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Inhaltsverzeichnis Inhalt Antifa - Diskussionen und Tips Aufwärts

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Sich abzuschotten, nützt nichts

Gespräch mit einer Antifa-Gruppe aus Guben


Neben größeren Städten wie Berlin und Potsdam, in denen Antifa-Gruppen unter dem Dach der evangelischen Kirche noch zu DDR-Zeiten entstanden, gehörten Jugendliche in der brandenburgischen Kleinstadt Guben zu den ersten, die eine eigenständige autonome Antifa-Gruppe aufbauten. Dies ist um so erstaunlicher, weil Guben - 35000 Einwohner, unmittelbar an der polnischen Grenze gelegen - immer abseits des aktuellen politischen Geschehens lag.
Aus einer diffusen linken Orientierung, ausgelebt in Hausbesetzungen und ähnlichem, entwickelte sich hier unter dem Druck der Verhältnisse schnell eine durchsetzungsfähige Antifa-Szene, die seit fast vier Jahren trotz aller Widerstände kontinuierlich arbeitet.

Wann und aus welcher Situation heraus ist eure Gruppe entstanden?

Axel: Am Ende der DDR waren wir in Guben ein Kreis von vielleicht 30, 40 Leuten, die sich regelmäßig in einer Kneipe getroffen haben. Ursprünglich machten wir nichts Politisches, nur eben lustige Abende, bißchen Trouble mit den Bullen und so. Im Juli oder August '89 haben wir dann auf einer Reise in Potsdam in einem kircheninternen Blatt das erste Mal von Übergriffen auf ausländische Arbeiter in der DDR gelesen. Gerüchteweise hatten wir zwar das eine oder andere gehört, gerade aus dem Süden der DDR. Aber wir hatten nicht gewußt, daß es damals in der DDR schon richtig organisierte Gruppen von Faschisten gab. Dazu kam noch, was wir selber mitgekriegt haben, bei Konzerten in Cottbus oder in Berlin. Einige von uns hatten da die Nase voll und haben gesagt: Wir machen jetzt Antifa-Arbeit. Am Anfang haben wir uns gesagt, um eine gute Antifa-Arbeit machen zu können, müssen wir das Ganze als Gruppe aufziehen und nicht bloß so als lose Sache. Wir haben uns so eine Art Statut gegeben und dann ein Grundlagenpapier rausgegeben, um in Guben auch öffentlich präsent sein zu können. Wir haben dann zunächst Vorfälle gesammelt, die in Guben passiert sind, und über Aushänge und Flugblätter publik gemacht.

Was war in Guben passiert?

Axel: 1985, zur 750-Jahr-Feier, gab es zwei, drei Tage Ausschreitungen in Guben, ziemlich rabiat. In einem Bierzelt sind Arbeiter aus Mosambique und Vietnam, von denen ziemlich viele im größten Betrieb hier, dem Chemiefaserkombinat, gearbeitet haben, von Einheimischen verprügelt worden.

Von organisierten Rechten?

Axel: Nein, eher so Otto-Normal-Verbraucher. Das hatte sich irgendwie aufgestachelt. Erst haben sie sich untereinander geschlagen, dann haben sie alle gemeinschaftlich die anrückenden Bullen plattgemacht, und dann haben sie sich wieder untereinander beharkt. Am Ende ist dann sogar das Wohnheim, in dem die Arbeiter aus Mosambique gewohnt haben, angegriffen worden. Zu DDR-Zeiten ist das nie groß publik gemacht worden. Wir haben versucht, im nachhinein nachzufragen und zu recherchieren. So fing das damals an. Aber eigentlich sind wir an die Sache ziemlich pimpelig 'rangegangen. Also leger. Und dann kam die Wende.

Kannst du kurz skizzieren, was ihr euch anfangs vorgenommen hattet?

Axel: Das wichtigste war, zu versuchen, die Menschen, die hier als Vertragsarbeiter arbeiteten, irgendwie zu integrieren. Die wurden wirklich wie in einem Ghetto gehalten, konnten nirgends hin. In Kneipen wurden sie rausgeschmissen. Da haben wir sie mal eingeladen zu uns nach Hause, Essen für sie gemacht, sie besucht, gemeinsam Sport getrieben und all so'n Zeug.
Außerdem haben wir versucht, aus unserem damaligen Jugendklub rechte Politik völlig rauszuhalten. Leute, die irgendwie rechts eingestellt waren, oder ausgewiesene Faschos sind dort nicht mehr reingekommen. Da gab es dann öfter mal handfeste Auseinandersetzungen.

Gab es denn schon organisierte neofaschistische Strukturen?

Axel: Das ging erst im Dezember '89 los. Einige von denen, die damals schon rechts eingestellt waren, sind rüber und haben aus Westdeutschland immer fleißig Propagandazeug geschickt, vor allem von der DVU. Dadurch fühlten sich die Hiergebliebenen ganz doll bemüßigt, hier ihre Gubener Heimatfront, Gubener Hitlerjugend und Bund deutscher Mädchen zu gründen.

Wie war denn damals das Kräfteverhältnis zwischen Rechten und Linken?

Axel: In Guben hatten wir damals einen sehr schweren Stand. Aktive, die uns nahestanden, gab es vielleicht 30. Und beim Häuserkampf standen uns fast 200 Nazis gegenüber. Die wenigen, die sich zu uns bekannt haben, hatten ziemlich viel Streß. Unser damaliger Jugendklub wurde angegriffen, weil wir Jugendliche mit Nazi-Aufnähern nicht mehr reingelassen haben. Einige von uns wurden von Rechten abgegriffen und haben ziemlich heftig was auf's Maul bekommen. Du konntest nicht mehr abends auf die Straße gehen. Die haben dich geohrfeigt, wie sie lustig waren.

Wie habt ihr unter diesen Bedingungen über Militanz diskutiert?

Axel: Für uns hat sich natürlich die Frage gestellt, ob wir bei diesem ganzen Aufrüstungswahn mitziehen wollen. Einige unserer Leute sind schon voll durchgeknallt, rannten mit zwei Knarren, ein paar Messern und Knüppeln rum und haben voll den Harten markiert. Der Höhepunkt war dann die Auseinandersetzung um unser Haus.

Du erwähnst das jetzt zum zweiten Mal ...

Axel: Im Frühjahr '90 hatten wir ein Haus besetzt und begonnen, es zu einer Art Zentrum für uns hier in Guben auszubauen. Kurz darauf haben sich auch die Faschos ein Haus genommen, da haben sie zweimal eine Orgie gemacht, aber dann stand das Ding mehr oder weniger leer. Abgesehen davon, daß da noch monatelang eine Reichskriegsflagge raushing. Berliner Antifas hatten davon gehört, kamen eines schönen Tages im September '90 mit so einem alten Polizei-Lkw und haben das Haus zerdroschen von oben bis unten. Als Reaktion kamen abends dann 200 Nazis und haben unser Haus angegriffen. Die Faschos haben dabei zwar ziemlich derb auf die Fresse gekriegt, aber hinterher, als die Berliner wieder weg waren, standen wir wieder alleine in Guben.

Welche Konsequenzen hatte das für euch?

Axel: Negativ war, daß wir das Haus losgeworden sind und in Guben erstmal eine wirkliche Niederlage hatten. Alle, die irgendwie mit uns sympathisierten, haben sich schwer gehütet, das danach noch in der Öffentlichkeit zu zeigen. Wir selbst waren öffentlich im Grunde nicht mehr sichtbar. Zwei, drei Monate haben wir uns ganz zurückziehen müssen. Ich mußte mich damals mit meiner Freundin verstecken, zwei Monate mehr oder weniger konspirativ. Ich bin aus meiner Wohnung ausgezogen, weil die Nazis mir die Scheiben eingeschmissen haben.
Das Positive war, daß wir dadurch notgedrungen körperlich mehr Widerstand leisten mußten, und das hat uns als Gruppe zusammengeschweißt. Jeder hat den anderen gedeckt, so gut es ging. Dadurch sind wir eigentlich ziemlich stark aus der ganzen Sache rausgegangen. Unter uns haben wir natürlich versucht, den Schlamassel, so gut es ging, auszuwerten. Wir haben eingeschätzt, daß wir das Haus damals nie hätten halten können. Auch ohne diese Auseinandersetzung wäre es ein dauerhafter Kleinkrieg geworden, der uns von allen anderen Sachen abgelenkt hätte. Wir hätten nur noch damit zu tun gehabt, das Haus zu verteidigen. Unter solchen Bedingungen könntest du keine vernünftige Arbeit mehr machen.

Und wie habt ihr dann weitergemacht?

Axel: Die Stärke, die wir gewonnen hatten, hat uns noch im selben Jahr sehr genützt. Für Dezember '90 hatten die Nazis hier eine Demo angekündigt, an der auch Michael Kühnen teilnehmen sollte. Da sind drei von uns zum Bürgermeister gegangen und haben dem kraft unserer Wassersuppe gedroht, wenn er diese Demo nicht verbietet, holen wir uns hier weiß ich wieviel tausend Autonome her und schlagen die ganze Stadt kaputt. Das muß man sich mal vorstellen. Der hätte uns unter normalen Umständen sofort eingeknastet, bloß der wußte damals auch nicht Bescheid. Gut, es hat funktioniert. Die Bullen haben die Faschos abgegriffen, einige von denen haben bei den Bullen sogar um Schutzhaft gebettelt. Und wir saßen zu zehnt in einer Wohnung und haben uns total wohl gefühlt. Das hat uns auch ein paar gute Kritiken eingebracht, damals.

Welche Folgen hatte das?

Martin: Die Hochzeit der Nazis war vorbei. Die Faschos konnten ihre Mitläufer nicht weiter mobilisieren, da kam nichts mehr. Ihr Führer ist damals zu ein oder zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden. Der mußte sich danach völlig aus politischen Sachen raushalten. Unsere Leute haben ihre Waffen verkauft, weil sie sinnlos geworden waren.

Du hast erwähnt, daß ihr auch mit Gruppen aus anderen Städten zusammengearbeitet habt. Kannst du näher beschreiben, wie die Zusammenarbeit aussah?

Axel: Was uns ziemlich geprägt hat, war das Auftreten von Berliner Antifas bei diesem Häuserkampf hier. In den Jahren vorher hatte man ja vieles irgendwie glorifiziert, vor allem die jahrzehntelangen Erfahrungen der Westler im Kampf gegen diesen neuen Staat. Wir dachten immer: Wenn die herkommen, werden die uns Armen und Dummen schon was erzählen. Dann kamen sie, haben hier ihren Kleinkrieg veranstaltet, sich dabei ziemlich mackerhaft benommen und sind wieder abgehauen. Ich meine, wir mußten das schließlich ausbaden. Wir hatten uns die letzte Akzeptanz bei der Bevölkerung verspielt, weil die nur gesehen haben: Wir schleppen hier irgendwelche bunthaarigen Typen in die Stadt rein, und die verwüsten dann alles. Ich durfte Wochen später bei den Bullen antanzen, die haben mir alle Fotos vorgelegt, die sie von uns geschossen haben. Sinnigerweise hatten sie die Fotos den Faschos auch gezeigt, und da wurde es natürlich ein bißchen kraß.

Es gab dazu eine Diskussion in der Berliner BesetzerInnen-Zeitung ...

Axel: Da haben sich einige aus Berliner Zusammenhängen ziemlich derb dagegen verwahrt und gefordert, daß so was in Zukunft nicht mehr passiert. Also, daß Antifas und Autonome in andere Städte fahren und dort einfach so auftrumpfen.

Martin: Nach diesem Ereignis war so ein bißchen der Lack ab von der Vorstellung von den »Berlinern«. Und dann kam noch dieser komische Buchschreiber, dieser Burkhard Schröder, und hat Interviews mit uns gemacht und sie dann völlig sinnentstellt wiedergegeben. Im Grunde hat der behauptet, wir wären nur die kleinen dummen Zonis, die von den großen Kämpfern aus Kreuzberg erst alles lernen mußten.

Mit welcher Absicht habt ihr diese Gespräche geführt, und was ist dabei herausgekommen?

Axel: Wir wollten vorrangig die Militanz aus der Situation rausnehmen. Das ist schon eigenartig in einer Kleinstadt ... Du kennst jeden, du warst mit einigen von denen zusammen im Kindergarten, in der Schule, hast alles mit denen zusammen gemacht. Und auf einmal stehst du dir gegenüber und haust dir auf die Fresse. Das ist völlig unsinnig. Das haben wir damals versucht zu erklären, und eigentlich haben wir das auch ziemlich gut hingekriegt.

Wenn man böswillig ist, könnte man ja sagen, ihr habt sowas wie eine friedliche Koexistenz vereinbart.

Axel: Wir sind mehr oder weniger vom Standpunkt des Kräfteverhältnises ausgegangen. Einen Krieg konnten wir uns nicht leisten mit den paar Hanseln, die wir waren. Die Faschos waren eindeutig mehr. Darum haben wir versucht, uns an einen Tisch zu setzen. Wenn man miteinander quatscht, kriegt man keins auf's Maul. Und die Zeit, die du da verquatschst, kannst du gut nutzen, um für dich was klar zu machen. Für uns war damals wichtig, Zeit zu gewinnen.

Das heißt, ihr wolltet nur die Luft aus der Situation rausnehmen?

Martin: Das haben wir auch geschafft.

Axel: Bei den Faschos muß es immer Aktionen geben, sonst hauen denen die Leute ins sogenannte bürgerliche Milieu ab. Viele, die damals voll dabei waren, sind jetzt Modetypen geworden, so mit Cowboy-Stiefeln und goldenen Schnallen, die teure Autos fahren.

Hattet ihr Streß mit Bullen?

Axel: Nein. Die haben sich nichts getraut. Es gab in Guben ein paar Vorkommnisse, und seitdem waren die Bullen völlig ruhig. Sie haben immer versucht, sich bei uns einzuschleichen, aber das haben sie nicht geschafft.

Wie sind die Bullen mit den Rechten umgegangen?

Martin: Na, dem Anführer haben sie ins Bein geschossen. Mit denen haben sie sich schon ein bißchen rumgeprügelt.

Wie war denn damals die Struktur eurer Gruppe?

Axel: Es gab zwei, drei von uns, die aufgrund besserer Voraussetzungen - weil sie ein Auto hatten und Telefon - damals ziemlich viel an sich gezogen haben. Die hatten Zeit, rumzufahren und irgendwelches Zeug zu organisieren, oder sind auf überregionalen Treffen gewesen. Nach denen haben sich die anderen weitgehend gerichtet. Dadurch entstand in der Gruppe eine gewisse Rangordnung. Hinzu kam, daß wir damals, das muß ich zu unserem Nachteil sagen, ziemlich elitär waren. Für Linke, die auch Antifa-Arbeit machen wollten, war es sauschwer, in die Gruppe reinzukommen. Es gab Beispiele, wo sich einige von uns wieder abgewandt haben, weil wir uns zu wenig um sie gekümmert oder sie überfordert haben. Wir haben außerdem wegen unserer hohen Ansprüche sehr stark unter den Interessenten an unserer Arbeit gesiebt.

Was waren denn das für Ansprüche?

Axel: Das Wesentlichste war, daß wir von denen, die bei uns mitmachen wollten, verlangten, daß sie die Antifa-Arbeit nicht nur so nebenbei machen. Es reichte uns nicht, wenn sie mal zur Versammlung kamen und da das Maul aufmachten, sondern sie sollten auch die sogenannte normale Arbeit mitmachen. Und dann haben wir neue Leute nicht sofort in alles reingucken lassen.

Stefan: Ich war damals mehr oder weniger Sympathisant. In meinem damaligen Freundeskreis sind wir zuerst auf die Hausbesetzung aufmerksam geworden. Ich ging damals zur Penne, in eine linke Klasse, wenn man das so sagen kann, und da wurde das erstmal begrüßt und unterstützt. Aber dann war die Sache mit den Berlinern, und das hat dann doch ein bißchen abgeschreckt. Und nachdem die Antifa einige Zeit nicht in Erscheinung getreten war, hatten wir den Eindruck, daß das doch bloß eine Gruppe ist, die in Kneipen abhängt.

Axel: Was wir gemacht haben, wenn wir nicht in der Kneipe waren, haben die Außenstehenden ja nie mitgekriegt.

Stefan: Deswegen habe ich auch erst ziemlich spät dazu gefunden.

Welche Konsequenzen hatte die Entwicklung für eure spätere Arbeit?

Axel: Es gab einen ziemlich harten Bruch aufgrund dieser Hierarchie-Diskussion. Auch die »Alt-Antifas«, also, die von Anfang an dabei waren, sich aber irgendwann zurückgezogen hatten, äußerten herbe Kritik an der Situation. Wir waren sauer, weil sie sich mehr und mehr raushielten, und sie warfen uns vor, daß wir sie nicht ranlasssen würden. So hat sich das aufgebaut. Es gab dann einige, die aus der Antifa wirklich ausgetreten sind und höchstens noch zu irgendwelchen Anlässen aufgelaufen sind. Das ging dann so weit, daß Leute schreiend die Plenen verlassen haben. Das gröbste Ding - das ich bis heute nicht verstehe - war die Sache mit der Frauengruppe.
Die war auf einmal da. Gut. Muß sein, haben wir alles eingesehen. Die Frauen wollten sich natürlich auch im Infoladen präsentieren. Aber sie haben erstmal Ansprüche gestellt, wollten einen eigenen Raum haben, mit den Männern im Infoladen nichts direkt zu tun haben. In den Streitereien darüber kamen wir das erste Mal darauf, daß die Meinung eines einzelnen nicht immer die Meinung der Gruppe sein muß. Ich zum Beispiel habe die Forderungen der Frauen völlig abgelehnt. Bis wir das geklärt hatten, sind zwei Monate ins Land gegangen. Der Streit war schrecklich gewesen.

Worum ging es denn inhaltlich?

Axel: Etliche von den älteren Antifas haben zu dem Zeitpunkt abgelehnt, daß die Frauengruppe in den Infoladen zieht, weil sie als Gruppe überhaupt noch nicht gefestigt war. Die haben nur Absichten erklärt, hatten aber noch gar nichts gemacht. Aufgrund dieser Streitigkeiten haben wir praktisch den letzten Anspruch verspielt, überhaupt politische Arbeit zu machen. Und weil wir uns zwei Monate lang letztlich über Mißverständnisse in der Wolle hatten, haben dann einige gesagt: Nein, bei uns ist jetzt Pumpe, wir steigen aus.

Martin: Der Streit war übertrieben, und wir waren auch total überreizt, da braucht man gar nicht diskutieren. Was ich aber nach wie vor gut finde, ist, daß die Frauen durch die Auseinandersetzung Selbstbewußtsein gekriegt haben. Sie wurden da meines Erachtens das erste Mal so richtig akzeptiert. Was für Antifa-Gruppen im Osten typisch ist, war ja auch hier so: männerdominiert - und die wenigen Frauen zurückhaltend oder nur als Begleitung ihres Freundes.

Wie löste sich diese Situation?

Axel: Indem sich die älteren Antifas praktisch aus dem Geschehen rausgezogen haben. Das lag vor allem auch daran, daß wir unser ursprüngliches Verständnis von Antifa-Arbeit verlassen hatten. Wir haben in diesen Diskussionen gemerkt, daß wir völlig abgehoben waren. Wir waren ja schon wie blöde vor lauter Politik. Dazu kam, daß der Streit intern aufbrach, als der äußere Druck auch nicht mehr so stark da war, als wir nicht mehr so mit Faschos beschäftigt waren. Wir mußten feststellen, daß die Antifa-Arbeit zwar ein übergeordnetes und einigendes Ziel war, aber daß bei vielen die Bereitschaft fehlte, sich auch bei übergeordneten politischen Sachverhalten zu einigen. Zum Beispiel war es nicht möglich, Einigung darüber herzustellen, daß man gegen den Kapitalismus kämpfen muß. Ein paar haben gesagt: Das ist doch Quatsch, ich lebe doch hier ganz gut, ich habe bloß was gegen Faschos.

Gab es unter euch auch eine Diskussion über den Anschluß der DDR?

Martin: Größtenteils wurde das abgelehnt. Andererseits hat es uns aber nicht so tangiert. Was sollten wir auch machen? Du mußtest einfach erkennen, daß eh alles in den Arsch geht, du bist einer, und die ganze Stadt um dich herum jubelt.

Womit habt ihr eure Arbeit fortgesetzt?

Barbara: Wir haben begonnen, eine Jugend-Antifa aufzubauen. Da arbeiten ungefähr zehn Jugendliche im Alter zwischen 16 und 18. Wir stecken aber noch ziemlich in den Anfängen. Ich weiß nicht, ob das bei Neugründungen immer so ist, aber wenn wir keine Erfolge sehen oder keine Ideen haben, sind wir oft kurz davor, uns gleich wieder aufzulösen.

Wie hattet ihr euch die Arbeit der Jugend-Antifa denn vorgestellt?

Barbara: Das große Ziel war, die Fascho-Kids und die Hobbyfaschos von der Straße wegzubringen, bevor sie richtige Faschos werden. Dann versuchen wir zu verhindern, daß sich die Deutsche Liga hier in der Gegend einnistet oder gar in den Gubener Kreistag einzieht. Das wollen wir erreichen, indem wir vor allem die Bevölkerung über den Charakter der DL aufklären.

Martin: Wir sind auch zeitweise regelmäßig in dem etwas außerhalb gelegenen Neubauviertel Spucke spazierengegangen, in dem diese Fascho-Kids zu Hause sind. Wir haben da oben Flugblätter verteilt und waren einfach präsent. Das war sehr umstritten in der Jugendfront, denn bei diesen Spaziergängen ging es darum, den Faschos Angst zu machen. Was auch funktionierte. Die sind regelrecht vor uns weggerannt.

Ist eure Arbeit bei Gleichaltrigen akzeptiert, oder seid ihr isoliert und werdet wie Exoten behandelt?

Barbara: Ich kann nur über die Schule reden, auf die ich gehe. Wir sind in meiner Klasse zwei, die linksgerichtet sind. Die anderen nehmen uns nicht so ganz für voll, die Mehrheit orientiert sich doch mehr nach rechts. Wenn wir Diskussionen anfangen, versuchen sie das immer abzublocken. Dann kommen natürlich Sprüche, daß wir aus der Klasse raus sollen, weil wir halt links sind, oder es wird einem »linke Sau« hinterhergerufen. Einigen aus der Jugendfront wurde von Faschos gedroht: Wenn ihr - also die Jugendfront - uns stört, dann seid ihr dran, dann machen wir euch fertig.

Martin: Früher war es irgendwie extremer. Jetzt ist das Gros der Schüler eher prollig, spießbürgerlich drauf. Die ziehen Markenklamotten an und vertreten die normale Bürger-Meinung, eben daß Ausländer kriminell sind und nur »unsere« Wirtschaft belasten. Sie sind auch nicht so organisiert wie früher. Meistens hängen sie rum, lassen sich vollaufen und markieren den Starken, aber wenn's hart auf hart kommt, verpissen sie sich.
Sechzehnjährige Fascho-Kids haben mal beim Penny-Markt an der Grenze Polen angemacht, die da einkaufen gegangen sind. Irgendwann sind dann polnische Heavy Metals rübergekommen und haben die ordentlich verdroschen.

Wie war die Stimmung in Guben, als die Grenze zu Polen geöffnet wurde?

Axel: Eigentlich ruhig. In Städten wie Frankfurt/Oder war es wesentlich schlimmer. Hier hat das Interesse der Deutschen überwogen, in Polen billig einkaufen zu können. Gut, bei einer Arbeitslosenquote von 18 bis 20 Prozent in Guben ist das auch zu verstehen. Da macht es sich schon bemerkbar, wenn du drüben tanken fahren kannst oder dort deine Lebensmittel für ein Viertel des Preises kriegst.

Stefan: Bemerkenswert ist höchstens, daß sich kurz nach der Grenzöffnung der Abgeordnete der DSU aus dem Gubener Stadtparlament nicht erblödet hat, mit den Faschos gemeinsame Sache zu machen. Die haben einen richtigen Aufmarsch veranstaltet, sind mit Reichskriegsfahnen durch Guben gezogen und haben einen Schlagbaum beschädigt. Der DSU-Mann ist dafür verurteilt worden, trotzdem sitzt er immer noch im Stadtparlament.

Habt ihr Kontakte zu polnischen Linken auf der anderen Seite?

Axel: Wir haben das mal versucht, aber die polnische Seite, die Stadtverwaltung in Gubin, hat da schnell einen Riegel vorgeschoben. Wir hatten zum Beispiel mal eine Band eingeladen, hier bei uns zu spielen, war auch alles fix und fertig vorbereitet, und dann bekam die Band die Auflage vom polnischen Zoll, daß sie keine Instrumente mitnehmen dürfen. Da ist das natürlich gestorben. Wir waren mal drüben, da mußten wir mehr oder weniger flüchten.

Wieso?

Axel: Es gibt gerade in Gubin ein paar Skins, die ziemlich antideutsch sind. Die sind auch faschistoid, haben Sprüche drauf wie: Polen den Polen und so. Letztens waren rund 50 polnische Glatzen in Cottbus und haben die Autos von ein paar Führungsmackern der DA plattgemacht. Aber eigentlich differenzieren sie nicht zwischen Linken und Rechten. Für die sind alle Deutschen gleich negativ und müssen weg.

Martin: Wir wissen im Grunde nichts über die polnische Szene. Mal abgesehen von den Sprachschwierigkeiten, die halten ihre Jugend voll unter der Fuchtel. Es hat ein paarmal Konzerte gegeben, organisiert von den Städten Gubin und Guben zusammen, da kamen auf 100 Leute 20 Bullen, die beim Konzert mitten unter den Leuten rumstanden, mit Helm und Knüppel. Also, was soll sich da schon entwickeln?

Fahren deutsche Faschos rüber nach Polen?

Stefan: Die werden sich schwer hüten.

Ihr habt vorhin davon erzählt, daß nach eurem Streit vieles in die Brüche gegangen ist. Andererseits baut ihr wieder neue Strukturen auf. Was ist dazwischen passiert? Fangt ihr wieder bei Null an?

Axel: Es ist ja nicht alles zu Ende gewesen. Den Infoladen gab es die ganze Zeit über weiter, wir haben uns nach wie vor an überregionalen Sachen wie Wunsiedel beteiligt. Und dann hatten wir natürlich das Café. Das ist für die politische Arbeit, die wir jetzt machen, enorm wichtig geworden. Meiner Meinung nach kommen wir so viel besser an die Kids ran, als wenn wir die Stadt mit irgendwelchen Pamphleten vollkleben. Wir lassen jeden rein, außer bekannte Sexisten und Führungskader der Faschos. Natürlich sind bei denen, die kommen, auch welche dabei, die früher bei den Nazis waren. Wir hatten deswegen intern ernsthafte Auseinandersetzungen, weil einige sich davon gestört gefühlt haben. Nach Diskussionen sind wir dann übereingekommen, daß wir die Betreffenden reinlassen, solange sie weder hier noch anderswo Stunk machen, und das funktioniert auch.

Ihr habt also gute Erfahrungen damit gemacht, daß ihr euch geöffnet habt und nicht mehr so abschottet?

Axel: Die Ausgrenzung nutzt uns ja nichts. So haben wir ja auch viel mehr Akzeptanz gefunden. Auch wenn da jetzt welche mit Anti-Nazi-Aufnähern hier ins Café kommen, wissen wir doch, daß da politisch nicht unbedingt was dahintersteht. Die sind nicht von heute auf morgen große Antifaschisten geworden, aber sie haben für sich was klargekriegt. Und das werte ich erstmal als Erfolg.

Martin: In der Jugendfront gibt es nach wie vor eine Diskussion darüber. Wir fragen uns, ob man den rechten Jugendlichen militant Angst machen sollte, damit man sie erstmal rankriegt, oder nicht. Ich glaube schon, wenn wir in dem Neubaugebiet militant Präsenz zeigen, werden die sich überlegen, ob sie überhaupt noch was machen. Neulich war eine Reporterin bei uns, die bei den Kids im Neubauviertel rumgefragt hat. Der haben die Kids von einer riesengroßen, starken autonomen Szene in Guben erzählt. Da weißt du ja ungefähr, was die für einen Eindruck von uns haben.

Stefan: Auch nicht unberechtigt. Im vorigen Jahr, ich arbeitete damals im hiesigen Asylbewerberheim, hatten Cottbusser, Eishenhüttenstädter und Gubener Faschos geplant, das Heim hier anzugreifen. Am Ende tauchte der Gubener Babysturm alleine vor dem Heim mit Steinen in der Hand auf.

Babysturm?

Stefan: So Sechzehn- bis Achtzehnjährige. Wir haben das Heim geschützt, obwohl auch der BGS da war. Erst haben die Faschos von den Bullen Prügel bezogen, und dann von uns.

Axel: Als wir militant waren, hat uns das in den Augen der anderen Seite aufgewertet. Es war überhaupt die Voraussetzung, um an die Jugendlichen ranzukommen, von ihnen ernst genommen zu werden. Wir haben gezeigt, daß wir auch diese Sprache sprechen, uns körperlich auseinandersetzen können. Deshalb sind die gekommen, aus Angst.

Stefan: Du mußt dir mal so einen Vierzehnjährigen angucken. Wir haben mal einen auf den Kopf gestellt, und da ist ihm ein ganzes Waffenarsenal aus der Tasche gefallen.

Axel: Also, ich sehe mich da selber wieder, bloß eine Spur schlimmer. Die sind noch jünger als wir, als wir anfingen, und sind noch härter drauf. Dagegen muß was gemacht werden und dabei hat dieses Café eine wichtige Funktion, schon weil Gespräche relativ einfach möglich sind. Und auch die Jugendfront hat dabei eine wichtige Aufgabe. Wenn ich mich hinstelle mit meinem Vierteljahrhundert und so einem Vierzehnjährigen was erzählen will, sagt der doch, verpiß dich, Alter.

Ihr macht in eurem Café auch Veranstaltungen?

Stefan: Unser Anwalt hat hier beispielsweise ein Seminar gemacht. Wir machen aber auch einen Haufen kulturelle Sachen, Konzerte, zeigen kritische Filme. Wobei das alles nicht auf Kommerz ausgerichtet ist.

Wie ist heute das Verhältnis zur Stadt?

Stefan: Wir sind jetzt salonfähig. Wir sind anerkannter Träger der Jugendarbeit, nur Geld kriegen wir von der Stadt nicht. Wir müssen alles selber erwirtschaften. Aber wir sind erstmal akzeptiert und können jetzt auch aus einer ganz anderen Position irgendwelche Sachen verklickern. Vor allem was die Deutsche Liga angeht. Der Extremismusausschuß der Stadt Guben hat mal hier getagt, da haben wir denen erstmal ein paar Sachen gegeben, Filme, Fotos, ein paar Bücher, ein paar Zeitungen. Damit die sich erstmal damit beschäftigen, was für ein Volk hier in der Stadt herumläuft.

Martin: Aufschlußreich für den Grad der Akzeptanz der Antifa ist auch, wie die Miete für das Café getragen wird. Stadtverordnete aller Fraktionen bestreiten die nämlich aus ihren Aufwandsentschädigungen.

Stefan: Interessant ist auch, daß in dem alten, kurz nach der Wende gegründeten Stadtjugendring ohne die Antifa gar nichts geht. Darin sind neben freien Gruppen wie uns die Jugendorganisationen von allen möglichen bürgerlichen Parteien zusammengeschlossen.

Haben sich die Kontakte zu anderen Antifa-Gruppen verändert, nachdem ihr eure Arbeit fortgesetzt habt?

Axel: Die eigentliche Regionalorganisierung geht ursprünglich von Guben aus. Das ist uns zwar auf die Füße gefallen, weil wir deswegen oft als arrogant verschrien wurden. Die anderen haben uns vorgeworfen, daß wir nur noch Kopfarbeit machen und uns nicht mehr rumprügeln. Und nachdem wir die Diskussion um unsere Frauengruppe geführt hatten, haben wir wieder kritisiert, wie in anderen Gruppen mit Frauen umgegangen wird.
Es gibt bis jetzt einen gewissen Konkurrenzstreit. Vor allem durch diese AA/BO-Geschichte. Durch unsere Beteiligung daran sind wir auch über die Region hinaus bekannter geworden.

Welche Position habt ihr dazu?

Martin: Es gibt keine einheitliche Meinung über die bundesweite Organisierung hier in Guben. Erst waren wir total begeistert, aber dann sind wir zu dem Schluß gekommen, daß es ein großer Fehler war, daß wir uns daran beteiligt haben. Wir als Antifa sind immer zu den Treffen gefahren, aber hier in Guben haben wir nichts mehr klargekriegt. Einige wollten mitmachen, weil es eine Organisationsform ist, über die du gute Pressearbeit machen kannst.

Ihr hattet ja hier ein Bundestreffen ...

Axel: Das war gut und schön, aber es sollte auch das letzte in Guben gewesen sein. Ich für mich sehe keinen Sinn darin, sich dermaßen überregional zu strapazieren, dafür sind wir zu klein. Wir sollten da eine Rolle spielen, die wir gar nicht hätten abdecken können. Irgendwelche bundesweiten Organisationen lehne ich sowieso eher ab. Das funktioniert besser, wenn der Osten alleine was untereinander klarkriegt.

Martin: Auf alle Fälle ist für uns die Ostvernetzung besser, wichtiger. Trotzdem begrüße ich immer noch eine bundesweite Organisation. Es gibt im Westen viel mehr Diskussionen als im Osten, und aus der Entwicklung der linken Szene in Westdeutschland läßt sich auch eine Menge lernen. Außerdem organisieren sich die Faschos ja auch in Ost-West-Zusammenhängen. Die Nazi-Parteien, die es hier gibt, die sind ja nur Ableger von Westparteien.

Axel: Bei uns wurde vor allem der Aufwand kritisiert, den die Westler betreiben wollten, um so eine Organisation auf die Beine zu stellen. Was die sich für Festivitäten leisten wollten ...

Martin: ... um als gesellschaftlicher Faktor anerkannt zu werden ...

Axel: Ich will in dieser Gesellschaft ja gar nicht anerkannt werden.

Stefan: Mir hat bei diesem Bundestreffen vor allem der menschliche Faktor gefehlt. Von daher habe ich nur negative Erinnerungen daran. Die haben mit so vielen Fremdwörtern rumgeknallt, da haben mir nur die Ohren geschlackert. Und dann, wenn jemand aus anderen Zusammenhängen gesprochen hat, mußte er sich von Göttingern fragen lassen: Wo kommst du eigentlich her? Da ist mit glatt die Luft weggeblieben. Insgeheim habe ich mich gefreut, daß da immer mehr Städte abgesprungen sind.

Martin: Charakteristisch für das Ost-West-Verhältnis bei dem Treffen war auch, daß die Gruppe aus Forst5.1 abgehauen ist. Sie haben gesagt: Die streiten sich hier über einzelne Worte, und wir wissen nicht, ob wir von Faschos was auf's Maul kriegen, wenn wir nach Hause kommen.

Ist euch noch etwas wichtig, was bisher noch nicht angesprochen wurde?

Axel: Wir machen über das Café eine ganze Menge sozial-politischer Arbeit. Neben den erwähnten Gruppen wie Infoladen oder Jugendantifa hat auch die Schwulengruppe von Guben hier bei uns ihre Räume. Es passiert schon mal, daß eine Schulklasse ihren Unterricht bei uns abhält. Aber um richtig gute Jugendarbeit zu machen, müßte das natürlich dort stattfinden, wo die Jugendlichen den größten Teil ihrer Zeit verbringen: in der Schule oder in den Jugendklubs. Das jedoch hat uns die Stadtverwaltung strikt untersagt. An städtischen Einrichtungen dürfe nirgends in der neuen Bundesrepublik politische Arbeit gemacht werden. Die herrschende rechte Pöbelmeinung jedoch ist dort natürlich präsent. Und wird mit Geldern der Regierung noch gefördert. Wir haben überhaupt kein anderes Feld mehr als die Straße. Und wo das hinführen kann ...



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