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Der nationalistischen Stimmung entgegenstellen

Gespräch mit einer Antifa-Gruppe aus Halle/Saale


Ein eindeutiger Ursprung für die Hallenser Antifa läßt sich nicht benennen. Einerseits gab es in der größten Stadt Sachsen-Anhalts bereits zu DDR-Zeiten junge AntifaschistInnen mit eindeutig autonomem Anspruch. Andererseits waren viele der heute noch aktiven Antifas in der sogenannten Aufbruchphase der DDR mit der bürgerbewegten DDR-Opposition verbunden.
Wie häufig in der DDR der Zwischenzeit, differenzierte sich auch in Halle diese allgemeine Opposition gegen »den (DDR-)Staat«. Während die »klassisch« Bürgerbewegten nach rechts rückten, politisierten sich die Ursprünge der heutigen Hallenser Antifa quasi zwangsläufig nach links. Diese Entwicklung vollzog sich natürlich immer vor dem Hintergrund der gesamten »Noch-DDR«-Gesellschaft, die, indem sie bundesdeutschen Bauernfängern nachrannte, den Anschluß der DDR an die BRD beschleunigte.
Wie für viele andere Linke in der DDR, war dieser Anschluß auch für Hallenser Antifas ein persönlicher Rückschlag, von dem sie sich bis heute nicht ganz erholt haben. Hinzu kommt die immer stärker werdende Konfrontation mit einer Staatsmacht, die in der alten DDR ihresgleichen gesucht hätte.

Wie, wann und warum habt ihr euch gegründet?

Hans: Es war so, daß es in Halle schon zu DDR-Zeiten Antifa-Aktivitäten gab und auch Leute, die gesagt haben: Eigentlich müßten wir eine Gruppe gründen, um die Sache so ein bißchen zu organisieren. Als es möglich war, so eine Gruppe offiziell zu gründen, haben wir gesagt, okay, das machen wir jetzt. Um damit auch in die Öffentlichkeit zu kommen, haben wir dann am 1. November 1989 einen richtigen, eingetragenen Verein gegründet, die Antifaschistische Aktion Halle (AFA).
Direkt in der Wendezeit gab es hier in Halle eine Mahnwache, bei der sich so ziemlich alles gesammelt hat, was sich Opposition nannte. Da waren wir von Anfang an auch mit dabei. Als die Bürgerbewegungen dann in Halle ein eigenes Haus, das Reformhaus, bekamen, sind wir da mit eingezogen und hatten deshalb schon Anfang '90 als Antifa-Gruppe ein Büro mit Telefonanschluß, was recht ungewöhnlich war. Zu der Zeit waren wir noch ein recht großer Kreis von rund 30 Antifas. Dann wurden wir immer weniger, die Arbeit verteilte sich auf immer weniger Schultern. Es gab auch schon früh Streit mit denen, die sich Autonome nannten.

Worin bestand der Streit?

Hans: Zu dieser Zeit eindeutig die Gewalt. Die Autonomen sagten: Wir müssen den Nazis auf die Fresse hauen. Wir als AFA dagegen wollten das damals nicht. Gewalt gegen Menschen, militantes Vorgehen gegen Nazis, fanden wir damals ganz, ganz schlimm. Wir waren in der Anfangszeit doch noch ziemlich blauäugig. Wir wollten ganz klar nur politische Arbeit machen, so mit all den Idealen, die man damals so hatte.

Gerade in autonomen Zusammenhängen ist aber damals das sogenannte Skinhead-Vernichtungskommando über Halle hinaus bekannt gewesen.

Hans: Ich habe über das Skinhead-Vernichtungskommando das erste Mal schwarz auf weiß in dem Buch von Farin gelesen. Und habe dann krampfhaft überlegt, auch mit anderen, älteren Leuten, die das eigentlich alles hätten kennen müssen. Im Endeffekt war es so: Der Name ist zwar irgendwann mal rumgegeistert, es gab dann auch ein paar aus der Szene, die gesagt haben, sie wären das, aber erstens war das '87 oder '88, und zweitens hat das, soweit ich das beurteilen kann, kaum eine Rolle gespielt.

Andererseits hatte Halle in der alten Republik den Ruf, daß hier ein Rechter nicht unbedingt ein Bein auf den Boden kriegte.

Hans: Das stimmt auch. Aber dieses Skinhead-Vernichtungskommando ist für mich schon wirklich ein Phantom.

Dirk: Soweit ich das beurteilen kann, war das wahrscheinlich mehr eine Sache nach dem Muster autonomer Kiez-Milizen. So Grüppchen, die sich darauf konzentrieren, den Nazis kräftig auf die Fresse zu hauen, und sich pro forma einen Namen geben, der so abschreckend wie möglich wirkt. Das hat ja immer ganz gut funktioniert bei den Faschos, wenn man da so einen Namen erwähnt oder sie den irgendwo lesen.

Ralf: Auf jeden Fall kann klargestellt werden, daß die Gründung unseres Vereins nichts mit dem SVK zu tun hatte.

Es spielte also für euch auch nie eine Rolle?

Hans: Das ist schwierig. Zu der Zeit damals, '89, hatte ich Probleme damit. Ich dachte damals: Irgendwie hat eine neue Zeit angefangen, und wir können es jetzt ja erstmal mit demokratischen Mitteln versuchen, so blöd das jetzt klingt. Inzwischen bin ich aber zu der Überzeugung gelangt, daß wir die Faschos einfach militant bekämpfen müssen, weil es anders wahrscheinlich nicht möglich ist.

Warum hast du nicht mehr an die Möglichkeit der vorgeblich demokratischen Mittel geglaubt?

Hans: Das war ein Entwicklungsprozeß, den, so oder ähnlich, viele durchgemacht haben. In der konkreten Situation damals haben wir zum großen Teil versagt, weil wir Illusionen hatten. Wir haben praktisch in so einer Wolke gelebt und mußten erst begreifen, in was für eine Scheiße wir jetzt reingeraten waren. Das mußten wir wirklich erst selbst erleben. Ich habe erleben müssen, daß in diesem Reformhaus drei, vier Bürgerbewegte saßen, die jetzt Landespolitik machen. Die haben die Bürgerbewegungen eindeutig nur als Sprungbrett benutzt, um ihre Karriere zu starten. Dann hat man natürlich gemerkt, daß linke Inhalte immer schlechter rüberkamen. Anfangs lief es noch recht vernünftig im Reformhaus, wir waren vollwertiges und gleichberechtigtes Mitglied, doch irgendwann hieß es dann: Naja, das sind die, da muß man langsam vorsichtig werden.
Da habe ich dann irgendwann gesagt, das ist nicht die Demokratie, die ich mir vorgestellt habe.

Wart ihr '89 gegen die Vereinigung?

Hans: Da gab es ziemlich krasse Auseinandersetzungen. Wir haben an diesen Montagsdemos teilgenommen - es waren schon recht große Demos -, sie auch mit organisiert als AFA und dort auch geredet. Dann gab es einen Zwischenfall. Wir waren mit einem eigenen Block da, und irgendjemand trug ein Schild »Kohl, dein Scheißfaschistenstaat kannste für dich behalten« oder so, ziemlich plump, aber doch eine ziemlich klare Aussage. Daraufhin gab es übelste Auseinandersetzungen, einige von uns wurden fast zusammengeschlagen auf der Demo, und ich glaube, am selben Tag haben wir dann auch ganz klar vor diesen vielen Menschen gesagt: Wir sind gegen die Wiedervereinigung. Wir wurden natürlich ausgepfiffen, das war völlig klar. Es war halt wirklich die Zeit, wo die Deutschlandfahnen dominiert haben.

Was hat euch schon zu DDR-Zeiten dazu bewogen, Antifa-Arbeit zu machen?

Hans: Im Grunde war für jeden, der im Osten gelebt hat, die Entwicklung ziemlich klar abzusehen. Man wußte, daß sich Nazis in verschiedenen Städten organisierten, daß es massenhaft Probleme mit Faschos gab, eben auch in Halle, die man zwar noch - ob nun Vernichtungskommando oder nicht - relativ gut im Griff hatte, daß aber trotzdem gesagt wurde: Wir müssen irgendwie versuchen, was dagegen zu machen.

Dirk: Alle von uns haben ihren ganz persönlichen Weg, wie sie zur Gruppe gekommen sind. Die ganze Mahnwachenkiste habe ich nur so am Rande erlebt, aber auch zu DDR-Zeiten war eine aggressive Stimmung gegen alles »Fremde« schon spürbar, und es gab eben auch schon einige, die bewußt als Faschos auftraten. Ich persönlich war aber damals noch zu jung, um dagegen etwas machen zu können und um die antifaschistische Heuchelei und offensichtlichen Widersprüche im DDR-Staat zu durchschauen.

Wurde es denn '89 schlimmer in Halle, was Faschos anbelangt?

Hans: Eigentlich nicht. Ich denke aber auch, daß man das nicht so trennen kann, in eine Zeit vor der Wende und in eine Zeit danach. Genau wie man die jetzige Situation in Halle, wo es ja anders ist als in vielen anderen Städten, nicht wiederum anders bewerten kann. Ich kann nicht sagen, ich mache nur dann Antifa-Arbeit, wenn mir das eigene Dach über dem Kopf zusammenbrennt.

Dirk: Hinzuzufügen ist aber schon, daß mit der offiziellen Vereinigungsdebatte und insbesondere ab 1989 eine nationalistische Stimmung, eine Identifikation mit Doitschland, allgegenwärtig war. Es war schon sehr schwierig, linke Inhalte überhaupt rüberzubringen und sich offensiv gegen diese nationalistische Stimmung zu stellen. Für die Nazis war es sehr einfach, und sie konnten sogar Massenpropaganda betreiben, wie zum Beispiel auf den Montagsdemos. Da konnten Reps und FAPler in aller Ruhe ihre Flugblätter an die Menge verteilen.

Aber eure Politik hat sich von Anfang an nicht auf Antifa-Arbeit beschränkt. Uns würde in diesem Zusammenhang interessieren, warum ihr euch dann nicht einfach als autonome (oder irgendeine andere linksradikale) Gruppe bezeichnet habt?

Hans: Die Zeit damals war nicht so, daß man überlegt hat: Werde ich nun Autonomer, oder werde ich jetzt linksradikal, oder werde ich vielleicht das, oder werde ich jetzt Antifa. Es gab zum Beispiel '88 hier in Halle einen Fall, wo ein Freund von mir ziemlich übel zusammengelegt wurde von drei Nazis, die sich damals auch schon als solche bezeichnet hatten. Gut, das wäre einer der Gründe gewesen. Es ist aber auch nicht so, daß ich nun unbedingt so ein Erlebnis brauchte, denn es war im Osten ziemlich klar, daß sich eine ziemlich starke Fascho-Szene entwickelt und daß schon in dieser Wendezeit zu befürchten war, daß sich das weiterentwickelt. Darum gab es vorher schon einen Zusammenschluß von Leuten, die gesagt haben, wir machen Antifa-Arbeit, wie immer das aussieht. Als wir damit auch öffentlich auftreten konnten, wollten wir zunächst erreichen, daß diese Fascho-Szene keinen Zulauf mehr hat. Wir wollten zum Beispiel an Schulen gehen und dort aufklären. Auch aus der Motivation heraus, daß es eine ehrliche Aufarbeitung der Geschichte in der DDR ja nie gegeben hat. Im Grunde lief das aber bei uns alles ziemlich theoretisch zu der Zeit.
Das Problem war damals doch, daß man auf der einen Seite wußte, daß es Kungeleien zwischen Stasi und Nazis gab, das waren ja ziemlich offene Geheimnisse. Und auf der anderen Seite gab es solche Horrorurteile, daß jemand, der einen Grabstein umgeschmissen hatte, sechs oder sieben Jahre in den Knast mußte. Damals haben wir gesagt: Das ist Blödsinn, man muß ehrlich damit umgehen. Bei der Geschichte, die ich vorhin erwähnt habe, sind die Faschos verurteilt worden und in den Knast gegangen, aber natürlich nur wegen Rowdytum. Der eindeutig rassistische Hintergrund hat bei der Urteilsverkündung überhaupt keine Rolle gespielt. Mit dem Phänomen Neofaschismus wurde zu DDR-Zeiten eigentlich nicht umgegangen.

Dirk: Wichtig in dieser Zeit war eigentlich nur, daß unser Ausgangspunkt ein antinationalistischer und antifaschistischer war und daß wir in einer unabhängigen Gruppe aktiv werden wollten. Der Name ist doch vom bloßen Wortlaut her völlig egal.

Ihr habt davon gesprochen, daß ihr eure Illusionen verlieren mußtet. Gibt es denn jemand von euch, der diesen Prozeß skizzieren kann?

Hans: Das Problem ist ja - und das kennt hier eigentlich auch jeder -, daß sich unser Leben praktisch zweimal verändert hat. Zunächst, nach dem Ende der DDR, gab es diese offene Zeit, wo jeder alles machen konnte, die aber viel zu wenig genutzt wurde. Da sind die Menschen endlich aufgewacht - es wurden beispielsweise die ersten Häuser besetzt. Das war auch eine völlig witzige Zeit, '89, weil man die Bullen bei überhaupt nichts einplanen mußte, weil sie einfach nicht da waren. Ich denke, bis Mitte/Ende '90 war das so, daß die Bullen einfach nicht reagiert haben. Die nächste Veränderung kam dann Ende 1990, als die westdeutschen Verhältnisse hier eingeführt wurden. Ab da war natürlich auch die Bullensituation kraß verändert. Halle wird schon ziemlich stark überwacht. Mittlerweile gibt es hier, sei es duch die Bullenpräsenz oder anderes, genauso viel Repression wie im Westen.

Dirk: Illusionen gab es natürlich in der Einschätzung, wie der neue Staat mit politisch Andersdenkenden umgehen würde. Doch das hat sich schnell geklärt, nach den ersten und massiven Auseinandersetzungen mit Bullen und Justiz bei den Antifa-Demos in Wunsiedel 1990 oder bei den Schlachten um die Mainzerstraße in Ostberlin. Die Gewaltfrage hat sich auch durch praktische Notwendigkeit entschieden. Man mußte mit dem permanenten Faschostreß auf den Straßen fertigwerden und die Schläger aus der Innenstadt vertreiben. Das ist uns in Halle ja auch ganz gut gelungen. 1991 gab es in Halle ein von Nazis besetztes Haus in der Kammstraße. Das war Anfang 1991 in Halle noch eine andere Situation als heute.
Die Kammstraße war Anlaufpunkt für alle möglichen Faschos, vor allem auch für Kadernazis. Am 9.11.91 hatte die Auseinandersetzung mit den Nazis in Halle ihren Höhepunkt erreicht. An diesem Tag mobilisierten die verschiedenen Nazi-Parteien und Gruppen im Bündnis zu einer großen Demo nach Halle. Fast alle ihrer Führer waren gekommen, Küssel, Worch, Reisz, Althans, Irving usw. Wir konnten zur Gegendemo ca. 2000 AntifaschistInnen mobilisieren, die Faschos waren »nur« 400. Das war natürlich für uns sehr wichtig und ein enormer Erfolg. Ich glaube, diese Demo war eine der wichtigsten in dieser Zeit und hat das Kräfteverhältnis klargelegt.

Hans: Das ist auch so was typisch Hallesches. Es gibt immer mal Zeiten, wo die Nazis relativen Aufschwung haben, sich irgendwelche Sachen ausdenken. Dann gibt es aber auch einen entsprechend starken Widerstand, was dann meistens dazu führt, daß die Fascho-Aktivitäten wieder abklingen. Das Manko in Halle ist, daß viel zu wenig kontinuierlich gearbeitet wird. In so einer Phase sind wir gerade jetzt wieder. Es ist so, daß wir damals, als die Kammstraße sich etabliert hatte, relativ wenig Gefahr drin gesehen haben. Als dann aber klar war, das wird ein Kommunikationszentrum für die Nazis, darüber laufen überregionale Kontakte, haben dann viele Linke plötzlich sehr aktiv was dagegen gemacht. Es wurden massenhaft Flugblätter in der Stadt verklebt. Dann hatten die Nazis angekündigt, die größte Demo seit Dresden hier zu veranstalten, zu der angeblich 2000-3000 Nazis kommen sollten. In der Zeit haben wir unheimlich viel gearbeitet, vor allem, um die Antifa-Demo vorzubereiten. Aber im Endeffekt hat sich die Kammstraße von alleine aufgelöst.

Gab es in letzter Zeit hier in Halle Angriffe von Neonazis auf Linke, auf Obdachlose, auf Ausländer?

Hans: Nein, nicht in größerem Stil; kleinere Sachen dafür um so mehr.

Ralf: Und das sind Sachen, die unheimlich nerven. Es muß ja jetzt nicht unbedingt ein 20köpfiger Faschotrupp sein, sondern es reicht ja aus, wenn ein Schwarzer mit seiner Freundin ins Kino rein will, und dann steht ein Fascho davor. Da passiert erstmal nicht groß was, aber das sind Dinge, die sich absolut häufen. Dazu kommt, daß das nicht die überzeugten Faschos sind, sondern häufig Jugendliche, die einfach nur so drauf sind.

Dirk: Vor zwei Jahren wußte man ganz genau, der Fascho läuft da, der hat eine grüne Bomberjacke an und Springerstiefel und irgendwelche Nazischeiß-Aufnäher. Jetzt rennen ganz viele Jugendliche in einem Fascho-Outfit herum, und du erkennst nicht mehr auf den ersten Blick: Ist das nun nur Mode, oder sind die wirklich faschomäßig drauf.

Evelyn: Halle ist natürlich keine Insel im braunen Sumpf. Täglich werden auch hier Menschen aus rassistischen, sexistischen und faschistischen Gründen beleidigt und angegriffen. Im September 1993 sind zwei Obdachlose in Halle ermordet worden. Aber wir haben in letzter Zeit keine stärkere Organisierung hinter solchen Angriffen feststellen können. Im größeren Rahmen sind sie hier zuletzt nicht öffentlich aufgetreten. Aber es gibt Hallenser Nazis, die immer wieder bei Angriffen in der Region und anderen Städten auffallen.

Was sind denn momentan die Schwerpunkte eurer Arbeit, also jetzt gegen Ende '93, Anfang '94?

Dirk: Zum einen gehen natürlich diese sogenannten Perspektivdiskussionen nicht spurlos an uns vorbei. Aber diese ganzen Auseinandersetzungen um staatliche Repression, Nazismus, herrschende Europa- und BRD-Politik, geeignete Widerstandsformen, Anspruch und Wirklichkeit, Kontinuität antifaschistischer Politik laufen oftmals leider nicht sehr offen. Vielleicht ist dafür auch der Rahmen noch nicht vorhanden, aber ein Haufen Leute haben daraus schon ihre Konsequenzen gezogen und arbeiten einfach nicht mehr mit Ansonsten versuchen wir uns natürlich besser zu organisieren. Bald sollen verschiedene Projekte anlaufen wie Theater, Begegnungsabende mit älteren AntifaschistInnen vom BdA, Veranstaltungen an Schulen. Wichtig ist auch die Öffentlichkeitsgruppe, die politische Ansätze nach außen tragen soll, wodurch wir breitere und mögliche Bündnisse anstreben. Es ist ein Versuch, die Auseinandersetzung um Faschismus in all seinen Formen möglich zu machen, gerade auch in links-alternativen Kreisen.

Hans: Wir haben zum Beispiel auch gemeinsam mit dem Wehrdienstverweigererkreis, mit Frauen aus dem Frauencafé in Halle - das läuft über den UFV - und mit dem BdA gemeinsam eine Aktionswoche organisiert, wo jeden Abend zu einem bestimmten Thema eine Diskussion war oder ein Film lief.

Heißt das, ihr arbeitet jetzt weniger direkt gegen Nazis?

Hans: Ich denke, wir sind an einem Punkt, wo wir gesagt haben, wir müssen eigentlich beide Sachen machen. Es reicht nicht, den Nazis, so weit wie es geht, auf die Fresse zu hauen und sich dann zu freuen, wenn sie mal wieder ein paar Tage verschwunden sind, sondern wir müssen versuchen, öffentlich klarzumachen, warum wir das tun. Wir müssen rüberbringen, daß linke Politik nicht nur daraus besteht, Nazis zu hauen, sondern daß man damit was erreichen will.

Wie organisiert ihr euch selbst?

Hans: Wir haben jetzt angefangen, ansatzweise eine Art Arbeitsteilung zu entwickeln. Zum Beispiel eine Gruppe, die Öffentlichkeitsarbeit macht, dann eine Gruppe, die sich verstärkt darum kümmert, Infos über Faschos zu sammeln, also schon eine klassische Recherche-Gruppe. Jetzt muß sich zeigen, ob es gelingt, die Arbeit, die anliegt, wirklich zu verteilen, weil es anders nicht möglich ist, oder nicht mehr möglich ist.

Ihr seid ja eigentlich eine »gemischte« Gruppe. Gibt es denn auch eine Frauen-Antifa-Gruppe in Halle?

Ricarda: Es gibt keine reine Frauen-Antifa, und ich sehe es auch nicht als notwendig an, denn ich glaube, daß sich so was nur aus persönlichen Erfahrungen heraus bildet. Ich habe einfach kein Bedürfnis danach, in einer Frauen-Antifa was zu machen. Ich finde es eigentlich ziemlich gut in Halle, daß die unterschiedlichen Szenen miteinander können. Und dann gibt es ja auch noch das Frauencafé in Halle. Natürlich spielen auch feministische Diskussionen unter uns eine Rolle, aber eher im Allgemeinen. Denn es ist nicht so, daß wir beispielsweise mit den Männern in unserer Gruppe irgendwelche Probleme hätten. Und deswegen ist halt nicht so die Notwendigkeit gegeben, sich damit so konkret auseinanderzusetzen.

Dirk: Ich möchte mal zwei Sachen sagen. Zum einen gab es zwangsläufig eine große Sexismus-Diskussion nach der Geschichte in Hof im letzten Jahr.

Was war das für eine Geschichte?

Dirk: Das war, als von einem Mann aus Halle auf der Demo der Spruch kam: »Ob Ost oder West - nieder mit der Frauenpest«. Wo es dann natürlich auf der Demo eine Auseinandersetzung gab, die in der Situation schon berechtigt war. Die Diskussion allerdings, die danach geführt wurde, nahm Auswüchse an, die wir nicht gerechtfertigt fanden. Wo Papiere mit einem Boykottaufruf für Halle im Umlauf waren, oder solche Geschichten, wo von zahlreichen anderen - westdeutschen - Antifa-Gruppen quasi ein Exempel statuiert wurde nach dem Motto: Halle, das sind gänzlich alles Sexisten. Der Tenor unserer Diskussion war, wir können die dogmatische Sexismus-Diskussion aus dem Westen nicht einfach so übernehmen.

Was verstehst du darunter?

Hans: Es gab ein Papier, das war kurz nach der Hof-Sache verfaßt worden, die Initiative ging wohl von norddeutschen AntifaschistInnen aus, das kursierte, ohne daß wir davon wußten. Wir haben es jetzt erst vor kurzem gekriegt, als die Diskussion schon hochgekocht war und wir überhaupt keinen Einfluß darauf hatten, außer zu sagen: Ja klar, das Ding ist passiert ...
Es war sicher Scheiße, daß wir nicht sofort reagiert haben, dort bei der Demo, daher war es für mich auch verständlich, daß die Frauen an Ort und Stelle versucht haben, den betreffenden Typen da rauszuhauen, das ist keine Frage. Daß aber eigene Leute von den Frauen auf die Fresse gekriegt haben, die damit wirklich nichts zu tun hatten, die danebenstanden und selber völlig geschockt waren, finde ich nicht gut, da sollte man auch drüber diskutieren. Allerdings wird in dem erwähnten Papier auch eine Menge Unsinn behauptet. Es stimmt nicht, daß Hallenser schon lange vorher den Frauenblock provoziert hätten, es stimmt auch nicht, daß dann zwei Reihen Machos aus der Demo rausgehauen worden wären. Als die handfesten Auseinandersetzungen begannen, war der Mann, der diesen blöden Spruch abgelassen hatte, schon gar nicht mehr da. Und daß dann auch noch behauptet wurde, daß es danach immer noch irgendwelche Anmachen gab, ist absurd, denn unsere Leute liefen nur noch mit gesenktem Kopf. Diejenigen, die mit einzelnen Diskussionen Probleme hatten, die gesagt haben, die Frauen spinnen doch alle und so, die haben sich doch sowieso verpißt, um ja nicht mehr damit konfrontiert zu werden. Am Schluß des Flugblattes hieß es dann an unsere Adresse: Erklärt euch, nehmt Stellung, aber das Ziel kann nur so aussehen, daß ihr unsere Ansatzpunkte übernehmt, ansonsten arbeiten wir nicht mehr mit euch zusammen.

Wie seid ihr damit umgegangen?

Dirk: Obwohl wir das Papier erst ziemlich spät gekriegt haben, war die Diskussion natürlich nicht davon abhängig. Auf der einen Seite gab es einige, die gesagt haben, klar, wir müssen darüber diskutieren, müssen Stellung beziehen, weil es nun einfach mal 100 Prozent Scheiße war, was da lief. Es gab aber auch welche, die gesagt haben: Na, da habt ihr's doch, die Frauen spinnen doch sowieso alle. Ich denke, daß es denen durch das Papier und seine ultimative Forderung wirklich recht leicht gemacht wurde, zu sagen: Ja, die aus dem Westen wollen doch sowieso nur, daß wir genau das sagen, was sie hören wollen, und daß dadurch nur ganz, ganz schwer wahrgenommen wird, was die Frauen eigentlich wirklich wollen. Das ist ein ganz blöder Punkt an der ganzen Sache.

Wie sehen denn ansonsten eure Kontakte zu Westgruppen aus?

Hans: Zum großen Teil läuft das über private Kontakte, die dann wieder in die Gruppe zurückgetragen werden. Es ist natürlich prima, wenn sich daraus über die Zeit eine politische Zusammenarbeit der Gruppen entwickelt. Ab und an kommt das schon vor. Es ist halt sehr interessant zu sehen, wie sich die Antifa-Arbeit im Westen entwickelt hat, wie dort die Notwendigkeit entstand, antifaschistische Arbeit zu machen, oder zu sehen, wie sich dort die Bullensituation verändert hat. Also, das sind so Punkte, die sind für uns interessant.

Habt ihr Kontakte zu Antifa-Gruppen aus dem Osten?

Dirk: Seit etwa einem halben Jahr versuchen wir, so eine Art regionale Struktur auf die Reihe zu kriegen. Innerhalb der Region gibt es eine sehr gute Zusammenarbeit. Was natürlich über die Region hinaus reger laufen müßte, ist der Erfahrungsaustausch. Und da hat die westdeutsche Restlinke irgendwie versagt.

Inwiefern versagt?

Hans: Ich denke, die Westlinke bzw. die westautonome Szene muß sich den Vorwurf gefallen lassen, die sogenannte Wende verpennt zu haben. Zu der Zeit gab es zu denen im Endeffekt keine politischen Kontakte. Nach meiner Meinung war das in Berlin am deutlichsten zu sehen. Wenn ich an den 20. April 1990 denke, wo der ganze Alex mit Faschos bevölkert war, das hätte einfach nicht sein müssen. Die Westler wohnten schließlich nur ein paar Hundert Meter entfernt.

Dirk: Klar waren auch die Linken in den Westzusammenhängen nach '89 total schockiert. Aber auf uns ist einfach niemand zugegangen. Niemand hat mit uns die Diskussion gesucht, und auf den ersten Treffen mit Westlern hatten wir oftmals den Eindruck, daß die überhaupt kein Interesse an einer Zusammenarbeit hatten. Wahrscheinlich wollten die Westler die veränderte Situation einfach nicht wahrhaben und einfach so weitermachen wie bisher. Aber Fakt war doch, daß sich die Situation auch in Westdeutschland mit '89 wesentlich verschlechtert hatte. Jedenfalls hätte für uns vieles leichter sein können, wenn wir auf Erfahrungen und Einschätzungen der westdeutschen Linken hätten zurückgreifen können. Gerade im Hinblick der Hausbesetzungen und Verhandlungen mit der neuen Staatsmacht wäre ein theoretisches Wissen über die zuvorigen Kämpfe und die Entwicklung der Linken im Westen von Vorteil gewesen. Aber bis heute wird ja über diese Zeit kaum ein Wort verloren.

Wie stellt ihr euch zur Diskussion um eine bundesweite Antifa-Organisierung?

B>Hans: In Halle spielt das zur Zeit eigentlich keine Rolle. Wir waren zwar eine Zeitlang an den Bundestreffen beteiligt, aber irgendwann hatte sich das erledigt. Ursprünglich fanden wir die Initiative relativ vernünftig. Aber die Diskussion, die nun seit fast zwei Jahren läuft, halten wir für ziemlich unproduktiv.

Dirk: Es gibt natürlich Sachen, wo eine bundesweite Organisierung und Zusammenarbeit unabdingbar sind, wo wir natürlich auch mitarbeiten. Aber eine Organisation mit Mitgliedschaft und Statut bringt uns, glaube ich, nicht sehr viel weiter. Wichtiger ist für uns derzeit, eine bessere regionale Zusammenarbeit hinzukriegen. Da ist auch die Möglichkeit einer direkten und wirksamen gegenseitigen Ergänzung und Unterstützung eher vorhanden als auf bundesweiter Ebene.
Und die Gefahr des Sich-selber-Verlaufens, in irgendwelchen Diskussionen, ist wohl nicht von der Hand zu weisen. Bundesweite Plenen haben ja manchmal schon den Charakter von Selbsthilfegruppen, und von konstruktiven Miteinander-Diskutieren kann in der Regel keine Rede sein. Sicherlich gibt es eine Notwendigkeit, aber dazu muß erst noch ein geeigneter Rahmen gefunden werden. Vielleicht kann der sich aus der Zusammenarbeit einiger Städte langsam herausbilden.

Ihr habt vorhin einmal angedeutet, daß ihr unliebsame Erfahrungen mit den neuen Ordnungskräften gemacht habt. Hat sich der Repressionsdruck auf euch in Halle in letzter Zeit verstärkt?

Dirk: Natürlich hat sich der Repressionsdruck seit Mitte '92 erhöht und mittlerweile dem Westniveau angeglichen. Das ist an der stärkeren Polizeipräsenz im Sraßenbild schon erkennbar. Bei öffentlichen Anlässen, Veranstaltungen, Straßenfesten etc. wird die Stadt heute von einem massiven Bullenaufgebot richtiggehend belagert. Das war zuletzt so, als Volker Rühe hier öffentlich neue Rekruten vereidigte und sie mit Störungen rechnen mußten.
Dann gibt es hier in Halle auch eine Staatschutzabteilung, die selbstredend versucht, gegen AntifaschistInnen vorzugehen, und die schon mal bei den Wohnungen, zumeist jüngerer Leute, vorbeischauen. Im Oktober 1992 gab es eine Razzia im Zentrum in der Kellnerstraße. Dabei haben sie gleich 124 von uns »erkennungsdienstlich« mißhandelt. Aber unter Repression darf man nicht nur solche Geschichten verstehen. Der Druck durch die Medien, die permanente Gleichmacherei rechter und linker Gewalt, die offensichtliche ungleiche juristische Behandlung von rechter und linker Gewalt, die öffentliche Denunziation und Kriminalisierung von Antifa-Aktionen gehören ja zur Repression genauso dazu, wie dann der direkte Zugriff selbst. Dagegen müssen unsere Strategien natürlich weiterentwickelt werden.

Inwieweit ist eure politische Praxis von eurem Alltag getrennt?

Dirk: Das geht doch gar nicht, bei der Menge an Alltagsfaschismus, mit dem man sich tagtäglich auseinandersetzen muß. Ich finde zum Beispiel am Kiosk die Nationalzeitung, haue die Verkäuferin an, was das soll. Hinter mir steht so ein alter Opa, der dann auf einmal rumerzählt, ja, du hast ja gar keine Ahnung von Faschismus, wir haben an der Front als deutsche Wehrmacht gekämpft, und in Buchenwald saßen nur Kommunisten und Juden. Und hinter ihm steht eine Reihe von acht Bürgern, und keiner sagt was dazu. In der Uni ist es auch schon Normalität, daß mir Burschenschaftler begegnen. Und nationalistische Wertediskussionen und deren Folgen spiegeln sich im Alltag doch fast überall wider. Außerdem: Was soll das für ein Antifaschismus sein, der an der Wohnungstür aufhört?

Wie stellt ihr euch die Perspektiven eurer Arbeit vor? Wo wollt ihr hinkommen, mit dem, was ihr macht?

Ralf: In ein blühendes Land.

Hans: Ich wünsche mir, daß sich unter uns so eine Art Arbeitsteilung entwickelt, um besser verhindern zu können, daß die Nazis hier Fuß fassen. Und dann natürlich auch die Arbeit mit anderen Vereinen, die muß sich unbedingt verbessern. Ohne daß wir uns anbiedern müssen oder politische Positionen um eines Bündnisses willen aufgeben.

Dirk: Wir müssen es schaffen, daß es eine bessere Koordinierung zwischen den Städten gibt. Das fängt bei den einfachsten Sachen an.

Hans: Ich kann mir schlecht eine Organisation mit Mitgliedschaft oder so was vorstellen, aber eine intensive Zusammenarbeit ist unumgänglich.

Was sind für euch die Faktoren, die die Zunahme von neofaschistischer Bewegung und Anschlägen in der letzten Zeit ausgemacht, begünstigt haben?

Hans: Zunächst einmal diese Asyldebatte. Das sieht doch jeder, der ein bißchen die Augen und Ohrenufmacht. Hier wurde über Monate durch PolitikerInnen und Medien ein gemeinsamer Feind konstruiert. Und die Pogrome von Rostock haben deutlich gezeigt, daß Polizei und Justiz aus politischen Gründen kein Interesse daran haben, diese zu verhindern. Zumindest nicht immer.

Dirk: Es ist dieser verinnerlichte Trend in der Politik, der einfach immer mehr auf einen autoritären Staat, auf Faschismus hinausläuft. Wenn ich mir zum Beispiel die Urteile von Rostock angucke: Das ist doch lächerlich, was da passiert. Fakt ist doch - und auch für die Nazis ist das ganz offensichtlich -, daß der Staat eigentlich kein Interesse hat, das zu verhindern. Und daß das die Leute anspornt, ist ja logisch.



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