nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Wed Jul  2 23:27:31 1997
 


 

70 / 20 Jahre Rote Hilfe

 

 


Zurück Index Vor

Finazielle und materielle Unterstützung von politischen Gefangenen und deren Familien

Eine der ersten Tätigkeiten, die die illegale Rote Hilfe aufnahm, war der Aufbau von SpenderInnenkreisen zur Unterstützung von politischen Gefangenen und deren Familien. Diese SpenderInnenkreise waren überparteilich organisiert. Sie wurden über persönliche Kontaktaufnahme aufgebaut und bestanden aus bis zu sechs Familien oder EinzelspenderInnen. Ein Kreis übernahm jeweils die Patenschaft für eineN politischeN GefangeneN oder die Familie verfolgter AntifaschistInnen.[1] Die kleinen Kreise sollten eine verbindliche und verantwortliche Unterstützung gewährleisten und Schutz vor Zugriffen der Gestapo bieten. Angehörige von politischen Gefangenen, die Unterstützungsleistungen erhielten, wurden teilweise von der Gestapo vernommen, da die Gestapo herausfinden wollte, woher und von wem sie diese Leistungen erhielten. [2]
Die Organisierung von Patenschaften wurde daher auch sehr vorsichtig betrieben. Wie Patenkreise augebaut wurden, zeigt folgendes Beispiel aus einer südwestdeutschen Industriegroßstadt.
»Wir schickten einen geeigneten Roten Helfer zuerst in einen Wohnblock, in dem vor der Machtübernahme Hitlers alle Sammlungen und der Literatur-Vertrieb sehr gute Ergebnisse erzielt hatten, mit dem Auftrage, das Fahrgeld für die Frau eines politischen Gefangenen zum Besuch ihres Mannes im Untersuchungsgefängnis zu sammeln. Bei dieser Gelegenheit knüpfte dieser Rote Helfer Beziehungen zu den verschiedensten Familien an, mit denen er über die Not der Angehörigen der eingekerkerten Antifaschisten diskutierte. Fast jede Familie gab ihm einige Groschen, so dass das Fahrgeld rasch gedeckt und noch ein Überschuß vorhanden war, der im Untersuchungsgefängnis für die Verpflegung des Mannes eingezahlt wurde. Da beinahe jeder Spender sich auch bereit erklärt hatte, gelegentlich wieder einmal eine Unterstützung für die politischen Gefangenen zu zahlen, stellte sich unser Rote Helfer die Aufgabe, diese ersten Spender zu Gruppen von fünf bis sechs zusammenzufassen und diese je an eine besonders notleidende Familie zu verteilen. Bei seinem zweiten Besuch teilte er dies den einzelnen Spendern mit, die sich dann bereit erklärten, die Patenschaften über die betreffenden Familien zu übernehmen. Heute werden diese Spenderkreise regelmäßig kassiert, und es ist uns auf diese Weise möglich, besonders notleidende Familien monatlich ständig durch eine kleine Geldsumme und ein Lebenmittelpaket zu unterstützen. Es gelang uns auch im weiteren Verlauf von politischen Diskussionen bereits einzelne Spender als Mitglieder der Roten Hilfe zu werben und an alle unsere Gefangenen zu übermitteln. Wir gewannen auf diese Weise mehrere frühere sozialdemokratischen Arbeiter und die Frau eines christlichen Eisenbahnbeamten«.[3]
Das Agitieren von SpenderInnen für UnterstützerInnenkreise und deren Arbeit war recht erfolgreich. Es konnten nach Angaben des Tribunals selbst Verbindungen zur Mittelschicht hergestellt werden. In diesen Kreisen führte die persönliche Betroffenheit zur Solidarisierung mit politisch Verfolgten und Leistung von festen Beträgen. [4] In der Zeit in der SpenderInnenkreise existierten, wuchs die Bereitschaft, Unterstützung zu leisten bis weit in die Kreise des Bürgertums und der Bauernschaft. Selbst Anhänger von Nazi- Parteien unterstützten nach Angaben der Roten Hilfe vereinzelt politisch Verfolgte oder deren Familien. [5] Die Nazis waren darüber natürlich nicht erfreut. Im Jahresbericht 1937 heiß es zu Rote-Hilfe-Tätigkeiten: »Im innern Deutschlands sind Beobachtungen () gemacht worden, daß illegal und noch nicht erfaßte Kommunisten in kleinen Kreisen Sammlungen zugunsten eines ihnen persönlich bekannten Verurteilten durchführten und den Erlös ohne Rechnungslegung gegenüber einer höheren Stelle der Partei oder der Hilfe ihm oder seinen Angehörigen zukommen ließen. Nachgewiesen wurden solche Fälle in Berlin, Magdeburg, Frankfurt(Oder), Gießen, Darmstadt.«[6] Aus dieser Information geht neben der Tatsache, daß es zu zahlreichen Unterstützungen gekommen ist, von denen der Gestapo sicherlich nicht alle bekannt wurden, auch noch hervor, daß 1936 führende Stellen der Roten Hilfe gearbeitet haben müssen.
Diese Patenkreise waren natürlich nicht nur in Deutschland organisiert. Hilfe kam auch von gut organisierten Komitees aus dem Ausland. Laut Bericht der Gestapo über die Rote Hilfe hatten die Komitees »die Aufgabe jeweils in den ihrem Grenzabschnitt nächtsliegenden deutschen Bezirk die Unterstützungsmaßnahmen für die Angehörigen politischer Gefangener und Emigranten vorzunehmen«.[7]
Eine weitere Form mit der Rote HelferInnen auch unter schwierigsten Bedingungen versuchten zu arbeiten, war ihre Tätigkeit innerhalb der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV).
Mit der Arbeit in der NSV versuchten die Roten HelferInnen die illegale Situation aufzubrechen und den notleidenen Opfern der politischen Gefangenen Kohlen, Lebensmittel und Kleidung zu besorgen. In einem Aufruf vom Dezember 1935 heißt es unter der Überschrift Winterhilfe für die Polit-Gefangenen und ihre Angehörigen im Tribunal: »Fordern wir, anknüpfend an den Ausspruch Hitlers, daß die Angehörigen der politischen Gefangenen von dem WHD [8] unterstützt werden. Um das erfolgreich durchzusetzen, müssen wir in der NSV sein. In Folge der vermehrten Arbeit für die Winterhilfsaktion ist es leicht, in sie einzudringen und Funktionen zu erhalten. Dann können wir leichter Vorschläge machen, welche Familien unterstützt werden sollen.« [9]
Die NSV sollte also durch Eintritte für Zwecke der Roten Hilfe genutzt werden. »Um Hilfe für die Hunderttausende Angehörige der eingekerkerten Freiheitskämpfer auf breiteste Grundlagen zu stellen, müssen wir in den faschistischen Organisationen und insbesondere in der NSV arbeiten. Das dient nicht nur der Tarnung, sondern stellt uns die Aufgabe, die faschistischen Organisationen für die Unterstützung der Notleidenden auszunutzen und ihre Mitglieder für die gemeinsame Sache zu gewinnen.« [10]
Rote Hilfe Arbeit innerhalb einer faschistischen Organisation zu betreiben, konnte natürlich nicht offen diskutiert werden und war anderen nicht immer leicht zu vermitteln.
Einige GenossInnen hatten kein Verständnis und waren mißtrauisch, als sie andere GenossInnen in der NSV arbeiten sahen. So heißt es in einem Bericht im Tribunal über »eine gute und aktive Genossin«, nachdem sie in die NSV eingetreten war:
»Wir waren enttäuscht, misstrauisch und zogen uns von ihr zurück. Sie ist, so meinten wir, eine Überläuferin. Nach kurzer Zeit erhielt sie eine Funktion als Prüfer bei einigen von der NSV unterstützten Familien. Diese Arbeit hat sie zur Zufriedenheit der faschistischen Organisationsleitung ausgeübt. Dann erhielt sie immer höhere Funktionen. Nach einiger Zeit merkten wir, wie Familien von verhafteten Genossen da und dort von der NSV Unterstützung erhielten. () Jetzt merkten wir, welch planmäßige Arbeit die Freundin in dieser Organisation geleistet hat«[11]
Dieses Spannungsverhältnis zwischen den GenossInnen und der Arbeit in einer Nazi-Organisation werden sicherlich die meisten erlebt haben, die diese Arbeit auf sich nahmen. Die eigenen Massenstrukturen waren zerstört und damit auch eine breit angelegte Unterstützung für die politischen Gefangenen und deren Familien aus eigener Kraft. In einer faschistischen Struktur konnten die GenossInnen praktische Hilfe leisten ohne sich und andere Genossen durch den Aufbau eigener Unterstützungskreise noch mehr zu gefährden, soweit dies überhaupt noch möglich war.
Daß die Arbeit in der NSV natürlich nicht immer einfach vermittelbar gewesen ist, zeigt der beschriebene Fall. Dennoch hieß die Parole der Roten Hilfe Leitung: »Die breite Organisation der Hilfe wird in den faschistischen Massenorganisationen entstehen oder sie wird keine breite Organisation mit umfassender Hilfstätigkeit sein. Wir müssen auch einmal den Vorwurf des angeblichen Überläufertums auf uns nehmen, um alle Antifaschisten von der Notwendigkeit dieser Arbeit zu überzeugen, wenn wir wirklich breite Massenhilfe leisten wollen. Und das wollen wir !«[12]
Fußnoten :
  1. Übt Solidarität, S. 18 u. Tribunal, September 34
  2. Tribunal, Februar 1936
  3. Tribunal, September 1934
  4. Tribunal, Februar 1936
  5. Tribunal, März 1936
  6. Gestapo-Berichte über den Antifaschsitischen Widerstandskampf der KPD 1933-1945, Band 1, Milkartski un E. Warnig , Berlin, S. 182
  7. ebd., S. 181
  8. Winterhilfswerk
  9. Tribunal, Dezember 1935
  10. Tribunal, Januar 1936
  11. Tribunal, Januar 1936
  12. Tribunal, Januar 1936

Zurück Index Vor