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Vorwort

Eine große Anzahl von Linken hat sich in den letzten Jahren in antifaschistischen Gruppen organisiert. Viele, vor allem auch jüngere, Menschen reagieren damit auf einen immer aggressiver und offener auftretenden Neofaschismus in der (neuen) Bundesrepublik und arbeiten der staatlicherseits betriebenen Verharmlosung nazistischer Gruppen entgegen. Es ist nicht zuletzt dem direkten praktischen Engagement autonomer Antifa-Gruppen zu verdanken, daß Neonazis ihrem mörderischen Handwerk nicht unbehelligt nachgehen können. Denn nicht erst seit dem Rostocker Pogrom bestehen erhebliche Zweifel an der »demokratischen« Gesinnung staatlicher Behörden und der Polizei.

Als Herausgeber dieses Buches haben wir im Herbst 1993 Gespräche mit verschiedenen antifaschistischen Gruppen aus der Bundesrepublik, der Schweiz und Österreich geführt. Sie wurden nach ihrer Enstehungsgeschichte, ihrer aktuellen politischen Arbeit, ihren politischen Einschätzungen und Zielen befragt. Die von den Gruppen autorisierten Interviews vermitteln einen lebhaften und repräsentativen Querschnitt von dem derzeit wohl aktivsten Teil der autonomen Linken. Die Gespräche mit AntifaschistInnen aus Bern, Zürich, St. Gallen, Winterthur und Wien wurden mit aufgenommen, weil wir wissen wollten, wie Linke mit ähnlichen Problemen im benachbarten Ausland damit umgehen. Freilich hätten wir auch antifaschistische Gruppen aus Polen oder Frankreich besuchen können. Diesen Gedanken mußten wir aber verwerfen, da es zum jetzigen Zeitpunkt unsere materiellen und personellen Kräfte überfordert hätte.

Die Auswahl der bundesdeutschen Gruppen erfolgte nach der Maßgabe, den verschiedenen in der autonomen Antifa existierenden Strömungen und Ansätzen einigermaßen gerecht zu werden. Neben den übergreifend ideologischen, sollten die Besonderheiten, die sich aus Unterschieden der sozialen Zusammensetzung nach Alter, Geschlecht und Region möglicherweise ergeben, exemplarisch repräsentiert sein. Die von uns befragten Gruppen sind nun nicht als die »Speerspitze der Bewegung« mißzuverstehen. Selbstredend hätten wir andere Gruppen aus der ehemaligen DDR, Fantifa-Gruppen aus anderen Orten, »Alt«-Antifas oder »Jugendfrontler« aus anderen westdeutschen Städten usw. befragen können. Wir hoffen, daß sich ein Großteil der autonomen Antifa-Gruppen in der einen oder anderen geäußerten Position wiederfindet; dem Umfang jedes Buchprojektes sind einfach auch quantitativ Grenzen gesetzt.


Durch die Wahl der Interviewform sind in diesem Buch auch aktive Antifas vertreten, die ansonsten keine umfangreichere Textproduktion betreiben. Die aufgezeichnete mündliche Kommunikation schien uns das beste Mittel, damit über einen subjektiven Zugang möglichst viele der Beteiligten zu Wort kommen, also nicht von vornherein bestimmte Personen und Gruppen ausgeschlossen sind.

Schon vor dem Zusammenbruch der DDR bildeten sich dort gegen die immer aggressiver auftretenden Nazis antifaschistische Strukturen heraus. Nicht erst seit 1989 mischten sich Linke da ein, wo es den offiziellen »Antifaschismus« schlichtweg nur auf dem Papier gab. Schließlich kam es wiederholt im Verlauf der 80er Jahre zu Schändungen jüdischer Friedhöfe und zu rassistischen Angriffen vor allem auf aus anderen »sozialistischen« Staaten kommende »Vertragsarbeiter«. In den Interviews schildern Gruppen aus der ehemaligen DDR die Schwierigkeiten, die sie speziell in den ersten beiden Jahren nach dem Anschluß mit dem aufkommenden Neofaschismus hatten. Die »West-Linke« verhielt sich weitgehend passiv, während neofaschistische Reisekader in den letzten Winkeln der DDR auftauchten. In etlichen Städten der ehemaligen DDR gewann die Neonazi-Szene mit der völkischen Welle, die den Anschluß der DDR begleitete, unter den Jugendlichen die Oberhand und terrorisiert die ihnen Mißliebigen. An anderen Orten konnte sie nach zum Teil sehr heftigen Auseinandersetzungen in die Schranken gewiesen werden. Die Arbeit ostdeutscher Antifa-Gruppen ist im Westen kaum bekannt. In den Gesprächen wurde deutlich, daß von den westdeutschen Gruppen weiterhin wenig Kontakte zu ostdeutschen Antifas existieren.

Die Erfahrungen ost- wie westdeutscher Antifa-Gruppen zeigen sehr deutlich, daß es offensichtlich Situationen gibt, in denen man sich die Mittel des Widerstandes nicht frei aussuchen kann. Von Ort und Zeitpunkt verschieden, haben sich Antifa-Strukturen zumeist als Reaktion auf fortwährende Naziangriffe gebildet. In Westdeutschland kam es ab Anfang der 80er Jahre in allen möglichen Regionen zu direkten Auseinandersetzungen zwischen Linken und der neuen Generation der Nazis. Trauten sich die Altfaschisten in der Bundesrepublik bis dahin zumindest nicht allzu öffentlich an Linke und MigrantInnen heran, versuchten die Neonazis nun auch direkt in den großstädtischen Hochburgen der linken bzw. alternativen Szene und in den Vierteln mit hohem MigrantInnen-Anteil Fuß zu fassen. Ähnlich war es in der Schweiz, als Nazis neben den MigrantInnen auch immer wieder die einst dort sehr starke 80er-Bewegung angriffen; in Österreich war eines der faschistischen Angriffsziele die autonomen Demonstrationen zum Wiener Opernball.

Der gewalttätig vorgehenden Neofaschisten konnte sich allerorten nur selbstorganisiert und militant erwehrt werden. In Jugendklubs, bei Konzerten, in Kneipen, auf der Straße oder an den Schulen stehen gerade Jugendliche oftmals vor der Frage, Neofaschisten das Feld zu überlassen oder sich, mit allen Konsequenzen, dagegen zusammenzuschließen. Diese existentiell überlebensnotwendigen Auseinandersetzungen finden, von der Öffentlichkeit weitgehend ignoriert, an allen (un)möglichen Orten in der gesamten Republik statt.

Nazis tauchen aber nicht aus dem Nichts auf. Die staatlicherseits betriebene Verschiebung der Gesellschaft nach rechts findet auf gesellschaftlicher Ebene ihre Entsprechung. Die Toleranzschwelle staatlicher Behörden gegenüber nazistischer Gewalt ist hierzulande traditionell sehr hoch. Bevor Neonazis Häuser anzünden und Menschen verbrennen, hat sich in der Regel schon alltäglich einiges weniger »Sensationelles« ereignet, ohne daß dagegen energisch eingeschritten worden wäre. Und selbst wenn es richtig zu sein scheint, Justizbehörden und Polizei weiterhin an ihre »demokratische« Verfaßtheit zu erinnern, hilft das wenig gegen ein blaues Auge oder einen antisemitischen »Witz«. Selbst bei weitaus drastischeren Vorkommnissen muß häufig erst ein öffentlicher Druck entfacht werden, damit die Behörden gegen die neonazistischen Täter überhaupt strafrechtliche Ermittlungen einleiten.

Aus den unmittelbaren und aufgezwungenen Konfrontationen mit Neonazis haben sich in der alten Bundesrepublik in den 80er Jahren dauerhafte Strukturen der Abwehr, die autonome Antifa, herausgebildet. Relativ früh wurde entgegen den offiziellen Verlautbarungen klar, daß hinter den plötzlich auftauchenden Nazischlägern straff organisierte Kader neofaschistischer Organisationen standen (und stehen). Zwangsläufig mußten die Organisationsstrukturen der Neonazis aufgedeckt werden, um sie bekämpfen zu können. In der autonomen Antifa hat sich durchgesetzt, zwischen faschistischen »Führern« und Mitläufern einer mittlerweile entstandenen Nazi-Szene zu differenzieren und, sofern es die Situation zuläßt, mit unterschiedlichen Mitteln gegen sie vorzugehen. Gewalt wird von den meisten organisierten Antifas als letztes und abschreckendes Mittel befürwortet. Nach Möglichkeit wird es dosiert gegen die Drahtzieher des braunen Netzes eingesetzt, um diese von ihrem Rekrutierungsfeld zu isolieren und so weitere Gewalttaten zu verhindern. Der Einsatz von Gewalt ist in der Regel zielgerichtet und soll auch für den faschistischen Gegner einschätzbar bleiben. Er dient der Abschreckung und soll den Neofaschisten deutlich machen, daß es auch für ihre persönliche Existenz von Vorteil ist, sich zu mäßigen. Die praktischen Auseinandersetzungen haben gezeigt, daß Nazigruppen sehr autoritär verfaßt sind und es oftmals ausgereicht hat, sich den wüstesten Schlägerführer vor den Augen seiner »Kameraden« herauszugreifen, um deren Mannes- und Überlegenheitskult zu brechen. Nur wer sich nüchtern darauf einstellt, die verschiedenen Sprachen auch zu sprechen, kann damit rechnen, von schlagenden Nazis ernst genommen zu werden und Einfluß auf ihr Verhalten ausüben zu können. Das ist nicht schön, läßt sich aber bei einem überwiegend brutal vorgehenden Gegner nicht ändern.

Die Frage nach einem sinnvollen militanten Auftreten zieht sich durch alle Gespräche der von uns befragten Gruppen. Viele kritisieren hierbei die einseitige Fixierung mancher Antifas auf unreflektierte, oftmals machistische Aktionen. Ältere autonome Antifas sehen im Vergleich zu den 80er Jahren ein Schwinden der politischen Qualität und einen Rückfall hinter bereits geführte Diskussionen um Militanz. In den Gesprächen wird auch deutlich, daß militantes Vorgehen für die meisten Antifa-Gruppen nur ein Bestandteil ihrer Politik ist. Viele Gruppen organisieren politische und kulturelle Veranstaltungen, erstellen Broschüren und Zeitschriften, machen Jugendarbeit, arbeiten noch in anderen linken Projekten oder haben theoretische Schwerpunktsetzungen. Allgemein hat sich eine Akzeptanz verschiedener Arbeits- und Ausdrucksformen durchgesetzt - allerdings unter dem voraussetzenden Anspruch, je nach den persönlichen Möglichkeiten gegen Neonazis auch praktisch im öffentlichen Raum zu intervenieren.

Wie eine solche Praxis aussieht, ist von Fall zu Fall verschieden. In letzter Zeit bemühen sich einige Antifa-Gruppen um eine bessere öffentliche Darstellung ihrer Politik. Die regionalen Medien werden nun immer öfter mit Material zu den örtlichen Neonazi-Szenen versorgt, da erkannt wurde, daß ein guter Artikel manchmal mehr politischen Druck ausüben kann als eine klandestine Aktion.

Im Gegensatz zur übrigen autonomen Szene hat die autonome Antifa in den letzten Jahren gerade einen enormen Zulauf von Jüngeren erfahren. In den Gesprächen machen Antifas neben den allgemeinen politischen Konjunkturen die älteren Autonomen dafür selbst verantwortlich. Sie hätten den Umschlag vom klapprigen Altfaschismus zu einem aggressiven Neonazismus in der Bundesrepublik nicht erkannt und die davon Bedrohten allein gelassen. Subjektivistische revolutionäre Flausen, kombiniert mit einer alternativen Beliebigkeit, hätten vielleicht für einen gemütlichen Kneipenabend gereicht, aber, die antirassistischen autonomen Gruppen ausgenommen, mit antifaschistischer Praxis wenig zu tun. Auch hätte die autonome Bewegung sich nicht mit ihren Niederlagen auseinandergesetzt, geschweige denn Formen gefunden, wie sie die gemachten Erfahrungen an jüngere Leute hätte vermitteln können. Durch die Organisierung in autonomen Antifa-Gruppen seien eine größere Verbindlichkeit und die konkrete Arbeit wenigstens an einem zentralen Punkt im Kontext linksradikaler Politik gewährleistet worden.

Mag man der allgemeinen Kritik an den desolaten Strukturen autonomer Politik vielleicht zustimmen, so ist doch fraglich, inwiefern die Antifa davon weniger betroffen sein soll. Momentan gibt es zwei Hauptströmungen, die perspektivisch verschiedene Organisationsmodelle vertreten. Die einen versuchen über die Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisierung (AA/BO) eine überregionale, handlungsfähige Organisation zu schaffen. Die KritikerInnen dieses Modells, und das ist nicht gerade die Minderheit unter den Antifas, befürchten einen zentralistischen, hierarchischen und autoritären Wasserkopf, der die verschiedenen Antifa-Gruppen nur auf eine ideologische Linie bringen will. Die Kritik entzündet sich insbesondere an einer der treibenden Kräfte in der AA/BO, der Antifa (M) aus Göttingen. Sie propagiert einen »Antifaschismus auf antiimperialistischer Grundlage«, den andere Antifa-Gruppen als eine Neuauflage der Philosophie des Klassenkampfes auf parteikommunistischer Grundlage betrachten und deswegen ablehnen. Wie auch immer dieser ideologische Richtungsstreit ausgeht, in diesem Band kommen Antifa-Gruppen mit unterschiedlichen inhaltlichen Ansätzen zu Wort.

Nicht mehr zustande kam das vorgesehene Gespräch mit einer Nachfolgegruppe von Antifascist Genclik aus Berlin. Dieser Interviewtermin sollte der letzte auf unserer Reiseroute sein. Ein paar Tage bevor wir es führen wollten, verhaftete der Staatsschutz fünf Leute aus dem Umfeld der kurdisch-türkischen Antifa-Gruppe. Der Staatsschutz wirft ihnen eine Beteiligung an der Ermordung des Führungsfunktionärs Gerhard Kaindl von der faschistischen »Deutschen Liga für Volk und Heimat« vor. Kaindl war im April 1992 von einer vermummten Person in einer Berliner Gaststätte erstochen worden. Insgesamt stellte der Staatsschutz in diesem Zusammenhang 18 Haftbefehle gegen überwiegend kurdische und türkische Linke aus. Der Vorwurf lautet auf Verabredung zum Mord, wobei bis zur Niederschrift dieser Zeilen noch keine Erkenntnisse vorlagen, worauf sich diese Behauptung stützen will. Antifascist Genclik war bei den Behörden seit längerem äußerst unbeliebt, weil diese Gruppe gute Kontakte zur bundesdeutschen Linken unterhielt und versuchte, die vom Rassismus bedrohten türkischen Jugendlichen in der Antifa zu organisieren.



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