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Historisch unbelastet

Gespräch mit AntifaschistInnen aus der Schweiz


In der Schweiz gibt es im eigentlichen Sinne keine überregional organisierte und kontinuierlich tätige Antifa. Die autonome Szene ist jedoch überregional lose miteinander vernetzt und führt, den örtlich variierenden Bedingungen entsprechend, Antifa-Aktionen durch. In dem Gespräch diskutieren autonome Linke aus verschiedenen Städten der deutschsprachigen Schweiz ihre Ansätze und ihre bislang gemachten Erfahrungen.

Was für Auseinandersetzungen gab es in den 80er Jahren mit Neofaschisten in der Schweiz? Gibt es auf der linken Seite so etwas wie eine Antifa-Organisierung, oder wie sieht das aus?

Theo (Zürich): Hier in der Stadt existiert momentan keine Gruppe, die sich als Antifa bezeichnet. Es hat immer mal solche Organisationsansätze gegeben. Die sind aber mit den jeweiligen negativen Anlässen gekommen und wieder verschwunden. Als die rechten Skins massiv in der Stadt auftraten oder im Laufe der Anschlagserien auf die Flüchtlingslager von 1989/90 haben sich Antifa-Gruppen gebildet, und als der Spuk vorbei war auch wieder aufgelöst. Diese Gruppen hatten die übliche Anti-Nazi-Arbeit gemacht, also Schutz von Veranstaltungen, Recherche und präventive Intervention gegen Skins und andere Faschos.

Und warum haben sich die Gruppen so schnell wieder aufgelöst? Nazis dürfte es doch auch in der Schweiz noch immer geben ...

Bert (Zürich): Sicher. Die Rechten sind heute sogar besser organisiert als vor ein paar Jahren. Sie treten zwar nicht mehr so alltäglich und sofort erkennbar in Erscheinung, aber es gibt sie schon.

Line (Zürich): Warum sich die Antifa im Raum Zürich aufgelöst hat, ist auch nicht so klar. Es gab darüber nie eine öffentliche Kontroverse. Antifa-Arbeit hieß halt hier in den letzten Jahren: Wenn bekannt wurde, daß sich irgendwo Nazis treffen und was vorhaben, dann hat sich ein relativ breites Spektrum von Linken zusammengefunden und hat konkret was dagegen gemacht. Eine weitergehende Antifa-Arbeit, also kontinuierliche Recherche neofaschistischer Strukturen usw., das war mehr Anspruch und wurde eher von Journalisten wie Jürg Frischknecht eingelöst. Viel bedeutender war hier die antirassistische Arbeit, die wurde kontinuierlich betrieben, und die gibt es heute noch.

Also wird bei euch antifaschistische Arbeit eher als ein normaler Bestandteil linksradikaler, autonomer Praxis gesehen und keine spezielle Antifa-Organisierung betrieben?

Jacob (Bern): Auf Bern trifft das genau so zu. Wenn was ansteht, wird aus dem autonomen Spektrum Antifa-Arbeit gemacht, also zeitweise und nicht kontinuierlich.

Kurt (Winterthur): Bei führenden Faschisten braucht man nicht abzuwarten, bis sie wieder was tun. Also, bei denen machen wir auch mal in der Gruppe einen Hausbesuch, klopfen halt mal an die Tür ...

Tom (St. Gallen): Also, die Stadt, wo ich herkomme, St. Gallen, liegt ja auch ziemlich in Grenznähe, und da wurden ab und zu Punkkonzerte von Faschos angegriffen. Die kamen auch aus Deutschland und Österreich rüber. Bei uns ging es direkt darum, mit denen auf der Straße fertigzuwerden, und das hat mit der Zeit auch geklappt. Heute ist es so, daß sich die Faschos in der Öffentlichkeit eher tarnen und mir aus unserer Region vergleichsweise wenige Angriffe auf ausländische Menschen oder Linke bekannt sind. Wir versuchen durch Recherche und Aktionen in letzter Zeit stärker auf die organisierten Hintermänner zu gehen, um diese öffentlich zu machen.

Ist es allgemein so in der Schweiz, daß sich die Lage auf der Straße nach dem massiven Auftreten der Faschos und der Anschlagserie von 1989/90 wieder entspannt hat?

Kurt (Winterthur): Das ist regional sehr unterschiedlich. Winterthur ist z.B. so ein Spezialfall. Wir hatten 1989 hier eine starke Skin- und Fascho-Bewegung und die Gründung einer neuen Nazi-Partei. Nach den zum Teil heftigen Auseinandersetzungen waren die Nazis verschwunden, aber jetzt tauchen sie wieder auf. Die gleichen Leute sind auf einmal wieder da und versuchen, wieder offen als Faschos auf der Straße rumzulaufen.

Womit hängt das zusammen? Etwa weil eine antifaschistische Gegenwehr nicht mehr vorhanden ist?

Kurt (Winterthur): Nein, die ist ja gerade in Winterthur vorhanden. Also das, was gemeinhin als Hau-Drauf-Antifa bezeichnet wird, also, die gibt es in Winterthur. Das ist unbestritten. Aber wieviel das nützt und ob das nicht auch ein Grund ist, daß die Faschos immer uns in Winterthur knacken wollen ... Die Skinheads kommen auch von woanders her nach Wintherthur zum Prügeln. Wir haben halt hier immer die großen Schlägereien.

Franz (Winterthur): Dazu kommt noch, daß wir in den eigenen Reihen aufgeräumt haben. Es gab Nazis, die in linken WGs gewohnt haben, aber ein rechtes Outfit hatten und rechte Musik gehört haben, ohne sich als Rechte zu bekennen. Da gab es auch welche, die in der Alternativkneipe gearbeitet haben, und die sind dann überall rausgeflogen. Und die sind dann auch direkt übergelaufen.

Kurt (Winterthur): Das war quasi so, da sitzt einer bei den Linken, und dann sitzt er zugleich am nächsten Abend bei den Rechten. Das ging einfach nicht mehr. Die mußten wir rausschmeißen. Es gibt auch Leute, die in besetzten Häusern gewohnt haben, mit uns gegen die Faschos maschiert sind und jetzt auf der anderen Seite sind.

Franz (Winterthur): Davon haben die Nazis natürlich profitiert. Sie haben jetzt viele Informationen über uns, und das hat ihnen eine gewisse Sicherheit gegeben, was sie sich trauen können und was nicht. Da waren einfach solche bei, die sich als Sharp Skins bezeichneten und von denen wir uns distanzierten. Da gab es so Geschichten, daß einer von denen in Ostdeutschland war und so Kollegen mitgebracht hat. Und dann stellt sich heraus, daß die in Rostock mit dabei waren, und sie faselten davon, es wäre nur gegen die Bullen gegangen und so die ganze übliche Scheiße.

Habt ihr irgendwelche Erklärungen, wie es dazu kam, daß die jetzt bei den Rechten gelandet sind?

Kurt (Winterthur): Also, bei den krassen Fällen ist es schon so, daß die einfach eine Bestätigung gesucht haben. Die hatten eine große Klappe, sind mit rumgezogen, und wir haben sie, solange es ging, mitgezogen und alles miteinander gemacht. Und irgendwie haben sie es nicht auf die Reihe gekriegt und sind von vielen auch immer belächelt worden. Und jetzt versuchen sie in der rechten Szene dasselbe, um dort ihre Bestätigung zu kriegen. Das sind schon ziemlich labile Charaktere.

Franz (Winterthur): Die Führersache ist sicher auch so etwas, was diese Leute halt anzieht, die festen Regeln und all das, daß sie gesagt bekommen, wer sie sind und wo sie zu stehen haben.

Wie erklärt ihr euch die regionalen Unterschiede, was die Neonazi-Präsenz angeht, in der Schweiz? Frischknecht schildert in seinem Buch z.B. Schaffhausen als absolute Nazi-Hochburg.

Kurt (Winterthur): In Schaffhausen spielt sicher der Einfluß aus Süddeutschland eine Rolle. Ich habe gehört, daß viele Saufparties auch von drüben organisiert wurden, und was dabei sicher eine Rolle spielt, daß sie bei kleineren Straftaten einfach nur ausgewiesen werden, deutsche Nazis sich hier also Sachen erlauben können, ohne daß ihnen viel passiert.

Also gibt es in den Grenzregionen zur Bundesrepublik eine feststellbar stärkere Zusammenarbeit zwischen ...

Jacob (Bern): ... ja, aber das wird jetzt ein bißchen zu platt. Was die aus Winterthur vorhin beschrieben haben, das ist ja auch diese Szenenvermischung, die es auch woanders gab. In Bern siehst du das an der Zaffaraya-Bewegung, da war auch plötzlich eine eigene Subkultur entstanden, mehr aus einem gemeinsamen Gefühl als aus einer politischen Ideologie heraus. Da gab es 1985 diese Platzbesetzung, und zwei Jahre wurde darum gekämpft, bis sie den geräumt haben. Gegen die Räumung gab es eine gefühlsmäßige Empörung der Bevölkerung, eine breite Solidarität für die Besetzer. Die Stadt war richtiggehend gespalten. Bern ist eine kleine Stadt, hier leben 130000 Menschen, und davon waren 10000 einige Tage lang auf der Straße. Und das war auch ziemlich durchmischt. Und es gab einige darunter, die da noch neben dir standen und die du dann später bei den Faschos wiedergesehen hast, die sich heute als Nationalrevolutionäre bekennen. Also erstmal ziehen bestimmte Momente einer Subkultur alle möglichen Leute an. Eine Faszination an der Revolte und einem anderen Lebensstil kann es ja auch bei denen geben, die dann Rechte sind.
Auch in linken Zentren in Bern wird es ab und zu Faschos geben, die wir nicht kennen, die sich da umtun und sich eben auch irgendein Konzert reinziehen. Es ist nicht so, daß die automatisch sagen, da gehen wir nicht hin, das ist nicht unser Ding, es berührt sich halt schon noch.
Und dann finde ich es schon problematisch, wenn ihr euch in Winterthur so als die Hau-Drauf-Antifa darstellt. Da wundern mich gewisse Sachen nicht, die ich gerade auch von deutschen Antifas kenne. Dieses Machogehabe und das teilweise ja selbst uniformierte Vorgehen gegen Faschos, das zieht ja auch eine gewisse Szene an, und für mich gibt es da schon Verwandtschaften zu dem, wie Rechte auftreten.

Wie weit gehen denn diese »Verwandtschaften« deiner Meinung nach?

Jacob (Bern): Damit meine ich nicht diese billige Links-rechts-Gleichsetzung. Aber bei Bewegungen, bei denen auf der Straße so revoltemäßig viel los ist, da gibt es auch immer Sachen, die für Jugendliche anziehend sind, und das läuft bei den Faschos nicht viel anders. Das ist erstmal eine unbestimmte Kraft, die 80er Bewegung war auch einfach interessant, endlich mal ausbrechen usw. ...

Also so eine Revolte-Haltung, aus der Gesellschaft ausbrechen zu wollen, würdest du erstmal für politisch relativ unbestimmt halten?

Jacob (Bern): In großem Maße schon. Also im Anfangsstadium geht es doch, zumindest teilweise, um den existentiellen Bruch mit irgendwelchen Autoritäten, und das Ideologische entwickelt sich ja dann zumeist erst. Damit habe ich jetzt noch nicht erklärt, warum sich zu bestimmten Zeiten mehr Jugendliche nach rechts oder nach links entwickeln. Aber ein emotionales Aufbegehren gegen die Verhältnisse kann es auch bei Rechten geben und sie für einige attraktiv machen, und da kann es gerade in der Subkultur zu Vermischungen kommen. Einfacher ist es sicher mit den organisierten Faschisten und ihrem ideologischen Ding, die findest du ganz woanders, die haben damit wenig am Hut.

Line (Zürich): Vielleicht sollten wir nochmal auf eure vorige Frage zurückkommen nach den Unterschieden in den einzelnen Städten und Regionen. Es gibt Hochburgen der Faschos wie in Schaffhausen, wo der Einfluß aus der BRD ganz nah ist, und dann gibt es die Landgegenden. Z.B. hier in der Nähe von Zürich, im Kanton Aargau, gibt es diese Mutschellen-Front. Dort sind Figuren drin, die in der Gesellschaft total integriert sind, da sind auch die Söhne von Polizisten drin, angesehene Nachbarn usw. Also, dieses neofaschistische Gedankengut, das ist von breiten Kreisen in der Schweiz abgesegnet, das ist nichts Besonderes. Und wenn Jugendliche in kleineren Städten wie in Winterthur oder Schaffhausen sich in neofaschistischen Gruppen organisieren, dann haben sie eine Basis, auf der sie arbeiten können, und von den Bullen werden die normalerweise nicht angefaßt. Da sind dann Angriffe gegen Flüchtlingslager, die überall vorgekommen sind, halt so kleine Jugendsünden, über die muß man nicht reden.
In größeren Städten mit einer linken Szene ist das für die Rechten schwieriger, weil da schneller 50 bis 100 Leute zusammen sind und gegen die was machen. Aber den Herrschenden paßt das natürlich, wenn da ihre strammen Söhne mal auf die Pauke hauen.

In den gößeren Städten passiert weniger, und deswegen gibt es auch weniger arbeitende Antifa-Gruppen als in den kleineren Städten, ist das so richtig interpretiert?

Theo (Zürich): Rassistisch motivierte Übergriffe gibt es natürlich hier auch. Auch von Jugendgruppen und Jugendbanden. Aber sie organisieren sich nicht wie Skinheads oder eine richtige Nazi-Organisation.

Sondern?

Theo (Zürich): Hier gibt es z.B. die Home-Boy-Szene. Das sind oftmals Jugendgangs, die aus den Vorstädten kommen und die zum Teil in den Fußballstadien aktiv sind. Aber soweit ich da Bescheid weiß, haben die nicht so ein geschlossenes Weltbild, und treten auch nicht so wie die Skins in Erscheinung.

Sind das Gruppen, an die ihr versucht ranzukommen, oder sind die schon zu stark ins rechte Umfeld integriert?

Tom (St. Gallen): Da muß ich jetzt schon mal sagen, daß es wahrscheinlich Versuche von Nazis gibt, an die ranzukommen. Aber viel gefährlicher scheint mir derzeit, und da bin ich mir nicht ganz sicher, ob das nicht ein großer Unterschied zu den Verhältnissen in Deutschland ist, daß die extremen Rechten in der Schweiz ein stabiles parlamentarisches Standbein haben. Und da sehe ich z.B. auch in St. Gallen, wie sich Parlamentarier jetzt wieder der faschistischen Skinhead-Szene nähern und versuchen, die nicht organisierten Faschos einzubinden. Das läuft ganz stark, nachdem eine offene Fascho-Organisation wie die Patriotische Front durch Repression zerschlagen wurde.

Parlamentarier?

Tom (St. Gallen): Zum parlamentarische Standbein würde ich in der Schweiz die Autopartei, den rechten Flügel von SVP und FDP, die Lega dei Ticinesi und die Schweizer Demokraten als Nachfolgepartei der Nationalen Aktion zählen. Zwei Beispiele aus St. Gallen für die Kontakte von Parlamentariern und militanten Faschisten: Einmal versuchten etwa 10 bis 15 überwiegend sehr junge Faschos, eine antifaschistische Informationsveranstaltung zu stürmen. Dies geschah dann zum Glück nicht. Die Angreifer erzählten hinterher, daß sie von den örtlichen Schweizer Demokraten zu dieser Aktion angehalten worden seien. In der Tat stand auch einer von ihnen, den wir sehr gut kennen, damals in der Nähe mit seinem Funkgerät herum.
Das zweite Beispiel: In der Nähe von St. Gallen wurde aus Widerstand gegen ein Armeeprojekt von Linken ein Platz besetzt. Nachdem es auf das Zeltlager wiederholt Brandanschläge gab, wurden die AktivistInnen von Nazis brutal überfallen. Und wieder war der gleiche Schweizer Demokrat kurz zuvor auf dem Gelände rumgeschlichen. Meiner Einschätzung nach klare Anzeichen dafür, wie die parlamentarische Rechte dabei ist, die »Stiefelfaschos«, die Nazi-Schläger von der Straße, politisch und organisatorisch stärker einzubinden.

Ist der parlamentarische Flügel der Rechtsextremen in der Schweiz denn nicht isoliert von den anderen parlamentarischen Kräften?

Line (Zürich): In keinster Weise.

Jacob (Bern): Inhaltlich kann man das an der Verschärfung der Asylgesetzgebung sehen, da sind ganz klar die Parolen der Rechten übernommen worden. In verschiedenen Gemeinden gibt es Wahlbündnisse von Konservativen und Rechtsextremen, daß z.B. die SVP mit den Schweizer Demokraten oder auch mal mit der Autopartei gegen Rot-Grün koaliert ...

Also würdet ihr wirklich sagen, daß es nicht mal einen offiziellen Anschein gibt, die Rechtsextremen parlamentarisch zu isolieren?

Franz (Winterthur): Mehr oder weniger nicht.

Tom (St. Gallen): Bei der Anschlagserie 1989/90 war das ja auch so, daß es so gut wie keine behördlichen Ermittlungen gab, und daß Faschos wie in Thun verurteilt wurden, ist die absolute Ausnahme. Die rechten Attentäter kamen in der Schweiz immer bei Nacht und Nebel, und es gab praktisch nie eine Organisation, die das für sich gebucht hätte. 1989 gab es einen krassen Fall in Chur. Damals verbrannten vier Menschen nach einem Attentat im Flüchtlingsheim. Obwohl hier ein eindeutiges Bekennerschreiben vorlag, es Tote gab, sind die Ermittlungen verschleppt und dann einfach ergebnislos eingestellt worden. Das läßt schon einiges vermuten.

Jacob (Bern): Die Schweizer müssen sich ja auch kein schlechtes Gewissen machen, wenn sie eine rechtsextreme Partei wie die Schweizer Demokraten wählen. Das ist ganz normal. Man fühlt sich, im Gegensatz zu den Deutschen, historisch unbelastet, man war ja neutral während des zweiten Weltkriegs usw. ...

Und wie reagiert ihr darauf, das klingt ja alles ziemlich finster ...?

Bert (Zürich): Während der Anschlagserie sind wir zu den Flüchtlingen in den Lagern gegangen und haben geschaut, was man machen kann. Es wurden Solidaritätskundgebungen veranstaltet und auch Flugblätter in den Dörfern verteilt. Die Flüchtlinge müssen ja oft in Lagern einsitzen, die auf dem Lande liegen oder die an den Stadträndern in schrecklichen Gegenden, den Einkaufszentren-Wüsten und Einfamilienhäuser-Siedlungen, sind. Wir haben versucht, in den betreffenden Gegenden Menschen zu finden, mit denen man was machen kann. Manchmal hat das auch geklappt, und man konnte eine Diskussion in einer Gemeinde anzetteln, EinwohnerInnen haben sich zum Teil an Kundgebungen beteiligt.

Theo (Zürich): In dieser Zeit ist auch das antirassistische Telefon entstanden. Es gibt Flüchtlinge in den Lagern, die wissen, an wen sie sich nun wenden können. Wichtig war uns, mit den Leuten zusammen, und nicht über ihre Köpfe hinweg, zu arbeiten. Es gab schon vorher Streikbewegungen in den Lagern, also Flüchtlinge mit einer gewissen Erfahrung, die auch wichtig war, um jetzt einen Selbstschutz aufzubauen, den wir unterstützen können.
Wir haben ja vorher schon mal erwähnt, daß es bei uns eine relativ lange und kontinuierliche Flüchtlingsarbeit gibt, die sich seit Mitte der 80er Jahre zentral gegen die hiesige Asylgesetzgebung richtet.

Könnt ihr dazu vielleicht noch etwas sagen - die Flüchtlingsarbeit in der Schweiz hat ja gerade in Westdeutschland viele beeindruckt und motiviert?

Bert (Zürich): Ja, aber ich denke, da gibt es ein großes Mißverständnis. Die meisten haben den Dr. Zuber im Kopf, der offenbar in ganz Deutschland erzählt hat, daß er Tausende von Flüchtlingen verstecken könne. Und in der Schweiz gibt es da ganz verschiedene Ansätze. Zuber und seine Mitstreiter von der AAA (Aktion für Abgewiesene Asylbewerber) haben rechtskräftig abgewiesene Asylbewerber versteckt. Praktisch haben die sicher sehr gute Arbeit geleistet, aber politisch distanzieren wir uns davon. Die haben die Flüchtlinge einzeln versteckt, ohne daß diese die Möglichkeit hatten, noch irgendwie an dieser Geschichte aktiv teilzunehmen. Und dann haben sie auch noch damit angefangen, bei juristisch hoffnungslosen Fällen quasi alternative Ausschaffungen in sogenannte Drittstaaten zu organisieren.
Unsere Idee war hingegen, ein Gleichgewicht von ausländischen und hiesigen Leuten zu schaffen, also die Flüchtlinge nicht einfach zu »verwalten«, sondern gemeinsam und öffentlich gegen die Asylpolitik zu mobilisieren.

Theo (Zürich): In zahlreichen Lagern war es in den 80er Jahren von Flüchtlingsfrauen und -männern zu Hungerstreiks gegen die unwürdigen Lebensbedingungen gekommen. 1988 hatten diese Streiks ihren Höhepunkt, und besonders in reaktionären Landstrichen wie in Graubünden hetzten Administration und Presse gegen die Flüchtlinge. Man mußte mit Fascho-Angriffen rechnen, und das geschah ja dann auch.
In dieser Situation haben wir uns in Zürich überlegt, wie wir die Streikbewegung unterstützen können, und haben dann ein Refugium, also eine öffentliche Zufluchtsstätte, organisiert. Einige aus der linksradikalen Szene haben als Refugium ein als relativ fortschrittlich geltendes Theater in Zürich besetzt und die Flüchtlinge aus den Lagern aufgerufen, dorthin zu kommen. Es sind dann auch wirklich sehr viele dort aufgetaucht. Wir haben das Theater umfunktioniert, und es wurde dort gegessen, geschlafen, diskutiert, Presse und Öffentlichkeitsarbeit gemacht, mit den Theaterleuten debattiert usw. ...

Bert: Es war ein öffentliches Versteck, um politischen Druck gegen diese ganzen Asylverfahren und die Ausschaffungspraxis zu entwickeln.

Theo: Das Refugium dauerte zehn Tage, unter ständigen Räumungsultimaten. Mit der Zeit gab es eine zweite Diskussion, bei der öffentlich dazu aufgerufen wurde, die Flüchtlinge auch zu verstecken. Das Theater hatte weiter seine Vorführungen, und wir haben mit dem Publikum über die Notwendigkeit geredet, Flüchtlinge zu verstecken. Das ist auch geschehen. Als das Theater mit einem Großaufgebot von Bullen geräumt wurde, haben sie keine Flüchtlinge mehr gefunden.

Andrea (Zürich): Es gab nachher noch ein zweites Refugium, da wurde eine Gewerkschaftszentrale besetzt, und daraus sind die Flüchtlinge zusammen mit uns offensiv auf die 1. Mai-Demonstration gegangen. Da waren viele schon illegal. Uns ging es darum, im Unterschied zu den christlichen Kreisen um diesen Dr. Zuber, eine gemeinsame autonome und antirassistische Struktur aufzubauen, einen Kampf zu führen, bei dem die Flüchtlinge nicht zu Sozialfällen degradiert werden. Das war ein ganz kleiner Versuch, und eigentlich ist der, muß man schon sagen, nach zwei Jahren gescheitert.

Woran?

Andrea (Zürich): Wir sind doch selber sehr schnell in eine sozialarbeiterische Rolle gerutscht ...

Bert (Zürich): Darf ich schnell ergänzen? Also, wir haben bestimmt sehr früh den Fehler gemacht, die Flüchtlinge als ein Kollektiv zu verstehen. Wir sagten anfangs, wir organisieren euch nach Möglichkeit Jobs und Wohnungen, und ihr entscheidet dann gemeinsam, wer was von euch machen soll. Also, wir haben schon sehr hohe Ansprüche an sie gestellt, teilweise Sachen, die wir selber im Kollektiv auch nicht einlösen können.

Also, ihr habt in den Flüchtlingen so etwas wie das neue »revolutionäre Subjekt« gesehen?

Bert (Zürich): Ja, quasi, muß man schon zugeben.

Jacob (Bern): Es gab ja dann auch die Kritik, die es an die Adresse der Christen auch gab, daß die Linksradikalen die Flüchtlinge auch instrumentalisieren. Daß denen hier auch wieder so ein ideologisches Ding übergestülpt und auf die unterschiedliche Situation, aus der die Menschen kommen, gar nicht eingegangen wurde ...

Andrea (Zürich): Das ist jetzt auch wieder ein bißchen kurz, was du von Bern aus sagst. Vom reformistischen Ansatz unterscheidet uns z.B., daß wir nicht in wirtschaftliche oder politische Flüchtlinge aufspalten. In diesem Sinne haben wir uns sehr tief auf die Widersprüche der Menschen eingelassen, die diesen Kampf in den Refugien geführt haben. So platt sind die nicht zum revolutionären Subjekt erklärt worden. Es war vielmehr ein langsames Scheitern, eine Abnutzung dadurch, daß der erhoffte Schneeballeffekt nicht eintrat. Die Idee wurde halt nicht massenhaft aufgegriffen und unterstützt. Und auch wenn die meisten von uns keine guten Jobs haben, sind wir im Verhältnis zu den hierher Flüchtenden immer noch reich und können uns verhältnismäßig frei bewegen. Das hatten wir auch nicht vergessen.

Wenn ich euch richtig verstanden habe, ging es darum, Strukturen aufzubauen, die gesellschaftlich so stark sind, daß diese Abschottungspolitik vom Schweizer Staat nicht mehr durchsetzungsfähig ist?

Andrea (Zürich): Neulich, als die Roma das ehemalige KZ in Dachau besetzt haben und dann rausgeekelt worden sind - also, das muß man sich vorstellen, deren Eltern sind dort vergast worden, und der deutsche Staat hat die dort einfach rausgeschmissen -, da ist mir die Idee von den Refugien wieder in den Sinn gekommen.
Das war eben auch der Versuch, eine ganz beschränkte Gegenmacht aufzubauen, die auf einen wackligen Untergrund baute, also eine Öffentlichkeit ansprechen sollte, die sich noch als links ausgab. Sowohl die Theater- wie auch die Gewerkschaftsleute konnten sich nicht erlauben, einfach die Bullen zu rufen und zu sagen: Knallt die Unruhestifter hier raus. Aber eine solche Hoffnung gibt es heute nicht mehr. Es hat auch keine leeren Versprechungen an die Flüchtlinge gegeben, in puncto Legalisierung usw., es gab das Versprechen, einen Versuch, die Hoffnung, mit Menschen von hier zusammen den Kampf gegen die Asylpolitik des Staates führen zu können ...

Theo (Zürich): Vielleicht muß man dazu noch sagen, daß ein Teil des Spektrums, auf das wir 1989 noch setzen konnten, inzwischen auf die andere Seite gewechselt ist. Ein Teil der Altlinken, der '68er, ist an dieser ganzen rassistischen Hetze im Zusammenhang mit der Kampagne gegen den Drogendeal beteiligt. Der Motor war diese Gleichsetzung von Ausländern mit Drogenhändlern. Dieser Diskurs ist von den älteren Linken aufgenommen worden und ist auch ein Ausdruck von der allgemeinen Rechtsverschiebung in der Schweiz. Also das, was sich vorher bei den bürgerlichen Parteien schon gezeigt hat, die heute eine rassistische Politik formulieren, die vor ein paar Jahren nur rechtsextreme Splittergruppen vertreten haben.

Andrea (Zürich): Das '68er Spektrum war mit einem kritischen Journalismus auch in größeren Zeitungen präsent, überall waren ein paar drin, und das hat es z.B. den Bullen eine Zeitlang schwergemacht, einfach in ein gut eingebundenes, besetztes Haus einzudringen und dort Leute aufzugreifen. Die Alten waren schon länger nicht mehr auf der Straße dabei, aber jetzt haben sie sich zu Propagandisten einer sozialdemokratisch geführten Zürcher Abgreif- und Ausschaffungspolitik gemacht.

Theo (Zürich): In der Schweiz gab es schon in den 70er Jahren relativ einflußreiche Organisationen der Neuen Linken wie die POCH oder die SAP. Die lassen sich in etwa mit der später in Deutschland gegründeten Partei der Grünen vergleichen. Das waren für die Schweiz aber auch noch in den 80er Jahren so etwas wie die alternativen Institutionen, mit all ihren reformistischen Schattierungen.

Andrea (Zürich): Bislang war einfach die Abgrenzung gegen das rechte Spektrum, das auch an der Macht war, ausschlaggebend. Nachdem in Zürich erstmals Rot/Grün an der Macht beteiligt war, ist das so langsam weggerutscht.
Aber vielleicht sollten wir jetzt wieder etwas praktischer diskutieren, weil mich würde das schon interessieren, wie ihr in Winterthur, in St. Gallen darüber denkt. Also zu den ganzen Sachen, die wir jetzt haben, einen Umverteilungsknast für drogensüchtige Jugendliche, einen Abschiebeknast direkt am Flughafen usw. Was hat die Antifa dazu für eine Position? Meiner Meinung nach müßte die Antifa auch den Anspruch haben, mit Flüchtlingen, mit direkt Betroffenen zusammen den Widerstand gegen Nazis zu organisieren ...

Ist für euch Flüchtlingsarbeit in Winterthur ein Thema, oder macht ihr etwas ganz anderes?

Kurt (Winterthur): Also, wir machen was ganz anderes, das muß ich schon sagen. Erstmal ist bei uns niemand über 25, also das ist eine Jugend-Antifa. Propagandistisch versuchen wir die Öffentlichkeit mit Klebern und Leibchen und all so 'nem Zeug zu beeindrucken. Wir haben ein Nottelefon, und wenn irgendwo in der Stadt Glatzen gesichtet werden, dann steigt man in die Montur und geht prügeln. Also, wir glauben schon, daß, wenn wir sie stetig angreifen, sie erst gar keine Zeit für ihre Sachen haben. So sind die stetig unter Druck und haben Angst, was zu tun. Das Spiel war vorher anders, und daraus haben wir gelernt. Unsere Vorgehensweise hat sich bewährt, sie kommen nicht mehr dazu, Aktionen zu machen, sondern sie müssen schauen, wie sie von A nach B kommen.

Bert (Zürich): Nur mal schnell die Frage, hat's bei eurer Antifa auch Frauen bei?

Kurt (Winterthur): Ja.

Bert (Zürich): Und die steigen auch in die Montur?

Kurt (Winterthur): Die steigen auch in die Montur.

Jacob (Bern): Also, das ist mir jetzt ein bißchen zu kraß, auf der einen Seite die Geschichte mit den Refugien und auf der anderen Seite Hau-Drauf-Antifa. Bei uns in Bern hat's welche, die hinlangen können, wie auch ein Asylkomitee, das landesweit vernetzt ist, also kontinuierlich arbeitet und auch so was wie die Refugien mitträgt. In der Nähe von Bern gibt es auch so ein Nest, Langenthal, wo sich so eine Fascho-Szene gebildet hat, wie sie vorhin beschrieben wurde, also im Zusammenhang mit so einem kleinbügerlichen Milieu, wo die Väter teilweise die Polizisten im Dorf sind. Die Faschos hatten auch die Sympathie von vielen Normalbürgern und konnten die anderen Jugendlichen dort einschüchtern, obwohl die von der Anzahl eigentlich mehr waren.
Wir haben von Bern aus dann erstmal recherchiert, was die Faschos für Kontakte haben und wer die Wortführer sind, also, an welcher Stelle sie zu knacken sind. Wir sind dann hin und haben für die Szene in Langenthal Schutz bei Konzerten und anderen Anlässen gemacht. Aber einzelne haben sich auch anonym in die Fascho-Kneipen gesetzt und immer dann interveniert, wenn ein Fascho-Spruch fiel. Bis dahin ging alles ohne Schlägereien ab. Wir sind auch mal hingegangen und haben mit denen diskutiert und einfach per Sprache und Wortschatz Autorität spielen lassen. Also erstmal ein anderes Klima schaffen. Und erst später, als klar recherchiert war, wer die Organisierten mit Kontakten nach Basel oder Süddeutschland waren, haben wir diese uns gezielt gegriffen und eingeschüchtert.

Aber, um den Winterthurern jetzt auch ein bißchen gerecht zu werden, muß man schon sagen, daß sie extrem mit Nazis konfrontiert waren und massiv angegriffen wurden. Die stehen bestimmt anders als ihr in Bern unter Druck, und das spielt doch schon eine Rolle, ob du dir in aller Ruhe was überlegen kannst oder ganz unmittelbar damit konfrontiert wirst.

Jacob (Bern): Die Militanz steht nicht zur Debatte. Mir geht es einfach nur darum, daß das nicht zum Ritual wird, also in deinem Wortschatz: in die Montur steigen. Das ist mir zuwider, du kannst kein Bild übernehmen, das einfach für die Gegenseite steht.
In Bern gab's auch Aufmärsche von Neonazis, und wir haben sie vertrieben, das ist nicht der Punkt. Und es war auch immer der Gedanke da, daß das nicht genügt, gerade nach den Anschlägen, wie kommt man statt dem ständigen Reagieren wieder ins Agieren ...

Also, wir haben ja jetzt aus jeder Stadt von einem unterschiedlichen Vorgehen gehört. Wie ist das denn, tauscht ihr euch untereinander aus, gibt es eine regelmäßige Zusammenarbeit unter den verschiedenen Städten und Gruppen?

Kurt (Winterthur): Also, wir haben so gut wie keine Kontakte und sind ziemlich isoliert.

Bert (Zürich): Aber ich hab euch doch bei der Aktion in der Zürcher Oberländer Agglomeration neulich gesehen. Da wart ihr doch bei, als es um dieses Hallenbad in Bauma ging, wo sie keine AsylbewerberInnen reinlassen wollten. Morgens haben die lokalen SozialdemokratInnen dagegen ein Picknick gemacht, mittags kamen dann die Leute von Zürich, und am Nachmittag seid ihr doch mit einem Transparent da rein und habt gebadet.

Kurt (Winterthur): Aber das war nichts Gemeinsames, wir haben das zufällig mitbekommen und uns mit Wasserfarbe braun angemalt, damit das Wasser 'ne schöne Soße wird.

Jacob (Bern): Also, ich glaube, das hat schon was mit dem Alter zu tun. Es gibt schon eine ganze Menge Kontakte, gut, vieles läuft informell, über Häuser und einzelne, die sich halt schon länger kennen. Es gab ja auch schon eine große und breit unterstützte Antifa-Demo in Winterthur.

Franz (Winterthur): Ja, das war zur Reichskristallnacht am 9. November. Da wollten die Faschos einen Umzug durch Winterthur machen.

Andrea (Zürich): Und als alle antifaschistischen Kräfte in Winterthur waren, haben die sich andere Orte gesucht, in Höri oder Neuhausen. Und in Zürich haben sie am gleichen Tag Jorge Gómez, einen schwarzen Brasilianer, totgeschlagen.

Jacob (Bern): Und wir haben uns in Winterthur auf's Ritual eingelassen, ja, das hat dann schon Diskussionen ausgelöst. Wir haben uns mit den Bullen gezofft, und die sind wieder mal mit Tränengas und Gummigeschossen auf uns draufgegangen, das Ritual halt.

Theo (Zürich): Also, um noch mal auf eure Frage zurückzukommen, ihr seht schon, was Organisierung anbetrifft, gibt es größere Widersprüche. Es gibt Probleme auf der städteübergreifenden Ebene, und dann gibt es Schwierigkeiten, wie mit ausländischen Linken zusammen was laufen könnte.

Kann denn von einer Zusammenarbeit unter deutsch-, französisch- und italienischsprachigen Linken in der Schweiz ausgegangen werden?

Jacob (Bern): Also, bei der Häuserbewegung, da lief das noch am besten. Da haben wir zumindest einmal im Jahr ein »nationales« Treffen immer hingekriegt. Da konnten sich auch mal jüngere und neue Leute kennenlernen und Kontakte knüpfen. Sobald irgendwo öffentlich erreichbare Strukturen existieren, funktioniert das natürlich besser, also z.B. die Infoläden in Bern oder hier in Zürich geben schon eine gewisse Kontinuität. Auch für dieses Gespräch hier hatten wir einige aus Genf eingeladen, die konnten heute leider nicht kommen. Natürlich sind die verschiedenen Sprachen ein Problem, und wir hatten dort auch die angesprochen, die deutsch können, damit wir nicht alles so anstrengend hin und her hätten übersetzen müssen.

Welche Diskussionen aus den benachbarten Staaten fließen denn hier besonders stark ein? Wird nicht auch stärker rezipiert, was in Italien oder Frankreich passiert?

Tom (St. Gallen): Ich glaube nicht, der Haupteinfluß kommt aus der BRD. Zumindest im deutschsprachigen Teil der Schweiz. Auch was fehlende theoretische Auseinandersetzungen bei Linken hier betrifft, da orientiert man sich schon primär an der BRD. Für Antifas hier ist das Bild von der bundesrepublikanischen Antifa schon attraktiv, also mit Militanz und Straßenkampf, platt gesagt, das zieht gerade jugendliche Leute an. Auch wenn es da vielleicht viele Mißverständnisse gibt.

Wie habt ihr denn den Prozeß, der sich in den letzten drei Jahren in Deutschland vollzogen hat, wahrgenommen: Hatte das Konsequenzen für euch, strahlt das auf euch in der Schweiz ab?

Franz (Winterthur): Das Fernsehen ist ja voll mit deutschen Sendern, und da hat man schon mitverfolgt, was sich seit dem Anschluß der DDR so alles dort verändert. Das ist schon Thema.

Jacob (Bern): Ich glaube auch, daß es die Fascho-Szene in der Schweiz beeinflußt und mobilisiert hat.

Tom (St. Gallen): Wobei es ja nicht so war, wie man hätte denken können, daß jetzt die Fascho-Szene in der Schweiz nach Hoyerswerda und Rostock voll losgeschlagen hätte. Das war ja das Erstaunliche, es blieb hier relativ ruhig. Die Anschlagserie in der Schweiz war ja vor der großen Angriffswelle in Deutschland erstmal vorüber.
Auf der linken Seite wird viel aus den Diskussionen, die in der BRD stattfinden, rausgezogen. Also, wir stützen uns sehr stark auf Bücher ab, die dort erscheinen. Gerade das Buch von der autonomen l.u.p.u.s.-Gruppe hat eine ziemlich starke Diskussion ausgelöst und zu einer Positionsfindung beigetragen. Aber zu linker Politik und Theorie wird in der Schweiz auch einfach zu wenig publiziert.

Bert (Zürich): Also, ich kann jetzt auch nicht eine große Analyse liefern. Ich habe so einzelne Punkte genauer verfolgt, der Umgang der SPD mit dem sogenannten Asylkompromiß hat mich z.B. sehr interessiert. Und dann bin ich auch an diesem sogenannten Tag X zur Bundestagsblockade nach Bonn gefahren.

Jacob (Bern): Ich wollte noch kurz zur Antifa in Deutschland was sagen. Was ich von der hier mitbekomme, das ist mir dann doch oft zu einseitig, zu sehr auf Anti-Nazi-Kampf beschränkt. Und so wie das auch die Medien oft darstellen, hat man schnell das Gefühl, die Faschos sind das Problem. Und daß weniger gesehen wird, wie der Staat eigentlich das Ganze etabliert und einfach Sachen macht, die wir mit unserem Blick auf die Faschos gar nicht mehr mitbekommen. Die Faschos sind für die Herrschaft doch total ideal, und ich glaube nicht, daß sie irgendwo derzeit für den Staat eine wirkliche Gefahr darstellen.



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