BLACK POWER | ||
Vorbemerkung Interview Fußnoten |
Interview mit Geronimo ji-jaga Pratt Hochsicherheitsgefängnis im Tehachape-Gefängnis, Kalifornien, im Oktober 1992Geronimo Pratt sitzt seit 1970 im Gefängnis (acht Jahre davon verbrachte er in Isolationshaft), obwohl sich selbst Amnesty International und Abgeordnete des Kongresses für seine Entlassung einsetzen. Er wurde zum Symbol für den Widerstand gegen Repression und für den Schwarzen Befreiungskampf in den USA. Während der 60er Jahre war Geronimo stellvertretender Verteidigungsminister der BPP. Seine Verhaftung und Anklage wegen eines Mordes an einer weißen Lehrerin auf einem Tennisplatz in Santa Monica 1968 war Teil des COINTELPRO-Programmes und der Strategie zur Diskreditierung und Ausschaltung populärer und auch unter Weißen an Einfluß gewinnenden Schwarzen AktivistInnen. Nach seiner Rückkehr aus Vietnam ging er mit 21 Jahren 1967 nach Los Angeles und schloß sich der Black Panther Party an. Drei Jahre später befand er sich bereits im Gefängnis. FBI-Dokumente enthüllen, daß er und andere Parteimitglieder zum Zeitpunkt des Mordes, dessen man ihn beschuldigt, 800 Kilometer von Santa Monica entfernt waren und dort von der Polizei überwacht wurden. Heute, 23 Jahre später, befindet er sich dennoch deswegen weiter im Gefängnis. Das FBI behauptet, die Überwachungsberichte des Treffens seien verlorengegangen. Obwohl er seit 1978 einen Kampf für die Wiederaufnahme des Verfahrens und für einen neuen Prozeß führt, obwohl eindeutige Beweise für Konstrukte von FBI und Justiz vorliegen, wurden all seine Anträge abgelehnt. | |
Geronimo ji-jaga Pratt, B-40319, P.O. Box 1902, Tehachape, California 93581 UnterstützerInnengruppe: International Campaign to Free Geronimo Pratt, Box 3585, Oakland, California 94609 | ||
| anfang | Vorbemerkung Auch in Kalifornien werden die Gefängnisse vorzugsweise in dünnbesiedelten, verarmten ländlichen Gebieten gebaut. Der Gefängnis-Komplex von Tehachape ist da keine Ausnahme. Am Rande der südkalifornischen Berge und der Mojave-Wüste gelegen, werden hier 5 000 Männer und Frauen in vier Gebäudekomplexen mit unterschiedlichen Sicherheitsstufen gefangengehalten. Bus- oder Bahnverbindungen in die Großstädte San Francisco und Los Angeles existieren nicht. Für BesucherInnen ohne Auto ist es fast unmöglich, nach Tehachape zu gelangen.Dort angekommen, erwarten die BesucherInnen immer noch die Schikanen der Gefängnisleitung mal werden mitgebrachte Pakete willkürlich zurückgewiesen, mal ist der Besuchsraum angeblich überfüllt und damit ein Besuch unmöglich oder die Bekleidung der BesucherInnen ist nicht vorschriftsgemäß. Auch uns gegenüber wurde deutlich gemacht, daß das Interview nur stattfinden würde, wenn wir zum einen den routinemäßigen FBI-Check durchlaufen und bestanden hätten und zum anderen weder Miniröcke, noch Jeans, noch tiefausgeschnittene T-Shirts oder Blusen tragen würden. Da für Geronimo seit September 1992 die Regelung besteht, daß ihm nur ein Interview im Monat genehmigt wird und der PR-Direktor des Gefängnisses Woche um Woche mit neuen Bedingungen für das Interview aufwartete, sah es lange Zeit so aus, als wenn ein Interview unmöglich wäre. Schließlich gelangten wir, vorschriftsgemäß gekleidet und sicherheitshalber zum zweiten Mal durch den FBI-Computer gecheckt, mit eineinhalb Stunden Verspätung in das Gefängnis. Im Besuchsraum stellte sich dann heraus, daß der PR-Direktor uns während des gesamten Interviews de facto auf dem Schoß sitzen würde und die Interview-Zeit entgegen der Absprachen auf eine Stunde reduziert hatte. Unsere Proteste stießen auf den höflichen Hinweis: Wenn Sie das nicht akzeptieren, dann wird das Interview eben nicht stattfinden. Beeindruckend war für uns die Souveränität, mit der Geronimo dann eine Verlängerung der Interview-Zeit um immerhin 45 Minuten durchsetzte. Seine Lebendigkeit und sein Widerstand nach 23 Jahren Gefängnis waren unmittelbar spürbar. Bei einigen seiner Antworten hätten wir gerne nachgefragt, aber aufgrund des Zeitdrucks und der Tatsache, daß das Interview der erste Kontakt mit ihm war, gab es dafür keine Möglichkeit. | anfang | Wie bist Du zur BPP gekommen, und was hast Du davor gemacht? Geronimo: Ich komme aus einer kleinen Stadt im US-Bundesstaat Louisiana, dem Teil der USA, von dem wir denken, daß er befreit werden sollte. [ 1 ] Ich wuchs in einer segregierten [ 2 ] Gesellschaft auf. Die Bedingungen waren meinen Vorstellungen von dem Leben in einer Schwarzen Nation ziemlich ähnlich. Die Gesellschaft war einerseits rassistisch. Zum Beispiel war ich als Kind Zeuge von Angriffen des rassistischen Ku-Klux-Klans, von Lynchmorden. Andererseits war es ein Leben voller Würde und Stolz darauf, ein Teil der Schwarzen Community zu sein, dieser Schwarzen Nation. Eine Community, die sich gegenseitig unterstützte, die ihre Werte achtete und in der jeder Mensch respektiert wurde. Mit 17 Jahren trat ich in die US-Armee ein und wurde von 1965 bis 1966 nach Vietnam geschickt. Das war zu einer Zeit, als viele Veränderungen in den USA stattfanden. Diese Veränderungen wurden bei uns im Süden anders als im Norden interpretiert, weil wir damit aufwuchsen, gegen die herrschenden Lebensbedingungen zu kämpfen aufgrund der rassistischen Polarisierung befanden wir uns in einem ständigen Kriegszustand. Martin Luther King und die Bürgerrechtsbewegung waren bei uns nicht besonders populär, weil wir mit dem Prinzip der Selbstverteidigung und der Verteidigung unseres Volkes gegen die rassistischen Angriffe aufwuchsen. Das hat mich mein ganzes Leben lang begleitet in der Armee und dann in der BPP. Und wann hattest Du dann zum ersten Mal Kontakt mit der BPP? Geronimo:Nachdem ich die US-Armee verlassen hatte, schrieb ich mich an der Universität von Los Angeles ein und freundete mich mit einem Genossen namens Bunchy Carter an. Wir wohnten schließlich zusammen in einem Zimmer. Bunchy war damals einer der führenden BPP-Aktivisten in L.A., wir besuchten die gleichen Seminare, und ich wurde deshalb schnell mit der BPP und der gesamten Schwarzen Befreiunsgsbewegung vertraut. Ich war gerade frisch aus Vietnam wiedergekommen und noch dazu in den Südstaaten aufgewachsen für mich waren das interessante Erfahrungen, die mir die Augen für vieles öffneten. Zu diesem Zeitpunkt war ich noch nicht Mitglied der BPP, obwohl viele Leute dachten, ich wäre es, weil ich zusammen mit Bunchy einige nationale Treffen der BPP in Oakland in der Nähe von San Francisco besuchte und bei der Durchführung von Programmen der BPP für StudentInnen half. Aber ich war der BPP noch nicht beigetreten, und das war auch nicht so wichtig, weil die Hauptsache war, daß wir für das gleiche Ziel arbeiteten. Als Bunchy Carter und John Huggins am 17. Januar 1969 ermordet wurden, hinterließ Bunchy eine Botschaft auf einer Kassette, in der er vorschlug, daß ich seinen Platz einnehmen sollte für den Fall, daß ihm etwas zustößt. Das war ein ziemlicher Schock für mich. Ich hatte gerade erst gehört, daß er tot war, und dann diese Botschaft ... Ich war in einer Community aufgewachsen, die sich auf die Prinzipien der Befreiung bezog, die die BPP hier an der Westküste versuchte umzusetzen. Aufgrund meiner Herkunft war ich automatisch ein Teil der Bewegung, und ich war nicht so versessen darauf gewesen, einer Organisation beizutreten. Nachdem ich eine Weile nachgedacht hatte, entschied ich mich, dazu beizutragen, das Verteidigungsministerium der BPP aufzubauen. Die BPP bestand damals aus verschiedenen Ministerien dem Bildungsministerium, dem Kulturministerium etc.. Welche Aufgaben beinhaltete Deine Stellung als Verteidigungsminister? Geronimo:Ich nahm den Posten des Verteidigungsministers an, weil Huey Newton, der nominelle Verteidigungsminister, im Gefängnis saß. Gleichzeitig wurde ich Mitglied des ersten Zentralkomitees, dem höchsten Entscheidungsgremium der BPP. Ich mußte zu verschiedenen Orten fahren und Seminare über Selbstverteidigung organisieren. Es gab Kurse über technische Aspekte der Verteidigung und theoretische Seminare über Verteidigungsstrategien. Letzere beinhalteten theoretische Diskussionen, in denen die TeilnehmerInnen mit den Grundlagen der Kriegsführung vertraut gemacht wurden. Die technischen Kurse bestanden darin, Verteidigungstechniken, z.B. die Verteidigung unserer Büros, zu lernen. Kannst Du auch noch etwas zu den Community-Programmen der BPP sagen? Geronimo:Das Engagement aller BPP-AktivistInnen in den Community-Programmen fand parallel zu allen anderen Aufgaben statt. Du mußtest gleichzeitig eine bestimmte Anzahl von Stunden im kostenlosen Frühstücksprogramm, im Kleidungsausgabeprogramm und in den Gesundheitsversorgungsprogrammen mitarbeiten. Mitglied der BPP zu sein, war eine Vollzeitbeschäftigung. Außerdem mußten wir die politischen Schulungskurse aufrechterhalten, weil die politische Bildung für uns eine zentrale Bedeutung hatte. Es war eine ziemlich ausgefüllte Zeit. Wann habt Ihr denn dann zum ersten Mal etwas von dem staatlichen Aufstandsbekämpfungsprogramm COINTELPRO mitbekommen und seine Auswirkungen auf die BPP gespürt? Geronimo:Wir waren eigentlich von Anfang an, d.h. seit der Gründung der BPP 1966 in Oakland und lange bevor ich selbst nach Kalifornien kam, mit COINTELPRO-ähnlichen staatlichen Aufstandsbekämpfungsmaßnahmen konfrontiert. Aber die staatlichen Angriffe eskalierten gegen Ende des Jahres 1968 und zu Beginn von 1969. Das war kurz nachdem der damalige FBI-Direktor J. Edgar Hoover seine berüchtigte Rede über die nationale Sicherheit gehalten hatte, in der er die BPP als die größte Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA bezeichnete. Alleine im Jahr 1969 wurden 33 Mitglieder der BPP in den gesamten USA von der Polizei erschossen; hunderte von Mitgliedern und SympathisantInnen landeten in den Gefängnissen. Nach Deiner Ernennung zum Leiter der BPP-Ortsgruppe in Los Angeles im Februar 1969 wurdest Du automatisch als führender Schwarzer Extremist in der Prioritätskategorie des Nationalen Sicherheitsindex' [ 3 ] des FBI geführt. Deine Photos wurden an alle FBI-Büros im ganzen Land verschickt und im Hauptquartier der Polizei von Los Angeles wurde eine spezielle Geronimo Pratt Einheit gebildet, die sich ausschließlich mit Deiner Neutralisierung beschäftigte. Wann hast Du zum ersten Mal die Auswirkungen dieser staatlichen Aufstandsbekämpfungsmethoden persönlich gespürt? Geronimo:Als die Polizei vier Tage nach der Ermordung von Fred Hampton und Mark Clark am 8. Dezember 1969 in Chicago auf mich in meinem Bett geschossen hat es war ein reiner Zufall, daß die Kugeln mich nicht trafen. Einige Monate vorher wurde ich auf der Straße von unbekannten Angreifern drei Weiße in einem teuren Auto im schwarzen Ghetto von East Los Angeles angeschossen. Im Sommer 1969, als ich in Memphis, Tennessee war, um dort für die BPP zu arbeiten, wurde auch auf mich geschossen. Ich war durch Vietnam daran gewöhnt, daß auf mich geschossen wurde. Wenn die Kugeln nahe an Dir dran sind, dann machen sie ein pfeifendes Geräusch. Diese Kugeln waren sehr nahe, und es war reines Glück, daß sie mich nicht trafen. Es gab ständig Angriffe wie diesen auf mich und auf andere BPP-AktivistInnen im ganzen Land entweder um mich auf diese Art zu liquidieren oder um mir irgendwelche Straftaten anhängen zu können. Habt Ihr damals schon vorhergesehen, daß die BPP sich Ende 1969 in eine Eldridge Cleaver und eine Huey Newton Fraktion bzw. auch geografisch zwischen West- und Ostküste spalten würde? Geronimo:Es gab Anzeichen dafür keine Abspaltung, aber es gab immer eingeschleuste Spitzel, Provokateure, die einfach überall anwesend waren und ständig versuchten, Spaltungen innerhalb der Organisation zu provozieren. Wir mußten versuchen, sie zu identifizieren und rauszuschmeißen. Diese Unterwanderungsversuche kamen aus verschiedenen Richtungen, teilweise auch von anderen Organisationen. Zum Teil spielte sich das als Auseinandersetzung zwischen Schwarzen Organisationen ab z.B. zwischen den Panthers und der U.S., der sog. United Slave Organization. Später stellte sich heraus, daß diese Organisation vom FBI finanziert wurde. Dann gab es die Anti-Castro Cubaner die sog. Guzanos , die gegen die Panther eingesetzt wurden, und natürlich den Ku-Klux-Klan und die faschistische John-Birch-Gesellschaft. [ 4 ] Es gab immer irgendwen, irgendeine Organisation, die uns angriff, und zu diesem Zeitpunkt war es noch nicht so klar, daß diese Angriffe direkt vom FBI oder der CIA gesteuert wurden. Aber sie wurden zu einem ernsthaften Thema in unseren politischen Schulungsseminaren und unseren Arbeitsgruppen. Die Ergebnisse aus diesen Untersuchungen wurden dem Zentralkomitee vorgelegt. Einige Male wurde darüber gelacht, weil viele unserer führenden AktivistInnen nicht dachten, daß wir so wichtig wären, daß die USA soviel Zeit und Geld darauf verschwenden würde, die CIA und das FBI auf uns anzusetzen. Habt Ihr eigentlich auch mit Weißen Organisationen zusammengearbeitet? Wie schätzt Du diese Bündnisse ein? Geronimo:Wir hatten einige gute Beziehungen zu Weißen Organisationen und vielen anderen nicht-Weißen Organisationen während des ganzen Zeitraums. Wir wurden sogar von einer betont nationalistischen Schwarzen Organisation dafür kritisiert, daß wir mit Organisationen wie dem SDS, [ 5 ] den Weathermen [ 6 ] und der gesamten kommunistischen Neuen Linken, den Jugendbündnissen, den Arbeiterparteien bis hin zur Kommunistischen Partei der USA zusammenarbeiteten. Es gab dabei natürlich auch Probleme, und im Rückblick muß ich mich selbst dafür kritisieren, wie unkritisch wir mit einigen dieser Gruppen zusammengearbeitet haben wir mußten damals verschiedene Wege ausprobieren, um mit den unterschiedlichen Kräften zusammenzuarbeiten, die sich angeblich alle in die gleiche Richtung bewegten. Unser Verständnis war, daß unser Kampf auf einem Klassenkampf basierte und daß unsere Gegner versuchen würden, das Element der Rassenzugehörigkeit zu benutzen, um zu manipulieren und zu spalten obwohl es immer so war, daß die Menschen aus anderen Nationen und Menschen mit einer anderen ethnischen Herkunft in Wirklichkeit unsere Verbündeten und Freunde waren und sind. Wir hatten gute Beziehungen zu Weißen, zu Mexicanos und zu Native Americans und unterstützten immer eine Einheitsfront. 1969 gab es zwei Konferenzen für eine Einheitsfront, die sehr erfolgreich waren. Wann hat sich die BPP dann auf nationaler Ebene gespalten? Geronimo:Die BPP verbreitete sich wie ein Steppenbrand; 1970 hatte die BPP ungefähr 15 000 Mitglieder. Wir wuchsen so schnell, daß die Führung versuchte, den Prozeß zu verlangsamen, um zu gucken, was sich da entwickelt hatte. Als Eldridge Cleaver 1969 die USA verlassen mußte, breitete sich die BPP nicht nur in den USA, sondern auch international aus. Wir hatten Ortsverbände in Havanna, Algier und Kopenhagen. Es war nicht so einfach, die Art von Führung herzustellen, die angemessen war, um gut zu arbeiten. Glaubst Du, daß Organisationen hierarchische Strukturen benötigen, um politisch effektiv zu sein? Geronimo:Das ist eine gute Frage. Ich habe diese Frage damals oft als Diskussionsthema eingebracht und wurde beschuldigt, zu militaristisch zu sein, zu sehr in militärischen Kategorien zu denken. Aber ich bezog mich dabei z.B. auf Amilcar Cabral, [ 7 ] der uns eine Menge Verständnis und Wissen über vertikale Strukturen im Gegensatz zu mehr horizontalen Strukturen vermittelte. Cabral und andere Theoretiker wurden viel diskutiert und einige ihrer Grundsätze wurden in die Praxis umgesetzt, und das funktionierte ziemlich gut. Aber es gab immer noch die Frage, wie alles zusammengebracht werden konnte. Denn manchmal hast Du versucht, bestimmte Ortsverbände miteinander in Verbindung zu bringen und die Verbindungsperson, die Du ausgesucht hattest, stellte sich als Polizeispitzel heraus. Es war einfach eine Katastrophe, wenn Du z.B. den Ortsverband in Boston mit der BPP-Gruppe in dem Bostoner Vorort Jamaica Plains in Kontakt bringen wolltest und die Verbindungsperson war ein Polizeispitzel. Daher hatten wir oft Probleme mit unseren Sicherheitsmaßnahmen. Erschwerend kam hinzu, daß wir naiv waren. Die Spitzel kamen an und schlugen vor, Gebäude in die Luft zu sprengen, Polizisten zu erschießen, radikal vorzugehen. Und unsere Reaktion darauf war meistens na ja, der Typ ist einfach nur verrückt, aber er ist kein Spitzel, weil er solche Aktionen ja schon gemacht hat , und dabei waren es die Spitzel, die diese Art von Aktionen provozierten. Viele der führenden AktivistInnen vor Ort wurden dadurch in solche Aktivitäten mit hineingezogen. Hast Du gedacht, daß es notwendig war, hierarchische Strukturen zu haben, um die Organisation besser zu kontrollieren oder um sie zusammenzuhalten? Geronimo:Die Anhänger der vertikalen Strukturen waren in der Mehrheit, und ich war einer derjenigen, die sozusagen von dieser Linie abwichen. Meiner Ansicht nach benötigten wir eine stärker horizontale Struktur, die auf einer Zellenstruktur basierte ein Zellensystem, das der jeweiligen Leitung vor Ort mehr Entscheidungs- und Machtbefugnisse gab , weil wir in so vielen Orten und Landesteilen vertreten waren. Aber das hätte den lokalen Strukturen mehr Unabhängigkeit gegeben als es die nationale Leitung wollte. Aufgrund der Angst und weitverbreiteten Paranoia innerhalb der nationalen Leitung entschied diese sich für vertikale Strukturen. Aber trotz ihres starken Eintretens für diese Organisationsform stand dem die reale Praxis der Polizei entgegen Die nationale Leitung wurde immer wieder festgenommen so daß sie nicht handlungsfähig war. Deshalb mußten wir uns neue Organisationsformen überlegen, alte verändern und andere Formen von organisatorischer Kontrolle entwickeln. Wie stand es eigentlich mit der Beteiligung von Frauen in der BPP? In Gesprächen mit ehemaligen BPP-AktivistInnen Männern und Frauen wird immer wieder gesagt, daß Sexismus ein Grund dafür war, daß die BPP zerstört werden konnte. Wie siehst Du das im Rückblick? Geronimo:Als ich Mitglied des Zentralkomitees wurde, habe ich Frauenbefreiung immer unterstützt. Aber wir mußten eigentlich gar nichts unterstützen, weil die Genossinnen dafür sorgten, daß sie respektiert wurden, daß ihre Meinung gehört und danach gehandelt wurde. Es gab einige sehr wunderbare und starke Genossinnen in der Partei, denen einfach zugehört wurde Afeni Shakur, Cathleen Cleaver, Assata Shakur und dann natürlich die Genossin, die als meine Ehefrau bezeichnet wurde, Sandra Pratt, um nur einige zu nennen. Ihretwegen mußten wir uns mit unserem Sexismus und Machismo auseinandersetzen, weil sie die Auseinandersetzung mit uns führten. Wir respektierten und liebten sie, weil sie dafür sorgten, daß wir uns mit uns selbst auseinandersetzten und dadurch bessere Menschen wurden. Es ist wirklich ihr Verdienst, weil sie die Initiative ergriffen und wir viel von ihnen gelernt haben. Wie bist Du denn dann im Knast gelandet, und was waren die Konstrukte, mit denen Du verurteilt wurdest? Geronimo:Ich wurde am 8. Dezember 1970 in Dallas, Texas aufgrund eines Haftbefehls wegen eines Schußwechsels mit der Polizei in Los Angeles 1969 verhaftet. Ein paar Monate später wurde ich von Texas nach Kalifornien ausgeliefert, um aufgrund dieser Anklage vor Gericht gestellt zu werden. Zu diesem Zeitpunkt war ich auch wegen Mordes angeklagt mir wurden einige Straftaten vorgeworfen, und eine davon war der Mord, wegen dem ich jetzt verurteilt bin. Zum Zeitpunkt der Festnahme war dieser Mordvorwurf nur ein Anklagepunkt unter vielen, um die Bedingungen dafür zu schaffen, daß ich nicht durch die Hinterlegung einer Kaution freikommen konnte. Diese Mordanklage wurde von uns nicht sehr ernst genommen, weil der Staat das schon mehrmals so gemacht hatte. Ich war schon mehrmals vorher aufgrund derartiger Konstrukte verhaftet worden, nur damit sie mich ohne Kaution im Knast festhalten konnten. Daher war der wichtigste Anklagepunkt für uns damals dieser Schußwechsel, und die Mordanklage stellten wir hinten an. Erst später wurde es immer offensichtlicher, daß dies etwas war, was der Staat tatsächlich bis zu einer Verurteilung durchziehen wollte und daß wir uns damit beschäftigen mußten. In der BRD hat sich die RAF im April 1992 dafür entschieden, die Eskalation im bewaffneten Kampf gegen den Staat bis auf weiteres zurückzuschrauben, mit der Begründung, daß jetzt ein Raum für eine Neubestimmung und Diskussion über die Perspektiven revolutionärer Politik in den Metropolen entstehen müsse. Viele der ehemaligen Black Panther sowohl im Knast als auch draußen vertreten ja die These, daß sich diese Frage für die USA nicht stelle, da zum einen das Konzept der BPP immer bewaffnete Selbstverteidigung gewesen sei und zum anderen die rassistischen Morde durch Polizei, Justiz und faschistische Organisationen in den USA kontinuierlich weitergehen und daraus die Notwendigkeit nach bewaffneter Selbstverteidigung weiter besteht. Hältst Du das Konzept der bewaffneten Selbstverteidigung für die African American Community weiterhin für relevant? Geronimo:Eine Entscheidung für oder gegen den bewaffneten Kampf muß immer das Ergebnis einer politischen und ideologischen Diskussion sein. Im Moment denke ich, daß wir eine Volksabstimmung innerhalb der African American Nation organisieren und durchführen müssen. Es geht dabei um einen ähnlichen Prozeß wie in Puerto Rico ob African Americans weiterhin ein Teil der USA bleiben wollen oder ob sie nationale Unabhängigkeit wollen. Als erster Schritt dahin sollte es verschiedene Referenden (Volksbegehren) geben. Das ist zwar ein sehr legalistischer, aber auch ein sehr bewußter und genauer Prozeß, an dem sowohl alte als auch junge Menschen teilnehmen können und in dessen Verlauf die Menschen über die Vor- und Nachteile von nationaler Unabhängigkeit aufgeklärt werden können. Aber das ist meine persönliche Meinung für zukünftige Schritte. An einem bestimmten Punkt, wenn die Referenden, die dem Volksentscheid vorangehen, darauf hindeuten, daß die Mehrheit unseres Volkes sich für nationale Unabhängigkeit entscheidet, dann können wir damit beginnen, Institutionen d.h. die militärischen und wirtschaftlichen Institutionen und Bildungseinrichtungen zu organisieren, die dann schon zum Zeitpunkt unserer tatsächlichen Befreiung etabliert sein können. Dieser Prozeß beinhaltet natürlich in Kenntnis des Gegners, dem wir uns gegenüber sehen auch Gewalt. Aber dann gäbe es eine legale Armee unsererseits, die am Befreiungskampf teilnimmt. Wo diese unabhängige Schwarze Nation dann entstehen soll, muß vom Volk in einem demokratischen Prozeß entschieden werden. Keine Einzelperson kann 1992 den Leuten sagen, daß wir unsere Nation in den fünf Staaten im Süden d.h. North und South Carolina, Louisiana, Mississippi und Alabama oder in Watts [ 8 ] aufbauen werden. Das Volk wird entscheiden, was wir tun sollen. So ähnlich ist es übrigens auch mit dem Wiederaufbau der Black Panther Party wenn die Menschen sagen, daß wir eine neue BPP benötigen, um unsere Befreiung zu erreichen, dann wird es auch eine neue BPP geben. Angesichts der Rebellion in L.A. und aus Gesprächen mit schwarzen Jugendlichen scheint es mir eher so, daß sie viel mehr damit beschäftigt sind, ihr alltägliches Überleben zu sichern. Wie tretet Ihr überhaupt in Kontakt mit ihnen? Gibt es denn eine Schwarze Linke, die diese Kids organisiert? Geronimo:Es gibt viele Organisationen, die die Jugendlichen organisieren. Einige von ihnen entscheiden sich bewußt dafür, die Jugendlichen dazu zu bringen und zu erziehen, sich einfach wieder auf das System zu verlassen und sich anzupassen. Die meisten der Kids aus L.A. haben sehr klar gesagt, daß sie nicht mehr Teil des herrschenden Systems sein wollen; daß sie keine Lust mehr darauf haben, immer in der Position zu sein, weiße Institutionen und deren VertreterInnen um Jobs, Sozialhilfe und Gesundheitsversorgung anbetteln zu müssen. Es ist fast unvermeidlich, daß sie von Autonomie reden, und obwohl sie noch nicht einmal richtig verstehen, was Unabhängigkeit und Souveränität bedeuten, ist es ihr tiefster Wunsch, in Ruhe gelassen zu werden, für sich selbst und nicht für Weiße zu arbeiten. Sie haben keine Lust mehr, die Regierung um irgendetwas zu bitten. Das ist das stärkste Argument für nationale Unabhängigkeit. Hör ihnen einfach nur zu von den RapperInnen bis hin zu denen, die jeden Sonntag in die Kirche gehen sie wollen ihre eigenen PräsidentInnen oder PremierministerInnen haben, ihr eigenes Justizsystem, ihre eigene Polizei, ihre eigenen Bildungseinrichtungen. Das ist es, was ich jeden Tag von ihnen zu hören bekomme hier im Knast und von draußen. Ich bekomme viele Briefe von Jugendlichen, und wonach sie suchen ist jemand, der oder die ihnen helfen kann, unsere große Nation aufzubauen. Es ist unwürdig, daß wir uns ständig auf die Old Masters, die alten Sklavenbesitzer, die uns sowieso nichts Gutes wollen, stützen. Ich denke, daß es viele Wege gibt, wie die Kids organisiert werden können, und sie werden organisiert, unabhängig davon, ob uns das paßt. In Gesprächen mit einigen anderen BPP-Gefangenen haben diese immer wieder gesagt, daß sich unter den Gefangenen der Umgang sehr verändert hat. In den 70er Jahren bis Mitte der 80er waren viele der sogenannten sozialen Gefangenen politisch sehr bewußt und haben sich auch in den Gefängnissen organisiert. Aber jetzt scheint es ihnen so, als wenn die Jugendlichen, die in den Gefängnissen landen, nur noch darauf aus sind, um jeden Preis ein Stück vom amerikanischen Traum zu bekommen, sehr auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind, und daß es keine Solidarität mehr untereinander gibt. Entspricht das Deinen eigenen Erfahrungen? Geronimo:Das ist sicherlich ein Aspekt und auch eine Folge der Reagan-Bush-Ära. Aber was ich auch bei ihnen spüre, ist, daß ihre Grundhaltung darauf basiert Sie wollen, was ihnen zusteht nicht so sehr von dem System, sondern von dem Reichtum, der in den hunderten von Jahren der Sklaverei angehäuft wurde. Was ich meistens von ihnen höre, ist, daß sie keine Lust mehr haben, einem System unterworfen zu sein, auf das sie sich nicht beziehen wollen. Sie wollen kein Teil des Systems sein, und sie wollen über ihr eigenes Schicksal bestimmen. Sie reden über Sachen, die wir als Reparationen [ 9 ] definieren, aber sie verstehen das Wort Reparationen nicht, bis wir sie darüber aufklären, was das Wort bedeutet. Dann beginnen sie, mehr zu verstehen und sich selbst und ihre Wünsche in einen mehr ideologischen Zusammenhang zu stellen. Gleichzeitig stehen wir natürlich auch vor dem Problem, daß in den USA inzwischen über eine Million Menschen [ 10 ] davon ca. 30% African Americans in den Gefängnissen sind. Wir haben diese Entwicklung vorhergesehen. Als die BPP vom Staat zerschlagen wurde, war klar, daß die Vorbilder für die jüngere Generation nun die Drogendealer und Zuhälter sein würden das war genau das, was die US-Regierung erreichen wollte. Die nächste Entwicklung war die Entstehung der Gangs und der damit einhergehenden Gangstermentalität anstelle der revolutionären, fortschrittlichen Identität, die wir den Jugendlichen vermittelt haben. Indem die US-Regierung die führenden AktivistInnen der fortschrittlichen Bewegungen liquidierte, in die Illegalität trieb oder in den Gefängnissen begrub, wurden die Jugendlichen dem System ausgeliefert. Wir haben noch vor Südafrika weltweit die größte Anzahl von Gefangenen in Relation zur Gesamtbevölkerung, und natürlich spielt Rassismus dabei eine Rolle. Viele der Schwarzen Gefangenen, die ich hier treffe, kommen irgendwann raus und versuchen sich auf der Straße für die Folter und Unterdrückung, die sie im Knast erleiden mußten, zu rächen. Sie rächen sich dann nicht an den Schließern oder anderen Vertretern des Systems, sondern an irgendeiner unschuldigen Person, die dann das Opfer des jahrelang aufgestauten Hasses wird. Im Knast haben wir jahrelang versucht, die rivalisierenden Mitglieder der Bloods und der Crisps (die größten Schwarzen Jugendgangs in Los Angeles) zusammenzubringen, um zu verhindern, daß sie sich auf der Straße gegenseitig umbringen. Im Knast ist uns das vor ein paar Jahren schon gelungen, und jetzt hat sich diese Entwicklung auch auf der Straße ausgewirkt die beiden Gangs haben während der Rebellion in Los Angeles 1992 einen Waffenstillstand geschlossen. Jetzt versucht der Staat nachdem er die Bloods und Crisps nicht mehr gegeneinander aufhetzen kann mexikanische und Schwarze Jugendliche gegeneinander aufzuhetzen. Zu Zeiten von George Jackson in den 60ern waren wir schon einmal mit dieser Situation konfrontiert: Damals ging es auch darum, die Gefangenen über Rassengrenzen hinweg zu organisieren und zum gemeinsamen Handeln zu bringen, um den Manipulationen durch den Staat effektiven Widerstand entgegensetzen zu können. Denn alle diese Manipulationen zielen darauf ab, die Todesrate unter den Jugendlichen so hoch wie möglich zu halten. Es ist der einfachste Weg für den Staat, wenn sich die Kids gegenseitig umbringen. Das ist auch einer der Gründe, warum Leute wie ich im Knast festgehalten werden. Der Staat weiß, daß Leute wie ich zu den Jugendlichen gehen und mit ihnen reden, ihnen die Wahrheit sagen. Der Staat weiß auch, daß diese Jugendlichen sehr viel Respekt vor uns haben, weil wir niemanden verraten haben und unseren Prinzipien treu geblieben sind. Wie gesagt, es geht dabei nicht nur um mich, sondern um alle, die für die Prinzipien der Befreiung und grundsätzliche Menschlichkeit für alle unterdrückten Völker eintreten. Eine andere Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, wie es eigentlich mit der Unterstützung für Dich und andere politische Gefangene und Kriegsgefangene aus der Schwarzen Befreiungsbewegung aussieht. Viele der schwarzen Jugendlichen wissen kaum etwas über Eure Fälle und die Geschichte der BPP? Geronimo:Es gibt einen bewußten und systematischen Versuch seitens der Regierung, alle Unterstützung, die wir erhalten, anzugreifen. Die Lösung für uns beruht auf unseren nationalen Anstrengungen für nationale Befreiung daß wir KämpferInnen sind, die für die Befreiung unserer Nation eingetreten sind, und unsere Nation kämpft für unsere Befreiung. Aber solange unsere Nation nicht realisiert, daß sie ein Volk ist, solange wird sie auch das Opfer der systematischen Manipulationen durch unsere Gegner sein. Ich trete nicht so sehr für die Parole Freiheit für Geronimo ein, als vielmehr für das Motto Befreit unsere Nation. Dann wird für unsere Gefangenen und unsere KämpferInnen gesorgt sein. Die Freiheit unseres Volkes ist wichtiger. Wir waren immer zu Opfern für dieses Ziel bereit, wir wußten, daß wir umgebracht werden würden, daß wir in die Knäste gesperrt würden oder geächtet werden würden, weil es für die Herrschenden einfach eine Bedrohung ist, wenn Menschen für Freiheit und Unabhängigkeit kämpfen. Deshalb ist es keine individuelle Angelegenheit, sondern eine nationale Aufgabe, das Volk zu befreien, und in diesem Prozeß wird sich eine Unterstützung für Mumia Abu-Jamal und alle anderen politischen Gefangenen und Kriegsgefangenen entwickeln. Eine der Sachen, vor denen die weiße Machtstruktur ziemliche Angst hat, ist das Zusammenkommen von unterschiedlichen nationalen Bewegungen und Organisationen wie die Native American Bewegung, die Chicano/Mexicano-Bewegung und die weiße antiimperialistische Bewegung, die alle gemeinsame Prinzipien haben nämlich den Grundsatz von nationaler Unabhängigkeit. Ich versuche immer, Menschen bewußt zu machen, daß es wichtig ist, zusammenzukommen, um unsere Stärke gegen den gemeinsamen Gegner aufzubauen, der uns unterdrückt. Darüber könnten wir beide lange diskutieren, aber wir haben nicht so viel Zeit. Hast Du denn das Gefühl, daß die Unterstützung für Dich in den letzten Jahren stärker geworden ist? Geronimo:Ja, und sie wächst ständig. Aber wenn ich könnte, würde ich alle Unterstützung, die ich erhalte, Mumia und den anderen Kriegsgefangenen geben. Mumia ist ein wundervoller Genosse; sein Leben ist in unmittelbarer Gefahr und wir können es einfach nicht zulassen, daß der Staat ihn hinrichtet. Kannst Du etwas zu Deinen Haftbedingungen sagen? Geronimo:Meine Haftbedingungen sind hart. Ich bin im Hochsicherheitsgefängnis, und nach 23 Jahren im Knast ist es in den USA unüblich, in einem Hochsicherheitstrakt festgehalten zu werden. Meiner Ansicht nach wurden einige der Gefängnisse, in denen die RAF-Gefangenen eingesperrt sind, nach dem Modell der Gefängnisse hier gebaut, weil Sicherheitsvertreter aus der BRD hierherkamen, sich Notizen machten, zurückgingen und dann die Hochsicherheitstrakte in der BRD bauten. In den ersten acht Jahren meiner Haft war ich in vollständiger Einzelisolation. Danach wurden meine Haftbedingungen etwas gelockert, und jetzt bin ich wieder in einem Hochsicherheitsgefängnis. Die Bedingungen hier im Gefängnis von Tehachape [ 11 ] sind sehr repressiv und basieren auf ständiger Bestrafung. Du bist ständig mit kleinen Schikanen konfrontiert, die dich daran hindern, deine Integrität zu wahren. Das reicht von den Essensbedingungen bis hin zur Gewalt wenn Du zugucken mußt, wie ein Gefangener, der sich mit Schließern streitet, von den Sicherheitskräften aus dem Wachturm erschossen wird. Und natürlich die ständigen Lügen und Manipulationen. Stell Dir einfach das Aufstandsbekämpfungsprogramm COINTELPRO in einem mikrokosmischen Maßstab vor. Tatsächlich haben wir in einigen Akten Beweise für die Existenz einer FBI-Operation namens PRISAC (Prison Activist Programme) [ 12 ] gefunden. Diese Operation richtet sich gegen politisch aktive Gefangene und umspannt Maßnahmen von der Verbreitung von Gerüchten, dem Unterschlagen von Post, bis hin zum Fälschen von Briefen sowie der gezielten Ermordung von besonders aktiven Gefangenen bei inszenierten Zwischenfällen. Für die Gefangenen bedeutet das einen ständigen Kriegszustand. In letzter Zeit sind mehrere Bücher erschienen, die das PRISAC-Programm enthüllen. Mußt Du eigentlich arbeiten? Geronimo:In den meisten Knästen müssen alle Gefangene arbeiten, aber sie haben oft nicht genug Jobs für alle Gefangenen. Im Moment nehme ich an einem Architektur-Kurs teil. Arbeit ist immer mit Privilegien verbunden wenn Du keinen Job hast, kannst Du keine Telefonanrufe machen, gibt es keinen Familienbesuch etc. Und natürlich wird das auch als Druckmittel benutzt, weil sie Dir auf Anordnung jedes Schließers diese Privilegien wieder streichen können. Ich habe z.B. zwei Jahre darauf gewartet, an diesem Kurs teilnehmen zu können. Viele Vietnam-Veteranen leiden unter dem sogenannten post-traumatischen Streßsyndrom. Wie ist das bei Dir? Geronimo:Bei mir wurde das sog. post-traumatische Streßsyndrom diagnostiziert. Das ist keine Krankheit, sondern ein normales Ergebnis von dem Durchleben einer hochgradigen Streßsituation. Ich war bei beiden Einsätzen in Vietnam in Gefechtssituationen und merke die entsprechenden Auswirkungen und die Folgen von anderen Erlebnissen ziemlich oft. Die klinischen Symptome sind Nasenbluten, Appetitlosigkeit, Übelkeit. Das schlimmste Symptom sind die Alpträume. Ich versuche, so gut ich kann, damit umzugehen. Solange ich im Gefängnis bin, kann mir niemand dabei helfen. Einige der Ärzte, die mit mir darüber geredet haben und mich unterstützen, sagen, daß eine Person mit posttraumatischen Streßsyndrom nicht einer so hochgradigen Streßsituation wie der hier im Hochsicherheitsgefängnis ausgesetzt werden sollte. Sie sagen auch, daß der Streß auf unterschiedliche Art und Weise seinen Preis gefordert hat. Ich stimme ihnen zu, weil ich die Unterschiede feststelle zwischen diesem Gefängnis hier in Tehachape und anderen Gefängnissen, in denen ich vorher war, wo die Bedingungen weniger hart waren. Warum wurdest Du 1989 überhaupt nach Tehachape verlegt? Geronimo:Die meisten Gefängnisdirektoren aus den Gefängnissen, in denen ich vorher war, auch der aus San Quentin [ 13 ], wo ich die längste Zeit inhaftiert war, haben meine Freilassung befürwortet. Das gefiel dem Justizministerium in Washington D.C. und der kalifornischen Justizbehörde in Sacramento [ 14 ] natürlich überhaupt nicht. Und dann wurde ich 1989 als Zeuge der Verteidigung im Prozeß gegen Filiberto Ojeda Rios [ 15 ] in Puerto Rico vorgeladen. Filiberto wurde von den Geschworenen freigesprochen, weil sie ihm das Recht auf bewaffnete Selbstverteidigung gegen das FBI zugestanden haben. Nachdem ich aus Puerto Rico zurückgebracht wurde, wurde ich ständig angegriffen. Die Botschaft war klar Du sollst nirgendwohin gehen und niemandem helfen. Ich treffe meine eigenen Entscheidungen, und wenn irgendjemand meine Unterstützung benötigt, dann helfe ich, unabhängig davon, was der Staat dazu denkt. Seit dem Tag, als ich aus Puerto Rico zurückgebracht wurde, wurde ich von einem Knast in den nächsten verlegt und landete schließlich zur Strafe hier in Tehachape. Kämpfst Du denn darum, in ein anderes Gefängnis verlegt zu werden? Geronimo:Die ganze Zeit, und es wird ständig abgelehnt. Im letzten Sommer gab es eine Anordnung der Bewährungskommission, mich in ein anderes Gefängnis zu verlegen. Die Justizbehörde hat das erst blockiert, und als sie nicht mehr ausweichen konnten, haben sie mich schließlich für 24 Stunden in ein anderes Gefängnis verlegt, um mich dann sofort wieder hierher zu bringen. In der BRD und in Westeuropa hat es immer wieder Hungerstreiks gegeben, um die Zusammenlegung von politischen Gefangenen in Gruppen durchzusetzen. Gibt es diese Forderung auch von BPP und BLA-Gefangenen? Geronimo:Das war eine der Forderungen, die wir versuchten dadurch durchzusetzen, daß wir sagten, daß wir politische Gefangene sind, daß unsere Fälle auf internationaler Ebene behandelt werden sollen und daß wir als Kriegsgefangene behandelt werden sollen. Das wurde von der US-Regierung natürlich abgelehnt. Die Zusammenlegung in einer großen Gruppe war eines der Ziele dieser Forderung, die aber nicht durchgesetzt werden konnte. Die US-Regierung behauptet stattdessen, daß es keine politischen Gefangenen in den USA gibt. Ganz im Gegenteil sie versuchen uns so weit wie möglich voneinander entfernt zu halten und den Einfluß, den wir auf die anderen Gefangenen haben, so gering wie möglich zu halten. Warst Du jemals mit anderen politischen Gefangenen zusammen? Geronimo:Ich wurde dreimal vorgeladen, um in Prozessen von GenossInnen auszusagen 1976 im Prozeß von Assata Shakur; 1988 im Prozeß von Marilyn Buck und Mutulu Shakur, die wegen der Befreiung von Assata Shakur zu 75 Jahren Knast verurteilt wurden, und 1989 wurde ich im Prozeß gegen Filiberto Ojeda Rios als dem angeblichen Anführer der Macheteros in Puerto Rico auf seinen Wunsch vorgeladen. Während dieser Prozesse war ich kurz mit anderen politischen Gefangenen zusammen. 1980 waren Leonard Peltier [ 16 ] und ich für kurze Zeit zusammen im Los Angeles County Jail, aber wir wurden getrennt voneinander gefangengehalten wir konnten uns nur zuwinken. Wie ist das eigentlich mit den schwarzen Abgeordneten in den verschiedenen parlamentarischen Institutionen unterstützen sie die Forderung nach der Freiheit für Schwarze politische Gefangene und Kriegsgefangene? Geronimo:Sie ziehen es vor, die Gefangenen zu individualisieren, weil sie größtenteils die Propaganda des Systems übernehmen, daß die US-Regierung keine politischen Gefangenen hat. Man muß verstehen, daß es innerhalb der New African Nation eine Klassenstruktur und einen Klassenwiderspruch gibt. Das ist unvermeidbar, weil sich die schwarze Bourgeoisie innerhalb der Klassenstruktur des Systems bewegt. Wir haben eine schwarze Bourgeoisie, von der Malcolm X in einer Analogie als den House Negroes im Gegensatz zu den Field Negroes spricht. Der Field Negro lebt im Feld und hofft, daß dem Sklavenbesitzer etwas zustößt, während der House Negro, der sich im Haus aufhält und dort lebt, hofft, daß der Sklavenbesitzer für immer lebt, weil er in seinem Haus lebt, von seinem Tisch ißt etc. Dieses Szenario entspricht der Realität und Malcolm war es sehr wichtig, diesen Widerspruch öffentlich zu machen. Die House Negroes machen alles ihnen mögliche, um das System aufrechtzuerhalten, dem wir zu entkommen versuchen. Daraus ergeben sich auch noch einige andere Fragen, denn wenn ich sage dem System entkommen, dann steht das im Gegensatz zu dem, was uns die US-Regierung vorwirft, wenn sie sagt, daß wir versuchen würden, die US-Regierung zu stürzen oder zu zerstören. Wir versuchen, von ihnen wegzukommen, und nicht so sehr, ihre Regierung zu stürzen, sondern vielmehr unsere eigene Regierung aufzubauen. Viele Tatsachen werden einfach umgedreht und alle mögliche Propaganda wird über uns verbreitet, um die illegalen Angriffe der US-Regierung zu rechtfertigen. Um auf die schwarze Bourgeoisie zurückzukommen: Sie individualisieren die Gefangenen oft sie haben sich vielleicht hinter Angela Davis gestellt und ihr geholfen, aus dem Knast rauszukommen, weil das gerade Mode war, und dann haben sie das Gefühl, als ob sie etwas geleistet hätten. Oder sie unterstützen mich, weil ich in Vietnam gewesen bin. Und gleichzeitig lassen sie andere politische Gefangene im Stich wie z.B Sundiata Acoli [ 17 ], der seit 21 Jahren im Knast sitzt oder die weißen antiimperialistischen Gefangenen Marilyn Buck [ 18 ] und Laura Whitehorn [ 19 ]. Wir sind im Umgang mit der schwarzen Bourgeoisie mit vielen Problemen konfrontiert. Wir versuchen, sie aufzuklären und ihnen die Realität zu vermitteln, so daß sie ihre Unterstützung ausweiten und ihre Entscheidungen von Prinzipien anstatt von Persönlichkeiten abhängig machen. Du bist jetzt seit fast 23 Jahren im Knast und hast im Dezember 1992 deine nächste Anhörung für eine vorzeitige Entlassung auf Bewährung, das sog. Parole Hearing. Rechnest Du damit, daß Du auf diesem Weg in nächster Zeit aus dem Knast rauskommst? Geronimo:Ob die Anhörung im Dezember überhaupt stattfinden wird, ist noch nicht bestätigt worden. [ 20 ] Wie vielleicht bekannt ist, ist meine Position zu derartigen Anhörungen überhaupt nicht enthusiastisch, da ich für einen Mord verurteilt wurde, den ich nicht begangen habe. Die Anhörung findet aber auf der Grundlage dieses Urteils statt. Sieben Jahre lang habe ich mich aus prinzipiellen Gründen geweigert, an diesen Anhörungen teilzunehmen. Inzwischen sehe ich es so, daß es einfach darum geht, bestimmte Möglichkeiten auszuschöpfen, die uns zur Verfügung stehen. Aber ich bin überhaupt nicht begeistert davon. Es ist einfach eine Formalität, bei der die Anhörungskommission in bestimmten Zeitabständen deinen Fall überprüft und dann die Entlassung ablehnt. Normalerweise würde kein Gefangener so lange für das, wofür sie mich im Knast festhalten, im Knast bleiben. Ich kenne Gefangene, die nicht nur einmal, sondern schon mehrmals wegen ziemlich brutaler Morde im Knast waren, und inzwischen wieder draußen sind. Die sog. Parole-Kommission ist eine hoch-politische Institution, deren Mitglieder ehemalige Beamte aus dem Sicherheitsapparat sind. Sie erhalten ihre Weisungen direkt aus Sacramento und aus Washington DC. Immer wieder wird bei politischen Gefangenen in der BRD das Abschwören vom bewaffneten Kampf zur Bedingung für eine Freilassung gemacht. Ist das in den USA ähnlich? Geronimo:Das kommt noch dazu, wenn auch nicht so direkt, sondern auf verdeckte Art und Weise. Ich sage natürlich offen, woran ich glaube. Ich verstecke meine politische Überzeugung nicht und ich glaube, daß ihnen das nicht gefällt. Bei einer dieser Anhörungen haben sie behauptet, daß ich, wenn ich aus dem Gefängnis rauskäme, die BPP wieder ins Leben rufen und neu organisieren würde. Bei anderen Anhörungen wurde mir vorgworfen, daß ich über ein ganzes revolutionäres Netzwerk verfüge, das ich sofort reaktivieren würde. Gibt es denn für Dich noch die Möglichkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens? Geronimo:Das haben wir schon versucht. Jedesmal, wenn neue Beweise dafür aufgetaucht sind, daß ich aufgrund von Konstrukten verurteilt wurde, sind wir wieder vor Gericht gegangen. Aber durch einige Manipulationen hinter den Kulissen landet mein Fall immer wieder vor dem selben Richter, und dieser Richter wurde noch von Nixon ernannt. Nixon und der damalige FBI-Direktor J.Edgar Hoover haben alles dafür getan, um mich überhaupt in den Knast zu bringen. Richter, die von Nixon oder Reagan ernannt wurden, lesen sich noch nicht einmal die neuen Beweismaterialien durch sie verwerfen derartige Fälle ganz einfach auf der Basis, daß wir Terroristen seien. Andere Richter, die gegen ein derartiges Vorgehen protestierten und es illegal genannt haben, werden kaltgestellt. In der BRD wurden 1992 einige wenige politische Gefangene aus der RAF und dem Widerstand aus den Gefängnissen entlassen zum Teil, weil die BRD-Regierung nach der sog. Vereinigung versuchte, ihr Menschenrechtsimage international zu verbessern und um behaupten zu können, das Kapitel eines revolutionären Widerstandes in der BRD sei endgültig abgeschlossen. In den USA befinden sich die Mehrheit der 50 BPP- und BLA-Gefangenen sowie die Gefangenen aus dem American Indian Movement seit über 15 Jahren im Knast. Aber seitens der US-Regierung scheint es keinerlei derartige Initiative für eine wenn auch sehr bedingte Freilassung dieser Gefangenen zu geben. Warum nicht? Geronimo:Ich denke, daß der Hauptgrund die andauernde Angst der US-Regierung vor uns ist. Sie wissen, daß wir einen großen Bevölkerungsanteil stellen und daß wir mehr denn je die Fähigkeit und das Potential haben, uns selbst zu befreien. Daher versucht die US-Regierung ständig, uns zu spalten, zu unterdrücken, uns gegeneinander auszuspielen und aufzuhetzen. Das geschieht nicht nur mit African Americans, sondern auch mit Mexicanos, Native Americans, Asian Americans. [ 21 ] Irgendwann werden sie sich ihrer Stärke, ihr eigenes Schicksal zu bestimmen, bewußt werden. Und in diesem Zusammenhang hat die US-Regierung natürlich auch Angst davor, daß die Wahrheit über die Aufstandsbekämpfungsprogramme, die politischen Gefangenen und die Kriegsgefangenen bekannt wird. Das bedeutet für Dich dann wahrscheinlich, daß Du davon ausgehst, daß Du nur durch eine politische Lösung Deine Freiheit erhalten wirst? Geronimo:Ja. Die Ursache für meine Gefangenschaft ist die politische Situation in den USA, und es wird eine politische Lösung sein, die zu meiner Freilassung führt. Nach so vielen Jahren hörst Du auf, so sehr darüber nachzudenken, ob du selbst freigelassen wirst. Natürlich ich liebe die Freiheit und würde gern aus diesen Gefängnissen rauskommen. Aber ich grüble nicht so viel darüber nach, weil mich das verrückt machen würde. Es ist weiter gefaßt ich denke mehr über die Befreiung der Gesellschaft, über die Befreiung meines Volks und die Gesamtsituation nach als über diese kleine unwesentliche Person, die sich bewußt einer Bewegung angeschlossen hat, um für die Befreiung ihres Volkes zu kämpfen. Werden sich Deiner Einschätzung nach die Bedingungen unter Bill Clinton verbessern? Geronimo:Zum einen hat Bill Clinton klar gesagt, daß er für mehr Knäste und Polizei sorgen wird. Er ist außerdem ein ausgesprochener Befürworter der Todesstrafe. Außerdem geht es darum, daß wir uns darauf konzentrieren müssen, unsere eigenen Strukturen und unsere eigene Nation aufzubauen, anstatt uns die Köpfe über noch einen weiteren weißen Mann zu zerbrechen. Im übrigen rede ich nicht von etwas Angelesenem oder einer Theorie, wenn ich von einer schwarzen Nation rede. Ich bin in einer schwarzen Community aufgewachsen und habe praktische Erfahrungen damit gemacht, daß es einen Unterschied macht, wenn Menschen sich aufeinander beziehen und sich umeinander kümmern. Danke für das Gespräch. | anfang | Fußnoten [ 1 ] [ 2 ] [ 3 ] [ 4 ] [ 5 ] [ 6 ] [ 7 ] [ 8 ] [ 9 ] [ 10 ] [ 11 ] [ 12 ] [ 13 ] [ 14 ] [ 15 ] [ 16 ] [ 17 ] [ 18 ] [ 19 ] [ 20 ] [ 21 ] |
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