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Vorwort | Frauen sind nicht weniger rassistisch ... |
Gespräch mit Hamburger Antifas
Neben Städten wie Nürnberg, Westberlin und Frankfurt/M. hat sich auch in Hamburg bereits sehr früh ein kontinuierlich tätiger autonomer Antifa-Zusammenhang herausgebildet. Die Hamburger Antifa entstand aus den Auseinandersetzungen mit Neonazis Anfang der 80er Jahre in der Stadt. Die »Alt«-Antifas schildern in dem Gespräch die Entstehung und Entwicklung norddeutscher Antifa-Strukturen, inhaltliche Brüche, die es gab, und äußern ihre Skepsis, mit der sie die Antifa in den 90er Jahren betrachten.
Könnt ihr vielleicht eingangs die Situation in Hamburg Anfang der 80er Jahre schildern, die zur Herausbildung von Antifa-Gruppen führte?
Achim: Es gab da ein ehemaliges Kino, in dem sich regelmäßig Typen von der »Savage Army« getroffen haben. Die »Savage Army« war eine Gruppe ohne großen politischen Hintergrund, die aber rechts einzuordnen war. Die haben zusammen mit den »Löwen«, einem damaligen rechten Fußballfanclub des HSV, Leute verprügelt, als schlagender Anhang der ANS2.1. Anfangs waren die aber schwer einzuordnen gewesen.
Benno: Rechte wie Linke kannten sich damals alle und hatten in Hamburg einen gemeinsamen Punk-Hintergrund. Und die Diskussion entfachte sich dann erst an der Punk-Musik, daran, welche Bands nun rechts und welche links waren. Aus der Punk-Szene heraus entstand auch die »Savage Army«, aus der sich dann später viele Hamburger Faschisten rekrutierten. Die »Savage Army« war eine der ersten medienwirksamen Schlägertruppen in der BRD. Anfangs hatten die noch Kontakte ins links anpolitisierte Punk-Spektrum. Erst im Laufe der Jahre hat sich das polarisiert und eindeutig auseinanderentwickelt. Führende Hamburger Fascho-Schläger, Figuren wie Wacker, Grashoff oder Burkhardt, kamen alle mal aus der Punk-Szene.2.2
War das eine Hamburger Besonderheit, daß zunächst alle einfach Punks waren und sich dann bald in Nazi-Punks und linke Punks teilten und aufeinander losgegangen sind?
Benno: Mehr aufeinander eingedroschen haben.
Achim: Das war zu dem Zeitpunkt, als die Skin-Bewegung noch in den Anfängen war. Wacker ist später der führende Skin hier gewesen. Und da gab es viele, die sich an den Skins orientierten und die schon sehr früh rechts waren. Das war aber zunächst eher 'ne Clique als ein fester ideologischer Zusammenschluß.
In der Auseinandersetzung mit dieser rechten Szene hat sich das »Antifaschistische Bündnis« herausgebildet. Das war Anfang der 80er ein sehr breites Bündnis. Es setzte sich zusammen aus Mitgliedern vom damals in Hamburg sehr starken Kommunistischen Bund (KB), dem DKP- und dem Volksfront-Spektrum, aus autonomen Gruppen und diversen anderen Organisationen. Später, als das Bündnis seine Tätigkeit ausweitete, kamen noch weitere dazu. Das war, als wir versuchten, den Bundesparteitag der NPD in Fallingbostel zu verhindern.
Christine: Fallingbostel ist ein Kaff in der Heide, und die Aktion dort bedeutete für den norddeutschen Raum das Comingout der autonomen Antifa. Obwohl auch Gruppen aus dem traditionellen Spektrum wie die VVN hinmobilisierten, bestimmte die autonome Antifa eindeutig das Bild und konnte ihre militanten Formen durchsetzen, als es zu Auseinandersetzungen um die Erstürmung der Halle kam.
Ist die Halle gestürmt worden?
Achim: Nein, sie ist nicht gestürmt worden, das haben die Bullen verhindert. Aber etwas anderes wurde im nachhinein sehr bedeutsam. Ein Fotograf hatte Fotos von der Auseinandersetzung zwischen DemonstrantInnen und den Bullen gemacht und auch veröffentlicht. Aufgrund dieser Bilder gab es dann den ersten bedeutsamen Versuch, Leute von uns zu kriminalisieren. Auf den Fotos konnten einzelne genau erkannt werden. Zudem kam dieser Fotograf aus KB-Zusammenhängen, und daran entwickelte sich auch ein Konflikt zwischen der autonomen Antifa und dem KB.
Der Fotograf hatte die Fotos einfach weiterverkauft?
Achim: Nein, die sind damals in der Zeitung des KB, dem AK, veröffentlicht worden. Diese Veröffentlichung zeigte deutlich, wie wenig die mit diesen militanten Auseinandersetzungen zu tun hatten. Da sie selber eher legalistische Politik betrieben, haben sie die Kriminalisierungsgefahr für andere eben überhaupt nicht in Erwägung gezogen.
Der KB ist letztendlich aus dem Antifaschistischen Bündnis ausgeschieden. Das hatte vor allem damit zu tun, daß sie diesen »Verhandlungs«-Antifaschismus immer weiter betrieben: also Material sammeln, eine Broschüre machen, einen Nazi outen und hoffen, daß der Staat dann schon was machen wird. Unsere Überlegungen beim Kampf gegen Nazis gingen eher dahin, nicht so sehr auf die bürgerliche Öffentlichkeit oder den Staat zu vertrauen. Aus den Kontroversen um die Aktion in Fallingbostel hat sich dann ein überregionaler Antifa-Zusammenhang entwickelt.
Dieses norddeutsche Antifa-Plenum bestand überwiegend aus autonomen Gruppen. Es gab so einen Minimalkonsens, eine von traditionellen Gruppen wie der VVN und dem KB unabhängige Antifa-Politik entwickeln zu wollen.
Und was gehörte noch zu dem Minimalkonsens?
Achim: Militanz.
Christine: Auf jeden Fall konkret eingreifen. Das was die autonome Antifa lange bestimmt hat, war eben, gegen irgendwelche Faschistentreffen direkt vorzugehen oder gefährdete Orte wie Jugendzentren gegen Fascho-Angriffe zu verteidigen.
Gleichzeitig sollte das mehr sein als nur ein Anti-Nazi-Kampf, also ein ewiges Den-Nazis-Hinterherlaufen. Wir richteten uns auch gegen den Staat, und von daher war es widersinnig, an den Staat irgendwelche Appelle zu richten, Nazi-Organisationen zu verbieten, wie das die VVN tat.
Achim: Unterschiedliche Vorstellungen gab es bei uns vor allem um die Frage, inwieweit eine Bündnispolitik mit reformistischen Kräften aus der Linken sinnvoll ist.
Aber zunächst hat sich in Hamburg das, was sich später Antifaschistisches Bündnis nannte, aus einer sehr unmittelbaren Auseinandersetzung, dem sehr offenen Auftreten von Neonazis auch in den sogenannten Szene-Stadtteilen, entwickelt?
Benno: Ja, die waren sehr offensiv.
Achim: Einmal ist Wacker angetrunken in die Kneipe »Onkel Otto« in die Hafenstraße gekommen und hat sich da dreist hingesetzt. Zu diesem Zeitpunkt war allen bereits klar, daß das ein rechter Skinhead ist. Der kam ursprünglich aus der Wiking-Jugend und hat hier versucht, systematisch zu agitieren. Wacker ist ins »Onkel Otto« gekommen und hat offensichtlich nicht einmal damit gerechnet, daß er da unerwünscht sein könnte.
Benno: Genau, das ging dann so weit, daß er erst eine Keule auf den Kopf bekam und so einen mittleren Schädelbasisbruch hatte. Und am darauffolgenden Wochenende spielte der HSV gegen die Dortmunder Borussia. Da ging das los mit diesem »Am-Wochenende-ist-Fußball-und-da-greifen-wir-die-Hafenstraße-an«. Da schrien die Rechten dann »Rache für Wacker«. Damals gab es die »Borussen-Front« unter der Führung von Siegfried Borchardt2.3 noch, die kamen dann alle, und auch andere Fußballfanclubs solidarisierten sich mit den Nazis und mobilisierten zum Sturm auf die Hafenstraße. Die waren dann auch etwa 300 Leute, nur haben die Bullen die dann an den Landungsbrücken abgefangen.
Das ist auch so ein Punkt, den man relativ rasch vergißt: der Hafen als das ewige Angriffsziel. Unter Linken führte die Bedrohung der Hafenstraße dazu, daß es auch zu einer Einbindung von Leuten kam, die damit eigentlich wenig zu tun hatten, vor allem von Punks, die so mehr aus der Häuserkampfszene waren. Also, bei mir war das auch so, es gab halt diese Konfrontation mit den Rechten, man hing halt auch im Viertel um den Hafen rum, und da mußten wir uns dazu verhalten.
In der Folgezeit ist man dazu übergegangen, in den jeweiligen Stadtteilen sich zu organisieren und die Faschisten und ihre Treffpunkte dort anzugreifen. Es gab ja Kneipen, von denen man wußte, daß sie als Nazi-Treffpunkte fungierten. Und da sind dann eben Antifas rein, mit Haßkappen und Keulen usw. ...
Haben die Faschisten in den frühen 8Oer Jahren vorwiegend Jagd auf Linke gemacht, sind sie nicht von Anfang an auch auf Menschen losgegangen, die sie für Ausländer hielten?
Achim: 1985 ist Ramazan Avczi am Landwehrbahnhof im Osten Hamburgs ermordet worden. Er ist dort an einer bekannten Faschistenkneipe vorbeigegangen und von Nazis angefallen worden. Er war noch mit zwei anderen Leuten unterwegs, die entkommen konnten. Die Nazis haben Avczi erst niedergeschlagen und sind dann noch mit dem Auto über ihn drübergefahren. Das war das erste Mal, an das ich mich erinnern kann, daß die Nazis für alle unübersehbar mit dieser Brutalität gegen MigrantInnen vorgegangen sind.
Gab es in der Folge eine nennenswerte Zusammenarbeit zwischen der (deutschen) Linken und verschiedenen Migranten-Gruppen hier in der Stadt? Wie haben denn die MigrantInnen in Hamburg auf die Angriffe der Faschisten reagiert?
Benno: Es gab ziemlich starke Jugendgangs von Einwanderern in vielen Stadtteilen. Eine nannte sich die »Champs« und hat sich wohl auch aus der Notwendigkeit zur Selbstverteidigung gegründet. Die waren ziemlich stark, in Bergedorf gab es die »Red Bombers« ... Anläßlich der Ermordung von Avczi gab es eine Demonstration von etwa 15000 Menschen. Punktuell gab es einzelne, mit denen man was machen konnte. Die Jugendgangs haben sich mit den Glatzen richtig gebeult, sind aber ganz schnell von den Bullen ausgehebelt und kriminalisiert worden. Zum Teil lief das über diese Drogenschiene und dann aber eben auch über den § 129. Die Bombers in Bergedorf sind tierisch schnell plattgemacht worden. Nachdem sie sich ein paarmal so richtig massive Schlägereien mit Rechten geliefert hatten, mit so direkten Ansagen wie »wir machen Bergedorf Skinhead-frei«, ist da ganz schnell der Staatsschutz gekommen und hat denen wahnsinnig eins reingewürgt. Und das lief auch unter einer ziemlichen Ignoranz der linken Öffentlichkeit, von einer solidarischen Zusammenarbeit kann da keine Rede sein.
Christine: Es fehlten aber auch einfach die Kontakte untereinander, und so gab es in dem Sinne keine klare Zusammenarbeit.
Benno: Es gab nur eine gewisse Sympathie.
Achim: Es gab schon Versuche, sie anzusprechen, obwohl die Gangs für uns politisch schwer einzuschätzen waren. Punktuell gab es Kontakte und eine Zusammenarbeit. Bei mehreren Angriffen auf die Hafenstraße waren sie präsent und haben den Hafen mit verteidigt. Versuche, eine gemeinsame kontinuierlichere Praxis zu entwickeln, haben sich aber als sehr schwierig herausgestellt. Die Gangs waren eher hierarchisch organisiert, wir mußten halt den Chef ansprechen, und der hat dann gesagt »so machen wir das« und hat das dann nach unten weitergegeben.
Die intensivste Zusammenarbeit hatten wir mit den »Champs«. Aber leider haben Teile der »Champs« dann versucht, hier in St. Pauli in die Zuhälterei reinzukommen, und haben ihre Gang-Struktur dazu benutzt.
Wir haben die Zusammenarbeit mit den »Champs« dann schnell eingestellt. Einerseits standen die Gruppen unter starkem Druck vom Staatsschutz und waren nicht mehr so einfach zu kontaktieren, andererseits haben sie Interessen entwickelt, die mit unseren Vorstellungen nicht zu vereinbaren waren.
Was für Erklärungen hattet ihr, warum ausgerechnet Anfang der 80er Jahre so ein Erstarken der neonazistischen Szene festzustellen war?
Benno: Also, ein ganz einfaches Erklärungsmodell war, die Faschos als den illegalen Arm des rassistischen und kapitalistischen Staates zu verstehen. Das war ja auch die Zeit, als der KB seine große und von vielen Linken aufgegriffene Staatsfaschismus-Diskussion2.4 geführt hat. Aber von einer einheitlichen Einschätzung der verschiedenen Gruppen kann eigentlich kaum gesprochen werden.
Achim: Allgemein ist in der Analyse der gesellschaftlichen Situation aber davon ausgegangen worden, daß sich eine starke personelle und strukturelle faschistische Kontinuität durch die Geschichte der BRD zieht. Von daher unterblieb eine genauere Einschätzung, warum die Nazis in den 80er Jahren nun aktiver wurden. Das erstaunte nicht weiter.
Unsere Antifa-Arbeit orientierte sich eher daran, z.B. systematisch Informationen über Nazis zusammenzutragen, um überhaupt herauszukriegen, wie sie sich organisieren und an welchen Punkten man sie am besten treffen kann. Es gab natürlich Gruppen, die stärker inhaltlich arbeiteten und über den Faschismusbegriff und eine revolutionäre Perspektive diskutierten, und andere, die ihren Anti-Nazi-Kampf eher sehr praktisch begriffen und nicht viel diskutierten.
Benno: Auf der praktischen Ebene hat das auch ganz gut geklappt. Für die Faschisten ist das zu einem relativen Problem geworden. Wenn die sich hier auf dem Kiez blicken ließen, haben die wirklich damit rechnen müssen, auf die Fresse zu bekommen. Die konnten sich nur verdeckt bewegen und haben es auch nie geschafft, den Hafen zu knacken. Und wenn sie mal jemanden erwischt haben, dann konnten sie davon ausgehen, es umgehend zurückzubekommen. Die Faschisten sind ausgespäht worden und konnten sich auch privat nicht sicher fühlen. Es gab Hausbesuche ... Diese 35 Vorfälle in der Anklageschrift hat der Staatsschutz später ja nicht erfinden müssen.
Anklageschrift?
Benno: Ja, das war nach dieser Aktion gegen Worch2.5 der Versuch vom Staatsschutz, eine Antifa-Gruppe als terroristische Vereinigung dingfest zu machen.
Achim: Das war ein Einschnitt in Hamburg. Der Staatsapparat ist zum ersten Mal richtig massiv gegen AntifaschistInnen vorgegangen.
Was ist denn dem Worch damals widerfahren?
Benno: So viel war gar nicht passiert.
Achim: Der Presse war zu entnehmen, daß ein Kommando in die Wohnung der Worchs eingedrungen war und dort diverse Akten enteignete. Körperlich war denen weiter nichts geschehen.
Christine: Das Ehepaar Worch ist festgesetzt worden.
Wie festgesetzt worden?
Christine: In der Erklärung des Antifa-Kommandos stand, man sei in die Wohnung reingegangen, habe die Worchs überwältigt und gefesselt, um gezielt dort die Unterlagen mitzunehmen, die Aufschluß über die faschistische Organisierung lieferten.
Das war sozusagen eine Recherche-Aktion?
Achim: Sozusagen. Sieht so aus.
Christine: Ja, das Ziel war eben, an Informationen über die faschistische Organisationsstruktur heranzukommen. Das ist eben nicht immer ganz einfach.
Benno: Sofern ich mich richtig erinnere, tauchte das Material dann aber nie auf und konnte, wie es von dem Kommando angekündigt worden war, nie in die Antifa-Arbeit einfließen.
Christine: Ich würde davon ausgehen, daß die »Rechercheure« sich sehr wohl überlegt haben, was sie mit dem gewonnenen Material anfangen konnten.
An dieser Stelle des Gespräches folgte eine längere Passage über die Stellung und die Politik des Antifaschistischen Bündnisses zu anderen Gruppen in der Stadt. Nach einer Reihe von internen Auseinandersetzungen, deren politischer Gehalt aber während des Interviews nicht zu klären war, löste sich das Antifaschistische Bündnis Ende der 80er Jahre auf. Dem Bündnis, der »Combo«, wurde von anderen Linken vorgeworfen, sehr instrumentell und autoritär ihre Sachen durchzuziehen. Während sich neue Antifa-Zusammenhänge in der Stadt herausbildeten, isolierte sich das Bündnis und wurde praktisch arbeitsunfähig.
Achim: Wenn wir die persönlichen Gründe, die intern zur Spaltung beigetragen haben, einmal weglassen, dann glaube ich, daß sich im wesentlichen ein Widerspruch herausgebildet hatte, an dem Ansatz, der so Mitte der 80er Jahre in Berlin mit dieser Antifa-Jugendfront entwickelt wurde, ein Konzept, das so eher eine Massenarbeit beinhaltete und das von Teilen der Autonomen in Hamburg übernommen wurde. Beim Bündnis gab es aber die Tendenz, Gruppen zu verkleinern und die Arbeit zu intensivieren, auch die theoretische. Die Diskussionen waren nicht mehr so angelegt, daß neue Leute sich daran hätten beteiligen können, und wir waren nicht mehr in der Lage, zwischen verschiedenen Erfahrungen zu vermitteln.
Parallel zu unserer Spaltung und Isolation hatten sich mit der Jugendfront, der Antifaschistischen Koordination, der Antifa-Hamburg neue Zusammenhänge entwickelt, die im Prinzip die Arbeit machten, die einst das Bündnis leistete. Das antifaschistische Bündnis löste sich dann endgültig auf, als die GenossInnen, die wegen der Worch-Geschichte in U-Haft saßen, wieder rauskamen.
Benno: Das war halt schon so in anderen Gruppen, also, ich war auch in einer anderen Gruppe, daß es hieß, da kommt jemand aus dem Bündnis, das ist eine persona non grata (ohne Stellung und ohne Würde), die mißtrauisch beäugt werden mußte. Bei Leuten aus dem Bündnis wurde immer sofort eine üble Taktik vermutet, bei der man irgendwie über den Tisch gezogen werden sollte. Man darf auch die Kraft der linken Gerüchteküche nicht vergessen, und nach dem Prozeß, den merkwürdigen Erklärungen und dem beabsichtigten Hungerstreik hielt sich das recht lange.
Zum Bündnis muß man schon sagen: Das war eine Gruppe, die gesagt hat, da geht es lang. Eine nach außen hin geschlossene Gruppe, die gegenüber den anderen so aufgetreten ist wie: Ihr habt kein Recht, diese Politik zu machen, ihr müßt das so machen, oder ihr seid einfach Idioten. Diese Struktur war ja nicht unbedingt ein Sieg antifaschistischer Organisationsleistung und hat dazu geführt, daß viele nicht nur inhaltlich, sondern auch persönlich mit denen enorme Probleme hatten. Diese ganzen sich daraus ergebenden Verhaltensweisen, die Gerüchte und Unterstellungen sind ja auch heute noch ein Ausdruck viel allgemeinerer Organisationsprobleme.
Achim: Die Frage nach einer sinnvollen Organisierung ist aber bis heute ungelöst. Die offenere Form von Antifa-Arbeit, die sich bundesweit durchgesetzt hat, ist auch verantwortlich dafür, daß die Antifa-Politik inhaltsloser geworden ist, die inhaltlichen Auseinandersetzungen auf einem flacheren Niveau stattfinden, als das etwa Mitte der 80er der Fall war.
Woran machst du das fest?
Achim: Innerhalb der norddeutschen Antifa und auch im Bündnis gab es beispielsweise eine intensive Diskussion um patriarchale Strukturen und das Mackergebaren2.6 besonders in linken Zusammenhängen. Wenn ich sehe, wie sich die Jungs heute auf Antifa-Demos wieder aufführen, dann ist von diesen Diskussionen wenig übriggeblieben.
Benno: Das, was wir unter Militanz verstanden, gibt es so heute nicht mehr, nur noch ein Bedürfnis, militant sein zu wollen. Es gibt die Auseinandersetzungen und Diskussionen nicht mehr, die zu so einer Militanz führen könnten, wie man inhaltlich zu Aktionsformen findet, die militant sind und auch »Schwächere« mit ihren jeweiligen Fähigkeiten einbinden können, solche Diskussionen werden erst gar nicht mehr geführt. Mit der Zeit hat sich eine Struktur herausgebildet, zu fünft oder sechst Aktionen durchzuziehen, die halt keiner gerne macht, die aber gemacht werden müssen. Mit der Zeit gerätst du in so eine beschissene Dienstleistungsstruktur und stehst da als der harte Hauer, der du gar nicht bist, vielleicht mit ein paar Jährchen mehr Erfahrung, mehr aber auch nicht. In Wirklichkeit ist aber so eine Gruppe auch Ausdruck einer Schwäche dieser ganzen autonomen und antifaschistischen Linken. Bei diesen 100-Personen-Demos läuft das darauf hinaus, daß die 15 »Härtesten« halt stehen bleiben, und der Rest kann dann irgendwie sehen, wie er klarkommt. Zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung, einer Hinterfragung der eigenen Rolle als Voraussetzung für eine verantwortliche Handlungsweise, kommt es in der Regel weder vorher noch hinterher.
Kannst du die politischen Vorstellungen, die du mit dem Militanzbegriff verbindest, genauer umreißen?
Benno: Militanz gibt es einmal als ganz einfache Anti-Nazi-Politik, also drauf und gut. Und dann gibt es Militanz als Ausdruck einer grundsätzlichen Opposition gegenüber dem kapitalistischen Staat, die in Relation zu anderen Aktionsformen oder Kampfformen steht, die eben mehr beinhalten als die »Knüppel auf den Kopf«-Politik. Ansonsten wirst du im Grunde wie dein Gegner, fängst an abzustumpfen und hinterfragst nicht mehr die Bedeutung deines Handelns.
Es gab so eine Tendenz in den 80er Jahren, daß ganz viele von uns angefangen haben, Kampfsport zu machen. Das war auch durchaus sinnvoll, nur der interessante Effekt war, daß der weitaus größere Teil dann aus dem antifaschistischen Kampf ausgestiegen ist. Und das hängt mit diesem Fixieren auf die körperliche Auseinandersetzung zusammen; der Kampf wird nicht mehr konkret und kollektiv für etwas geführt, sondern du fängst eben wirklich selbst an, die Welt unter paramilitärischen Vorzeichen zu betrachten. Du trachtest danach, deine sonderbaren Fähigkeiten immer weiter zu perfektionieren, wirst immer »stärker«, und am Ende machst du nichts mehr, weil in deiner Vorstellung dein Gegner ständig mitwächst, übermächtig ist. Das gleiche praktizieren die Faschisten ja seit 20 Jahren. Pro forma beziehen die einen Großteil ihrer Identität aus Wehrsportübungen. Und eigentlich sind die auf der paramilitärischen Ebene den Linken haushoch überlegen, und trotzdem kriegen die auf der Ebene kein Bein auf den Boden. Die kriegen doch alle irgendwie eine Paranoia und dämonisieren den Gegner. So eine Wehrsportübung ist oftmals eine Endlosschleife, immer ist man noch nicht gut genug, alles wird unter militärischen Aspekten gedacht, und am Ende ist alles Idiotismus. Und genau diese Tendenz ist derzeit auch wieder ganz massiv bei linken Gruppen zu beobachten.
Wie bewertet ihr, nach dem, was ihr an Antifa-Politk hier kritisiert, den derzeitigen Versuch einiger Gruppen, eine bundesweite Organisation, die AA/B0, zu schaffen?
Achim: Ich kritisiere daran, daß sie versuchen, eine Organisation von oben nach unten durchzuorganisieren. Da wird ein Wasserkopf bundesweit installiert, in dem Glauben, das würde sich schon irgendwie nach unten durchsetzen und inhaltlich füllen. Das widerspricht eigentlich jeder linken und autonomen Praxis und Lebenserfahrung. Natürlich scheint eine straff geführte Organisation erstmal Vorteile zu bringen, aber die Nachteile sind bekannt.
Benno: Diese Organisationsdebatte hat mit dem realen Leben und den Erfahrungen der einzelnen, mit denen ich zu tun habe, nichts zu tun. Sie kostet viel Zeit, und es kommt wenig bei raus.
Inhaltlich kann ich mit den Aktionsformen vieler Antifa-Gruppen wenig anfangen. Da gibt es eine Demo zu irgendeinem FAP-Dings oder wie in Halstenbek so ein symbolisches Muskelspielen, was real überhaupt nicht eingehalten werden kann. Ich habe, wie viele andere auch, keine Lust, wie in Wunsiedel alljährlich den Nazis hinterherzueiern. Was soll das für eine Qualität haben, was soll das für eine Gegenpräsenz sein, wenn 2000 Antifas zusammen mit 2000 Bullen 2000 Nazis hinterherziehen. Damit werden doch nur die Bilder für das Fernsehen, für das beliebte Links-rechts-Schema geliefert. Entweder du bist durch die Qualität des Vorgehens in der Lage, diese Bilder inhaltlich und symbolisch aufzulösen, oder du mußt dich fragen, was die ganze Aktion, der ganze Aufwand denn soll.
Oder diese Geschichte in Halstenbek. Diese Demo war auch als Unterstützung für die AntifaschistInnen vor Ort gedacht. Da liefen 1500 GroßstadtkämpferInnen mit Haßkappen durch ein Kuhdorf, keine Bullen weit und breit, dafür drei Kühe links und Wasser rechts. Und was denkt man, was das für eine Politikform sein soll? Einfach Quatsch.
Christine: Ja, sicher. Aber deine Art von Kritik ist mir einfach zu destruktiv. Du verlierst dabei die Zielvorstellungen derjenigen, die so etwas machen, aus den Augen. Ich finde es nach wie vor wichtig, auch wenn mal was mißlingt, da diese Antifa-Demos eine erstaunliche Mobilisierungskraft haben, die sonst nicht so ohne weiteres existiert. Also müßte eher darüber nachgedacht werden, wie gerade die, die länger zurückreichende Erfahrungen haben, versuchen, damit umzugehen.
Die Stärke der AA/BO, der Antifa (M), besteht ja darin, daß sie diejenigen sind, die handlungsfähig sind, die sich Vorstellungen machen, mit denen sich auch andere auseinandersetzen können.
Spielt denn bei euren Diskussionen und euren unterschiedlichen Positionen, was die weitere Vorgehensweise anbetrifft, so ein Begriff wie »antifaschistische Kultur« eine Rolle?
Achim: Ein Problem ist sicherlich, daß es keinen Organisierungsansatz gibt, der einen Austausch herstellen könnte, zwischen denen, die in Politgruppen fest drinnen stecken, und denen, die anpolitisiert sind und z.B. ein entsprechendes Konzert besuchen.
Die Antifa-Jugendfront ist so ein Ansatz gewesen, aber auch hier hat es sich als schwierig erwiesen, sie später in eine weitergehende politische Arbeit zu integrieren. Es sind doch relativ wenige, die am Ball bleiben.
Benno: Das ist aber ein Problem, welches die gesamte autonome Linke betrifft: eine deutlich zunehmende Unattraktivität. In den 80ern waren die Autonomen für viele attraktiv, weil es ein Modell zu sein schien, in der es ein Zusammengehen von einer unmittelbaren Lebensform und einem inhaltlichen Anspruch, von Alltag und politischer Position gab. Im Häuserkampf wurde potentiell der Raum für eine grundsätzliche Opposition aufgemacht, an denen alle möglichen Leute leicht 'rankamen und auch in der Szene Erfahrungen weitergegeben werden konnten. Es bedarf eben mehr als einer im strengen Sinne politischen Arbeit, mehr als Referate, Demos und Veranstaltungen organisieren. Es muß einen emanzipatorischen Ansatz von Leben geben, etwas, was sich hier und jetzt umsetzen läßt, etwas Attraktives, was die Menschen agitiert, etwas, wo Politik und Alltagsansprüche zusammengeführt werden. Es ist offensichtlich, daß das im Laufe der 80er immer schlechter hingehauen hat und als Modell in den Köpfen nicht mehr vorhanden ist.
Bedeutet das, daß Jüngere vor zehn Jahren im Kontext einer allgemeinen linken Szene anpolitisiert wurden und dann zu autonomen oder Antifa-Gruppen kamen und sie heute direkt von den Gruppen anpolitisiert werden müßten und daß darin ein Hauptproblem liegt?
Achim: Ende der 70er, Anfang der 80er war es so, daß sehr viele versuchten, sich Freiräume zu erkämpfen, erst in der Jugendzentrumsbewegung, später im Häuserkampf. Denen ging es darum, kleinere utopische Vorstellungen eines besseren Lebens konkret umzusetzen. Das war vom Anspruch her viel offensiver, als wenn sie sich heute in einer Antifa-Jugendfront zusammenschließen, da sie in der Regel direkt von der faschistischen Repression betroffen sind. Die sind in der Regel schon damit konfrontiert, daß sie aus einer defensiven Situation heraus agieren müssen. Oft ist es dann auch so gewesen, daß Jüngere, die in Vororten oder irgendwelchen Käffern unter Druck standen und sich organisierten, in die sogenannte, Szene-Viertel nach Berlin oder Hamburg zogen und dann im Szene-Sumpf verschwanden.
Benno: Es ist ja auch so, daß es bei der autonomen Linken nie ein Weitergeben von Erfahrungen gegeben hat. Um reinzukommen, hat es immer gereicht, ein entsprechendes Outfit zu haben, an den entsprechenden Orten rumzuhängen und halt irgendwie dabei zu sein. Das nervt seit Jahren, ohne das eine Lösung gefunden wäre. Im Grunde gibt es mittlerweile ein richtiges Generationenproblem, ein Riesengefälle an Auseinandersetzungen und Inhalten. Dazwischen liegen oftmals 10 bis 15 Jahre politische Erfahrung, ohne daß es einen öffentlichen Austausch gäbe.
Und dann steht man da und fragt sich: »Warum reden die so, warum treten die so auf, müssen die alle Fehler wiederholen, die man selber gelernt hat zu vermeiden?« Und: »Wieso sagt das denen denn keiner?« Das ist ein Schuh, den sich alle anziehen müssen.
GenossInnen, die Kritik an der autonomen Linken oder der Antifa-Politik haben, haben sich seit Jahren eher still und leise rausgezogen oder sich eben so am Rande, an der Seite der Szene positioniert und arbeiten nur noch mit denen zusammen, die auf dem gleichen Level sind. Das gilt für sehr viele, und für mich selbst gilt das auch. Ich habe mit den Autonomen nichts zu tun, außer mit denen, die ich persönlich kenne und einschätzen kann.
Irgendwann wird dir das einfach zu blöd, irgendeine Diskussion anzuleiern, dann wackeln alle mit dem Kopf, finden das wichtig, und das nächste Mal ist gleich nur noch die Hälfte da, und so geht das weiter. Die Diskussionsbereitschaft ist auch unter autonomen Linken nicht so groß und schon gar nicht die Fähigkeit, sich selbst einmal zur Disposition zu stellen. Es gibt gewisse Verhaltensweisen, die werden sich angeeignet, der Rest wird ausgesessen. All diese Billigkritik in den Flugzetteln, »Scheiß-Staat«, »Scheiß-Bullen«, überall Nazis und alles Kacke, und fünf Jahre später machen sie dann ihr Hausprojekt, haben halt Kinder und abonnieren »Psychologie heute« plus »Ökotest«.
Christine: Der zieht aber hier vom Leder, da kommt man überhaupt nicht mehr mit.
Achim: Ich glaube aber schon, daß es möglich ist, diese Entwicklung umzudrehen. Natürlich fällt es auf und macht traurig, wie viele GenossInnen sich gerade in letzter Zeit stillschweigend verabschieden. Mich nervt das auch, aber ich habe keine Lust, mich dauernd mit Typen rumzuschlagen, die frustriert sind und alles niederreden. Wenn ich selber als älterer autonomer Linker irgendwo aufkreuze und höre da einen alten resignierten Laberkopf, da habe ich auch keine Lust drauf, und auf Jüngere wirkt das bestimmt noch weniger motivierend. Dabei gibt es eine ganze Menge Jüngere, die Elan haben und zu gewinnen wären.
Wir würden jetzt ganz gern das Gespräch an dieser Stelle unterbrechen, um noch auf einen anderen Kontext zu sprechen zu kommen. Und zwar würde uns interessieren in welcher Weise sich, das was sich seit 1989 hier verändert hat, auf eure Politik ausgewirkt hat?
Christine: Also, ich könnte eure Frage auch umdrehen und fragen, was hinter dieser Frage steckt.
Mit dem Anschluß der DDR und dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind wir mit einer weltweit veränderten Situation konfrontiert, mit einem völlig veränderten Kräfteverhältnis und einem neuen Großdeutschland. Und bei der Auseinandersetzung mit der ehemaligen DDR muß man hier schon darauf achten, nicht in ein bestimmtes Schema zu fallen, die reaktionären Totalitarismusthesen sind ja mittlerweile wieder hochaktuell, diese Gleichsetzung von Kommunismus und Faschismus. Das muß ich mitbedenken, wenn ich mich mit diesem Kontext beschäftige. Und ich finde es schon schwierig, wenn ich vorher keine Kontakte in die DDR hatte, daß ich jetzt sofort welche haben soll, das finde ich zwanghaft. Sicherlich ist das in Berlin was anderes, wo die Szenen unmittelbar miteinander konfrontiert sind. Aber geographisch bin ich davon in Hamburg weiter weg, und die DDR hat eine andere Geschichte und war ein anderer Staat. Und auch wenn man die gleiche Sprache spricht, ist mir das erstmal fremd und eben weniger zugänglich.
Achim: Der Schwerpunkt hat sich bei den meisten verlagert, hin zu antirassistischer Politik. Es wurde stärker versucht, mit MigratInnen-Gruppen zusammenzuarbeiten, gegen die Abschaffung des Asylrechts agitiert und versucht, Kontakte in Flüchtlingsunterkünfte zu bekommen. Die wurden gegen Angriffe vor Ort geschützt, und gleichzeitig wurde versucht, mit Flüchtlingen zu kommunizieren, um, soweit vorhanden, eine Selbstorganisierung zu unterstützen.
Benno: Obwohl das auch unabhängig von der Antifa lief.
Bei der Flüchtlingsarbeit taten sich dann schnell verschiedene Probleme auf. Neben dem Sprachproblem waren wir vor allem mit den sehr verschiedenen Interessen der Flüchtlinge konfrontiert. Da gab es welche, Aussiedler aus Polen oder Rußland, die sich auf Teufel komm raus als Deutsche verstanden und mit den »Zigeunern« oder den »Negern« und Menschen aus dem Trikont nichts zu tun haben wollten. Wo Menschen waren, die als Politische geflüchtet waren, konnten wir gemeinsame Feste und Diskussionen organisieren. Aber die ständige Fluktuation in den Heimen und die Schikanen der Behörden erschweren zudem die Entfaltung einer kontinuierlichen Arbeit. Zu einzelnen Flüchtlingsunterkünften wurde über sehr lange Zeiträume hinweg gearbeitet. Ein weiteres Problem bestand darin, weder in eine reine Sozialarbeiterrolle zu rutschen, noch aus den sehr heterogen zusammengesetzten Flüchtlingen irgendein »revolutionäres Subjekt« der weltweit Marginalisierten zu konstruieren.
Noch eine ganz andere Frage: Habt ihr Kontakt zu Antifa-Gruppen aus der ehemaligen DDR?
Achim: Hhm, ja seit kurzem.
Warum erst seit kurzem, die DDR ist ja schon länger angeschlossen?
Achim: Das ist so weit weg.
So weit weg?
Achim: Sehr weit weg, damit meine ich weniger die Kilometer. Wir hatten auch vorher wenig reale Berührungspunkte mit der DDR.
Da gab es eine Menge Projektionen unsererseits, also ganz platt gesagt, daß es vorher keine 17 Millionen AntifaschistInnen waren und nachher keine 17 Millionen Nazis sind. Vorher waren es zwei unterschiedliche Gesellschaftssysteme und auf einmal war man damit konfrontiert, ohne eine genauere Vorstellung davon zu haben. Damit will ich aber nicht sagen, daß es das Gebot der Stunde gewesen wäre, erstmal mit irgendwelchen Leuten aus der ehemaligen DDR auf Tuchfühlung zu gehen. Also, ich habe mich denen gegenüber fremder gefühlt, als wenn ich zum Beispiel nach Italien gefahren bin und da GenossInnen besucht habe.
Warum?
Benno: Das ist doch klar. Die radikale Linke in Westeuropa hatte in ihren unterschiedlichen Kämpfen relativ ähnliche Erfahrungen gemacht. Und das hat natürlich zu Kontakten und einer gemeinsamen Kommunikation geführt. Wir hatten z.B. einen Reisebus gemietet und sind in die Niederlande gefahren, um mit den Amsterdamer Autonomen zu diskutieren. Es gab einfach real mehr Berührungspunkte zwischen der holländischen Kraakerbewegung und der Besetzerbewegung hier als mit Linken aus der DDR. Die DDR war ein ganz anderes Gesellschaftssystem und hat eine andere Opposition mit anderen Kampfformen hervorgebracht, die eine andere Sprache gesprochen hat.
Die Vorgänge in der DDR sind mit einer gewissen Arroganz und Ignoranz behandelt worden, so in dem Stil »das interessiert mich alles gar nicht«. Für viele Linke, mich inklusive, waren der Fall der Mauer und die nationalistischen Exzesse, die dem vorangegangen und gefolgt sind, natürlich eine Katastrophe. Und das nicht nur auf einer politischen, sondern auch auf einer sehr persönlichen Betrachtungsebene. Die DDR und erst recht die Sowjetunion war trotz aller Kritik immer so der antagonistische Punkt gewesen, und mit dem Wegfall des Sowjetsystems ist für mich und viele andere Linke im Westen auch eine immanente persönliche politische Krise ausgebrochen. Und man hat es einfach weggeschoben und wollte damit nichts zu tun haben.
Damit wir uns nicht mißverstehen, heißt das: Der Feind meines Feindes ist mein Freund, oder war die DDR der Staat eurer Projektionen, wo ihr eure sozialistischen Wunschvorstellungen hingeträumt habt?
Achim: Das erste.
Also, der Feind meines Feindes ist mein Freund.
Benno: Das war ja auch real so. Das war eben lange der Gegner der imperialistischen Staaten, und jeder Gegner dieser Staaten ist auch mein ... zumindest nicht mein Gegner.
Heute haben wir zu einzelnen Gruppen in der ehemaligen DDR Kontakte, und so, wie es aussieht, werden wir mit denen auch längerfristig zusammenarbeiten. Erschwerend kam anfangs auch die veränderte Situation hier, die Konfrontation mit einem aggressiveren Nationalismus, dazu. Die schwache Linke im Westen war darauf nicht vorbereitet und hatte viele Fehleinschätzungen aufzuarbeiten und wurde von neu aktivierten Begriffen wie Nation, Volk, Vaterland, Identität und Rasse zunächst völlig überrollt.
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