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Eine mörderisch-harmonische Volksgemeinschaft

Interview mit Wiener Antifaschisten


Der Zustand der österreichischen Antifa-Szene erinnert in vielem an die Situation bundesdeutscher Antifas Mitte der 80er Jahre. An den Brennpunkten faschistischer Organisierung operieren auch Antifa-Gruppen, allerdings ohne untereinander tragfähige Strukturen aufgebaut zu haben. Zudem besteht ein relativ großer Gegensatz zwischen der Metropole Wien und anderen österreichischen Städten.
September '93 führten wir ein Interview mit Wiener Antifaschisten. Zwei Monate später - unmittelbar nach den Urteilen gegen maßgebliche Kader der faschistischen VAPO - haben österreichische Nazis mit Briefbomben die Situation eskaliert. Dadurch veränderten sich in Österreich auch die Bedingungen für eine autonome antifaschistische Politik: Zum einen rückt das offizielle Österreich in einhelliger Verurteilung des Terrors zusammen, setzt sich an »Runde Tische«, an denen auch FPÖ-Chef Jörg Haider Platz nehmen darf. Schon wird auch in Österreich, anstatt über die Ursachen, viel lieber über einen Ausbau des »Sicherheitsstaates« laut nachgedacht. Zum anderen wird sich die Antifa-Szene vor diesem Hintergrund ihrer Unzulänglichkeiten bewußt. Sie muß sich etwas einfallen lassen, will sie nicht zwischen Faschos und Staat aufgerieben werden. »Die Ratlosigkeit«, schrieb uns einer der am Gespräch Beteiligten, »die am Ende des Gespräches vorherrscht, ist heute mit Wut gepaart.«

Vielleicht könntet ihr zunächst etwas über die Geschichte von Antifa-Arbeit in Österreich erzählen?

Frieder: Man muß zum Verständnis wissen, daß österreichische Universitäten bis Ende der 60er Jahre zutiefst deutschnational waren. Der »Ring Freiheitlicher Studenten«, RFS, stellte in den 60er Jahren unter den Studierenden die stärkste Fraktion. Er war eng mit der »Freiheitlichen Partei Österreichs«, FPÖ, verbunden. Damals gab es an der Welthandelsuniversität einen Professor namens Borodajkewycz, der vor allem durch antisemitische Aussprüche bekannt war. Die Auseindersetzungen um Borodajkewycz begannen, als linke Studenten in seinen Vorlesungen mitschrieben und seine Ausfälle anschließend öffentlich machten. Gestützt wurde Borodajkewycz vor allem durch den RFS. Die linken Fraktionen an der Hochschule haben Demonstrationen gegen den Professor organisiert, und bei einer solchen Demo ist Ernst Kirchweger, KP-Mitglied, Spanienkämpfer, von Nazis getötet worden - das erste bekannte Opfer nazistischer Gewalt in der zweiten österreichischen Republik.
Ausgesprochen autonom-antifaschistischer Widerstand gegen neofaschistische Organisierung begann eigentlich Ende der 70er Jahre vor allem an den Universitäten. Zu der Zeit kandidierte der große alte Mann der österreichischen Nazi-Szene, Norbert Burger, als Bundespräsident. Unterstützt wurde er von einer aus der Nationaldemokratischen Partei Österreichs, NDP, und der Kameradschaft Babenberger hervorgegangenen »Aktion Neue Rechte«, ANR.

Bezog sich die ANR auf die »Aktion Neue Rechte«, die seit 1971 aus der Bundesrepublik bekannt ist, oder war es nur eine zufällige Gleichheit des Namens?

Bruno: Sie hatten weder etwas mit der deutschen ANR zu tun noch mit der Neuen Rechten überhaupt. Sie selbst gaben sich zwar gern »nationalrevolutionär«, waren jedoch im klassischen Sinne nazistisch. Viele Kader der VAPO, darunter auch Küssel, haben sich bei der österreichischen ANR ihre ersten Sporen verdient.

Frieder: Diese ANR sammelte vor allem das militante Umfeld der NDP und der Babenberger, kandidierte aber auch an der Wiener Universität zu den Hochschulschülerschaftswahlen.11.1 Aufgrund von Einsprüchen kommunistischer und sozialistischer StudentInnen-Organisationen beim Verfassungsgerichtshof sind die Wahlen dann annulliert worden. Mit dem Auftreten der ANR begann wieder der Terror gegen Linke an den Unis. Der Widerstand dagegen hatte allerdings mit Antifa-Arbeit nach heutigem Verständnis nicht sehr viel zu tun.

Anton: Es war aber immer klar: Wenn irgendwo eine Nazi-Veranstaltung stattfindet, sei es im Wahlkampf oder seien es die Gründungsversammlungen irgendwelcher Gruppierungen, wurde militanter Widerstand dagegen organisiert. Das ist selten als Antifa-Organisierung gelaufen, sondern meistens allgemein in linksradikalen Zusammenschlüssen.

Worin unterscheidet sich denn euer heutiges Verständnis von Antifa-Arbeit von dem, was ihr über die Vergangenheit berichtet habt?

Frieder: Unsere Arbeit hat ihren Kampagnen-Charakter verloren. Vermehrt beschäftigen wir uns heute kontinuierlich mit Faschismus und Rassismus in Österreich, mit den Inhalten und Formen faschistischer Organisierung. Das schließt durchaus ein, sich militant mit Nazis auseinanderzusetzen. Allerdings ist die Situation in Österreich im allgemeinen und speziell in Wien nicht so, daß man als Linker nicht mehr auf die Straße gehen könnte, ohne eine Prügelei zu riskieren.

Geht dieses neue Verständnis auf Veränderungen in Österreich zurück, oder gab es andere Anlässe?

Bruno: Ungefähr ab '89 begannen Neonazis, unsere Demonstrationen gegen den Wiener Opernball bewußt und organisiert zu stören. Schon beim Opernball 1990 haben sie versucht, in unsere Demo reinzugehen und zu provozieren. Es stellte sich heraus, daß diese Angriffe von den Nazis österreichweit geplant worden waren. In dem Zusammenhang hat es dann Diskussionen gegeben, wie man das verhindern kann, wie man einen Schutz organisieren kann. Es gab das erste Mal seit dem Terror der ANR an den Unis eine wirkliche Gegenwehr, ernsthafte Versuche, sich körperlich den Nazis entgegenzustellen.
Eine innere Notwendigkeit, kontinuierlich antifaschistische Politik zu betreiben, entstand bei vielen allerdings erst durch die Entwicklung in Deutschland. Nach dem Beginn der deutschen Anschlagswelle mit dem Pogrom in Hoyerswerda analysierten viele erstmals die Situation hier. Ab Frühjahr '92 hat es dann auch vermehrt Anschläge in Österreich gegeben, auf Flüchtlingsheime, Wohnheime, Gedenkstätten - einen Jüdischen Friedhof und das KZ Mauthausen. Ab diesem Zeitpunkt sind militante faschistische Organisationen auch in Österreich verstärkt aktiv geworden. Mit dem Aufstieg der FPÖ unter Haider haben Neonazis hierzulande auch einen ganz anderen Spielraum gewonnen.

Anton: Zum Beispiel waren 1993 Landtagswahlen im größten österreichischen Bundesland, Niederösterreich, und wenn du dir die Kandidatenliste der FPÖ angeschaut hast, waren die Hälfte der Kandidaten geeichte Rechtsradikale, die teilweise aus dem Honsik-Umfeld11.2 stammten. Die führenden österreichischen Nazis haben jetzt ganz andere Betätigungsfelder gefunden. Straßenkrawalle machen in der Politik kein gutes Image. Statt dessen geben sie sich jetzt intellektuell, sitzen in Uni-Hörsälen, halten dort teilweise Vorlesungen und schreiben in irgendwelchen neu-rechten Theoriezeitschriften. Ein Operetten-Nazi wie der Küssel, der sich offen als Nationalsozialist und zur NSDAP bekennt, ist für den österreichischen Staat absolut ein Geschenk. Eine größere Freude kann diesem Staat nicht gemacht werden, denn sofort kann er festnehmen, die Strafverfolgung aufnehmen - und der Staat kann wieder auf seine »antifaschistische« Tradition pochen ...

Bruno: Allerdings erfolgte Küssels Verhaftung auch erst unter öffentlichem Druck. Er hatte sich vorher ja in Fernsehinterviews zu seiner Überzeugung bekannt.11.3 Gerade in den USA hat die Ausstrahlung für einen Skandal gesorgt. Wenn man sich die juristische »Karriere« von Küssel so anschaut, fällt auf, daß er bei fast allen früheren Prozessen freigesprochen beziehungsweise auf Bewährung verurteilt wurde. In einem Prozeß, in dem es um den Brandanschlag auf das besetzte Haus in der Ägidigasse in Wien gegangen ist, wurde er zu 17 Tagen Arrest verurteilt. Bis zum diesjährigen Urteil11.4 hatte es im Prinzip für Küssel keine Auswirkungen, juristisch verfolgt zu werden.

Ist die österreichische Justiz gegen Neonazis generell milde in ihrer Rechtsprechung?

Anton: Als sich früher die Neonazis offen in faschistischen Organisationen organisiert haben, war die Justiz sehr milde. Jetzt, seit dem Auftreten der FPÖ, kann man fast sagen, daß die Justiz nach der Methode verfährt, wer jetzt noch so blöd ist, daß er nicht in die FPÖ reingeht, sondern sich eigenständig organisiert, der bekommt eins auf den Deckel.

Bruno: Vergleichsweise interessant ist Folgendes: Es hat einen Prozeß gegen vier Neonazis aus der VAPO-Kameradschaft Gmunden gegeben, die an einem Brandanschlag in Traunkirchen in Oberösterreich beteiligt waren. Die sind zu drei- bis vierjährigen Haftstrafen verurteilt worden, aber ausschließlich wegen Sachbeschädigung und Brandstiftung, also strafrechtlichen Delikten, jedoch nicht wegen Wiederbetätigung.

Frieder: Es ist auch eine parlamentarische Anfrage zu rechtsextremistischem Terror an den Innenminister Löschnak gerichtet worden, die er mit einer Lüge beantwortet hat. Er hat gesagt, ihm sei nichts bekannt.

Bruno: In Deutschland gibt es faschistische Organisationen und staatlichen Rassismus, die sich hervorragend ergänzen. Das hat der österreichische Staat eigentlich nicht nötig.

Wie meinst du das?

Bruno: In Österreich gibt es Gesetze gegen MigrantInnen, die an Restriktivität und an Härte in Europa nicht mehr zu überbieten sind. Die ersten Gesetze - zum Beispiel das Ausländerbeschäftigungsgesetz oder die Tatsache, daß Ausländerinnen und Ausländer hier in Österreich keine Sozialwohnung bekommen - sind unter geringer medialer Aufmerksamkeit einfach beschlossen worden. Es gab keinen nennenswerten Widerstand dagegen, weder parlamentarisch noch außerparlamentarisch. Insofern sind rassistische Angriffe als behaupteter Ausdruck eines »Volkszornes« und als Katalysatoren für verschärfte Einwanderungsgesetze in Österreich nicht so notwendig wie in Deutschland. Eher müssen die Zustände in Deutschland insgesamt als Begründung für noch schärfere Asylgesetze herhalten.

Frieder: Man kann das auch drastisch mit der Haltung der SPÖ zu dem von Haider initiierten rassistischen Volksbegehren, auf das wir später noch kommen müssen, belegen. Innenminister Löschnak hat in einer ersten Reaktion gesagt: »Was mich vom Herrn Haider unterscheidet, ist, daß er nur redet, während ich auch handle.« Außerdem hat er gesagt, zehn der zwölf Forderungen aus dem Volksbegehren habe die SPÖ/ÖVP-Regierung ohnehin schon umgesetzt, und von daher sei dieses Volksbegehren überflüssig.

Ihr versteht die neue Qualität von Antifa-Politik also auch als Kampf gegen diesen von Staats wegen praktizierten Rassismus?

Bruno: Unsere Politik muß sich auf jeden Fall gegen diese rassistischen Gesetze und ihre Konsequenzen richten. Beispielsweise sind Truppen des österreichischen Bundesheeres an der Grenze des Bundeslands Burgenland zu Ungarn stationiert worden, um militärisch zu verhindern, daß Menschen, die über die grüne Grenze flüchten, hier überhaupt Asyl beantragen können. Hinzu kommt, daß unter den Parlamentsparteien weitgehend Konsens darüber herrscht, daß es in Österreich ein »Ausländerproblem« gibt, das staatlich-regulativ gelöst werden muß. Denn auch die Grünen treten - bei aller punktuellen Kritik - für Einwanderungsquoten und die Abschiebung »krimineller Ausländer« ein. Dieser Rassismus ist also nicht an die Regierung gebunden, sondern durchzieht im Grunde die gesamte staatstragende Politik.

Frieder: Schon vor fast zehn Jahren hat der sozialistische Innenminister Blecha gesagt, man müsse die Asylanten durch »freundliche Abschreckung« davon abhalten, nach Österreich zu kommen. Damals ist das untergegangen. Heute ist es Realität. Neu ist höchstens, daß die österreichische Politik mit Blick auf die EG und das Schengener Abkommen in einer Art vorauseilenden Gehorsams handelt. Dadurch entsteht eine andere Qualität. Jetzt redet Manfred Matzka, Staatssekretär und Flüchtlingsbeauftragter im Innenministerium, auch nicht mehr von »freundlicher Abschreckung«, sondern wörtlich heißt es: »Die Situation für Flüchtlinge muß in Österreich so unerträglich werden, daß niemand mehr hierher kommt.« In Deutschland sagt so etwas der Rechtsextremist Jürgen Rieger von der NF. Der Zynismus dabei ist, daß Matzka vor über zwanzig Jahren zu denen gehörte, die den Borodajkewycz öffentlich bloßstellten. Der Mann begreift sich heute noch als Sozialist.

Im Kampf dagegen liegt also der Schwerpunkt eurer antifaschistischen Politik?

Bruno: Sicher nicht. Wir haben unsere Politik in den vergangenen Monaten und Jahren primär an Ereignissen orientiert. Wichtig war dabei vor allem der Schutz von Demonstrationen gegen Neonazis und der Schutz unserer Strukturen vor neofaschistischen Überfällen. Mit dem Aufkommen der FPÖ und speziell mit diesem rassistischen Volksbegehren, das die FPÖ im Januar '93 angeschoben hatte, rückte diese Partei als rassistische, deutschnationale Organisation in den Blickpunkt unseres Interesses. Für die wenigen antifaschistischen Gruppen, die es in Österereich überhaupt gibt, war wichtig, gegen das Volksbegehren direkt einzugreifen. Es hat dann für österreichische Verhältnisse auch wirklich viel Widerstand gegeben, breit und in allen Facetten. Es hat Demonstrationen gegeben, die von einem breiten Bündnis getragen worden sind; es hat Infostände gegeben; es hat Versuche gegeben, mittels Wandzeitungen FPÖ-Politiker öffentlich zu machen; es hat mehrere militante Aktionen gegen FPÖ-Parteilokale gegeben. Man muß aber dazu sagen, daß es bis Anfang der 90er Jahre eigentlich keine Versuche gegeben hat, FPÖ-Veranstaltungen zu stören oder anzugreifen.

Warum nicht?

Bruno: Weil die FPÖ von weiten Teilen der Linken durch die kurze liberale Phase unter Heide Schmidt und Norbert Steger und der kurzen Regierungskoaliton mit der SPÖ nicht als rechtsextreme Partei begriffen worden ist. Auch nicht, nachdem sich der Kurs der FPÖ ab '86 mit dem »demokratischen Putsch« Haiders grundlegend änderte, die nationalistischen Strömungen in der Partei an die Oberfläche kamen und liberale Strömungen ausgegrenzt worden sind. In vielen linken Köpfen geht nicht zusammen, eine Organisation als rechtsradikal zu erkennen, die 20 Prozent der Wählerstimmen kriegt. Das müßte Konsequenzen haben, vor denen sich aber viele Linke scheuen.

Frieder: Die FPÖ als das zu begreifen, was sie ist, war ja ein Prozeß.
Viele Linke waren aber auch insgesamt ziemlich hilflos. Denn auch wenn die FPÖ verschärfte Asylgesetze fordert, beschlossen und durchgeführt werden sie von den staatstragenden Parteien in der Regierung. Eine Antwort auf die Frage, wie gegen Gesetze effektiv vorgegangen werden könnte, die ja längst beschlossen sind und umgesetzt werden, hatte kaum jemand.

Habt ihr auch in Bündnissen mit anderen linken Gruppen gegen das Volksbegehren gearbeitet?

Frieder: Es hat bereits vorher eine relativ gut funktionierende Zusammenarbeit gegeben, die allerdings nicht explizit linksradikal war und sich hauptsächlich auf die Organisation von Demos beschränkte. Aus diesem Zusammenhang heraus ist von Vertretern der Grünen und der Kommunistischen Partei vorgeschlagen worden, jetzt eine breite Bewegung gegen das Haider-Volksbegehren zu etablieren. Die ist dann auch in Form von »SOS-Mitmensch« entstanden und hat schließlich das »Lichtermeer« veranstaltet.
Im nachhinein denke ich aber, daß dieses »Lichtermeer« fatal für die antirassistische Arbeit in Österreich gewesen ist. Im Grunde genommen sind durch diese Aktion breite antirassistische Initiativen vom Staatsrassismus abgelenkt und auf Haider fixiert worden. Außerdem hat es die Zusammenarbeit linker Gruppen erschwert. Wir hatten zum Beispiel unter dem Motto: »Gemeinsam gegen Haider und Löschnak« zu einer Demo aufgerufen, bei der ursprünglich auch jemand vom gewerkschaftlichen Linksblock11.5 hätte sprechen sollen. Das haben sie dann mit der Begründung abgelehnt, man könne Haider und Löschnak nicht gleichsetzen.
Und zu guter Letzt haben viele Linke irrigerweise angenommen, beim »Lichtermeer« handele es sich durchweg um eine antirassitische Manifestation.

Anton: Nur ein Beispiel: Eine Frau hat beim Unterschreiben von Haiders Volksbegehren gesagt: Ja, sie war auch letzten Samstag beim »Lichtermeer«, denn da war sie für die Anständigen, und Gastarbeiter brauchen wir ja. Aber beim Volksbegehren geht es um die bösen Kriminellen, und darum unterschreibt sie das.
Das »Lichtermeer« hatte den antirassistischen Charakter eines Freiluft-Heurigen.

Frieder: Es gab immer zwei Arten von Kritik am »Lichtermeer«. Die einen haben gesagt, die OrganisatorInnen würden die »brave Masse« für den Staat und für Löschnaks Zwecke instrumentalisieren. Und andere sagten, daß es eben diese »brave Masse« dort nicht geben würde und nicht gegeben hat.

Bruno: Wir haben während dieser Mobilisierung von »SOS-Mitmensch« und während des Volksbegehrens immer wieder versucht, die Rolle des österreichischen Staates zu thematisieren. Aber wir sind nie darüber hinausgekommen, auch bis jetzt, das in Flugbättern oder in Erklärungen zu sagen, daß der staatliche Rassismus, die Gesetze, ihre Umsetzung, das eigentlich Bedrohliche für ausländische Menschen in diesem Land sind, und derzeit weniger neonazistische Gruppen oder Haider mit seiner FPÖ. Aber das hat halt nicht gereicht. Nach der Mobilisierung zum »Lichtermeer« war dann die Luft aus den verschiedenen Initiativen raus.

Auffällig ist im Vergleich zu BRD aber, daß ein von breiten Bevölkerungsschichten getragener aggressiver Alltagsrassismus in Österreich weniger spürbar ist.

Bruno: In Österreich wird die Diskussion über AusländerInnen hauptsächlich unter dem Verwertungsaspekt geführt. Ist die Arbeitskraft eines Fremden verwertbar, ist er gerne gesehen. Gehetzt wird vor allem gegen die Illegalen, die dann auch pauschal kriminalisiert werden. Durch ihre Gesetzgebung hat es die Regierung immer verstanden, dies in kontrollierte Bahnen zu lenken und vielen Menschen das Gefühl zu geben, mit ihren aus Vorurteilen stammenden Ängsten bei den Regierenden am besten aufgehoben zu sein. Dadurch fehlt dem »Alltagsrassismus« weitgehend auch die Militanz. Das ist, denke ich, der entscheidende Unterschied zu Deutschland.

Frieder: Daß der Rassismus von unten bei uns nicht so eine Qualität erreicht hat wie in der BRD, liegt einfach auch daran, daß ihm der nationalistische Impetus gefehlt hat. Österreich hat sich mit nichts wiedervereinigt.

Anton: Ich würde Österreich fast als mörderisch-harmonische Volksgemeinschaft beschreiben wollen. Die Parole des »Lichtermeers« war: Anständigkeit zuerst ... In dieses »saubere Österreich« passen weder die Neonazis noch die potentiellen Opfer ihres Terrors, die MigrantInnen.

Gibt es denn Versuche, Flüchtlinge zu unterstützen - legal oder illegal?

Frieder: Klassische Flüchtlingsarbeit ist in Österreich eigentlich Sache der Kirche und der humanitären Organisationen. UnterstützerInnengruppen wie in der BRD, die versuchen, Forderungen für Flüchtlinge aufzugreifen, gibt es so von linksradikaler Seite nicht. Es ist auch eine Generationenfrage. Ältere machen mehr Flüchtlingsarbeit, kommen aber meist nicht aus linksradikalen Zusammenhängen.
Dazu muß man sagen, daß die konkrete Flüchtlingsarbeit in Österreich systematisch erschwert und verunmöglicht worden ist. Beispiele: Früher war es für den Flughafensozialdienst möglich, den Transitraum des Flughafens Wien-Schwechat zu betreten und sich dort um Flüchtlinge zu kümmern. Jetzt ist er nur noch für die Grenzpolizei zugänglich, so daß niemand kontrollieren kann, wie viele Menschen dort tatsächlich abgeschoben werden.
Oder: Per Fremdengesetz ist es der Polizei möglich, Wohnungen zu stürmen ohne Hausdurchsuchungsbefehl, wenn sie den Verdacht haben, daß sich da illegal AusländerInnen aufhalten.

Wird das auch praktiziert?

Anton: Freilich. Erst im Januar '93 sind vermummte Bullen mit kugelsicheren Westen und Maschinenpistolen ins besetzte Ernst-Kirchweger-Haus gestürmt, haben sofort den Wohnbereich aufgesucht, wo kurdische Menschen leben, haben die Türen mit Vorschlaghämmern aufgebrochen, haben die Kurdinnen und Kurden teilweise mißhandelt und haben eine Person ohne gültige Papiere gleich mitgenommen. Der Vorwand war, daß am gleichen Tag im Bezirk ein Supermarkt überfallen worden war.

Habt ihr das Gefühl, daß die Situation, die ihr beschreibt, über kurz oder lang zu einer Radikalisierung führen wird?

Anton: Bei mir persönlich schon. Du merkst es an so kleinen Dingen, daß du Haß auf diesen Staat entwickelst, der so arg mit Menschen umgeht. Und gleichzeitig macht sich Ratlosigkeit breit, weil man es hier nicht mit einer Nazi-Sekte zu tun hat, die ein leicht zu bekämpfender Gegner wäre, sondern mit einer rassistischen Staatsmaschinerie.

Ihr habt vorhin gesagt, neofaschistische Gruppen seien nicht das Hauptproblem für ausländische Menschen in Österreich. Wie schätzt ihr denn generell den Grad neofaschistischer Organisierung in Österreich ein?

Bruno: In Wien ist es seit ein, zwei Jahren ziemlich ruhig. Es gibt hier kaum offensiv auftretende Nazis, sei es bei Demonstrationen oder bei Angriffen auf linke Lokale und ähnliches. In anderen Bundesländern dagegen, in Oberösterreich oder in Salzburg oder einem Teil von Niederösterreich, gibt es kleinere Städte, wo Faschisten einen gewissen Organisierungsgrad erreicht haben. Häufig sind das starke Szenen von Hooligans und/oder rechten Skins, die zwischen einzelnen Städten losen Kontakt miteinander halten. In Orten wie Linz, im Innviertel nach Salzburg herunter, sind Rechte inzwischen beinahe hegemonial. Der Polatcek wohnt nach seiner Ausweisung aus Deutschland ja auch wieder in der Nähe von Braunau am Inn. Dazu kommt eine Szene, die sich in ländlichen Bereichen entwickelt hat und von der wir eigentlich gar keine Ahnung haben. Linke gibt es dort so gut wie nicht, denn linke Strukturen sind in Österreich sehr auf Wien konzentriert. Bei den Rechten ist das genau umgekehrt.

Aber es gibt doch auch außerhalb Wiens Antifa-Gruppen?

Bruno: Wir wissen von Antifa-Gruppen in Linz und Salzburg. Aber eine Zusammenarbeit ist nicht immer einfach.

Was heißt das?

Frieder: Das läßt sich an einem Beispiel besser deutlich machen: Jedes Jahr im Mai findet im KZ Mauthausen eine offizielle Gedenkfeier des Bundesstaates Österreich und von WiderstandskämpferInnen statt. Heuer sollte daran auch ein Minister der österreichischen Bundesregierung teilnehmen. Der Regierung, die für die rassistischen Asylgesetze verantwortlich ist. Wir hatten uns deswegen mit den Linzern zusammengetan, weil wir dort - im Konzentrationslager - gegen die Teilnahme dieses Ministers protestieren wollten. Die Linzer haben dann vorgeschlagen, mit Trillerpfeifen zu verhindern, daß der überhaupt zu Wort kommt. Wir haben eingewandt, daß so etwas in einem Konzentrationslager für Menschen mosaischen Glaubens vielleicht ein Affront ist, immerhin ist das für sie ja eine religiöse Stätte. Daraufhin haben sie nur gesagt, darüber bräuchten wir nicht reden, wir sollten nur daran denken, was die Israelis mit der PLO machen. Also hat am Ende jede Gruppe ihre eigene Aktion gemacht.

Bruno: Das Problem mit Antifa-Gruppen außerhalb Wiens ist oft, daß darin teilweise wirklich sehr junge Leute arbeiten, die vorher politisch nicht aktiv waren, sich erst über Antifa politisiert haben. Die haben noch sehr stark diese bloße Hau-drauf-Orientierung gegenüber Nazi-Glatzen. Diese primäre Ausrichtung auf militante Faschisten ist aber eine Gefahr, die zu Fehlern führt, gerade bei Aktionen. Dazu kommt eine Grauzone in solchen Städten, wo teilweise Rechte zur Antifa wechseln oder einzelne Antifas zu den Nazis gehen.

Wie arbeiten denn die verschiedenen Antifa-Gruppen in Österreich zusammen?

Bruno: Eine kontinuierliche Zusammenarbeit ist als »schlecht« bis »nicht vorhanden« zu bezeichnen. Es hat auch Versuche gegeben, über die Infoladen-Treffen eine regionale Vernetzung in Österreich zu initiieren. Aber das ist ziemlich schnell wieder im Sande verlaufen. Was neben beiderseitigem Desinteresse auch einer gewissen Metropolen-Mentalität der WienerInnen geschuldet ist, denen die Zustände in der »Provinz« oft egal sind.
Es ist überhaupt ein Manko der österreichischen Linken, daß es kaum eine Diskussionskultur gibt. Eine Auseinandersetzung am Anfang einer Aktion, währenddessen und nachher gibt es selten. Eine Zusammenarbeit läuft eher über persönliche Kontakte, zwischen Leuten, die sich schon länger kennen. Aber alles, was politisch diskutiert wird, ist immer an Aktionen gekoppelt.

Inwieweit habt ihr Kontakte zu Gruppen im Ausland, speziell, wenn ich an die geographische Lage Wiens denke, zu Gruppen in Osteuropa?

Anton: Nach Osteuropa haben wir eigentlich keine Kontakte, die über lose und persönliche Bekanntschaften in der Tschechoslowakai oder Ungarn hinausgehen würden.

Frieder: Organisierte Kontakte nach Osteuropa gibt es vor allen Dingen zum ehemaligen Jugoslawien. Aber diese Kontakte haben eher antimilitaristische Gruppen.

Verfolgt ihr die bundesdeutsche Antifa-Diskussion?

Bruno: Weit mehr als jede andere Diskussion.

Frieder: Polemisch könnte man sagen: In Österreich ist keine Diskussion geführt worden, weil alle die der bundesdeutschen Linken verfolgt haben.

Bruno: Von daher wissen die meisten sicher auch über den Diskussionsstand und die Zusammenhänge in der BRD bei weitem mehr Bescheid als über die Situation in Prag oder Budapest.

Oder über die Situation in Salzburg?

Bruno: Genau. Allerdings arbeiten Antifa-Gruppen in den westlichen Bundesländern, in Salzburg oder eben in Linz eng mit süddeutschen Antifa-Gruppen zusammen. Das funktioniert zum Teil um vieles besser als die Zusammenarbeit mit Wien.

Frieder: Es hat hier halt ganz andere Voraussetzungen. Du kannst zwar bundesdeutsche Zeitungen lesen, aber du schaffst damit allein nicht dieselben Verhältnisse in Österreich. Wir lügen uns da häufig in die eigene Tasche. Ich glaube, was in Österreich lange unter »autonomer Antifa« gelaufen ist, war der Versuch, einen Grad von Auseinandersetzung in der Gesellschaft zu erreichen, den man von der BRD abgeschaut hatte.

Bruno: Es gibt in Österreich kaum eine linksradikale Geschichte, geschweige denn eine lange antifaschistische Organisierung, auf die ich mich berufen könnte. Ich kann mit älteren GenossInnen kaum praktische Erfahrungen austauschen.

Hängt das damit zusammen, daß die SPÖ bis zum Anfang der 80er Jahre in der Lage war, die Linken zu integrieren?

Bruno: Es hat schon eine eigenständige Entwicklung gegeben, aber sie war keine relevante Größe. Es hat auch in Österreich eine autonome Jugendzentrumsbewegung gegeben, in Vorarlberg, in Oberösterreich und in Wien.
Der österreichische Staat hat sich jedoch nie richtig herausgefordert gefühlt. Außerdem gab es wenig Punkte, an denen sich einerseits die Radikalisierung einer Bewegung ergeben hätte und die andererseits für ihre Kontinuität gesorgt hätten. Zwar gibt es autonome Geschichte, die auch hier aus Hausbesetzungen besteht oder aber aus den Opernball-Protesten. Auf der anderen Seite gibt es aber auch viele Momente von Widerstand, die bürgerlich besetzt waren, wo bürgerliche Gruppierungen immer die Oberhand gehabt haben. Sei es jetzt Hainburg oder Zwentendorf gewesen.11.6 In diesem Widerstand waren linksradikale Positionen nur sehr schwach vertreten.

Welche Perspektive seht ihr unter diesen Voraussetzungen für eure Arbeit?

Anton: Da sind wir ziemlich ratlos. Zunächst sollten wir von linksradikaler Seite her einen eigenständigen Diskussions- und Aktionszusammenhang herstellen und unter uns endlich eine Verbindlichkeit und Kontinuität in der politischen Arbeit erreichen.



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