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Auf jeden Topf paßt ein Deckelchen - Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft

Vierzig Jahre lang waren die Ossis die Vorzeigekommunisten im östlichen Staatenbündnis. Anders als bei den Tschechen und Polen waren Klagen über ihre sozialistische Arbeitsmoral nicht zu vernehmen, und selbst den Luxus des vom Westen spöttisch belächelten Schlendrians leisteten sie sich nicht. Streiks wie in Polen waren undenkbar und riefen bei den Ossis heftige Ressentiments hervor. Daß die Polen ein faules Pack waren, wußten die Ossis schon immer, durch die Streiks war der für ihr Vorurteil gar nicht nötige Beweis endgültig erbracht. Statt Solidarität mit den Danziger Werftarbeitern zu üben, achteten sie darauf, daß sich der über die DDR führende Revolutionstourismus aus dem Westen in Grenzen hielt. Schließlich durfte man ja selbst auch nicht mehr nach Polen. Nicht, daß sich die Ossis darüber sonderlich aufgeregt hätten, aber in diesem Fall schien ihnen der Gleichheitsgrundsatz schon sinnvoll zu sein. Ihre Aversionen gegen die-noch-weiter-drüben rühren vermutlich aus einer Zeit, in der die Polen als Untermenschen galten. Die Politik der DDR-Regierung kam den Ressentiments der Ossis entgegen, und dafür waren sie ihrer Führung, dafür waren sie Honecker und Ulbricht dankbar.

Auch sonst hatten die Ossis für die Freiheitsbestrebungen der sozialistischen Bruderländer kein Verständnis: Auch wenn sie 1968 nicht direkt beim Einmarsch der SU in Prag durch den Warschauer Pakt in die Pflicht genommen wurden, hätten sich die Ossis auch ohne Militärbündnis nicht zweimal bitten lassen, dem als Sozialismus mit menschlichem Antlitz getarnten Virus aus dem Westen den Garaus zu machen. Jedenfalls ist nicht bekannt, daß sich die Ossis zu Solidaritätsaktionen mit den aufmüpfigen Brudervölkern und den gemäßigten Reformpolitikern hinreißen ließen, ja nicht einmal zu einer der damals so beliebten und inflationären »Grußbotschaft an das Volk/die Arbeiter/die Streikenden« (Zutreffendes bitte ankreuzen) reichte es. Solange die internationale Solidarität mit irgendwelchen unterdrückten Völkern irgendwo weit weg auf einem anderen Kontinent gepflegt wurde und nicht im eigenen Land, solange war man auch bereit, die endlosen Solidaritätserklärungen im Neuen Deutschland oder auf Parteiversammlungen auf sich niedertröpfeln zu lassen. Kamen dennoch Fremdarbeiter ins Land, waren sie den Ossis kaserniert am liebsten, auch wenn sie damals schon darüber murrten, daß die »Fidschis« und »Mossis«, wie die Ossis die Gastarbeiter aus Vietnam und Mosambik nannten, nur zum »Abgreifen« gekommen wären, plötzlich ihre innige Liebe zu den Ostprodukten entdeckend, über deren Qualität sie sonst nur maulten.

Infolgedessen bleibt der Ossi aus dieser Zeit als zuverlässiger Volksgenosse in Erinnerung, in einer immer etwas zu engen, über den Schwabbelbauch spannenden und auf Hochwasser stehenden Uniform in dezentem Mausgrau, die ebenso zur verklemmten Geisteshaltung paßte wie zu den zahlreichen Staats- und Betriebsfeiern. Unvergeßlich auch der vom nagenden Neid säuerliche und miesepetrige Befehlston an der ehemaligen deutschdeutschen Grenze, dieses unnachahmliche in der SED-Eintopfsprache geblaffte »Gännse fleisch den Goffäraum aufmachn« oder »Fahnse ma rächts ran«, mit dem sie die Westreisenden mit Vorliebe drangsalierten.

Aber obwohl sich die Direktiven der Staatsführung und die Mißgunst der Ossis nahtlos zur Deckung bringen ließen, kann man nicht behaupten, daß sich die Parteiführung unbeschränkter Beliebtheit bei den Ossis erfreute. Und wer die Jubelparaden bei den Aufmärschen zum Ersten Mai dahingehend interpretiert, hat keine Ahnung von deren Psychologie. Was die Ossis ihrer Führung wirklich ankreideten, war, daß sie im Leistungsvergleich der Systeme hoffnungslos unterlegen waren. Was waren schon billige Mieten, kostenlose Krankenversorgung und Arbeitsplatzgarantie gegen ein schnelles Westauto? Später, als die Ossis es dann endlich hatten, setzten sie es an den nächsten Baum und jammerten über steigende Mieten, eine teure Krankenversicherung und Arbeitslosigkeit.

Dabei geht es ihnen gar nicht so schlecht, wie neuere Untersuchungen ergeben haben. 94 Prozent der ostdeutschen Haushalte können inzwischen den wichtigsten Fernbedienungs-Gebrauchsgegenstand im nußbaumfurnierten Wohnzimmer ihr eigen nennen: den Farbfernseher. Damit haben sie die westliche Quote um 5 Prozent überflügelt, oder, wie es in der Ostsprache korrekt heißen würde, »das Plansoll übererfüllt«. Auch in allen anderen unverzichtbaren Dingen des alltäglichen Schonbezuglebens haben die Ossis nachgerüstet. Aber allein die Vorstellung, es könnte ihnen schlechter gehen, bereitet den Ossis argen Kummer. Nirgendwo sonst ist das Denken im Konjunktiv so sensibel, dabei schmalzt und schleimt doch jetzt auch da drüben das Zukunftsangstbewältigungsduo Peter Alexander und Heintje aus der Flimmerkiste. Wozu haben die Ossis sonst eine Revolution aufs Parkett gelegt, wenn nicht für diese kulturelle Bereicherung im rechteckigen Format der Geselligkeit?

Immer wieder wird der Vergleich zwischen dem Nationalsozialismus und der DDR bemüht, um deutlich zu machen, unter welcher unmenschlichen Diktatur die Ossis gelitten hatten. Vergeblich wird man jedoch nach den sechs Millionen Ermordeten fahnden, die man dem SED-Regime gerne unterschieben würde. Nicht mal ein paar richtige stalinistische Schauprozesse hatte es gegeben, an denen man sich heute delektieren könnte, obwohl die SED-Genossen immer als die Müsterschüler Stalins galten. Selbst in diesem Heimspiel hatte die DDR nur eine Posse zustandegebracht, die zwischen Harich und Janka dann noch einmal aufgewärmt wurde und außer einem überflüssigen Buch nichts hinterließ. Oder waren es zwei? Statt Terror, Krieg und Verwüstung mit sich zu bringen, war die DDR für ihre Bewohner vielmehr eine Insel des Friedens, auch wenn es hinter den Kulissen etwas muffelte. Dennoch haben der Nationalsozialismus und die DDR etwas gemeinsam. Aber diese Gemeinsamkeit ist für die Ossis alles andere als schmeichelhaft, denn für sie trifft zu, was Hannah Arendt über die Deutschen zwischen '33 und '45 schrieb: »Es gab im Dritten Reich nur wenige Menschen, die die späteren Verbrechen des Regimes aus vollem Herzen bejahten, dafür aber eine große Zahl, die absolut bereit waren, sie dennoch auszuführen.«

Nur der Tatsache, daß die staatliche Repressionsmaschine der DDR mit internationalen Standards nicht Schritt halten konnte und der damit zu verzeichnende Erfolg geradezu harmlos war im Vergleich zur Einführung des Kapitalismus in den ehemaligen Ostblockländern, haben es die Ossis zu verdanken, daß sie gar nicht die Möglichkeit hatten, sich so aufzuführen, wie es die Deutschen unter Idealbedingungen offensichtlich gerne tun. Auch wenn die Ossis mit ihrer Regierung nie so recht zufrieden waren, behielten sie ihre Meinung lieber für sich. Dennoch waren sie bereit, »Pionier- und Spitzenleistungen im ökonomisch-kulturellen Leistungsvergleich« zu erbringen. Was immer diese »Pispilei im Ökulei« (so die korrekte Abkürzung im DDR-Sprachgebrauch) gewesen sein mögen (vielleicht sowas wie ein in den realsozialistischen Jargon übersetzter Voodoo-Zauber?), die Ossis taten auf Geheiß der Partei anscheinend sehr mysteriöse und obskure Dinge, die offensichtlich nur dazu da waren, um die Gefolgschaftstreue zu testen. Man könnte diese zwischen dezentem Murren und vorbehaltloser Pfadfinderbereitschaft schwankende Haltung als eine Art kritischen Opportunismus bezeichnen, nur daß sich das Kritische quasi ins innere Exil verflüchtigte und somit nur der Opportunismus übrigblieb, davon aber üppige Portionen.

Unter der Partei, die sich in den Alltag, in die Arbeit und die Familie einmischte und deshalb durchaus enervierend hätte sein können, haben die Ossis mitnichten gelitten. Wurden sie etwa dazu gezwungen, ihre Kinder in die FDJ zu schicken? Nicht mal mit Bananen brauchte man sie dazu zu ködern. Mußte man sie etwa in irgendwelche Betriebszellen prügeln? Keine Extraration Schokolade wurde ihnen dafür in Aussicht gestellt. Waren sie auf ihre jungen Pionierpimpfe nicht mindestens so stolz wie die Deutschen auf ihre Hitlerjugend? Aber sicher! Und so merkwürdige Gepflogenheiten wie die »Jugendweihe«, von der man auf Anhieb nicht weiß, ob sie der Epoche vor oder nach '45 entstammt, die man in jedem Fall für einen heidnischen Kult halten könnte, erfreuen sich bei den Ossis nach wie vor großer Beliebtheit.



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