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Susan Sontag und das Kulturereignis der Saison

Susan Sontag war die erste prominente Künstlerin, die Sarajevo mit ihrer Anwesenheit beehrte und die Waffen der Kultur im Kampf gegen die Serben einsetzte. Der Liebhaber des Vulkans, ihr zuletzt erschienenes Buch, war in der deutschen Presse durchgefallen und vom »Literarischen Quartett« verrissen worden, und ihr letzter öffentliche Auftritt in Berlin, als sie Syberberg vor seinem völkischen Gebrabbel in Schutz nahm, wurde vom Spiegel nicht zu Unrecht hämisch kommentiert. Vor so wenig Kultur kapitulierend flüchtete Susan Sontag nach Sarajevo ins Exil, inszenierte Becketts Warten auf Godot, und alles war ganz anders. »Ich war erstaunt über die große Aufmerksamkeit, die Godot in der internationalen Presse erregte ... Am Tag nach meiner Ankunft bekam ich im Foyer und Speiseraum des Holiday Inn ein Dutzend Anfragen hinsichtlich Interviews, am nächsten wieder, am übernächsten ebenfalls.« Nirgends sonst als in Sarajevo, einem fast schon mythologischen Ort, weil dort nach Meinung der Kulturschaffenden Europa a. »stirbt«, b. »beginnt« und c. »lebt«, hätte Sontag mit einer Theaterinszenierung soviel PR-Rummel verursachen können, oder anders ausgedrückt, nirgendwo sonst als im Holiday Inn, dort also, wo ganze Reporterteams gelangweilt herumhängen, um auf den Einschlag der nächsten Granate zu warten, hätte Godot eine nettere Abwechslung sein können.

Susan Sontags Godot-Inszenierung wurde nicht nur als Beispiel selbstlosen Engagements gewürdigt, es wurde auch der Eindruck erweckt, die Einwohner Sarajevos könnten nun ein kulturelles Bedürfnis befriedigen, das mindestens ebenso wichtig ist wie das nach Nahrung, Kleidung und Wohnung. Sontag förderte diesen Irrglauben, wenn sie von der »äußerst lebendigen und reizvollen Provinzhauptstadt« und »deren Kulturszene« schwärmte, die keinen Vergleich mit mitteleuropäischen Maßstäben scheuen müßte. »Kultur, ernsthafte Kultur ist ein Ausdruck menschlicher Würde; eine Würde, die die Menschen in Sarajevo glauben verloren zu haben«, der sie nun jedoch nicht länger nachtrauern müssen, denn in Godot wird ihnen diese »ernsthafte Kultur« geboten, von der Sontag selbst am meisten beeindruckt ist: »Ich glaube, es war am Schluß dieser Aufführung ..., daß in meinen Augen Tränen zu brennen begannen.«

Wer zu diesen erhabenen Gefühlen nicht fähig ist, der wird mit einer propagandistischen Interpretation des Stückes bedient. Demnach wollte Sontag Warten auf Godot als »Illustration der Gefühle der Menschen in der Stadt« verstanden wissen: »ausgeplündert, hungrig, verzagt, wartend auf eine launische fremde Macht, die sie erretten oder unter ihre Fittiche nehmen würde«. Ihre Mission war in jeder Beziehung ein voller Erfolg: »Die Menschen in Sarajevo führen ein herzzerreißendes Leben; dies war ein herzzerreißender Godot. Ines war als Pozzo besonders theatralisch und Atko der ergreifendste Lucky, den ich je gesehen habe.« Ob dieses Eigenlobes wurde ihr dann auch im New Yorker Lincoln Center der »Montblanc de la Culture« verliehen, und Catherine Deneuve und Vanessa Redgrave gratulierten ihr.

In Susan Sontags langen Bericht über die Theateraufführung, der immer wieder von militanten Interventionsforderungen unterbrochen wird und deshalb in der europäischen Kulturzeitschrift Lettre erschien, wurde eines nie erwähnt, nämlich daß schon vor dem Krieg in Sarajevo genauso wie in Berlin oder Bielefeld Theaterflaute herrschte und »daß sich das anwesende Publikum aus der politischen und militärischen Elite zusammensetzte, von denen man diejenigen an den Fingern einer Hand abzählen kann, die vor dem Krieg wenigstens einmal das Theater betreten haben. Oder die Tatsache, daß auch Schauspieler an die Front gezwungen werden, es sei denn die Kriegsregierung erkennt ihr künstlerisches Engagement als einen Teil ihres gemeinsamen Kampfes für die gleichen politischen Ziele an«. Das schrieb ZŠeljko Vukovi´c, von 1986 bis 1992 Vorsitzender des bosnisch-herzegowinischen Journalistenverbandes, der Sarajevo verlassen mußte, weil sein Leben von allen drei Kriegsparteien bedroht wurde.



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