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Voherige Seite 18 1978 die Entführung Aldo Moros 20 Gefängnisaufstand auf Asinara Nächste Seite

19 Nach Moro - Spannungen zwischen Gefangenen und Untergrundgruppe

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Du hast erzählt, daß nach dem Ende der Moro-Entführung im Knast eine lange Debatte über das Schicksal der BR begann und dabei das »Documentone«, das »Riesenpapier«, entstand.

»Documentone« nannten wir ein Konvolut von über hundert Seiten, das im Knast auf der Asinara im August 1979 entstanden war. Die Entwicklung dahin ist nicht uninteressant.

Wie ich bereits erwähnte, beschlossen wir den Turin-Prozeß mit einem Kommuniqué, in dem wir, wenn auch noch recht vage, eine Gesamtdiskussion aller BR-Kolonnen über die gesellschaftliche Entwicklung und eine neue Orientierung forderten. Die Phase der bewaffneten Propaganda schien zu Ende, und die Frage des Bürgerkrieges stellte sich nicht, was war also zu tun? Hatte eine Organisation, so wie wir sie ursprünglich konzipierten, noch einen Sinn? Unserer Meinung nach gab es darauf nur eine Antwort: »Nein.«

Um diese Probleme darzustellen, erarbeiteten die Gefangenen auf Asinara (praktisch der gesamte »historische« Kern, Franceschini, Ferrari, Bonavita, Ognibene, Bertolazzi...) zwei Papiere. Das eine, »Rotkäppchen« betitelt, war von mir. Ein anderes, eine Art Gegenthese zu »Rotkäppchen«, verfaßten Franceschini und Bertolazzi zusammen mit anderen.

Es folgten hitzige Diskussionen, Verbesserungen, Korrekturen. Schließlich entstand eine Synthese aus beiden Positionen, sie trug den Titel »Zehn Thesen« und bezog klar Position.



Franceschini schwebte das »Projekt einer neuen Organisierung« vor. Wie waren deine Vorstellungen gewesen?

Ich war der Meinung, daß die politische Schwäche der BR eine qualitative Veränderung verhindere. Dies mußte also durch neue Initiativen angestoßen werden. Wir sollten versuchen, einen größeren politisch-organisatorischen Zusammenhang unter allen in Italien existierenden Gruppen der bewaffneten Linken zu schaffen. Die Diskussion sollte in breitere Schichten der radikalen Linken, auch der legalen, getragen und geführt werden.

Während der Moro-Entführung führten Prima Linea und andere bewaffnete Gruppen verschiedene Aktionen zur Unterstützung der BR durch. Dennoch blieben die Beziehungen zu anderen Gruppierungen immer angespannt und konfliktreich. Unterschiede, Rivalitäten und Sticheleien überwogen immer gegenüber den vereinenden Elementen.

Unsere Ansicht war: Entweder wir schaffen heute eine breitere Debatte ohne Neid und hegemoniale Ambitionen, um die Grundlagen für eine effektive, einheitliche politische Front zu bilden, oder unsere Präsenz wird auf der militärischen Ebene festgenagelt, und wir werden aufgerieben.

Aus den »zehn Thesen« wurden jedenfalls im Laufe des Sommers dann zwanzig, und um sie herum gruppierte sich eine gewisse Anzahl »ergänzender Papiere«. Insgesamt waren es dann etwas über hundert Schreibmaschinenseiten. Im September, als der Zeitpunkt unserer geplanten Flucht von Asinara näher rückte, hatten wir die Arbeit dann fertig.



Habt ihr sie den externen Genossen zuspielen können?

Ja, wegen des Umfangs jedoch nicht ohne einige Schwierigkeiten. Aber bei dieser Sache funktionierten die Verbindungen zwischen drinnen und draußen wie sie es sollten.

Wir waren ziemlich zufrieden und hatten unsere Arbeit unter schwierigen Umständen mit viel Enthusiasmus durchgeführt. Wir rechneten nicht damit und hatten überhaupt nicht daran gedacht, daß unsere Genossen draußen, damit nichts anfangen könnten. Die Möglichkeit, daß es von unseren Genossen nicht geschätzt werden könnte, hatten wie ausgeschlossen. Aber ihre Antwort ließ uns zu Salzsäulen erstarren ...



Wann erreichte euch die Antwort?

Im Knast von Florenz. Eine Woche nach dem 2. Oktober, der Schlacht von Asinara, wurden wir nach Florenz verlegt und fanden uns mit einer Anklage wegen bewaffneten Aufstands, Aufrufs zum Bürgerkrieg und anderem konfrontiert. Das war ein Prozeß, der sich gewaschen hatte. Zusammen wurden wir zu weiteren über 100 Jahren Knast verurteilt: Das sind zehn Jahre pro Kopf. Man darf nicht vergessen, daß ich für meine Taten als Brigadist vom Gericht in Turin einst zu nur fünf Jahren verurteilt worden bin!

Zurück zur Antwort des Exekutivkomitees der BR, die uns in Florenz auf unser Riesenpapier erreichte. Sie war läppisch. Zwei in winziger Schrift hingeworfene Zeilen auf einem Zigarettenpapier: »Wir wissen nicht genau wo, aber an euren Thesen ist ganz sicher etwas falsch.« Punkt. Das war's.

Monatelange Diskussionen, Streit und Mühe in zwei Zeilen vernichtet!



Wie habt ihr darauf reagiert?

Naja, wir haben ein anderes Zigarettenpapier genommen und daraufgeschrieben: »Die gefangenen Militanten der Roten Brigaden verlangen den Rücktritt des Exekutivkomitees.« Punkt.

Das war ein dicker Hund. Auf der anderen Seite hatte Mario Moretti die Führung, und wir wußten genau, daß diese Stellungnahme eine oft schwierige, aber trotz allem tiefe Freundschaft schwer in Mitleidenschaft ziehen würde. Unsere Antwort klang nach einem Bruch, und ich habe immer noch sehr unangenehme Erinnerungen an diesen Moment.

Vielleicht war es ein Fehler, so drastisch zu reagieren. Vielleicht aber auch nicht. Es ist schwer möglich zu sagen, wie die Dinge sich entwickelt hätten, wenn wir jenen Schritt nicht gemacht hätten. Aber unsere Enttäuschung hatte einen Grad erreicht, an dem wir zu größerer Geduld nicht mehr fähig waren. Harte Zeiten brachen an. Die Kommunikation mit der externen Leitung versickerte, und wenn sie einmal zustande kam, wurde sie immer aggressiver.

Einige Genossen machten in der Folge schwere Krisen durch. In Bonavita zum Beispiel reifte in den folgenden Monaten in aller Stille die Entscheidung heran, sich von den BR zu lösen.



Auch Valerio Morucci und Adriana Faranda19.1, die sich noch in Freiheit befanden und an der Moro-Entführung beteiligt waren, brachen mit den BR. Was kannst du zu dieser Angelegenheit sagen?

Das war eine weitere traurige Episode. Morucci und Faranda betrachteten uns als einen möglichen politischen Bezugspunkt. Sie wußten von unseren Meinungsverschiedenheiten mit der Leitung und versuchten, uns in ihrem Konflikt für ihre Position zu vereinnahmen.

Im Dezember '78 erreichte uns auf Asinara eine Mitteilung von ihnen, einige in Miniatur geschriebene Seiten in einem Schuhabsatz. Sie kritisierten darin den Ausgang der Moro-Aktion und hatten vor allem eine von der Leitung verschiedene Einschätzung zur weiteren Arbeit und Herangehensweise der Organisation. Sie plädierten für eine stärkere Verbindung zwischen den BR und den Bewegungen der Autonomen. Sie problematisierten das damalige Verhältnis zwischen Brigadisten und Autonomia Operaia ...



Auf was zielten ihre Überlegungen? Während der Moro-Entführung vertraten ja einige Führungskader aus dem Kreis der Autonomia, Scalzone, Piperno und Negri, mehr oder weniger öffentlich, daß nach den Briefen Moros, in denen er die DC und die politische Klasse schwer attackiert, seine Freilassung destabilisierender wäre als sein Tod. Wie wurde diese Botschaft, die ja auch den Appell beinhaltete, Moro lebend freizulassen, von den BR aufgenommen?

Die damaligen Beziehungen zwischen BR und Autonomia-Kreis konnte man weder als gut noch als einfach bezeichnen. Die Brigadisten, die die spektakuläre Moro-Aktion durchführten, zielten darauf, eine politisch-militärische Hegemonie zu konsolidieren. Sie waren verschlossen und überheblich gegenüber allen anderen Gruppierungen, die sie für ungeeignet hielten, ein neues Konfrontationsniveau zu erreichen.

Die Mitteilungen von Scalzone, Piperno und Genossen wurden von der Leitung um Moretti einfach ignoriert. Für die Mehrheit der Brigadisten stellte sie eine unangebrachte Einmischung dar. In der Organisation geisterte sogar die Überzeugung herum, ehemalige Führungskader von Potere Operaio wie Piperno und Scalzone hätten nach der Moro-Entführung versucht, die interne Diskussion der Roten Brigaden durch Morucci und Faranda zu steuern. Die beiden waren, bevor sie zu den BR kamen, Militante von Potere Operaio gewesen. Es wurde mehr oder weniger direkt behauptet, sie hätten in einer Phase der militärischen Stärke und politischen Schwäche versucht, die Kontrolle über die BR zu erlangen.



Glaubst du, daß da etwas dran ist?

Ich glaube kaum, daß es einen solch hinterlistigen Plan gegeben hat. Scalzone und Piperno vertraten damals offen und klar ihre Positionen. Sie schrieben in Zeitungen und sprachen auf öffentlichen Versammlungen. Wenn einige ihrer Ansichten mit den Positionen von manchen Militanten der BR übereinstimmten, war das sicher unabhängig von irgendwelchen Machenschaften, mit denen Morucci und Faranda zu tun hatten.

Die damalige Führung der Roten Brigaden vertrat sicherlich andere politische Positionen als die Kader der Autonomia. Sie handelten auf der Grundlage mechanischer Überlegungen und Reaktionen, die in das rigide Schema der bewaffneten Propaganda eingebettet waren. Sicher handelte es sich hierbei um eine intellektuelle und politische Schwäche. Es ist aber unsinnig, ständig mit der Annahme, die Roten Brigaden hätten damals imstande sein können, anders zu denken, die Geschichte neu schreiben zu wollen. Die Brigaden hatten große Schwierigkeiten, überhaupt noch in politischen Kategorien zu denken. Und gerade deshalb kam es nach Moro schnell zum endgültigen Desaster.



Hast du eigentlich jemals geglaubt, daß ein freigelassener Moro sich wahrscheinlich in Sprengstoff verwandelt hätte, in ein Krisenelement für die herrschende Politik und dies somit im Sinne der Roten Brigaden hätte sein können?

Ja, diese Einschätzung spukte in meinem Kopf herum. Sicherlich auch, weil ich Dutzende von Briefen in den Knast bekommen hatte, die genau dieses Szenario entwarfen. Aber das, was ich dachte, war unerheblich. Ich war in diesem Moment ein einfacher Zuschauer. Es ist offensichtlich, daß die Entscheidung der BR desaströs gewesen ist, so daß sie letztlich dadurch zerstört wurden. Aber meiner Meinung nach liegt der größte Fehler bereits darin, eine Aktion durchzuführen, ohne alle möglichen Ausgänge durchdacht zu haben, ohne einen Ausweg für den Fall parat zu haben, daß die Staatsmacht keinen Raum für Verhandlungen zuläßt.



Kehren wir zu Morucci und Faranda zurück. Wie habt ihr ihnen aus dem Knast geantwortet?

Wir betrachteten ihre Mitteilung als ein Symptom einer tiefen Krise der Organisation. Die Zersplitterung zeichnete sich ab, und die Sache stimmte uns gewiß nicht optimistischer.

Nach den harten Auseinandersetzungen mit den externen BR waren wir in besorgniserregender Weise isoliert. Wir wollten die Dinge nicht noch dadurch verschlimmern, daß wir uns dem Vorwurf aussetzten, mit »Dissidenten« zu intrigieren, um die Karten neu zu verteilen. Wir kontaktierten also die Genossen von der Leitung, berichteten, daß wir eine Nachricht von Morucci erhalten hatten, und fragten sie nach ihrer Meinung.

Wir erhielten rasch eine drastische Antwort: »Paßt gut auf. Morucci und Faranda haben die Organisation verlassen und betreiben ihre Spaltung; wir wollen mit den beiden nichts mehr zu tun haben und fordern Euch auf, euch von ihnen zu distanzieren.«



Habt ihr der Aufforderung Folge geleistet?

Wir berieten uns und beschlossen - ich für meinen Teil zwar widerwillig-, ein Papier mit dem Titel »Der Sommer ist die Zeit der Stechmücken« zu verfassen. Darin beschuldigten wir Faranda und Morucci, die Organisation spalten zu wollen.

Beim Gedanken daran befällt mich ein unangenehmes Gefühl. Weniger wegen der ausgesprochen harten Geste, sondern wegen des politischen Mechanismus, den es auslöste. Wir schrieben dieses Papier, das sogar der Ansa zugeschickt wurde, auf Drängen der externen Genossen. Einige Zeit später mußten wir dann auch noch erfahren, daß sie damit unzufrieden waren, daß ihnen der Ton mißfallen hatte, da sie in Wirklichkeit noch gehofft hatten, mit den zwei Dissidenten verhandeln zu können.

Zunächst forderten sie also eine Intervention von uns, die sie anschließend kritisierten. Persönlich fühlte ich mich ausgespielt.



Nach der Operation Moro ließen die BR in der Öffentlichkeit lange nichts von sich hören. Erst einige Monate später brachten sie ein Papier zur »Frühjahrskampagne« in Umlauf, in dem sie praktisch nichts über die »Geständnisse« Moros sagten. Als man die Transkription des von Moretti durchgeführten Verhörs fand, wurde aber deutlich, daß der christdemokratische Führer den BR einige Dinge von gewissem Interesse mitgeteilt hatte: Zum Beispiel hatte er die geheime Struktur von Gladio19.2 exakt beschrieben. Wieso haben die Brigadisten diese Unterlagen nicht öffentlich eingesetzt?

Ich habe dazu später im Knast die Genossen befragt, die an der Aktion beteiligt waren. Zwei Gründe führten dazu, daß das Material nicht benutzt wurde:

Die erste grundlegende Ursache ist, daß die Leitung Moros Aussagen unterschätzt hatte. Vielleicht hatten sie sogar einen Teil der Dinge, die er erzählte, nicht richtig verstanden. Sie glaubten, daß ihr Gefangener in seiner verdrehten und byzantinischen Sprache letztendlich ein Spiel mit ihnen trieb, ohne tatsächlich etwas preiszugeben, um sich so aus der Affäre zu ziehen. Es schien sich um allgemeine oder schon bekannte Hinweise zu handeln.

Daß, was wichtig gewesen wäre, hätte man herausbekommen können: Wer für die Bomben auf der Piazza Fontana verantwortlich war, wer die Strategie der Spannung ausgeheckt hatte, wen der CIA auf der Gehaltsliste hatte, und andere Informationen dieser Art. Aber es ist anzunehmen, daß dem Gefangenen nicht einmal die richtigen Fragen gestellt wurden, um ihm entsprechende Analysen und Informationen zu entlocken.

Uns im Knast gab man weiter, Moro hätte nichts Wichtiges erzählt, und daher müsse man die Verhörprotokolle auch nicht unbedingt in Umlauf bringen. Mit Blick auf den Ausgang der Situation war das sicherlich eine schwerwiegende Fehleinschätzung, ein echter Kardinalfehler.

Der zweite Grund liegt in der Tatsache, daß die Polizei nach der Tötung Moros eine sehr intensive Fahndung auslöste und die Genossen große Probleme zu lösen hatten. Logistische Angelegenheiten, lebenswichtige Fragen. Als später eine aus Azzolini, Bonisoli und Nadia Mantovani bestehende Gruppe die Aufgabe hatte, die Verhörunterlagen für eine Veröffentlichung aufzubereiten, stürmten die Carabinieri die Wohnung in der Via Montenevoso, wo sich die Unterlagen befanden, und die drei Genossen wurden verhaftet.



Stichwort Via Montenevoso. Was hat es mit dem Geheimnis um den Hohlraum unter dem Fenster auf sich, der erst zwölf Jahre später zufällig entdeckt wurde und Abschriften des Moro-Verhörs, Durchschriften seiner Briefe und 50 Millionen Lire enthielt?

Da gibt es kein Geheimnis. Das Versteck war von den Brigadisten in der Wohnung gebaut und benutzt worden. Sie informierten mich über diese Angelegenheit, als wir uns kurz nach ihrer Verhaftung in Mailand im Knast trafen. Sie waren erstaunt, daß es bei der Durchsuchung nicht entdeckt worden war. Sie meinten, es gäbe zwei Möglichkeiten: Entweder hatte jemand die Unterlagen verschwinden lassen und das Geld eingesteckt; oder man müsse früher oder später noch einmal dort vorbeischauen, um sich die Beute zurückzuholen.



Die parlamentarische Untersuchungskommission zur Moro-Entführung19.3 hat sich der Hypothese geöffnet, daß die BR, bewußt oder unbewußt, fremdgesteuert waren. Ist es möglich, daß die Brigadisten nicht wirklich autonom agierten?

Nein. Gemäß meiner Kenntnis der Fakten und Personen habe ich bis zum heutigen Tag nicht den kleinsten Anhaltspunkt gefunden, um anzunehmen, die BR könnten eine ferngesteuerte und nicht authentische Erscheinung gewesen sein. Das gilt auch für die Moro-Entführung. Sicher, es hat Versuche von außen gegeben, die hin und wieder ein Resultat zeitigten, wie z.B. die Infiltration durch Bruder Girotto. Aber es handelt sich um nebensächliche Ereignisse, die nie den allgemeinen Verlauf der Brigaden beeinflussen konnten.

Soviel ich weiß und von Moretti, Gallinari und verschiedenen anderen Genossen erfahren habe, birgt die Episode Aldo Moro keinerlei Unklarheiten und ist völlig durchschaubar. Ich meine damit natürlich nur das Vorgehen der Roten Brigaden. Denn es gibt tatsächlich einige dunkle Geschichten, die um die Angelegenheit teilweise bis heute kreisen. Das sind externe Vorgänge, die nicht die Brigadisten betreffen, die auch nur von denjenigen aufgeklärt werden könnten, die sich mit schlechten Büchern über Mysterien und Verschwörungstheorien vergnügen.

Ein Beispiel? In allen Texten der Geheimniskrämer ist ständig von einer Druckmaschine19.4 die Rede, die in der klandestinen BR-Druckerei von Enrico Triata und Antonio Marini gefunden wurde und einmal in Besitz eines Geheimdienstes gewesen sein soll. Welche dunklen Verbindungen führten zu diesem Besitzwechsel? Ist dies nicht ein »Beweis«, daß die Brigadisten technisch von geheimen Mächten »unterstützt« wurden? Marini hat mir eine ganz banale Antwort geliefert. Er erzählte mir, daß er jene Maschine aus Geldmangel in einem Laden für Gebrauchtwaren gekauft hatte, was darüber hinaus den ermittelnden Staatsanwälten seit langer Zeit bekannt ist.



Da gibt es aber noch das »Mysterium der Taschen«: fünf Ledermappen, die Moro im Augenblick der Entführung im Auto mit sich führte und von den Brigadisten mitgenommen wurden. Giulio Andreotti hat bei mehreren Gelegenheiten öffentlich befürchtet, daß neue kompromittierende Unterlagen auftauchen könnten, die in Verbindung mit dem ermordeten Staatsmann stehen. Moros Ehefrau Eleonora hat mehrmals darauf hingewiesen, daß eine der Taschen sehr wichtige Unterlagen enthalte. Es gab auch Leute, die andeuteten, der Inhalt der Taschen sei so brisant, daß er die harte Linie der Regierung gegenüber den Entführern einige Male in Frage gestellt hätte. Hat Moretti dir gegenüber irgendetwas davon erzählt?

Die Angelegenheit mit den Taschen habe ich mit Mario nicht weiter diskutiert, da es mir kein besonders interessantes Thema zu sein schien. Ich erinnere mich nur daran, daß der Genosse eines Tages, als die Zeitungen zum x-ten Mal die Geschichte wieder aufwühlten, stöhnte: »Mir gehen die Taschen auf den Senkel! Sie wären alle bitter enttäuscht, wenn sie wüßten, was darin war; zwei enthielten persönliche Sachen und Medikamente; die anderen Magisterarbeiten, Notizen für die Universität und vor allem Briefe mit der Bitte um Empfehlungen; sehr viele Bitten um Empfehlungen für so ziemlich alles und jeden.«

Nichts Geheimnisvolles also, nur die banale Entdeckung, daß auch der DC-Präsident »schöne Worte« verteilte. Aber bevor wir die verheerende Bilanz der Nach-Moro-Zeit abschließen, würde ich gerne noch auf eine interessante Entwicklung hinweisen.



Die wäre?

Während sich die internen Widersprüche verstärkten und der politisch-organisatorische Verfall der BR seinen Lauf nahm, kam es zu einer regelrechten Welle von Anfragen auf Mitgliedschaft in der Organisation. Aus der Szene der Autonomia, aus den anderen bewaffneten Gruppen, wollten viele den Roten Brigaden beitreten. Der Grund lag nicht nur in der spektakulären militärischen Aktion der Brigadisten, sondern vor allem an der harten Repression, die nach der Tötung von Moro einsetzte. Den Militanten der kleineren und schlechter organisierten Gruppen stand das Wasser bis zum Hals. Wollen wir nicht im Knast landen oder ins Ausland fliehen, so sagten sie, ist die einzige Möglichkeit, sich den BR anzuschließen.

Diese Masse an Anfragen brachte weitere Probleme mit sich. Einmal, weil mehr oder weniger unbekannte Personen ankamen deren - manchmal doch eher fragliche - politische Reife nicht angemessen überprüft werden konnte. Eine Schwäche, die bald mit der Zunahme von Pentiti ihre Auswirkungen zeigen sollte. Damit wuchsen auch die Ausgaben der Organisation riesig an. Für die Sicherheit eines klandestinen Militanten mußten beachtliche ökonomische Summen aufgebracht werden. Letztlich bezahlten die Brigaden einen sehr hohen Preis: Die Integration von vielen neuen Personen, die bislang in keinerlei Beziehung zur alten historischen Gruppe gestanden hatten, sprengte in dieser von tiefgreifenden, ungelösten Konflikten bestimmten Situation jede Möglichkeit einer konstruktiven Diskussion und Verständigung.



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