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»Wir waren so unheimlich konsequent ...« | Der Tod von Holger Meins war |
Moment mal, von deiner Verhaftung 78 bis zum Prozeßbeginn hast du volle drei Jahre in U-Haft verbracht?
Bevor dieser Prozeß begann, hatte ich schon zwei andere Verfahren. Nach meiner Verhaftung hatte ich einem Bundesrichter auf die Nase gehauen. Das war gleich nach meiner Auslieferung aus Frankreich, als er mir ein Telefongespräch mit einem Rechtsanwalt provokativ unterbrach, nachdem mir bereits bei meiner Verhaftung in Paris-Orly am Tag davor keine Möglichkeit gegeben wurde, einen französischen Anwalt zu sprechen.
Deine Auslieferung verlief blitzartig, möglicherweise, weil man bei der damals ausgesprochen antideutschen Stimmung in der französischen Öffentlichkeit tatsächlich damit rechnen mußte, daß dir Asyl gewährt wird...
Ja, alles lief sehr schnell, praktisch nur auf der Polizeischiene. Selbst der Richter mußte später eingestehen, das sei alles nicht rechtmäßig gewesen damals. Aber das war dann nicht mehr wichtig. Wichtig war: Jetzt haben sie mich. Für diesen Schlag auf den BGH-Richter gab es dann sieben Monate, die mir noch zusätzlich zu den 20 Jahren von meinem Lebenslänglich angerechnet werden, während meine Verurteilung zu sechs Jahren wegen eines Fluchtversuchs in die spätere Berechnung der »besonderen Schwere der Schuld« einbezogen wurde. Der politische Hintergrund war, daß sie damals fast nichts gegen mich in der Hand hatten. Also wurde vor dem Prozeß um Schleyer versucht, meine Gefährlichkeit zu demonstrieren.
Jedenfalls war ich drei Jahre fast völlig weggebunkert, als dann der eigentliche Prozeß anfing. Die Gefangenen planten damals einen Hungerstreik. Und weil die Presse natürlich in meinen Prozeß kam, sollte ich dort, quasi zum Auftakt, die Hungerstreikerklärung verlesen. Da hab' ich Stopp gesagt. Wenn wir jetzt im Hungerstreik sind, dann ist der ganze Prozeß, die politische Auseinandersetzung darum auf den Hungerstreik konzentriert. Ich hatte aber das Interesse, den Prozeß politisch offensiv zu führen. Ich wollte die Auseinandersetzung über 1977.
Die Gefangenen haben den Hungerstreik trotzdem begonnen.
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Sie hatten einen anderen Weg gefunden, um den Hungerstreik publik zu machen. Es kam dann, wie es kommen mußte, die politischen Fragen im Gerichtssaal und in der Öffentlichkeit spitzten sich zunehmend darauf zu: Können die Gefangenen das überleben? Wer will mit wem zusammen usw. Zum Glück waren auch noch viele soziale Gefangenen mit zum Teil eigenen Forderungen in den Hungerstreik gegangen, auf die ich mich beziehen konnte, als ich auch für sechs Wochen in den Streik ging - mit Forderungen, die ich aus meinen konkreten Erfahrungen entwickelt hatte.
Sigurd Debus ist in diesem Streik für die Zusammenlegung durch die Tortur der Zwangsernährung gestorben. Im Gerichtssaal bin ich danach auch kaum über die üblichen Rituale der Konfrontation mit dem Staatsschutzsenat hinausgekommen.
Es hieß immer, du hast dich 1981 aus der RAF verabschiedet?
Abschwören und unterwerfen war nie meine Sache. Ich war auf der Suche nach anderen Möglichkeiten, nachdem wir 77 an der Gefangenenfrage - unserem schwächsten Punkt - die politische Machtfrage stellten. Und diesen tödlichen Fehler wollte ich als Gefangener auf keinen Fall wiederholen.
Es ist aber von der RAF aus dann doch mit vielen Toten weitergelaufen.
Dazu müßt ihr die Verfasser und Träger des Antiimperialistischen-Front-Konzepts fragen, zu denen ich nicht gehöre. Mein Schritt war ein »Back to the Roots«, zurück zu den Wurzeln, zu all den Fragen, die uns überhaupt dazu gebracht haben, zornig und militant zu werden ...
Wie bist du denn bei der RAF gelandet?
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Dazu muß ich erst einmal erzählen, wie ich zur antiautoritären Bewegung gekommen bin. Ich bin in den 50er Jahren in einem kleinen idyllischen Schwarzwalddorf geboren und aufgewachsen, als Sohn eines polnischen Zwangsarbeiters. Keine spektakuläre Geschichte, in Polen wäre es nur eine von hunderttausend anderen gewesen, aber in diesem Dorf bläute mir meine Mutter ein: »Erzähl bloß nichts von der Geschichte deines Vaters, sonst kriegst du Ärger.« Im Ort gab es etliche frühere SS- und SA-Männer und Mitläufer, die zu den angesehenen Bürgern zählten. Mein Vater hat »die Vernichtung durch Arbeit« in einem KZ-Außenkommando nur acht Jahre nach seiner Befreiung überlebt - ich war damals noch ein Baby und meine Schwester war gerade unterwegs. Meine Mutter wollte mich ohne Haß erziehen. Aber auch in guter Absicht zu »schweigen« war wohl doch nicht der richtige Weg. Ich bin jedenfalls aus verschiedenen Gründen für kürzere Zeit in ein Heim für »schwererziehbare« Jungs gesteckt worden. Die meisten Kinder dort kamen aus den untersten sozialen Schichten, viele Farbige, Kinder ehemaliger GIs, auch Sinti und sogar ein Junge mit polnischer Abstammung. Im Heim sollten wir eine Lehre machen, mit Meistern, die uns mit Sprüchen wie: »Bei Hitler hätten wir mit euch kurzen Prozeß gemacht« traktierten. Ich bin von dort siebenmal in einem Jahr abgehauen und teilweise nach abenteuerlichen Jagden von der Polizei wieder eingefangen worden. Als ich das, auch mit Hilfe meiner Mutter, endlich hinter mir hatte, bin ich nach Hamburg gegangen und von dort zur See gefahren. Das war gar nicht romantisch, ich hab' dabei das Elend in der Dritten Welt kennengelernt, wenn in afrikanischen Häfen ältere Männer an Bord kamen und im Tausch für Essensreste ihre Ehefrauen anboten. Wer sich da nicht schämt, sollte den Haifischen zum Fraß vorgeworfen werden. Ich bin dann in Hamburg geblieben, hab' gejobbt und eine Abendschule besucht.
Wie alt warst du damals?
Da war ich knapp 20 Jahre. In jeder dieser Phasen hätte ich auch einen ganz anderen Weg gehen können, entscheidend für mich war die antiautoritäre Bewegung: die neuen Lebensformen, Wohngemeinschaften, Stones-Musik, lange Haare, das hatte auf mich eine enorme Anziehung. Dazu kam der Sozialismus und andere revolutionäre Theorien, vor allem der in der Revolte geborene Sinn für Gerechtigkeit. Ich ging zur Roten Hilfe, war bei einer Hausbesetzung dabei, der Eckhoffstraße, einem Haus der Neuen Heimat.
Wir waren militant, aber wir haben auch soziale Arbeit mit Obdachlosen oder Fürsorgezöglingen gemacht. Polizei und Springerpresse sind damals gemeinsam auf uns losgegangen - einige mußten für ein Jahr in den Knast, und es war eigentlich nur Zufall, daß ich nicht dazugehörte. Damals hatten wir das Gefühl, noch wirklich etwas verändern zu können, auch wenn sich der Rückzug der 68er längst abzeichnete und der Repressionsapparat immer härter zuschlug.
Vor diesem Hintergrund erschien uns die RAF als besonders glaubwürdig, immerhin setzten die GenossInnen ihr Leben für ihre Überzeugung ein. Es herrschte damals, als die ersten RAF-Leute verhaftet wurden, eine ungeheure Hetze. Schon deshalb dachten wir, da muß doch etwas dran sein, wenn gegen die so gehetzt wird. Es waren viele verschiedene Anstöße, die bei mir dazu geführt haben, mich mit der RAF zu beschäftigen. Ich bin dann aber erst noch nach Berlin gegangen.
Ich war auch 1974 in Berlin und hab' bei der Demo nach dem Tod von Holger Meins erstmals richtig Prügel gekriegt. Diese Situation haben ganz viele Leute erlebt, aber ganz wenige sind zur RAF gegangen.
Dort hätten wir uns eigentlich treffen können. Ich habe nie vergessen, wie ich damals im Jugendzentrum in der Potsdamer Straße gewesen bin. Es ging um den Hungerstreik.
Wir hatten von amnesty international bis Pfarrer Albertz alles mobilisiert, was überhaupt möglich schien. Ich stand also da in diesem Jugendzentrum, auf einem Tisch, ein Podium gab es nicht, und hielt gerade eine Rede.
In dem Moment kommt jemand rein und sagt: Der Holger ist tot. Mir - und nicht nur mir - sind die Tränen in die Augen geschossen. Einige, die sonst eher zu den Kritikern der RAF zählten, haben sofort angefangen Molotowcocktails zu basteln, sind zum Ku'damm los.
Wenn die anfangen, die Gefangenen umzubringen oder verrecken zu lassen, dann muß was anderes geschehen, dachten wir. Alles, was ich bis dahin in bezug auf die Gefangenen politisch gemacht hatte, war schlicht wirkungslos geworden. So konnte es nicht weitergehen. Die Beerdigung von Holger Meins mitzuorganisieren war meine letzte legale politische Tätigkeit. Das war für mich das Überschreiten einer Schwelle. <f"Frutiger-Bold»
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