Inhalt | Mit offenem Blick |
17 Die BR und die Geheimdienste | 19 Nach Moro - Spannungen zwischen |
Wie hast du davon erfahren, daß sie Aldo Moro enführt hatten?
An einem noch kalten Morgen im März war ich mit Bertolazzi auf dem Hof. Wir liefen den schmalen, von Drahtzäunen umschlossenen Betonweg rauf und runter. Ich befand mich wegen des ersten BR-Prozesses, der 1976 begonnen hatte, aber wegen fehlender Geschworener verschoben und aus anderen Gründen unterbrochen wurde, im Gefängnis Le Nuove in Turin.
Ein etwas zerzauster Junge, der wegen Drogengeschichten einsaß, hockte allein in einer Ecke. Er lauschte dem kleinen Radio, das er in der Hand hielt. Irgendwann entfuhr es ihm mit lauter Stimme: »Boah, sie haben Moro entführt!«
Wir schauten uns an und fingen an zu lachen. Wir dachten, es sei ein dummer Scherz. »Moro wer?« fragten wir wie die Idioten.
»Moro, Moro, den Politiker ... aus Rom«, antwortete er, indem er den Kopf hob und uns mit leicht ironischer Miene anschaute.
Da hatten wir begriffen, daß es stimmte. Wir waren verwirrt. Wir wußten nicht, ob es sich um eine Aktion der Roten Brigaden handelte, aber wer sonst könnte sie durchgeführt haben? Es schien uns eine bedeutungsvolle Angelegenheit zu sein. Unsere Gefühle überschlugen sich: Besorgnis, Neugier und auch Furcht. Wir ahnten gleich, daß ein so aufsehenerregendes Unterfangen großen Einfluß auf das Schicksal der Organisation, aber auch auf unser persönliches Schicksal haben konnte.
Währenddessen lehnten sich andere Gefangene, die auch die Radionachrichten gehört hatten, aus den Zellen, um die Meldung durch Zurufe weiterzugeben.
Was machtest du dann?
Ich ging zurück in die Zelle, die ich mit Franceschini und Fabrizio Pelli teilte. Es begann eine nervöse Phase. Ein jeder versuchte Informationen, Bestätigungen zu erhalten. Mit der Zeit schien es immer offensichtlicher, daß es die Roten Brigaden gewesen waren, die in der Via Fani agierten. An diesem Punkt kam ein zwiespältiges Gefühl bei uns auf. Verdammt, waren die dort draußen stark! Viel stärker, als wir es uns vorzustellen wagten! Eine derart wichtige Aktion, von solcher politischer Relevanz, konnte eine merkliche Stärkung der Organisation bedeuten, einen qualitativen Sprung in unserer Interventionsmacht. Andererseits tauchten Ängste und Zweifel auf, eine furchtbare Unruhe, nichts zu wissen. Sicher, wenn sie es getan hatten, werden sie die Dinge gut abgewogen haben, versuchten wir uns von der Aktion zu überzeugen. Die Reaktionen würden aber sehr hart sein. Es konnte schlecht enden. Was würde alles passieren?
Wie war deine persönliche Einschätzung dieser Situation?
Ich befürchtete ein sehr großes Ungleichgewicht zwischen den politischen Kompetenzen der Roten Brigaden, die draußen agierten, und den politischen Problemen, die eine so wichtige Aktion nach sich ziehen würde. Ich hatte den Eindruck, daß die durchgeführte Aktion eine Nummer zu groß war. Ich war von dem, was Franco Piperno später als die »geometrische Stärke« der Operation definieren sollte, ganz und gar nicht beeindruckt. Militärisch schien mir die Operation nicht außerhalb der Fähigkeiten der Roten Brigaden zu liegen. Läßt man die Tötung der Beamten der Eskorte außer acht, so handelte es sich um eine Entführung à la Sossi, die lediglich größer angelegt war. Mir war aber bewußt, daß mit Moro der Kopf eines weitreichenden politischen Entwurfs getroffen wurde, und daß die Aktion wohl gravierende politische als auch polizeiliche Konsequenzen nach sich ziehen würde.
Es konnte auch keinen Zweifel geben, daß es für uns im Knast ein hohes Risiko bedeutete. Stammheim war erst wenige Monate her. Ich hatte Andreas Baader, Jan-Carl Raspe und Gudrun Ensslin einige Male in Mailand getroffen; ihr Tod im Knast hing wie ein Felsbrocken über unseren Köpfen.
Habt ihr wirklich mit dem Schlimmsten gerechnet?
Ich weiß nicht, ob es wirklich die Angst war, dabei mit draufzugehen. Aber wir hatten sicherlich begriffen, daß, wenn die Angelegenheit einen schlechten Lauf nimmt, auch wir mit nicht irrelevanten Konsequenzen zu rechnen hätten.
Was tun? Wir begannen sofort eine Diskussion im Knast. Wir beschlossen folgende Linie: Wir durften unter keinen Umständen in diese Angelegenheit mit hereingezogen werden; die Gefangenen waren eine Sache und die, die draußen agiert hatten, eine andere; wenn irgend jemand versuchen sollte, uns als Vermittler ins Spiel zu bringen, würden wir uns weigern. In erster Linie, weil wir zu diesem Zeitpunkt wirklich keinerlei Kontakt zu der externen Organisation hatten, mit der wir außerdem seit über einem Jahr eine harte Auseinandersetzung führten. In zweiter Linie, weil wir uns ansonsten in eine sehr gefährliche Situation manövriert hätten, wenn es uns gelungen wäre, eine Verbindung herzustellen. Das Drama von Stammheim hatte das gezeigt. Also trafen wir die Entscheidung, uns in jeder Hinsicht von der Angelegenheit fernzuhalten.
Aber in den Erklärungen, die ihr im Turiner Gerichtssaal verlesen habt, habt ihr eure vollständige Solidarität mit dem Entführungs-Kommando erklärt.
Das war die offizielle Position. Wir sagten uns, wir seien Militante der BR und mußten im guten wie im schlechten ideologisch und politisch die Entscheidungen der Organisation vertreten. Später würden wir eventuell die Möglichkeit haben, die Aktion und ihren Ausgang zu diskutieren. Jetzt mußten wir Solidarität zum Ausdruck bringen, und damit basta.
Du hast dich praktisch zweigleisig bewegt, dachtest etwas anderes, als du öffentlich vertreten hast. Ist das richtig?
Ich würde nicht von zwei Gleisen reden, das scheint mir aufgesetzt. Tatsache ist, daß ich ein Militanter der BR war, der sich in einer absolut außergewöhnlichen Situation befand. Wir spürten, daß der Druck des ganzen Landes, ich würde fast sagen der ganzen Welt, auf uns lastete. Wir mußten diese Realität, die um uns herum alles zum Explodieren brachte, miteinbeziehen. Wir konnten nicht so tun, als ob es uns nichts anginge, und uns abseits halten.
Andererseits war ich persönlich noch völlig unschlüssig und unsicher. Der Moment schien mir nicht geeignet, dies zum Ausdruck zu bringen, dies sollte später kommen.
Wie wird es enden? Das ist sicher eine Frage, die du dir von Anfang an gestellt hast. Hast du gedacht, daß die Entführung mit der Freilassung Moros beendet sein würde, so wie es einst mit Staatsanwalt Sossi geschehen war?
Ich habe es mir gewünscht. Ich dachte, es sei die intelligenteste Lösung, aber ich hatte keine Anhaltspunkte, um einschätzen zu können, wie wahrscheinlich das sein würde.
Im Fall des Staatsanwalts Sossi wollten wir nicht einen Menschen umbringen, sondern eine Propaganda-Aktion durchführen. Wir stellten unsere Fähigkeit unter Beweis, einen Gefangenen fünfzehn Tage lang festzuhalten, und erreichten eine große Popularität. Wir trafen die Entscheidung, den Staatsanwalt am Leben zu lassen, auch wenn der Staat mit seinen Betrügereien alles dransetzte, die Geschichte tragisch enden zu lassen. Damals gingen wir weder unversöhnlich noch naiv vor, sondern gaben der politischen Reflexion den Vorzug. Bei Moro hing die Entscheidung nicht mehr von mir ab. Die Logik der BR hatte sich verhärtet, ihre Optik hatte sich verändert. Ich hatte keinerlei Vertrauen.
Dennoch kam Hoffnung auf, als die externen Genossen vorschlugen, Moro im Tausch gegen einige politische Gefangene freizulassen. Es blieb noch ein kleiner Schimmer der Hoffnung auf eine positive Lösung. In anderen Staaten konnten ja Gefangenen-Austausche erreicht werden: mit den Tupamaros in Uruguay, in Deutschland mit Lorenz18.1. Ich hoffte, daß die Forderung nach Freilassung von dreizehn politischen Gefangenen eine symbolische Forderung sei, eine für die Verhandlung; in Wirklichkeit würden die Genossen annehmbare Kompromisse eingehen. Bei einer so aufsehenerregenden Entführungsaktion müßte es auch in Italien jemanden geben, der wohl imstande sein sollte, sich eine akzeptable Lösung einfallen zu lassen: Vielleicht hätte dies ein indirekter und nicht unmittelbar in Beziehung zu Moro stehender Tausch sein können, etwa die Freilassung irgendeines Guerilleros irgendwo auf der Welt.
Wie war eure Situation im Knast nach der Entführung?
Die Überwachung wurde verschärft, dauernde Körperkontrollen, Analkontrollen mitinbegriffen. Aber, wie so oft in extrem angespannten Situationen, es entstand eine gewisse Doppelbindung zu den Schließern: eine eisige Stille, lange drohende Blicke, eine absolute Begrenzung auf die zugewiesenen Räume, eine strikte Disziplin und Kontrolle jeder Geste, um bloß kein Mißverständnis auszulösen. Wir wurden wie super-gefährliche Gestalten behandelt, aber da war offensichtlich auch noch etwas anderes. Wir wurden auch mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht. Häufig kamen Beamte, um uns die Radiomeldungen zuzutragen; oder sie brachten uns schnell die Post, die wir kiloweise bekamen, und andere derartige Dinge.
Natürlich versuchten wir unter uns die Anspannung abzubauen und die Lage zu entdramatisieren. Wir machten auch unsere Späße. Ging ein Genosse zum Hofgang, so packten derweil die anderen seinen Seesack und sagten ihm, daß er nun bald rauskäme, da er sich unter denen für den Austausch vorgesehenen Gefangenen befände. Oder Pelli und Franceschini, meine Mitbewohner, hängten sobald ich eingeschlafen war, ein Schild mit meinem Namen und einem Richtungspfeil an meine Pritsche, um zum Spaß die Prügel eines eventuellen nächtlichen Strafüberfalls auf mich zu richten. So konnten wir unsere Sorgen zum Ausdruck bringen und dadurch etwas mildern.
Habt ihr von draußen Nachfragen bekommen? Wurde Druck auf euch ausgeübt?
Die erste Konfrontation mit der Welt außerhalb des Knastes fand im Saal des Riesenprozesses in Turin ein paar Tage nach der Entführung statt. Wir wurden in die Käfige geführt. Es herrschte eine unheimliche Ruhe. Eine schwere Stille voller angespannter Erwartungen lastete auf uns. Alle Blicke waren in unsere Richtung gewandt, alle Augen auf uns gerichtet, man hätte eine Mücke summen hören können. An den Augen konnte man ablesen, daß wir, dort in den Stahlkäfigen, für sie diejenigen waren, die Moro entführt und die drei Polizisten der Eskorte getötet hatten. Wir waren sehr verlegen und uns unserer eigenen Rolle nicht sicher.
Dann brach das Eis, die Neugier nach mehr Information überwog, Journalisten und Fernsehteams, Massen von Mikrophonen drängten sich zu den Gitterstäben. Alle brüllten uns Fragen zu, wollten etwas hören.
Und ihr?
Wir hielten uns an das, was wir beschlossen hatten. Wir beantworteten praktisch keine Fragen zu der Entführung. Wir wollten da nicht mit hineingezogen werden. Wir gaben nur formale Erklärungen. Ich sagte mehr oder weniger folgendes: »Ich bin in den Roten Brigaden organisiert und teile somit ihre Praxis; wenn ihr etwas über die Roten Brigaden und diese Aktion wissen wollt, lest die Flugblätter.«
Der Vorsitzende des Gerichts, Guido Barbaro, war ein sehr geschickter und seriöser Mensch. Er schaffte es, den Prozeß fortzusetzen, ohne sich von den Ereignissen überrollen zu lassen. Zur Verhandlung standen Geschehnisse, die sich zwischen 1970 und 1975 zugetragen hatten, aber der augenblickliche Druck war enorm. Barbaro war in der Lage, jegliche Stimmungsmache zurückzuweisen. Er wurde mit unserem Versuch fertig, die Verhandlung in eine Werbekampagne für die BR umzuwandeln. Er ließ uns dazu keine Möglichkeit.
Hat es trotz eurer Haltung jemanden gegeben, der sich direkt an dich wandte, um etwas für die Freilassung Moros zu tun?
Im Laufe der fünfundfünfzig Tage haben sich verschiedenste Leute an uns gewandt. Marco Boato kam in den Saal und bat darum, im Namen unserer alten Freundschaft einen Appell an mich richten zu dürfen: »Wir sind zusammen an der Universität von Trento gewesen. Ich kenne deine menschlichen und intellektuellen Vorzüge. Ich kann mir nicht vorstellen, daß du das, was geschieht, gutheißen kannst. Ich bitte dich, dein Möglichstes für die Freilassung des Gefangenen zu tun.« So etwa war seine Botschaft, auf die ich getreu der im Knast festgelegten Linie nur mit Schweigen antworten konnte. Auch Franca Rame suchte mich im Knast auf, um mir eine ähnliche Rede zu halten. Eines Abends gegen halb zehn benachrichtigten sie uns in den Zellen, daß eine Person für einen Gruppenbesuch gekommen sei. Um diese Uhrzeit war dies eine absolut ungewöhnliche Angelegenheit. Ich ging jedenfalls mit Franceschini und Ognibene dorthin. Sie brachten uns in einen kleinen Saal ohne Trennscheibe, was äußerst ungewöhnlich war. Von allen unseren Besuchen, auch denen der engsten Familienangehörigen, waren wir zu jener Zeit durch eine dicke Glasscheibe getrennt. An einem Tisch saß Franca Rame. Ich hatte sie auf der Bühne gesehen und schätzte sie sehr, sowohl als Schauspielerin als auch für ihre Arbeit zugunsten der Gefangenen. Sie erzählte uns, die Erlaubnis für das Treffen vom Justizministerium erhalten zu haben, aber nicht als Sprecherin irgendeiner Institution gekommen zu sein.
»Ich repräsentiere nur mich selbst«, erklärte sie, »ich bin eine Militante der Linken und fühle mich mit jedem solidarisch, der gefangengehalten wird, auch mit Aldo Moro. Ich glaube, daß das, was die Roten Brigaden derzeit machen, sehr gefährlich für alle ist. Ich wünschte, daß ihr wirkungsvolle Worte für seine Rettung finden könntet.«
Ich sagte, daß es keinen Sinn hatte, sich an uns zu wenden. Moro war nicht in unseren Händen, und wir konnten nicht in die externe Organisation eingreifen. Ich war traurig und mußte sie enttäuscht weggehen sehen. Ihre Worte waren offen und ehrlich gewesen.
Und die anderen Anfragen, die du erhalten hast?
Viele Anfragen kamen indirekt, mit der Post, zumeist anonym. Ich hatte mich mittlerweile etwa ein Dutzend Mal mit meinem Anwalt Giannino Guiso besprochen. Über seine Rolle und seine Kontakte zu den Sozialisten18.2 ist viel gemutmaßt worden. Ich kann nur sagen, daß ich ihm in den verstreichenden Tagen meine Ansichten zu dieser Angelegenheit immer freimütiger dargelegte, ohne von seiner Seite irgend etwas Präzises zu vernehmen. Während des Prozesses war er im Gerichtssaal einmal etwa zehn Tage abwesend. Ich habe keine Ahnung, was er in dieser Zeit gemacht hat. Auf das, was er hätte berichten können, und wem, hatte ich keinen Einfluß. Aber auch durch die Post lastete großer Druck auf mir. In jener Phase bekam ich sehr viele Briefe...
Wieviele?
Einige hundert. Das war sicherlich organisiert worden, um mich darüber zu beeinflussen. Mich erreichten sogar die Briefe religiöser Orden: Mönche, Priester, Nonnen in Klausur, Missionare. Alle schrieben mehr oder weniger das gleiche: »Wir schätzen Ihre intellektuelle Aufrichtigkeit. Wir hoffen, daß Sie auf Ihr Herz hören werden, und flehen Sie an, etwas für die Rettung Moros zu unternehmen ...«
Ich erhielt auch Briefe von Schulkindern und die Schulaufsätze Dutzender Grundschulen.
Das war alles, religöse Mitteilungen und Botschaften von Kindern?
Nein, auch viele lange Briefe, die von Personen aus der Welt der Diplomaten und Geheimdienste verfaßt sein mußten. Sie kamen nicht nur aus Italien, sondern auch aus Deutschland, den Vereinigten Staaten und Frankreich. Sie waren mit »ein Freund«, »ein Mensch, der Sie für intelligent hält«, »einer, der die Sache durchschaut« usw. unterschrieben. Einige waren höchst interessant. Gut geschrieben, mit genau artikulierten politischen Einschätzungen, die dahin tendierten, verschiedene Szenarien auszumalen, nach denen die Roten Brigaden alles gewonnen hätten, würden sie Moro lebendig freilassen. Wir haben sie im Knast aufmerksam gelesen und kommentiert. Die Gedankengänge waren oft überzeugend. Ihr großer Irrtum lag aber darin, daß sie nicht verstehen wollten, daß es nicht darum ging, mich zu überzeugen, sondern die BR-Genossen, die draußen agierten und den Entführten in ihren Händen hatten.
Schließlich gab es noch eine dritte Kategorie Briefe. Die von Jugendlichen, Studenten, Arbeitern, die der BR Erfolg und Ausdauer wünschten. Sehr viele mit Unterschrift und Adresse. Diejenigen, die schrieben, sagten nicht explizit, daß sie in die Roten Brigaden eintreten wollten, aber sie drückten Solidarität und Bewunderung aus. Zusammengefaßt lautete ihre Botschaft: »Ihr handelt richtig, diese Welt ist verrottet und muß verändert werden, wie gut, daß es euch gibt!«
Aus Deutschland habe ich sogar zwei Postanweisungen über eine halbe Million Lire erhalten, »als Ausdruck militanter Unterstützung«. Sie wurden mir von der Gefängnisverwaltung ausgehändigt, aber ich nahm das Geld nicht an, es hätte eine Provokation sein können. Ich wollte nicht eines Tages mit dem Vorwurf konfrontiert sein, Geld von irgendeinem Geheimdienst bekommen zu haben. Ich weiß noch, wie meine Ablehnung den Schließer verblüfft hatte und er mich zu überzeugen versuchte: »Seien Sie kein Dummkopf, das ist ein hübsches Sümmchen; eines Tages werden Sie es bereuen, das ganze Geld wieder an den Absender zurückgeschickt zu haben ...«
So vergingen also die fünfundfünfzig Tage der Entführung. Hattet ihr mit der Meldung von der Ermordung Aldo Moros gerechnet oder wart ihr davon überrascht?
Unerwartet kam sie ganz sicher nicht. In den letzten Tagen und Wochen hatten die Ereignisse, die ich vom Knast aus verfolgte, mich extrem pessimistisch gestimmt. Es war bestürzend und kaum nachvollziehbar, daß sich das politische System Italiens zwei Monate lang weigerte, eine Strategie zur Auseinandersetzung mit den Roten Brigaden zu formulieren. Ich konnte nicht verstehen, warum niemand in der Lage war, über die Entscheidung, im Fall Moro nichts zu entscheiden, hinauszugehen ...
Warum redest du von einer »Entscheidung, nichts zu entscheiden«? Die Mehrheit der politischen Kräfte hielt die Entscheidung, mit den Roten Brigaden nicht zu verhandeln, sehr wohl für eine Entscheidung. Und zwar für die richtige ...
Meiner Meinung nach entsprach die Entscheidung, nicht zu verhandeln, der, nichts zu entscheiden. Ich entscheide nichts und hoffe, daß in der Zwischenzeit irgendetwas passiert; ich hoffe, daß die Brigadisten nachgeben, daß sie gefunden werden ... Darauf beschränkten sich die politischen Überlegungen jener Tage.
Das bedeutete zweifellos, Moro zum Tode zu verurteilen. Die BR sagten in der Zwischenzeit nur noch: Ihr müßt etwas tun, auch wenn es nur etwas Kleines ist, auch nur etwas Symbolisches, aber ihr müßt irgendetwas Sichtbares tun.
Es gab einige, wie Franco Piperno, ein Anführer aus dem Autonomia-Umfeld, die meinten, daß eine »politische Anerkennung« der BR durch die Democrazia Cristiana schon gereicht hätte, um Moro zu retten. Es gibt viele Gerüchte über eine kurze Erklärung, die Fanfani genau an dem 9. Juni vor der versammelten Leitung der DC in Piazza del Gesù hätte halten sollen, dort aber nicht rechtzeitig eintraf. Wäre deiner Ansicht nach eine Initiative dieser Art für Moretti und die Genossen ausreichend gewesen?
Persönlich dachte ich nicht, daß ein Satz eines Christdemokraten oder eines anderen Politikers in Italien viel wert sei. Für Moros Leben verlangten die BR eine politische Handlung und nicht nur Worte. Die Aktion zielte auf die Freilassung von einigen politischen Gefangenen. So hatten sie es öffentlich erklärt. Sie verlangten dreizehn. Man hätte sich auf zwei oder vielleicht auch einen einzigen einigen können. Aber selbst das war ihnen einer zu viel.
Ich konnte später im Knast mit Moretti18.3 und den anderen Genossen, die die Aktion durchgeführt hatten, reden. Zu dieser Geschichte von der »politischen Anerkennung«, dieser eine von einem Christdemokraten zu sprechende Satz, konnte er nur müde lächeln. Die BR haben während der Entführung Moros genug Anerkennungen erhalten: Erklärungen des Papstes18.4, des Präsidenten der Vereinten Nationen, die Diskussion in der Öffentlichkeit ... Es bedurfte keiner Erklärung eines Politikers, um die Existenz der BR festzustellen. Es war eine Tatsache, daß die Roten Brigaden interventionsfähig waren und dann als selbständige »Macht« in Italien existierten.
Andererseits hat mir Moretti gesagt, daß die BR tatsächlich geglaubt hatten, zu einer akzeptablen Lösung bei der Entführung zu gelangen, ohne Moro zu töten. Sie hatten alle Hebel in Bewegung gesetzt und verschiedene informelle Kontakte aufgebaut. Sie waren bestürzt, sagte er mir, als sie feststellten, daß die Gegenseite sich definitiv verweigerte und jegliche Verhandlungen ausschloß.
Moretti und seine Genossen deuteten die Botschaft des Papstes - »Männer der Roten Brigaden ... ich flehe euch auf Knien an, laßt den ehrenhaften Aldo Moro frei, ganz einfach, bedingungslos ...« - und das folgende Abbrechen der bestehenden Kontakte als unmißverständliche Tendenzverschiebung. Von diesem Zeitpunkt an waren die Genossen, die den Präsidenten der DC in ihrer Hand hatten, davon überzeugt, daß nichts mehr zu machen war. Innerhalb des Parteienblocks hatte eine gezielte Intervention jeden Raum für Verhandlungen verschlossen und die Oberhand gewonnen.
Es gab auch Leute, die behaupteten, die damalige externe Strategische Leitung der BR habe die Tötung des christdemokratischen Führers von Anfang an beschlossen.
Das halte ich für ein absurdes Gerücht, das absichtlich in Umlauf gesetzt wurde. Die BR waren tatsächlich verblüfft, als sie feststellten, daß es trotz der Dauer der Entführung niemandem gelang, konkrete Verhandlungen in die Wege zu leiten.
Wenn dir jemand eine Pistole an die Schläfe hält und sagt, »gib mir dein Portemonnaie«, dann gibst du ihm zunächst das Portemonnaie und versuchst später dann einen effektiven Weg zu finden, das widerwillig Hergegebene wieder zurückzubekommen. Moro war eine zentrale Persönlichkeit des politischen Lebens in Italien. Um sein Leben zu retten, hat man die Tür nicht einen Spalt aufgemacht. Ich vermute, daß es gewollt war, daß sich gewisse Kreise einen unwiderruflichen Epilog gewünscht hatten.
Ich wiederhole: Ich bin sicher, daß die BR bei der Planung der Entführung nicht davon ausgingen, Moro zu töten. Sie glaubten, ein konkretes politisches Ziel erreichen zu können - ein Ziel, welches flexibel gewesen wäre und welches im Vergleich zu den ursprünglichen Forderungen entscheidend hätte verringert werden können.
Du hast die Ermordung Moros für falsch gehalten?
Es war eine für die Roten Brigaden tragische und destruktive Entscheidung. Es fehlte ihnen in diesen Tagen an politischer Stärke und Weitsicht. Anscheinend hatten sie zuvor nicht überlegt, was sie tun sollten, wenn alle ihre Forderungen abgelehnt würden und sie vor der Entscheidung stünden den Gefangenen zu töten. Das scheint mir für den kurzsichtigen strategischen Blick der Genossen, die die Entführung durchführten, symptomatisch.
Persönlich habe ich die Nachricht vom Tod Aldo Moros mit großem Unbehagen aufgenommen. Von Anfang an hatte ich den Eindruck, daß die BR hier eine Aktion durchführten, die über ihren politischen Möglichkeiten lag. Außerdem befürchtete ich verheerende organisatorisch-militärische Auswirkungen der ganzen Angelegenheit.
Also den »Fehler«, der den Anfang vom Ende der Roten Brigaden markierte?
Das habe ich nicht nur gedacht, sondern auch gleich so geschrieben. Kaum erreichte uns während des Hofgangs im Turiner Knast die Meldung über den aufgefundenen Leichnam in der Via Caetani, begannen Franceschini, Bertolazzi, ich und andere Genossen des alten Kerns eine langandauernde Diskussion. Sie wurde im Laufe der Zeit immer angespannter, dauerte Monate und führte zu einer wahren Schlacht hin- und hergeschobener Papiere.
Sehr stark verkürzt ging es im wesentlichen um folgendes: Die Roten Brigaden waren am Ende; ihre Geschichte endet mit dieser Aktion, die zu einem extremen Niveau der politisch-militärischen Auseinandersetzung geführt und das alte Konzept der bewaffneten Propaganda verlassen hat. Die Reaktion der Öffentlichkeit, des italienischen Staates und der internationalen Kräfte auf diese extreme Zuspitzung würden nicht mehr die gleichen sein wie zuvor. Die BR waren unter anderen Bedingungen entstanden und auch nicht darauf vorbereitet, ein derartiges Konfrontationsniveau durchzustehen. Die militärische Konfrontation sollte nicht weiter zugespitzt werden, statt dessen schien es ratsam die Geschichte unserer Organisation abzuschließen.
Das stand alles in dem Kommuniqué, das von sämtlichen Genossen des Turiner Prozesses unterzeichnet war. Dieses Papier war von 1978 bis '81 Ausgangspunkt zahlloser Konflikte. Niemand von den Externen konnte auf die von uns aufgeworfenen Fragen eine befriedigende Antwort geben.
Öffentlich, im Turiner Gerichtssaal, habt ihr euch aber weiterhin hinter die BR gestellt. Warum?
Ich hielt es für richtig, die interne Diskussion der Organisation von der öffentlichen zu trennen. Ich identifizierte mich trotz allem mit der Geschichte der Roten Brigaden und konnte sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen, wie etwas, das einen nicht mehr betraf.
Im Prozeßsaal herrschte am Tag nach dem Tode Moros eine dramatische Anspannung. Eine Stille, die noch viel bedrohlicher war, als jene, die uns vor fünfundfünfzig Tagen begrüßt hatte. Richter Barbaro hoffte sicherlich, daß wir nichts sagen würden. Ich bat aber um das Wort. Er antwortete: »Wenn es den Prozeß betrifft, habe ich keine Einwände.«
»Ja, es betrifft entsprechende Angelegenheiten«, sagte ich. Wir hatten ausgemacht, daß ich einen Satz von Lenin zitieren sollte. Ich sprach gewählt, um ruhig zu erscheinen, und skandierte: »Der Tod eines Klassenfeindes ist der höchstmögliche menschliche Akt in einer in Klassen aufgeteilten Gesellschaft ...« Das war ganz offensichtlich ein sich selbstversicherndes Ritual, ein Taschenspielertrick, um diesen bitteren Moment überstehen zu können. Wir wußten, daß wir vor dem Ende einer historischen Erfahrung standen. Aber in den wenigen Stunden war es uns nicht möglich, dies in einen präzisen Diskurs umzusetzen.
Die Carabinieri ließen mich nicht ausreden. Sie kamen in den Käfig, rissen mich hoch und warfen mich aus dem Saal.
Franceschini ergriff das Wort und wurde ebenfalls rausgetragen. Dann waren Maurizio Ferrari und die anderen an der Reihe. Alle versuchten, denselben Satz zu wiederholen, um damit zu zeigen, daß wir noch militant und in einer Organisation vereint waren. Der Satz war nicht so wichtig. Es war eher eine stärker nach innen gerichtete Demonstration als der Versuch, andere davon zu überzeugen.
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