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Inhaltsverzeichnis Inhalt Maria Mies: Die Krise als Chance Aufwärts

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Globalisierung ohne »menschliches Gesicht«

Die heutige Phase der globalen Umstrukturierung begann mit der Rezession um 1990. Sie ist einerseits gekennzeichnet durch die Fortsetzung und Expansion der schon vorher praktizierten Politik der exportorientierten Produktion in Industrie, Landwirtschaft und informellem Sektor, andererseits gibt es aber auch quantitative und qualitative Unterschiede zu den vorangegangenen Restrukturierungsphasen. Die Verlagerung der Produktionsstätten in Billiglohnländer bezieht sich heute nicht nur auf die »Dritte Welt«, sondern auch auf die deindustrialisierten Länder des Ostens und auf China. Während die erste Phase der Verlagerung sich vor allem in den arbeitsintensiven Bereichen der Leichtindustrie vollzog, wird heute auch die Schwerindustrie in den Bereichen Kohle-, Stahl-, Autoindustrie und Schiffsbau ausgelagert.

Heute sind vor allem Männer in Europa und in den USA von Firmenschließungen betroffen. Es sind außerdem nicht nur die hohen Lohnkosten, die die MNKs in die Billiglohnländer treiben, sondern vor allem auch deren laxe Umweltgesetze. Darum sprechen die Gewerkschaften in den nördlichen Industrieländern von einem »social and environmental dumping«. Wie schon in der ersten Phase wird der heutige Prozeß der Umstrukturierung der Weltwirtschaft zu immer mehr exportorientierter Warenproduktion, auch im sogenannten Süden und Osten, von den großen MNKs vorangetrieben. Immer mehr Kapital konzentriert sich in ihren Händen. Die 15 großen MNKs, einschließlich General Motors, Exxon, IBM, Royal Dutch Shell, haben ein Bruttoeinkommen, das größer ist als das BSP von über 120 Ländern zusammen, einschließlich aller Drittweltländer.5.13 Die MNKs kontrollieren den Weltmarkt für Konsumgüter wie Computer, Autos, Haushaltgeräte, Textilien usw., aber auch denjenigen für Nahrungsmittel. Cargill, einer der größten MNKs, besitzt 60 Prozent des Welthandels von Getreide. Eine ähnliche Kapitalkonzentration gibt es auch im Bereich der Telekommunikation. Die Hälfte der MNKs befindet sich in den USA, die andere Hälfte in Europa und Japan. Die »Dritte Welt« ist von dieser Konzentration von Geld und Macht ausgeschlossen und wird von diesem Machtblock ausgebeutet.

Diese neokoloniale Struktur der globalen Ökonomie wird ideologisch und politisch von einigen globalen Institutionen wie der Weltbank, dem IWF und seit 1993 vom General Agreement on Trade and Tariffs (GATT) - heute der WTO (World Trade Organisation) - aufrechterhalten. Die jetzige Phase der Umstrukturierung der Weltwirtschaft wird vor allem von diesen Institutionen bestimmt. Darüber hinaus sind es die großen neuen Wirtschaftsblöcke wie EU, NAFTA und APEC, die die günstigen Rahmenbedingungen für die MNKs herstellen. Diese Blöcke werden mit dem Schlagwort der Beseitigung der Arbeitslosigkeit propagiert, und viele Menschen fallen auf diese Propaganda herein, wie z.B. Schweden und Österreich.

Vor allem das GATT ist erfunden worden, um die Freihandelsphilosophie des 19. Jahrhunderts noch einmal aufleben zu lassen. Das heißt zunächst, daß alle Handelsschranken, die die Staaten errichtet hatten (Zölle, Einfuhrbeschränkungen etc.), um bestimmte Sektoren ihrer Wirtschaft zu schützen, beseitigt werden, daß sie ihre Märkte für den Import der Güter aus der ganzen Welt öffnen müssen und daß die Multis überall ihre Standorte einnehmen können. Während sie sich in der ersten Phase noch auf Enklaven beschränken mußten, gehört ihnen praktisch nun die ganze Welt. Der letzte Überrest von nationaler Souveränität der einzelnen Staaten ist ans Ende gekommen.

Die Freihandelspolitik geht davon aus, daß

  1. der Handel die Grundlage des Lebens ist,

  2. alle Handelspartner gleich sind,

  3. durch das Prinzip der sog. »comparative advantages« alle am meisten von diesem »freien« Handel profitieren würden.



In der Praxis werden jedoch die schwächeren Partner, z.B. die Länder der »Dritten Welt«, gezwungen, Bestimmungen zu akzeptieren, die nicht nur ihre Souveränität erodieren, sondern auch ihre Landwirtschaft den Multis öffnen und ihre Politik der Selbstversorgung, vor allem im Nahrungsmittelsektor, aufzugeben und zuzulassen, daß toxischer Industrieabfall aus dem Norden in ihrem Territorium »entsorgt« wird und daß »schmutzige« Industrien aus dem Norden in ihre Länder verlagert werden. Außerdem müssen sie zulassen, daß Banken und Versicherungen des Nordens sich in ihrem Territorium breitmachen. Am gefährlichsten am Paket des Freihandels sind jedoch die »Trade Related Intellectual Property Rights« (TRIPs), die ausländischen Firmen und Wissenschaftlern erlauben, die biologische Vielfalt und das kulturelle Erbe der Länder der »Dritten Welt« zu patentieren, zu monopolisieren und zu kommerzialisieren.

Das GATT und die TRIPs sind natürlich auch tödlich für die Kleinbauern und die KonsumentInnen im Norden, aber hier scheinen sich die Menschen dieser Gefahren, die die Liberalisierung vor allem des Agrarmarktes bedeutet, kaum bewußt zu sein. Wen kümmert z.B. schon das Bauernsterben, daß schließlich nur noch drei Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft arbeiten und unsere Nahrung von den Multis gentechnisch zusammengebraut wird. Das ist jedoch anders in der »Dritten Welt«, wo GATT, TRIPs und SAPs (Structural Adjustment Programms) die unmittelbaren Lebensgrundlagen der Menschen zerstören. Vandana Shiva hat die Konsequenzen von GATT und TRIPs für die indische Landwirtschaft, vor allem im Zusammenhang mit der Biotechnik, aufgezeigt. Chemie- und Nahrungsmittelmultis wie Cargill, Monsanto, W. R. Grace u.a. sind in großem Stil in die Biotechnologie eingestiegen und versuchen mit Hilfe von TRIPs und dem Patentrecht die Kontrolle über alle Lebensformen, Pflanzen, Tiere und schließlich die Menschen und ihre Gene zu erreichen, besonders im tropischen Süden, wo die Artenvielfalt noch nicht so zerstört ist wie im entwickelten Norden. Das heißt, daß z.B. die Bauern in Indien ihres traditionellen Wissens über die Pflanzenzucht durch die Patentinhaber beraubt und von multinationalen Saatgutfirmen abhängig gemacht werden. Jeder Bauer, der so patentiertes Saatgut benutzt und weiterverwendet, muß dann Lizenzgebühren an die Patentinhaber zahlen. Was also für Tausende von Jahren kollektives kulturelles Eigentum des Volkes war, vor allem von Frauen, nämlich das Wissen um die Regenerierung und Züchtung von Pflanzen, wird nun wie zur Zeit des Frühkolonialismus geraubt, patentiert, privatisiert, kommerzialisiert. Die Multis drängen darauf, daß alle Patentgesetze »harmonisiert«, d.h. dem amerikanischen Patentrecht angeglichen werden.5.14

Auch im Norden hat die Biotechnologie, die von den Politikern und vor allem von den Chemiemultis (wie Hoechst) als die Zukunftstechnologie progagiert wird - z.B. als Arbeitsplatzbeschaffer -, verheerende Konsequenzen, die allerdings erst von wenigen wahrgenommen werden. In Kombination mit der EU, wo jetzt eine »Novel Food«-Bestimmung verhandelt wird, wird jetzt zentral von der Brüsseler EU-Kommission die Tür geöffnet für alle möglichen biotechnisch oder gentechnisch manipulierten Nahrungsmittel. Da die meisten Menschen in den Industrieländern bereits total vom Kauf der Waren aus dem Supermarkt abhängen, werden sie praktisch zu ZwangskonsumentInnen von Gen-Tech-Food gemacht. Sie verlieren die Freiheit zu wählen, was sie essen wollen.

Was für den Nahrungsmittel- und Gesundheitssektor gilt, trifft im selben Maß für den Bereich der Reproduktion zu. Die neuen Reproduktionstechnologien - propagiert als Hilfsmittel für einzelne Frauen, ein Kind zu bekommen oder nicht zu bekommen und durch pränatale Diagnostik, Gentherapie an Föten, Sex-Selektion auch ein behindertes Kind zu verhindern.

Diese Technologien eröffnen nicht nur Tür und Tor für rassistische, eugenische, sexistische Selektion, sondern verhindern auch das Verhalten aller Frauen zu etwas Normalem wie Schwangerschaft und Geburt. Alle diese Lebensprozesse werden medikalisiert und damit industrialisiert5.15. Darüber hinaus werden Frauen weltweit zunehmend nur noch als Produzentinnen von biologischem Rohmaterial instrumentalisiert, z.B. von »fötalem Material« für Forschungszwecke und Organtransplantationen.5.16

Dem Zugriff der Multis auf die ganze Welt zum Zweck der Kapitalakkumulation steht der Zugriff auf alles Lebendige gegenüber. Beides entspricht dem totalitären Anspruch dieser kapitalistischen Wirtschaftsweise, die alles, was da ist, in Ware verwandeln will.

Eines der größten Probleme dieser Wirtschaftsweise ist das Dilemma, daß diejenigen, die entsprechend dem Gesetz der fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation ausgebeutet, hausfrauisiert, marginalisiert und pauperisiert werden, eben keine potenten KäuferInnen für all diese Waren sind, die global produziert werden. Die Märkte in den reichen Ländern expandieren nicht so sehr, wenigstens nicht mehr für die konventionellen Waren. Der IWF hat für diese ausgelaugten, verschuldeten Gebiete das Disziplinierungsprogramm der Strucutural Adjustment Programmes (SAPs) geschaffen. Diese SAPs sollen die verschuldeten Länder wieder unter das Regime des »freien Marktes« bringen, und zwar durch den Abbau aller Maßnahmen, die noch an Verteilungsgerechtigkeit und Keynesianismus erinnern. Alle staatlichen Subventionen für die Bauern, Frauen, für Gesundheit, Bildung, Soziales, Nahrung für Arme werden gestrichen. Herrschen soll der Sozialdarwinismus, »the survival of the most brutal«. Während der zweiten Periode der Globalisierung konnten die Armen sich noch an der Illusion wärmen, daß ihr Staat sich in Richtung Schwedens, Deutschlands oder anderer Wohlfahrtsstaaten entwickeln würde. Diese Illusion ist nach den SAPs, kombiniert mit GATT, TRIPs und den neuen Wirtschaftsblöcken endgültig vorbei. Eines der Probleme der Umstrukturierung der Weltwirtschaft ist die Tatsache, daß diejenigen, die für niedrige Löhne in den Billiglohnländern produzieren sollen, nicht gleichzeitig die Käuferschaft für diese Produkte sein können. Vor allem Frauen sind von dieser Entwicklung betroffen. Wenn sie überleben wollen, müssen sie neue/alte Wege der Subsistenz finden. Für das Kapital sind sie überflüssig, sowohl als ProduzentInnen wie als KonsumentInnen. Das ist der Grund dafür, daß sie zur Zielscheibe für die Bevölkerungskontrolleure geworden sind. Das ist z.B. in großem Ausmaß in Afrika der Fall; von diesem Kontinent ist kaum noch die Rede.

Die Kairoer Bevölkerungskonferenz im September 1994 hat die notwendige ideologische Akzeptanz geschaffen, diese Armen, speziell die Frauen, als Hauptschuldige für Armut und Umweltzerstörung hinzustellen. Die »überflüssigen Menschen« sollen zum Verschwinden gebracht und dezimiert werden.

Die jetzige Globalisierung führt aber nicht nur zur bedenkenlosen Eliminierung derer, die für den Markt uninteressant geworden sind, und trotz der Rhetorik über »eine Welt« oder »one global village« zu einer weiteren Polarisierung zwischen reichen und armen Ländern, sondern auch zu einer größeren Kluft zwischen Reich und Arm innerhalb dieser Länder, sowohl im Norden wie auch im Süden. Der Lebensstil der Eliten im Süden hat sich mehr und mehr dem der Eliten im Norden angeglichen.5.17 Diese stellen zusammengenommen einen riesigen Markt für Konsumgüter dar. In der Tat: Die Ökonomen erwarten von diesen Eliten oder Mittelklassen in Südkorea, Thailand, Indonesien und vor allem in China und Indien die notwendigen Wachstumsimpulse für eine weitere Runde der Kapitalakkumulation. Sie sollen, wie Pam Woods im »Economist« schreibt, »die reiche Welt aus der Rezession der frühen neunziger Jahre ziehen«. Nach einer Schätzung der OECD wird es in Indien, China und Indonesien im Jahre 2010 700 Millionen KonsumentInnen für moderne Konsumgüter geben. Dieser »nachholende Konsum« wird allerdings nicht für die Mehrheit der Bevölkerung dieser Länder gelten. Diese wird weiter verarmen und lediglich im informellen Sektor als »hausfrauisierte« ArbeiterInnen und BäuerInnen dafür sorgen, daß die Waren für den täglichen Bedarf wie Nahrung und Kleidung nicht zu teuer werden.

Diese Polarisierung zwischen Reich und Arm wird aber auch im Norden zunehmen. Nicht nur, weil die Verlagerung ganzer Industriebereiche in die Billiglohnländer die Arbeitslosigkeit weiter steigern und die Reallöhne senken wird, sondern auch, weil, wie anfangs ausgeführt wurde, die Strategien der Krisenbekämpfung dieselben sind wie die in der »Dritten Welt«, nämlich Deregulierung, Hausfrauisierung, Informalisierung von Arbeitsverhältnissen, die Schaffung von Billiglohnsektoren à la Rexrodt inmitten der reichen Länder, in welchen hauptsächlich Frauen arbeiten, ein gradueller Abbau des Sozialstaates, die Eliminierung der Bauern und die Industrialisierung der Landwirtschaft und des Lebens.

Die »Drittweltisierung« der »Ersten Welt« zeigt, daß die Globalisierung der Wirtschaft die Krise für das Kapital zeitweilig zu lösen scheint, aber daß sie keineswegs Wohlstand für alle bringt. Denn die fortgesetzte Kapitalakkumulation ist nur möglich, solange es externe und interne Kolonien gibt, Gebiete und Menschen, die als Nichtgleiche behandelt und ausgeraubt werden können. Pam Woodall hat dies unmißverständlich ausgedrückt, daß der komparative Kostenvorteil der armen Länder eben ihre billigen Arbeitskräfte und ihre laxe Umweltgesetzgebung sind und daß die Wirtschaft kein Interesse an Gleichheit hat:

»Die Vorteile des internationalen Handels bestehen darin, daß man den Ländern (des Südens, M.M.) erlaubt, ihre komparativen Kostenvorteile auszubeuten, nicht aber darin, daß man verlangt, daß sie (den reichen Ländern, M.M.) gleich werden. Und vieles der komparativen Vorteile der Dritten Welt liegt, in der einen oder anderen Weise, in der Tatsache ihrer Armut: vor allem in ihrer billigen Arbeitskraft und ihrer größeren Toleranz gegenüber Umweltverschmutzung.« 5.18



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