozialer Bezugsrahmen und ihre Basis zunehmend verlorenging oder sich neuen Themen zuwandte, blieb ein Teil von ihnen auch nicht von ähnlichen Fehlern verschont wie wir. Ähnliches läßt sich auch von den Revolutionären Zellen und den Roten Zoras sagen, die unsere Schwächen gründlich untersucht haben und mit ihrer illegalen Organisationstruktur »am Puls der Bewegung« blieben. Ihrem internationalen Flügel blieb ein Desaster allerdings auch nicht erspart.
Anfang der 70er Jahre haben sich die Aktionen der RAF noch auf den Vietnamkrieg bezogen.
Einen Konsens gab es innerhalb der Bewegung, dem, was von 68 übriggeblieben war: daß eine Revolution, soweit sie hier stattfinden kann, einen antiimperialistischen Charakter haben muß. Daß sie auch nur dann hier eine Chance hat zu bestehen, wenn sie die Bewegungen in der Dritten Welt berücksichtigt. Ohne Vietnam, ohne die Entwicklung in der Dritten Welt, wäre die RAF nicht geworden, was sie dann geworden ist. Unsere Hoffnungsträger waren die Tupamaros und die Black Panther.
Ihr habt euch dann aber schnell auf die Frage konzentriert: Wie kriegen wir die Leute aus dem Knast?
Wir haben auch überlegt, was es an anderen Möglichkeiten, auf anderen Gebieten gibt. Aber wir haben es so gesehen, daß wir, als relativ kleine Gruppe, auf anderen Gebieten nur stärker werden, wenn wir an diesem Punkt etwas erreichen können. Unsere nüchterne Einschätzung war, daß Staat und Kapital die Situation dermaßen dominieren, daß von der Bewegung, die 67/68 aufgebrochen war, nichts mehr übrigbleiben konnte. Über die Gefangenenfrage wollten wir etwas von diesem Staat vermitteln. Seinen Charakter. Seine Geschichte.
Wem wolltet ihr das vermitteln?
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Wir waren nicht, so wie die ML-Gruppen, auf das Industrieproletariat ausgerichtet. Diesen Gedanken haben wir damals schon mit der Analyse über die Arbeiteraristokratie in den Metropolen verworfen. Für uns war das revolutionäre Subjekt nicht ökonomistisch bestimmbar. Wir haben gesagt: Jeder, der kämpft, kann Revolutionär sein. Dadurch, daß wir es diffuser gefaßt haben, hatten wir aber auch nicht das notwendige Korrektiv einer sozialen Basis. Das war damals eher bei den Roten Brigaden in Italien der Fall, die in den Fabriken ganz anders verankert waren.
Italien war anders.
Ja sicher. Auch Irland war anders. Trotzdem haben wir uns in diesem Zusammenhang gesehen. Hätten wir in Italien gelebt, hätten wir natürlich lieber das Konzept der Brigaden gemacht, das haben wir schon in den frühen Texten gesagt. In Italien hatte es eine starke Resistenza gegeben, mit der hing selbst die Geschichte der italienischen Christdemokraten zusammen. Hier jedoch hatte der Faschismus alles zerstört, was von Arbeiterbewegung übriggeblieben war. Das war eine ganz andere Kontinuität, die erst mal aufgebrochen werden mußte.
Unser internationalistischer Ansatz hatte auch darauf gebaut, daß durch die »Einkreisung der Städte durch die Dörfer« das »Modell Deutschland« Risse bekommt, in denen wir uns auf Dauer sozial verankern und festkrallen können.
Aber worüber wolltet ihr euch legitimieren, über die Verhältnisse hier oder über die weltweite Bewegung?
Im besten Fall über beides, aber die Frage ist bis heute strategisch nicht gelöst: Tatsache ist, daß wir in einer Metropole leben, mit ungeheurem Reichtum und Privilegien, in anderen Ländern dagegen ungeheure Armut herrscht, und die sozialen Bedingungen für einen revolutionären Ansatz ganz andere sind. Heute kommen noch die »Inseln der Dritten Welt« in den Metropolen und die Armutsregionen im Osten dazu.
Für beide ist die Lösung der sozialen Frage zu einer Überlebensfrage geworden, die mehr denn je den nationalstaatlichen Rahmen sprengen muß und die zugleich jeden abstrakten Internationalismus verblassen läßt. Wenn man sich in diesen internationalen Zusammenhang stellt, ist jedoch die Gefahr groß, den sozialen Kontakt, die kritische Reibungsfläche zu verlieren, sich mit dem Verweis auf die internationalen Verhältnisse sogar jeder Kritik zu entziehen.
So kamen mir die Diskussionen der Roten-Hilfe-Gruppen auch vor, die ich Mitte der 70er Jahre in meinem Kreuzberger Umfeld erlebte.
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Da müßten wir die Berliner GenossInnen mal fragen. Ich kenn' die Hamburger Rote Hilfe aus dieser Zeit. Da hat es andere Ansätze gegeben. Selbst wenn es alles nicht das gebracht hat, was an sozialen Utopien damit verbunden war, heute erlebe ich, daß oft die einzigen Gruppen, die sich noch um Gefangene kümmern, von rechten Organisationen getragen werden, die hier versuchen, ein rassistisches Potential zu etablieren. Mit denen bin ich mehrfach und in verschiedenen Knästen konfrontiert worden. Da hat die Bewegung damals einfach ein Terrain fallenlassen. Übrigens auch die taz, die ja mal eine Knastseite hatte.
Wir bestreiten ja nicht, daß das eine sinnvolle Arbeit war und auch heute wäre. Damals hatten wir aber immer den Eindruck, daß die, die sich da Avantgarde nennen, über die Themen, die uns interessieren, überhaupt nicht sprechen.
Geredet wurde schon, soweit ein Austausch darüber mit unseren GenossInnen in der Legalität möglich war, allerdings bekanntlich ohne diese Themen in unsere Praxis aufzunehmen. Ich würde an diesem Punkt in der selbstkritischen Reflexion noch weitergehen: Die Gefangenenfrage wurde von einem Teil der Gefangenen und uns in den Antifolterkomitees furchtbar moralisiert, und damit haben wir sicher viele in der Linken abgeschreckt, die sich kritisch, aber solidarisch mit uns auseinandergesetzt haben. Peter Brückner und andere wurden vor den Kopf gestoßen, da gibt es sicher noch viel Widerwärtiges aufzuarbeiten. Trotzdem seid ihr damit noch lange nicht aus dem Schneider, denn es gab - parallel zum Rückzug der 68er - auch eine massive Entsolidarisierung. Das hat sich dann später gerächt: Wer die Bedingungen der Gefangenen in den Isolationstrakten verdrängte und keine Verantwortung übernahm, zum Beispiel durch eine eigene, unabhängige Position, der sollte sich nachträglich wenigstens nicht wundern, daß ihn die Gefangenenfrage im Herbst 77 in einer militärischen Zuspitzung wieder einholte.
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