nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Mon Jan 22 12:03:49 2001
 

BLACK POWER
| nadir | home | inhalt | << | >> |
Anmerkungen zur Übersetzung und zum Gebrauch einiger Begriffe

Zum Begriff "Rasse"

Black Power, Schwarzer Nationalismus und Pan-Africanismus

Black Muslims, der Islam als revolutionäres Konzept?

Zur MOVE-Organisation

Anmerkungen

Vorbemerkung

Dieses Buch ist ein Versuch, anhand von Interviews mit Schwarzen politischen Gefangenen ein Stück Geschichte des militanten Schwarzen Widerstandes in den USA seit Ende der 60er Jahre sowie dessen Aufarbeitung sichtbar zu machen.

Schwerpunkt dieses Buches und der Interviews sind die Lebensgeschichten von Schwarzen politischen Gefangenen aus der Black Panther Party (BPP) und der Black Liberation Army (BLA) sowie der MOVE-Organisation.

Wir sind bei der Konzeption des Buches davon ausgegangen, daß es sowohl in den USA als auch in der BRD ein sehr geringes Wissen über die Geschichte des militanten Schwarzen Widerstandes seit Ende der 60er Jahre gibt. Das gilt unserer Einschätzung nach nicht nur für die Geschichte der meisten Schwarzen politischen Gefangenen aus den jeweiligen Phasen des Schwarzen Widerstandes, sondern auch für die allgemeine Geschichte, die Theorie und Praxis der unterschiedlichen Organisationen und Bewegungen.
Zielsetzung des Buches ist es daher vor allem, die Mauer des Schweigens und Vergessens, mit der viele der Schwarzen politischen Gefangenen konfrontiert sind, ein Stück weit aufzubrechen. Gleichzeitig sollen ihre Geschichte und die ihrer Kämpfe und Bewegungen zumindest ansatzweise zugänglich gemacht werden. Darüber hinaus ist auch Absicht, den Mythen und Projektionen, die sich seit der HipHop-, Malcolm X- und Riot-Euphorie in den Köpfen weißer Linker in der BRD in bezug auf alles, was von hier aus als Schwarzer Widerstand definiert wird, festgesetzt haben, Bruchstücke aus der Realität unterschiedlicher Bewegungen und Organisationen Schwarzen Widerstands entgegenzusetzen. Eine gemeinsame Auseinandersetzung um Perspektiven für einen radikalen Widerstand in der alten Supermacht USA und der neuen Supermacht BRD sowie praktische Schritte in diese Richtung sind nur durch einen Prozeß des Vermittelns der jeweiligen Geschichte, der Offenlegung von eigenen Widersprüchen sowie auf der Basis einer genauen und ehrlichen Diskussion um Unterschiede und Gemeinsamkeiten in Theorie und Praxis möglich. Ansonsten bleibt es bei leeren Phrasen von internationaler Solidarität, bei der Idealisierung der jeweils gerade in die eigenen Vorstellungen passenden Einzelaspekte oder -personen einer bestimmten Bewegung und dem Verleugnen von konkreten, fundamentalen Widersprüchen.
Auch wir haben uns in den Diskussionen mit den sechs Gefangenen und ehemaligen Gefangenen um kontroverse inhaltliche Diskussionen zu schwierigeren Fragen, wie z.B. patriarchale Strukturen innerhalb der Black Panther Party und der BLA, Homophobie oder der Rolle von Islam im Konzept von Schwarzer Befreiung in den USA, herumgemogelt.
Dafür gibt es unterschiedliche Gründe: Da war zum einen der Repressions- und Gefängnisapparat, der wie überall kein Interesse daran hat, daß politische Gefangene ihre Situation und ihre Ansichten einer breiteren Öffentlichkeit vermitteln können. Diskussionen z.B. zum Patriarchat oder der jeweiligen Vorstellung von Organisierung sind auch außerhalb von Gefängnismauern beim Vorhandensein von ausreichend Zeit und der Möglichkeit, sich gegenseitig kennenzulernen voller Stolpersteine und Schwierigkeiten. Aber unter der Vorgabe, daß für eine Auseinandersetzung nur wenige, überwachte Stunden zur Verfügung stehen, schienen uns derartige Diskussionen kaum möglich.
Diese Schwierigkeiten und unsere eigenen Unsicherheiten wurden noch dadurch verstärkt, daß es zwischen keinem der Gefangenen und der ehemaligen Gefangenen und uns vorher einen direkten Kontakt oder vorhergehende Diskussionen gegeben hatte. Die Ausnahme hierbei bildet Mumia Abu-Jamal.
Oft entstand während der Interviews das Dilemma, daß die Gefangenen ein großes Interesse an Informationen zur Situation in der BRD hatten, z.B. den rassistischen Angriffen auf Flüchtlinge und MigrantInnen, der antifaschistischen Organisierung und der momentanen Politik der RAF, ebenso wie wir daran interessiert waren, Informationen zur BRD zu vermitteln auch dieser Bereich konnte nur angerissen werden, weil die Rahmenbedingungen dafür nicht gegeben waren. Und so war eine wesentliche Grundbedingung für eine tatsächliche Diskussion das gegenseitige Wissen um die Geschichte der jeweiligen Bewegungen und Personen nicht gegeben. Es ist uns wichtig, deutlich zu machen, daß dieses Buch und die Interviews nur den Anfang und den Anstoß zu einer Auseinandersetzung darstellen können, die von vielen unterschiedlichen Frauen und Männern sowohl hier als auch in den USA aufgegriffen und getragen werden müßte.
Die Auswahl unserer InterviewpartnerInnen war von mehreren Faktoren abhängig: Wesentlich war uns dabei, daß wir Frauen und Männer aus den unterschiedlichen Phasen und unterschiedlichen politischen Richtungen des Schwarzen Widerstandes befragen wollten. Wir sind der Meinung, daß zumindest dieser Anspruch im wesentlichen auch realisiert wurde. Gemeinsamer Ausgangspunkt für alle InterviewpartnerInnen bis auf Ramona Africa von MOVE war die Black Panther Party an der Ost- und Westküste Ende der 60er Jahre. Von diesem Punkt ausgehend, haben wir alle jedoch unterschiedliche politische Richtungen eingeschlagen und dementsprechend unterschiedliche Erfahrungen gemacht, die auch in den Interviews sehr deutlich werden.
Trotzdem kann die Auswahl der InterviewpartnerInnen nur ein unvollständiges Bild vermitteln: die über 50 Schwarzen politischen Gefangenen aus der BPP und der BLA sind in den Hochsicherheitsgefängnissen der gesamten USA verstreut und isoliert. Natürlich haben auch die Existenz bzw. das Fehlen vorausgehender Kontakte unsererseits zu einzelnen UnterstützerInnenkreisen und AnwältInnen den Zugang zu bestimmten Gefangenen erleichtert bzw. unmöglich gemacht. Die Gefangenen, mit denen die Interviews letztendlich zustandegekommen sind, haben uns weitere Kontakte vermittelt bzw. Vorschläge für andere Interviews gemacht, die sich dann jedoch aufgrund der riesigen Entfernungen und mangels Zeit und Geld sowie teilweise äußerst restriktiver Haftbedingungen nicht mehr realisieren ließen. Auch für diesen Punkt gilt, daß das Buch nur fragmentarischen Charakter haben kann.
Und ebenso, wie die Gefangenen und ehemaligen Gefangenen in den Interviews unterschiedliche Positionen vertreten, gibt es natürlich auch innerhalb des Redaktionskollektivs Widersprüche und Unterschiedlichkeiten. Das Redaktionskollektiv setzt sich aus Frauen und Männern zusammen, die aus den verschiedenen Teilbereichen der autonomen Bewegung der 80er Jahre in der BRD kommen aus der autonomen Frauen- und Lesbenbewegung, dem Häuserkampf, der Anti-AKW-Bewegung sowie aus antifaschistischen und antirassistischen Gruppen. Gemeinsamer Ausgangspunkt für dieses Buch bildet unsere Zusammenarbeit im Komitee Right On. Das Komitee existiert in unterschiedlicher Zusammensetzung seit 1990 und hat sich Gegen-Öffentlichkeitsarbeit zu unterschiedlichen sozialen Widerstandsbewegungen in den USA als Arbeitsschwerpunkt gesetzt. Zu den Projekten des Komitees gehören z.B. die Organisierung von Veranstaltungsrundreisen mit VertreterInnen aus dem Schwarzen Widerstand, dem Native American Widerstand und antirassistischer/antifaschistischer Gruppen aus den USA und Kanada. Darüber hinaus bemüht sich das Komitee, durch die Veröffentlichung/Übersetzung von Materialien aus den USA und Kanada authentische Informationen aus den jeweiligen Bewegungen möglichst breit zugänglich zu machen. Das Komitee versucht so in seiner Arbeit einerseits dem gängigen Propaganda-Bild von den USA als multikultureller Schmelztiegel als auch andererseits dem immer noch weit verbreiteten linken Anti-Amerikanismus entgegenzuwirken.
Aufgrund der unterschiedlichen Geschichte und jeweiligen politischen Praxis gab es auch unter uns verschiedene Motivationen, als weiße deutsche radikale Linke ausgerechnet ein Buch über den militanten Schwarzen Widerstand in den USA zu machen. Eine wesentliche Motivation für uns, uns überhaupt mit Schwarzem Widerstand in den USA zu beschäftigen, bildeten die Texte der Revolutionären Zellen zur Kampagne Freies Fluten, die Diskussionen, insbesondere innerhalb der Frauen- und Lesbenbewegung zu den Zusammenhängen von Rassismus, Sexismus und Klassenunterdrückung sowie Diskussionen und konkrete Zusammenarbeit mit Flüchtlingen und MigrantInnen in der BRD. Wir halten es für uns als weiße Frauen und Männer dringend notwendig, uns mit organisiertem Widerstand von People of Color gegen gesellschaftlichen und staatlich-institutionellen Rassismus sowohl in der BRD als auch auf internationaler Ebene auseinanderzusetzen. Dies muß unsererseits auch die Bereitschaft beinhalten, Kritik an uns und unserer jeweiligen Praxis zuzulassen sowie die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen aufgrund der strukturellen Unterdrückungen durch Rassismus, aber auch Patriarchat und Klassenwidersprüchen klar zu benennen.
Ein weiterer Aspekt für die Entstehung dieses Buches war der zunehmende Verlust internationalistischer und antiimperialistischer Ansätze vor allem in der Politik antifaschistischer Gruppen in der BRD sowie die immer mehr um sich greifende Tendenz, aufgrund des rassistischen und faschistischen Rollbacks in der BRD, diese (die BRD) zum Nabel aller Entwicklungen zu machen. Dabei geht es uns nicht um klassische Solidaritätsarbeit M-` la Nicaragua-Solibewegung der 80er Jahre. Trotz aller Rückschläge halten wir aber nach wie vor daran fest, daß eine Perspektive für Befreiung und revolutionäre Veränderung nur in einem internationalen Kontext und einer internationalen Auseinandersetzung möglich ist. Das heißt konkret, daß wir auf der Suche nach Möglichkeiten, eine effektive Organisierung gegen imperialistische und rassistische Politik der BRD zu realisieren, zum einen von Bewegungen mit ähnlicher Zielsetzung in anderen Ländern lernen können, zum anderen geht es auch um gemeinsame praktische Ansätze. Unsere Vorstellung orientiert sich dabei nicht an einem linksradikalen, westeuropäischen Einheitsbrei, sondern an einem Konzept, in dem Unterschiedlichkeiten respektiert werden und dementsprechend gemeinsame und getrennte Organisierungs- und Arbeitsbereiche existieren.
Diese Vorstellung beinhaltet auch eine Auseinandersetzung um die Geschichte, die Möglichkeiten, Schwierigkeiten und Perspektiven von bewaffnetem Widerstand und Befreiungsbewegungen sowohl in den Metropolen als auch in Trikontländern. Die Interviews mit den sechs Frauen und Männern spiegeln einen kleinen Ausschnitt aus dieser Diskussion in den USA wieder. Die konkrete Aufarbeitung der Geschichte der BPP und der BLA findet auch unter den ehemaligen AktivistInnen der Bewegung erst seit wenigen Jahren statt. Sie ist davon geprägt, daß der militante Schwarze Widerstand der 60er und 70er Jahre auch innerhalb der Schwarzen Communities totgeschwiegen wird. Hinzu kommt, daß viele der HauptaktivistInnen entweder tot oder mehrheitlich seit nunmehr zwei Jahrzehnten von einander getrennt in Hochsicherheitstrakten gefangengehalten werden. Da mit dem Zusammenbruch der BPP und der BLA auch der Großteil der Unterstützungsstrukturen für die politischen Gefangenen aus diesen Bewegungen zusammenbrach, war und ist die Mehrheit der Schwarzen politischen Gefangenen vollständig damit beschäftigt, ihr tägliches Überleben in den Gefängnissen zu organisieren. So waren und sind dann auch die ersten Ansätze zur Wiederaneignung der Geschichte militanten Schwarzen Widerstands seit 1989 sehr stark an individuellen Fällen einzelner Gefangener orientiert. Damit einhergehend haben auch die Gefangenen untereinander wieder einen intensiveren Austausch begonnen. Daraus entstand dann z.B. der Aufruf der Schwarzen/New African politischen Gefangenen und Kriegsgefangenen für die Freilassung von Mumia Abu-Jamal Anfang 1991.
Die Entscheidung, ganz konkret die Black Panther Party und die BLA zum Schwerpunkt eines Buches zu machen, hat sich auch aus ihrer historischen Bedeutung für den Schwarzen Widerstand in den USA ergeben. Im Gegensatz zur Schwarzen Bürgerrechtsbewegung der 50er und 60er Jahre propagierten die 1966 gegründeten Panthers eine militante Umwälzung in allen Lebensbereichen. Die Panthers kamen aus den Schwarzen städtischen und ländlichen Communities und haben innerhalb und mit den Menschen in den Communities für eine radikale Veränderung in allen Lebensbereichen gekämpft. Das Konzept der Panthers ging aber über einen eng gefaßten Schwarzen Nationalismus hinaus und umfaßte auf der Grundlage einer Analyse der Zusammenhänge zwischen Rassismus und Kapitalismus eine offensive Bündnisarbeit mit revolutionären Organisationen anderer Bewegungen, wie z.B. der Native American-Bewegung, der Chicano-Bewegung, der puertoricanischen Unabhängigkeitsbewegung und weißen linken Organisationen. Die politische Arbeit der Black Panther Party stützte sich auf die damalige Aufbruchstimmung in der Schwarzen Community und die weitverbreitete Akzeptanz von militanter Selbstverteidigung. Ihre militante Praxis führte dazu, daß sich z.B. die RAF, der 2. Juni und andere Stadtguerillagruppen in ihrer Anfangszeit auch auf die BPP und die BLA bezogen.
Organisierter und militanter Widerstand von People of Color wurde und wird von den staatlichen Repressionsorganen nicht nur in den USA aufs heftigste bekämpft. Die BPP und die BLA sind letztendlich nicht nur aufgrund interner Auseinandersetzungen und einer unvorstellbaren Repression durch das FBI zerschlagen worden, sondern auch, weil sich die konkrete Unterstützung innerhalb der Schwarzen Community zunehmend verringerte und sich darüber hinaus die Solidarität der privilegierten weißen Linken in den USA und in Westeuropa größtenteils in Lippenbekenntnissen erschöpfte. Diese Tendenz der Entsolidarisierung mit organisierten Kämpfen von People of Color angesichts staatlicher Repression und konkreter Kritik und Anforderungen an die eigene Praxis spiegelt sich z.B. auch in dem absoluten Schweigen der weißen US-Linken und der westeuropäischen Linken zur Bombardierung des MOVE-Hauses 1985 in Philadelphia wieder. Diese Repression gegen jegliche Organisierung von People of Color war für uns auch ausschlaggebend dafür, das Interview mit Ramona Africa von MOVE trotz aller Widersprüche und Kritik an der Ideologie von MOVE in das Buch mitaufzunehmen.
Ursprünglich sollte dieses Buch nicht nur einen historischen Überblick über die letzten 2030 Jahre Schwarzen Widerstand geben, sondern auch Informationen zur momentanen Situation und Organisierung von linksradikalem Schwarzen Widerstand in den USA beinhalten. Wir haben diesen Anspruch allerdings aus mehreren Gründen schnell wieder verworfen. Seit der Zerschlagung von BPP und BLA als US-weite Organisationen Mitte der 70er Jahre existiert in den Schwarzen Communities keine städte- oder regionalübergreifende linke Organisation/Organisierung mit einer der BPP/BLA entsprechenden Relevanz und Bedeutung mehr. Die existierenden Ansätze, z.B. Schwarze Frauen- und Lesbengruppen oder linke Schwarze Communityprojekte, sind zumeist über den jeweiligen Stadtteil/Stadt hinaus kaum untereinander vernetzt. Andere militante Organisationen aus dem Schwarzen Widerstand der 60er und 70er Jahre, wie die kultur-nationalistische Republic of New Africa, sind trotz ihres Anspruches und ihrer Propaganda im Vergleich mit der BPP ohne Einfluß in den Schwarzen Communities von heute. Ähnliches gilt für linke Schwarze Intellektuelle, die sich Ende der 70er Jahre an die Universitäten zurückzogen und nur in einem sehr geringen Umfang einen Einfluß auf die praktischen und theoretischen Auseinandersetzungen in den Communities besitzen.
Wir sehen uns daher zumindest momentan nicht in der Lage, einen auch nur halbwegs zutreffenden Überblick über den aktuellen Schwarzen Widerstand in den USA zu geben und haben uns deswegen bewußt auf die Geschichte der BPP und BLA beschränkt.

| anfang |

Anmerkungen zur Übersetzung und zum Gebrauch einiger Begriffe

People of Color: Die direkte deutsche Übersetzung wäre farbige Menschen. Da People of Color in englischsprachigen Ländern und Veröffentlichungen als eine politische Definition und ein politischer Begriff von und für Menschen unterschiedlicher Hautfarben, Nationalitäten und Herkunft gebraucht wird, haben wir uns dafür entschieden, den englischen Begriff unübersetzt beizubehalten. In den USA umfaßt der Begriff People of Color sowohl Native Americans, African Americans, Mexican Americans und Asian Americans als auch MigrantInnen aus Trikontländern.

Third World/Third World People: Hier wäre die direkte Übersetzung Dritte Welt bzw. Menschen aus der Dritten Welt. Im linken US-amerikanischen Diskurs wird dieser Begriff ähnlich wie people of color als eine politische Definition und ein politischer Begriff von und für Native Americans, African Americans, Mexican Americans, Asian Americans und MigrantInnen aus dem Trikont gewählt. Die Wahl des Begriffs Third World soll dabei die rassistische Unterdrückung und Ausbeutung von people of color in den USA sowie die absolute Diskrepanz zwischen den Lebensbedingungen von z.B. weißen DurchschnittsamerikanerInnen und innerstädtischen African Americans verdeutlichen. Der Begriff Third World wird dabei oft im Zusammenhang mit der Analyse, daß African Americans, Native Americans und Mexican Americans interne Kolonien des euroamerikanischen Herrschaftssystems sind, verwendet. Wir haben den Begriff mehrheitlich als Third World beibehalten und ihn an einzelnen Stellen mit Trikont übersetzt.

African Americans: Der Begriff wird im Deutschen des öfteren mit Afro-AmerikanerInnen bzw. afro-amerikanisch übersetzt. Wir haben die Verwendung des Begriffs African Americans gewählt, da er eine bewußte Zusammensetzung aus zwei gleichwertigen Substantiven ist Africa und America und damit aus der Sicht derer, die sich mit diesem Begriff definieren, ihre Situation als zwangsweise in die USA verschleppte AfrikanerInnen, die aber eine eigene Geschichte und Identität haben, beschreibt und politisch definiert. Darüber hinaus wird der Begriff African American in den USA in bewußter Abgrenzung zum Begriff Afro American gewählt.

Native Americans: Wir haben diesen Begriff, der in der direkten Übersetzung am ehesten indigene Bevölkerung Amerikas bedeutet, beibehalten, da wir die Übersetzung Indianer für rassistisch und rassistische Bilder transportierend halten.

Black/black: Die Frage der Schreibweise von Schwarz/schwarz ob Groß- oder Kleinschreibung stellte sich vor allem bei den Interviews. Inzwischen hat sich auch in der BRD die Großschreibung von Schwarz als Ausdruck einer politischen Definition und eines politischen Bewußtseins durchgesetzt. Dementsprechend haben wir auch die Großschreibung von Schwarz bei der Übersetzung der Interviews dort gewählt, wo mit Schwarz eine politische Definition und ein politisches Bewußtsein über die reine Beschreibung der Hautfarbe hinaus gemeint ist. Von einigen der InterviewpartnerInnen wissen wir, daß sie wie z.B. Mumia in ihren schriftlichen Äußerungen das gleiche Kriterium bei der Groß- und Kleinschreibung von Black verwenden.

Geschlechterformen: Im Englischen gibt es keine femininen bzw. maskulinen Artikel und Formen bei Substantiven. Es ist daher in den meisten Fällen der Interpretation der ÜbersetzerInnen überlassen, ob sie/er denkt, daß das jeweilige neutrale Substantiv, wie z.B. activists (Aktivist/Inn/en), Frauen und Männer umfaßt, oder nur Männer damit gemeint sind. Wir haben uns bei der Übersetzung vor allem daran orientiert, in welchem Kontext unsere InterviewpartnerInnen das jeweilige Substantiv gestellt haben, müssen aber hinzufügen, daß es in dieser Frage mehr als nur einen Grenzfall bei unseren Übersetzungen gibt und wir oft keinen Konsens gefunden haben.

Grundsätzlich läßt sich zu den Übersetzungen noch sagen, daß wir uns in allen Fällen auch da, wo wir inhaltlich größte Widersprüche und Schwierigkeiten hatten um Authenzität bemüht haben.

| anfang |

Zum Begriff Rasse

Bei den Übersetzungen der Interviews und deren Begleittexten waren wir immer wieder mit der Frage konfrontiert: Wie übersetzen wir den Begriff race/Rasse aus dem Englischen? In welchem Kontext wird der Begriff in den jeweiligen Interviews und Texten verwendet?
Wir haben uns bei den Interviews und den Begleittexten für die direkte Übersetzung von race als Rasse entschieden und dabei auch auf die Anführungsstriche verzichtet, da diese nicht der Praxis in den Originaltexten entsprechen würden.
Wir halten es aber nicht für ausreichend, uns auf eine Position zurückzuziehen, wonach der Begriff race/Rasse in den USA unbelasteter sei. Der Begriff und das Konzept von race/Rasse wird in den USA weder in der Umgangssprache noch in den meisten intellektuellen Diskursen zu Race relations/Rassenbeziehungen gemeint ist damit in den meisten Fällen der Stand der Beziehungen zwischen Euro-AmerikanerInnen und African Americans genauer definiert oder erläutert. Auch unsere InterviewpartnerInnen und die Begleittexte machen da keine Ausnahme. Aus der Erfahrung von rassistischer Unterdrückung und den Auswirkungen rassistischer Hierarchien auf die Lebensrealität aller African Americans betonte die Black Power Bewegung und die Black Panther Party die Notwendigkeit eines positiven race consciousness/Rassebewußtseins, d.h. einer positiven Identität von African Americans. Klassenunterdrückung, staatliche Repression und institutioneller Rassismus (von Patriarchat ist in diesem Zusammenhang in den seltensten Fällen die Rede) werden dabei unter dem Begriff Race relations/Rassenbeziehungen zusammengefaßt und der Kampf gegen sie oft entlang der Scheidelinien von Hautfarben schwarz oder weiß organisiert. In der Black Panther Party wurde versucht, diese Widersprüche durch eine Bündnispolitik und einer Analyse der USA als kapitalistischer Klassengesellschaft in der praktischen Organisierung aufzuheben.
Ungenau und schwierig wird es da, wo nationalistische Organisationen wie die Republic of New Africa Rassenzugehörigkeit zur Klammer und zum einzigen Kriterium für die Organisierung von Widerstand gegen rassistische Unterdrückung machen.
Zur Erläuterung unseres eigenen Verständnisses des Begriffs race/Rasse, zitieren wir an dieser Stelle zwei Passagen aus Drei zu Eins: Klassenwiderspruch, Rassismus und Sexismus (in Drei zu Eins, S. 2582, Klaus Viehmann u.a., Edition ID-Archiv 1993), weil sie unserer Ansicht nach eine gute Zusammenfassung darstellen: Rassen- sind eine Konstruktion, bei der soziale und kulturelle Unterschiede in angeblich biologisch bedingte Wesenseigenschaften übersetzt werden. Rasse- ist eine offene Kategorie, die in der Geschichte unterschiedlich gefüllt wurde. Deshalb ist es besser, von Rassismen anstatt Rassismus zu sprechen. (...) Physische Charakteristika werden mit sozialen und kulturellen Unterschieden in eine kausale Verbindung gestellt. Diese sozialen und kulturellen Tatsachen werden dadurch naturalisiert und damit als allgemeingültig interpretiert. (...) Allen Rassismen gemeinsam ist, daß den Opfern ein Platz auf der Werteskala unterhalb des eigenen zugewiesen wird und sie dort als von Natur aus Minderwertige- bleiben sollen. Natur- meint: geschichtslos und auf Ewigkeiten festgeschrieben. Rassismen versuchen über Abstammung- und Reinheit des Blutes- Identitäten quer zu den Klassenlagen und auch quer zu den Geschlechtern herzustellen. Real ist nicht die Existenz von Rassen-, sondern die Existenz von Rassismen (S. 33, Drei zu Eins).
Rasse- ist ursprünglich nur eine Konstruktion zu rassistischen Zwecken. Die Zuschreibung einer Rasse- ist die Zuschreibung einer Position: herrschend oder beherrscht. Rasse- ist ein (zusätzlicher) Faktor zur Stabilisierung ungleicher politischer, ökonomischer und patriarchaler Verhältnisse (S. 36, Drei zu Eins).
Die Ursprünge des historischen, kolonialen Rassismus gehen in das Zeitalter der Aufklärung (Ende des 17. Jahrhundert) zurück. Mit dem Ende von absolutistischer Herrschaft und feudalistischer Machtstrukturen entstand die bürgerliche Gesellschaft. Dieser Wandel war eng an die Ablösung feudalistisch-religiöser Denkweisen durch die Rationalität der Aufklärung verbunden. Die gleichzeitig stattfindende handelskapitalistische Entwicklung des 17. Jahrhunderts, die Plünderung und Unterwerfung der drei Kontinente, war eine wesentliche Voraussetzung für die Durchsetzung der kapitalistischen Warenproduktion. Bei einer Analyse der Entstehungsgeschichte von Rassismus ist es wichtig, beide Seiten des westlichen Zivilisationsmodells der Aufklärung zu sehen: Einerseits war die Vorstellung, daß die Vernunft das Wesen des Menschen darstellt, wodurch alle Menschen gleich seien, die Grundlage der Aufklärung und damit eines unaufhaltsamen Fortschrittsglaubens. Andererseits war und ist es eben dieser Fortschrittsglaube, der ein hierarchisches Bild von verschieden entwickelten Gesellschaften transportiert. Es entstand die Idee von einer evolutionären Entwicklung der Menschheit und einer damit korrespondierenden Hierarchie unter den Menschen und Völkern, an deren höchster Entwicklungsstufe die jeweiligen europäischen Nationalstaaten bzw. EuropäerInnen im allgemeinen standen.
Am deutlichsten wird diese ideologische Konstruktion in den Gedanken zweier sog. Vordenker der Aufklärung, Immanuel Kant und Friedrich Wilhelm Hegel: In den heißen Ländern reift der Mensch in allen Stücken früher, erreicht aber nicht die Vollkommenheit der temperierten Zonen. Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Race der Weißen. Die gelben Indianer haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind weit tiefer und am tiefsten steht ein Teil der amerikanischen Völkerschaften... (aus Kants Physische Geographie).
Der Neger stellt, wie schon gesagt worden ist, den natürlichen Menschen in seiner ganzen Wildheit und Unbändigkeit dar; von aller Ehrfurcht und Sittlichkeit, von dem, was Gefühl heißt, muß man abstrahieren, wenn man ihn richtig auffassen will; es ist nichts an das Menschliche Anklingende in diesem Charakter zu finden (aus Hegels Philosophie der Geschichte).
Es war kein Zufall, daß sich gleichzeitig mit der Kolonialisierung und Unterdrückung des Trikonts die neue Ideologie der Aufklärung einen wissenschaftlich fundierten und damit über alle Zweifel erhabenen Rassismus schuf.
Die biologistische Anthropologie und der Sozialdarwinismus versuchten, mit sog. wissenschaftlicher Objektivität die angebliche biologische Ungleichheit von Menschen festzuschreiben und diese Konstruktion zu legitimieren. Ebenso diente sie auch als ideologisches Fundament für die Kolonialisierung: Kolonialismus kann außer durch seine imperialistische Vereinnahmung von Ländern und deren grenzenlose Ausbeutung auch als eine auf Wissenschaftlichkeit bedachte Strategie der gewaltsamen Zivilisation definiert werden, die den Anschluß an die europäische Norm und an den kapitalistischen Weltmarkt erzwang(Melber, 1988, S.14). Im späten 19. Jahrhundert hatte sich der Weltmarkt weitläufigst durch und mit den kolonisierten Gebieten ausgedehnt. Die ökonomische Dominanz Europas wurde durch ein damit korrespondierendes kulturimperialistisches Weltbild ergänzt, das Knapp wie folgt beschreibt: In der naturhistorischen Betrachtung erscheint Kultur als spätes Entwicklungsprodukt. Kultur ist nur in Verbindung mit den höher entwickelten intellektuellen Fähigkeiten zu begreifen, welche aber wieder selbst ein Ergebnis der Entwicklung sind. (...) Die gegenwärtig erreichte Stufe der westlichen Kulturvölker ist als die höchste anzusetzen (...) Von diesem Standpunkt aus können die anderen Völker und Kulturen als zurückgeblieben-, als Naturvölker-, als primitiv und unkultiviert- angesehen und dementsprechend behandelt werden(Knapp, 1984, S. 273 ff.). Gleichzeitig wurde damit das Problem der Kolonisatoren, in den eroberten Kontinenten Amerika, Afrika und Asien eine loyale Herrschaft zu etablieren, gelöst. Um die kolonisierten Menschen zuverlässig vom Zugang zur Macht auszuschließen und eine gemeinsame Identität unabhängig von Klassenzugehörigkeit und Geschlecht aller an der Kolonisierung beteiligten EuropäerInnen zu schaffen, wurde auf die Reinheit des Blutes- zurückgegriffen. Die Macht blieb auf diese Art weiß, d.h. in den Händen der europäischen Unterdrücker.
Ihre Fortsetzung und ihre Zuspitzung fanden die verschiedenen Rassentheorien in der Ideologie und Vernichtungspraxis der Nationalsozialisten in der Vernichtung alles Unarischen in den Konzentrationslagern. Die Nazis setzten Rasse mit dem Begriff des Volkes gleich und verbanden Antisemitismus, eine biologistische Anthropologie und Eugenik für ihre Rassenpolitik. Der Rassenhygiene liegt die Überzeugung zugrunde, daß geistige Fähigkeiten ebenso vererbt werden wie körperliche Eigenschaften. Im Gegensatz zu den völkischen- oder mysthischen Rassentheorien- ist die Rassengeschichte für die sozialdarwinistische Rassenhygiene- ein (andauernder) Prozeß. Die Entwicklung des Menschen folgt nach diesem Modell selektierenden Gesetzmäßigkeiten der Evolution; soziale Unterschiede werden als Resultat von Wettkämpfen interpretiert. Weil jedoch durch die moderne Zivilisation die natürliche Auslese- zunehmend gestört werde, müsse die natürliche Ungleichheit durch bevölkerungspolitische Eingriffe wieder hergestellt werden (Pinn/Nebelungen, 1989, S. 28).
Die Rassenideologie der Nazis hierarchisierte die gesamte Menschheit nach biologistischen Kriterien. Mit dieser Hierarchisierung nach äußeren Eigenschaften ging ein internes Bewertungssystem einher, wonach physische und psychische Merkmale der sozialen Oberschichten mit denen der nordischen Rasse gleichgesetzt bzw. solche der sozialen Unterschichten mit denen primitiver Rassen gleichgesetzt wurden. Die Konsequenz aus der nationalsozialistischen Ideologie war zum einen die Vorstellung, daß höherwertige Rassen durch die Mischung mit minderwertigem Blut degenerieren würden. Zum anderen schuf sie damit eine wissenschaftliche Legitimationsbasis für die direkte Vernichtung all jener, die von der herrschenden Norm abwichen JüdInnen, Sinti und Roma, Homosexuelle, Krüppel, Kranke, Alte ...
Im Interview mit Ramona Africa von MOVE spricht Ramona bei der Frage nach der Zusammensetzung von MOVE von jüdischen MOVE-Mitgliedern im Zusammenhang mit der Existenz verschiedener Rassen. Um es deutlich zu sagen: Es gibt keine jüdische Rasse oder Rasse der JüdInnen. Da wir diesen Satz von Ramona nicht unkommentiert stehen lassen wollten, zitieren wir an dieser Stelle Jacoby und Langwa, 1990: ... Es gibt jüdische Geschichte und jüdische Kulturen, wovon Religion ein wesentlicher Bestandteil ist.
Grundsätzlich erhält die aktuelle linke (linksradikale) Auseinandersetzung um Rassismus unserer Meinung nach ihre Bedeutung nicht erst durch die Welle rassistischer Pogrome und der Eskalation von staatlichem und gesellschaftlichem Rassismus in der BRD. Bei der Zusammenstellung des Buches und in den Begegnungen mit unseren InterviewpartnerInnen ist uns einmal mehr deutlich geworden, daß es auf der Suche nach revolutionären Perspektiven darum gehen muß, Rassismus als eigenständige Unterdrückungsform zu erkennen und in einer antirassistischen Praxis die Zusammenhänge zwischen Rassismus, Sexismus und Klassenunterdrückung sichtbar zu machen.

| anfang |

Black Power, Schwarzer Nationalismus und Pan-Africanismus

Der Slogan Black Power und die Black Panther Party waren seit 1966/67, als der Slogan Black Power zum ersten Mal auf den Demonstrationen der Bürgerrechtsbewegung von SNCC-AktivistInnen eingebracht wurde und Huey P. Newton und Bobby Seale in Oakland, Kalifornien die BPP gründeten, eng miteinander verwoben.
Fast alle VertreterInnen der Black Power Bewegung berufen sich auf Malcolm X und dessen oftmals zitierten Satz zur Zielsetzung Schwarzer Befreiungskämpf: "Es geht nicht darum, daß die dunkelhäutige Menschheit Integration oder Separation will; es geht um den Wunsch nach Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit." Das Konzept Black Power wurde Ende der 60er Jahre von vielen der Schwarzen Jugendlichen und weiten Teilen der Schwarzen ArbeiterInnenklasse und Mittelschicht getragen. Es stand auch in Abgrenzung zu den rein reformistischen Forderungen der Bürgerrechtsbewegung.
Die Definitionen von Black Power fielen recht unterschiedlich aus: Der führende Student des Nonviolence Coordinating Committee Aktivist Stokeley Carmichael schrieb zusammen mit anderen 1967 zur Intention von Black Power: "Dieses Konzept würde es Schwarzen ermöglichen, die politische, ökonomische und psychische Kontrolle über unser Leben auszuüben. Wir werden damit auch zur Entwicklung einer lebenswerten breiteren Gesellschaft beitragen ... Ein anderer SNCC-Aktivist, Julius Lester, beschrieb Black Power als einen weiteren Ausdruck dessen, was in Lateinamerika, Asien und Afrika geschieht. In diesen drei Kontinenten eigenen sich die Menschen die Kontrolle über ihr Leben wieder an, und Schwarze in den USA tun das gleiche. Diese Befreiungsbewegungen sagen nicht: Gebt uns unseren Anteil-, sondern fordern: Wir wollen alles."
Für einige AktivistInnen stand Black Power im Zusammenhang mit einer sozialistischen Veränderung der USA und der Abschaffung des Kapitalismus. Für sie repräsentierte Black Power "... die neue revolutionäre gesellschaftliche Macht der schwarzen Bevölkerung, die im sog. Black Belt im Süden und in den städtischen Ghettos des Nordens konzentriert ist; eine revolutionäre gesellschaftliche Kraft, die nicht nur gegen die Kapitalisten kämpfen muß, sondern auch gegen die Arbeiter und Mittelschichten, die von einem System profitieren und ein System unterstützen, das Schwarze unterdrückt und ausgebeutet hat. Zu erwarten, daß im Black Power-Kampf sich weiße Arbeiter am Schwarzen Kampf beteiligen würden, hieße tatsächlich zu erwarten, daß die Revolution ihren Gegner im eigenen Lager willkommen heißt" (James Boggs, 1967).
Es gab aber auch Schwarze Intellektuelle, die befürchteten, daß Black Power sehr schnell in die Ideen eines neuen Schwarzen Kapitalismus und Kulturnationalismus integriert werden würde, dessen Hauptziele sich in Forderungen nach Schwarzen Arbeitsplätzen, Schwarzen Läden und Schwarzen Lehrplänen erschöpfen würden. So schreibt der US-amerikanische Politologe Harold Cruse über die Tendenz, Black Power unreflektiert mit revolutionär gleichzusetzen: "Die Black Power Ideologie ist überhaupt nicht revolutionär in bezug auf ihre wirtschaftlichen und politischen Ambitionen; sie ist tatsächlich eine soziale reformistische Ideologie. Es ist nicht als Kritik an der Black Power Bewegung gedacht, sie reformistisch- zu nennen; gesellschaftliche Reformen sind weder falsch noch gefährlich. (...) Die revolutionäre Implikation von Black Power ist die defensive Gewalt, die von ihrem ultra-extremistischen Stadtguerillaflügel aufrechterhalten und ausgeübt wird. Dieser Flügel ist eine revolutionäre anarchistische Strömung. So haben wir eine einmalige Form von schwarzem revolutionären Anarchismus mit einem Programm für gesellschaftliche und wirtschaftliche Reformen ..."
Die unterschiedlichen Ideen und Konzepte von Black Power spiegeln sich ebenso wie in der Praxis der BPP und BLA auch in den Interviews mit den Gefangenen wieder. Sie führten z.B. aber auch dazu, daß an den Universitäten die Forderung nach African American Lehrplänen langsam realisiert wird und daß seit Ende der 60er immer wieder Schwarze ArbeiterInnen eigene Organisationen bzw. Gewerkschaftsortsverbände aufbauten.
Die andere Seite von Black Power, die sich vor allem nach der Zerschlagung der BPP und der BLA seit Mitte der 70er Jahre immer mehr durchsetzen konnte und sich heute auch in vielen HipHop Texten wiederfinden läßt, ist ein enger, kultur-nationalistischer Begriff von Schwarzer Identität und Schwarzer Befreiung in den USA. Stellvertretend für viele Organisationen und Gruppen dieser Tendenz soll hier kurz auf die Republic of New Africa (RNA) bzw. New African People's Organization (NAPO) eingegangen werden.
Gegründet wurde die Republic of New Africa (RNA) mit der Wahl einer provisorischen Regierung im Mai 1968 bei einem Treffen von ca. 500 AktivistInnen Schwarzer Befreiungsorganisationen in Detroit. Die RNA geht davon aus, daß die Befreiung der African Americans in den USA nur durch die Gründung eines eigenen Schwarzen Staats möglich ist. Dem liegt zugrunde, daß die RNA die Schwarze Communities in den USA als ein New African Volk in der Diaspora definiert. Mit Hilfe der Konstruktion eines Schwarzen Volkes schafft es die RNA allerdings, die Geschlechter- und Klassengegensätze innerhalb der Schwarzen Bevölkerung in den USA zu ignorieren, eine künstliche Einheit herzustellen und die genannten Widersprüche als sekundär abzutun.
Der angestrebte Staat, die Republic of New Africa, soll auf dem Gebiet der heutigen fünf US-Bundesstaaten South Carolina, Alabama, Louisiana, Mississippi und Georgia entstehen. Der Weg zu diesem Staat führt nach Ansicht der RNA über einen langwierigen Prozess von Referenden und Volksabstimmungen innerhalb der Schwarzen Communities in den USA über ihren Status, mit deren Hilfe dann eine Bewußtseinsveränderung bei vielen bewirkt werden könnte. Der zweite Weg dahin ist für die RNA der bewaffnete Kampf. Geronimo Pratt ist einer der Schwarzen politischen Gefangenen, der sich in relativer ideologischer Nähe zur RNA befindet. Er geht im Interview näher auf ihre Vorstellungen und Ideen ein. Wie alle militanten Organisationen waren auch die RNA und NAPO von Anfang an Zielscheibe staatlicher Repression.
Die schärfste Kritik am Konzept eines engen Schwarzen Nationalismus kam in den letzten Jahren von Schwarzen Feministinnen wie bell hooks, die in Yearning race, gender, and cultural politics (South End Press, Boston, 1990) dazu schreibt: Schwarze Frauen, die aus einer feministischen Perspektive schreiben, haben hart daran gearbeitet, um aufzuzeigen, daß der enggefaßte Nationalismus mit seiner gleichzeitigen Unterstützung des Patriarchats und männlicher Vorherrschaft tatsächlich dazu beigetragen hat, die gewachsene Einheit zwischen Schwarzen Frauen und Männern zu untergraben, die seit der Zeit der Sklaverei in dem Widerstand gegen Rassismus entstanden war. Die Wiedereinführung von Schwarzem Nationalismus ist keine adäquate Antwort auf die Krise, der wir uns als Volk gegenüber sehen. In vieler Hinsicht ist unsere Krise eine Identitätskrise. Damit ist aber nicht die Art von Identitätskrise M-` la Ich muß herausfinden, wer ich bin- gemeint. Die Identitätskrise, die wir erleiden, hat mit dem Verlust einer Vorstellung von politischer Perspektive zu tun damit, daß wir nicht wissen, wie wir kollektiv gegen Rassismus kämpfen sollen und einen befreienden Raum schaffen können, um radikale Schwarze Subjektivität zu schaffen. Diese Identität steht im Zusammenhang mit Widerstand, mit dem Aufbau einer kollektiven Front, um sich Schwarzen Befreiungskampf erneut vorstellen und erneuern zu können. (S. 36)
Bell Hooks kritisiert in Yearning auch die Vorstellung einer einheitlichen Unterdrückungserfahrung und der damit einhergehenden Verleugnung fundamentaler Unterschiede in der Lebensrealität der Schwarzen Bevölkerung in den USA: Als Schwarze Menschen kollektiv rassistische Unterdrückung in ähnlicher Art und Weise erfuhren, gab es eine größere Gruppensolidarität. Rassische Integration hat tatsächlich auf fundamentale Art und Weise die gemeinsame Basis verändert, die einmal als das Fundament für den Schwarzen Befreiungskampf diente. Heute werden Schwarze Menschen aus unterschiedlichen Klassen auf deutlich unterschiedliche Art und Weise Opfer von Rassismus. Trotz Rassismus steht privilegierten Schwarzen Menschen eine Vielzahl und Auswahl an Lebensmöglichkeiten zur Verfügung. Wir können auf das Auftreten von mannigfaltigen Schwarzen Erfahrungen nicht damit antworten, daß wir eine Rückkehr zum enggefaßten kulturellen Nationalismus propagieren. Zeitgenössische KritikerInnen des Essentialismus- (der Annahme, daß es ein schwarzes Wesen gibt, das die gesamte African American Erfahrung prägt; traditionell wurde diese Idee im Konzept von soul/Seele ausgedrückt, Anm. d. Hg.) stellen die Idee in Frage, daß nur eine einzige- legitime Schwarze Erfahrung existiert. Die Realität der mannigfaltigen Schwarzen Erfahrungen wahrzunehmen, macht es uns möglich, unter Einbeziehung der Besonderheit und Verschiedenheit dessen, wer wir sind, verschiedene Konzepte für eine Vereinigung zu entwickeln (S. 37).
Ein wichtiger, oft vergessener Aspekt des Schwarzen Nationalismus in den USA ist seine internationalistische Ausrichtung der Panafrikanismus , der Bezug auf Afrika und die dortigen Kämpfe gegen Kolonialismus, Neokolonialismus und weiße Vorherrschaft nimmt. Schon zu Beginn und dann verstärkt gegen Ende des 19. Jahrhunderts gingen hunderte von Schwarzen Missionaren aus den USA nach Afrika, insbesondere nach Liberia. Umgekehrt bildete diese Verbindung eine Brücke für AfrikanerInnen in die USA, um dort studieren und arbeiten zu können. Das Konzept von Afrika als der symbolischen Heimat aller Schwarzen, und insbesondere aller African Americans in der Diaspora, setzte sich dann durch Marcus Garvey und der von ihm ab 1917 aufgebauten Organisation, United Negro Improvement Association (U.N.I.A.) in weiten Teilen der Schwarzen US-Bevölkerung durch. Garvey stellte in seinen Artikeln und seinen Veranstaltungen einen Zusammenhang zwischen der Notwendigkeit effektiver Organisierung gegen die Strukturen rassistischer Unterdrückung in den USA und dem Aufbau einer positiven Schwarzen Identität mit der Möglichkeit einer Alternative zur US-Realität her: Diese Alternative lag seiner Ansicht nach in der Rückkehr von African Americans nach Afrika. Zu diesem Zweck gründete er die Black Star Schiffahrtslinie, die Schwarze EmigrantInnen insbesondere nach Liberia bringen sollte. Die Hoffnung, die sich für viele African Americans mit diesem Konzept verband, drückte sich u.a. darin aus, daß in fast allen lokalen Schwarzen Communities Ortsgruppen der U.N.I.A. gegründet wurden. Die US-Regierung fühlte sich massiv durch Garvey und die U.N.I.A. bedroht; er wurde staatlich verfolgt und 1925 wegen Betruges zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Die U.N.I.A. zerbrach letztendlich nicht nur an ihrer Kriminalisierung, sondern auch an internen Widersprüchen und der Tatsache, daß sie ihre Versprechungen nicht halten konnte. Aber sie hatte ihren wichtigsten Zweck erfüllt das Konzept von Black Power/Black Pride wurde zum ersten Mal massenhaft greifbar. Dies erklärt auch, warum sich alle Schwarzen Befreiungs- und Bürgerrechtsbewegungen darunter auch die BPP positiv auf Marcus Garvey beziehen.
Eine andere Vorstellung von Panafrikanismus drückte sich in den Pan African-Konferenzen aus, die 1900, 1919, 1921, 1923, 1927 und 1945 auf Initiative von W.E. Du Bois stattfanden. An diesen Konferenzen nahmen sowohl AfrikanerInnen aus unterschiedlichen Staaten als auch African Americans teil. Insbesondere die letzte Pan African-Konferenz 1945 wurde von vielen späteren AnführerInnen afrikanischer Befreiungsbewegungen besucht. Einen praktischen Ausdruck fand dieser internationalistische Bezug in der massenhaften Solidarität von African Americans mit der äthiopischen Bevölkerung während der Besetzung Äthiopiens durch die faschistische italienische Armee.
Dieser praktische Internationalismus setzte sich dann in der Unterstützung für die Befreiungsbewegungen in Südafrika, Namibia, Mosambik und Angola fort sowie in dem starken Interesse an den neuen unabhängigen afrikanischen Staaten wie z.B. Ghana und Ägypten. Im Rahmen dieser Tradition stand auch der Besuch von Malcolm X 1963 in mehreren, gerade unabhängig gewordenen, afrikanischen Ländern.
Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, warum die Anti-Apartheid-Bewegung in den 80ern die einzige politisch einflußreiche, überwiegend Schwarze, linke Bewegung in den USA nach der Zerschlagung der Panthers war.

| anfang |

Black Muslims, der Islam als revolutionäres Konzept?

Der Islam wurde seit Ende des 19. Jahrhunderts in der Schwarzen Community als Alternative zur Religion der euroamerikanischen Unterdrücker dem Christentum und als eine spirituelle Rückkehr und Verbindung mit Afrika gesehen. Schwarze Muslims organisierten sich zumeist in kleineren lokalen Moscheen innerhalb innerstädtischer Nachbarschaften. Mitte der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts hatten einige große Schwarze Moscheen in New York City mehrere hundert Mitglieder.
Die bekannteste Organisation innerhalb der Black Muslim Community ist sicherlich die Nation of Islam, die 1930 von W.D. Fard in Detroit gegründet wurde. Während seines vierjährigen Aufenthalts in Detroit predigte er eine Mischung aus Ideen von Marcus Garvey und dem Koran und hatte innerhalb kurzer Zeit eine Gefolgschaft von mehreren tausend Menschen. Kurz nach seinem mysteriösen Verschwinden im Sommer 1934 wurde er von Elijah Muhammad, einem seiner engsten Vertrauten, zur menschlichen Reinkarnation Allahs erklärt, der Elijah Muhammad zu seinem Stellvertreter benannt habe. Während der 50er und 60er Jahre entwickelte sich die Nation of Islam zur stärksten Schwarzen nationalistischen Bewegung. Sie rekrutierte vor allem in den Gefängnissen und den innerstädtischen Ghettos. Für viele junge African Americans, die Widersprüche zur Ideologie der Gewaltfreiheit der Bürgerrechtsbewegung hatten, wurde die Nation of Islam mit ihrer militanten Rhetorik eine Alternative. Die Nation wurde von den traditionellen Bürgerrechtsorganisationen und dem Staat dementsprechend als Bedrohung angesehen. Die Bedeutung der Nation und die Zahl ihrer Mitglieder sank jedoch nach dem Ausschluß von Malcolm X 1963 durch Elijah Muhammad, der Ermordung von Malcolm X 1965 und der Entstehung radikaler, militanter Organisationen wie der BPP, die eine militante Praxis und nicht nur eine militante Rhetorik hatten.
Nach dem Tod von Elijah Muhammad 1975 ging die Führung der Nation of Islam an einen seiner Söhne, Wallace, über. Dieser löste die militante Selbstverteidigungsgarde Fruit of Islam auf und ersetzte Elijah Muhammads Ideologie durch die Verbreitung eines orthodoxen Islam. Die Nation of Islam wurde in World Community of al-Islam in the West umbenannt und Weißen wurde die Teilnahme an den Gebeten und die Mitgliedschaft in den Moscheen erlaubt. Wallace Muhammad unterhält gute Kontakte zu orthodox-islamischen Regierungen, wie z.B. einem führenden Regierungsmitglied der Vereinigten Arabischen Emirate, die die World Community of al-Islam mit Spenden in Millionenhöhe unterstützen.
Louis Farrakhan, einer der engsten Vertrauten von Elijah Muhammad, wollte diesen Kurswechsel nicht vollziehen. Er verließ die Nation of Islam 1978 und verkündete im Februar 1981 den Aufbau der alten Nation of Islam unter seiner Führung.
Mit der Intensivierung der Unterdrückung und der sichtbaren Verarmung der unteren Schwarzen Mittelschicht und ArbeiterInnenklasse Ende der 70er Jahre wandten sich viele Schwarze wieder einer Religion zu. Diese Tendenz verstärkte sich noch in der Reagan-Bush Ära. Aufgrund der offenen Repression und letzendlichen Zerschlagung der militanten revolutionären Schwarzen Organisationen gelang es der Nation of Islam, einen Teil ihres ehemaligen Einflusses zurückzugewinnen. Die meisten älteren AktivistInnen hatten aufgrund ihrer Erfahrungen mit der Nation of Islam kein Interesse an einem erneuten Kontakt mit der N.O.I. Aber viele Schwarze Jugendliche, die auf der Suche nach einer spirituellen und politischen Perspektive sind, finden im festgefügten Weltbild der Nation of Islam und ihrer straffen Organisation einen Halt. Inzwischen wird die Zahl der Mitglieder der N.O.I. auf ca. 30 000 geschätzt, was sie zur momentan stärksten Schwarzen Organisation in den USA macht. Die politischen Zielsetzungen von Louis Farrakhan lassen sich am ehesten als reaktionärem Schwarzen Nationalismus, verbunden mit einer strikt hierarchischen, kapitalistischen Gesellschaftsordnung bezeichnen. Momentan verfolgt die N.O.I. zur Durchsetzung ihrer Vorstellung eines unabhängigen Schwarzen Staates allerdings den Weg in und durch die Institutionen: in mehreren US-Bundesstaaten haben sich Kandidaten der N.O.I. auf kommunaler und überregionaler Ebene zur Wahl gestellt. Gleichzeitig betreibt die N.O.I. in mehreren Städten Bildungseinrichtungen, unterhält Drogenentzugsprogramme und stellt Nachbarschaftspatroullien gegen Drogendealer auf, wenn sie von Schwarzen Stadtteilgruppen dafür angefragt werden.
Im Gegensatz zum Islam der Nation of Islam vertreten Safiya, Bashir und Abdul in den Interviews die Vorstellung eines revolutionären, befreienden Islams, wobei die Vorstellungen darüber, wie Befreiung für wen z.B. für Frauen aussehen soll, noch einmal sehr unterschiedlich sind.
Darüber hinaus scheint für Bashir das wichtigste Kriterium bei der Unterstützung islamischer Organisationen, Bewegungen und Regierungen deren anti-amerikanischer Antiimperialismus zu sein. Unterdrückung von Frauen/Lesben und Schwulen sowie politischen Oppositionsbewegungen, z.B. die brutale Repression im Iran, sind für ihn entweder keine Kritikpunkte oder zweitrangig.

| anfang |

Zur MOVE-Organisation

Am 13.Mai 1985 haben die Polizeibehörden und das FBI das Haus der MOVE-Familie in Philadelphia aus der Luft bombardiert und insgesamt 13 Menschen ermordet. Nur zwei MOVE-Mitglieder, Ramona Africa und Birdy Africa, konnten überleben.
Die Bombardierung charakterisiert in aller Deutlichkeit, mit welchen Mitteln die Reagan-Administration [ 1 ]den Schwarzen Widerstand zu bekämpfen bereit war.
Die eindeutige Botschaft an die gesamte African American Community im Zusammenhang mit der Bombardierung lautete: Wer sich wehrt, wer sich so verhält wie MOVE, wird vernichtet. Es gibt keine Alternativen zum System und jegliche Suche danach wird entsprechend bestraft. Die Härte dieser Repression führten bei uns zu der notwendigen Solidarität mit der MOVE-Familie.
In der US-amerikanischen Öffentlichkeit, aber auch in der BRD, haben die im Interview angesprochenen Ereignisse wenig Beachtung gefunden und wurden auch innerhalb der weißen radikalen Linken nicht thematisiert. Die Solidarität mit MOVE und die Aufklärung und Veröffentlichung der kaum vorstellbaren brutalen Unterdrückung gegen sie stand im Vordergrund bei der Überlegung, das Interview mit Ramona, Theresa und Beverly mit ins Buch aufzunehmen.
Kurz einiges zur Ideologie von MOVE und unserer Kritik daran: Für Ramona, Theresa, Beverly und andere MOVE-Mitglieder ist John Africa die personifizierte Weisheit, der geistige und ideologische Führer. Wenn die MOVE-Mitglieder die Weisheit John Africas nie auch im geringsten wagen in Frage zu stellen und dies auch nicht wollen und zudem meinen, er (John Africa) hätte auf alles eine und die richtige Antwort, dann spiegelt das die Verinnerlichung von Machtstrukturen und einen quasi religiösen Glauben an seine Ideen wieder. Unserer Meinung nach gibt es keine objektive Wahrheit. Und unserer Utopie einer herrschaftsfreien Gesellschaft entspricht der Personenkult um J. Africa, seine quasi religiöse Führerschaft und das Dogma der Unfehlbarkeit seiner Lehren jedenfalls nicht. MOVE begreift sich als klassenübergreifende Organisation, in der alle, ob arm oder reich, Teil sein können und in der Probleme aufgegriffen werden, die quasi alle Lebewesen betreffen, z.B. Umweltverschmutzung. In ihrem Verständnis werden Reiche freiwillig die Lehren J. Africas annehmen und erkennen, daß das herrschende System schlecht ist. Klassengegensätze werden also von MOVE nicht eingehender problematisiert, und es bleibt dementsprechend völlig unklar, wie diese Gegensätze aufgehoben und überwunden werden sollen.
In dem Interview vertreten die MOVE-Frauen zudem eine biologistische Sichtweise, in der sie das von ihnen gewünschte Gesellschaftssystem an dem von Tieren orientieren. Die Orientierung an Lebensweisen der Tierwelt, deren Vielfalt und Unterschiedlichkeit MOVE auch gar nicht analysiert, hat für uns den Beigeschmack einer Vorstellung von einer sozialdarwinistischen [ 2 ] Gesellschaftsordnung, die die vorhandene Macht und Herrschaft in allen Lebensbereichen legitimiert, da diese dann ja naturgegeben sei.
Wir wissen, auch wenn Ramona, Theresa oder Beverly sich in dem Interview dazu nicht äußern, das MOVE oder einzelne von MOVE sowohl patriarchale als auch homophobe Positionen vertreten. So spricht sich MOVE gegen Abtreibung und Empfängnisverhütung aus, da sie sowohl im Rahmen ihrer Religiösität als auch aufgrund ihrer biologistischen Anschauungen das schützenswerte Leben über das Selbstbestimmungsrecht der Frauen stellen und somit z.B. Abtreibung als einen Eingriff in die Natur sehen.
In einem Interview mit der kanadischen Knastzeitung Prison News Service von Januar/Februar 1993 äußert sich Edward Africa dazu wie folgt: Die Geburt ist bereits kontrolliert, kontrolliert von Gott, der Natur, dem Leben ... Systematische Empfängnisverhütung ist eine Verletzung des Lebens und ein Angriff auf die Frau, ... und Abtreibung ist das Töten von Leben, und MOVE ist gegen Mord ... Obwohl MOVE-Frauen einen aktiven Anteil innerhalb der Organisierung und der Darstellung von MOVE in der Öffentlichkeit haben, nimmt MOVE die Existenz des Patriarchats als eigenständiges Unterdrückungsverhältnis nicht wahr. Auch daß Frauen weltweit in unterschiedlichster Form Widerstand dagegen leisten, daß spezifische Frauenkämpfe als solche existieren und von Bedeutung sind, findet bei MOVE keine Erwähnung.
Darüber hinaus gibt es seit längerem scharfe Auseinandersetzungen um die homophobe Haltung von MOVE und entsprechende Äußerungen von einzelnen MOVE-Mitgliedern, u.a. Homosexualität sei nicht normal und unnatürlich-. Im Zusammenhang mit einer solchen Auseinandersetzung weigerte sich Ramona z.B. auch anfänglich, auf einer von Lesben organisierten Solidaritäts-Veranstaltung zu sprechen.
Als Homophobie bezeichnen wir jegliche Art der Unterdrückung, Diskriminierung, Entrechtung und Verfolgung von Lesben und Schwulen. Homophobie und Zwangsheterosexualität, also die zum Teil sehr rigide Erziehung zur Heterosexualität und die Darstellung von Heterosexualität als gesellschaftliche Norm, sind wesentlicher Bestandteil der Festschreibung von Männern und Frauen auf ihre Rollen im Patriachat. Das heterosexuelle Beziehungsmodell, die Ehe, die Zweierbeziehung, wird zur Norm, zum Dogma, zur Ausschließlichkeit. Gleichgeschlechtliche Liebe und Beziehungen gelten als abnormal, unnatürlich und als Ausnahme. In vielen Ländern der Welt werden Lesben und Schwule verfolgt und diskriminiert. Auch in der BRD und den USA nehmen faschistische Angriffe auf Schwule und Lesben zu. Darüber hinaus werden in den USA, insbesondere auf Initiative der christlich-fundamentalistsichen Moralischen Mehrheit wie zuletzt im Bundesstaat Oregon, auch diskriminierende Gesetze gegen Lesben und Schwule verabschiedet. Mit ihrer homophobischen Haltung bietet MOVE dieser Entwicklung ideologische Rückendeckung.
Trotz der genannten, schwerwiegenden Widersprüche halten wir jedoch aus den o.g. Gründen eine Auseinandersetzung mit MOVE und die Unterstützung ihrer Forderung nach der Freilassung der MOVE-Gefangenen für wichtig.


| anfang |

Anmerkungen

[ 1 ]
Ronald Reagan war von 1980-1988 Präsident der USA.

[ 2 ]
Sozialdarwinismus: soziologische Theorie, die unter Berufung auf Charles Darwins Lehre von der natürlichen Auslese auch die menschliche Gesellschaft als den Naturgesetzen unterworfen begreift und somit Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten o.ä. als naturgegeben und deshalb als richtig ansieht.

BLACK POWER
| nadir | home | inhalt | anfang | << | >> |