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Inhaltsverzeichnis Inhalt Robert Kurz: Mit Volldampf in den Aufwärts

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1. Rationalisierung

Was die Krise im Kern auszumachen scheint, ist im weitesten Sinne die Rationalisierung. Dazu gehört die Automatisierung von Produktionsprozessen, die Ausdünnung von organisatorischen Linien, jene organisatorische Rationalisierung also, durch welche Arbeitskraft im flächendeckenden Maßstab so stark wegrationalisiert wird, daß sie ein Ansteigen der Produktivität in einem Maße bewirkt, das über die Absorptionsfähigkeit des Kapitals hinausgeht, lebendige Arbeit in betriebswirtschaftlichen Produktionsprozessen zu verwerten. Diese Aussage stößt bei den ÖkonomInnen aller Schattierungen auf Kritik. Steigerung der Produktivität, das heiße doch Erweiterung der Märkte und damit früher oder später die Überwindung der Krise, folglich neue Prosperität und irgendwann auch wieder Abbau der Massenarbeitslosigkeit.

Nun, ich denke, daß auch diese Argumentation auf einer optischen Täuschung beruht. Sie hat nur die Rationalisierung bis an die Schwelle der mikroelektronischen Revolution im Auge und nimmt an, daß alles in der alten Weise weitergehen wird. Für die Epoche, die man als die fordistische bezeichnet hat, das heißt ungefähr vom Ersten Weltkrieg bis zum Ende der siebziger Jahre, war es in der Tat so, daß Rationalisierung - und das ist erst in dieser Zeit überhaupt ein Stichwort geworden - tatsächlich zumindest mittel- bis längerfristig zur Erweiterung der Märkte und zur Absorption der Arbeitsmärkte geführt hat. Warum? Man kann es sehr einfach an der Person von Mister Henry Ford selbst darstellen. Ford hat bekanntlich die Rationalisierungsmethoden der neuen Arbeitswissenschaft angewandt, welche in diesem Zeitraum von dem Ingenieur Frederic Taylor erfunden wurden. Diese sind übrigens inzwischen weiter verfeinert und entwickelt worden, etwa unter der Bezeichnung REFA, es gibt in Deutschland seit den zwanziger Jahren ein Rationalisierungskuratorium der deutschen Wirtschaft, das sich mit diesen Prozessen befaßt. Ford hat als erster Unternehmer Taylors Rationalisierungsmethoden übernommen und somit etwas angefangen, was das kapitalistische Management bis dahin außer acht gelassen hatte. Die UnternehmerInnen entdeckten, daß es in ihren Fabriken einen Rationalisierungsspielraum gibt, daß man mit wissenschaftlichen Methoden die Leerläufe ausschalten und somit Zeit und Geld sparen kann - time is money.

Anstatt die Gestaltung des Arbeitsprozesses wie bisher den Meistern und Vorarbeitern zu überlassen, griff man zur berühmten Stoppuhr und analysierte jeden Ablauf bis ins Detail wissenschaftlich.

Das war die eine Innovation, die andere war bekanntlich das Fließband. Diese Erfindung stammt allerdings nicht von Ford, sondern wurde bezeichnenderweise aus den Schlachthöfen von Chicago übernommen. Nach dem Schlachten wurden die Teile der Rinder und Schweine auf die Fließbänder verteilt, und dieser Ablauf (das Fließband, nicht das Schlachten) wurde auf die menschliche Arbeitskraft angewendet, wie es Charlie Chaplin in seinem Film »Modern Times« so wunderschön karikiert.

Was hat Henry Ford damit erreicht? Man kann es in einer simplen Zahl ausdrücken. Bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg hat eine Automobilfabrik im Durchschnitt sechs- bis zehntausend Autos im Jahr hergestellt. Das ging zwar schon in großen Fabrikhallen vor sich, aber noch auf eine sehr handwerkliche, nicht rationalisierte Art und Weise. Was war Fords Rationalisierungsgewinn mit seinen neuen Methoden? Diese Zahl ist nun wirklich ein Hammer, es war damals ein Hammer und ist es auch heute noch. Er hat im Geschäftsjahr 1914 - die USA waren damals noch nicht in den Krieg eingetreten - sage und schreibe 248 000 Automobile produziert. Und das schlug ein wie eine Bombe - ein Erschrecken ging um die ganze Welt, die Figur Henry Ford wurde deswegen so berühmt, und überall sprachen verschiedene TheoretikerInnen und AnalytikerInnen innert Kürze vom Fordismus. Das war die neue Welle, nicht bloß eine Modeerscheinung, sondern die Zukunft des Kapitalismus, der Marktwirtschaft und der industriellen Produktion überhaupt.

Kein Geringerer als Lenin interessierte sich brennend für die fordistischen Methoden und ließ verlauten: Diesen letzten Schrei der westlichen Wissenschaft, Technologie und Rationalisierung müssen wir übernehmen. Warum hat nun diese Rationalisierung als solche nicht in die Krise, sondern langfristig (wenn wir den Boom nach dem Zweiten Weltkrieg miteinbeziehen) zum Gegenteil geführt? Für die Produktion des einzelnen Automobils bedeutete sie eine massive Zeitersparnis. Trotzdem wurde die menschliche Arbeitskraft auf diese Weise nicht wegrationalisiert, vielmehr wurde sie sozusagen in ihrem Vollzug selbst rationalisiert. Charlie Chaplin hat diese roboterhaften Handbewegungen des Fließbandarbeiters auf den bildlichen Begriff gebracht. Und der riesige Produktivitätssprung, den die Rationalisierung ermöglichte, brachte eine so starke Ausweitung der Produktion, daß man nicht weniger, sondern insgesamt sogar mehr ArbeiterInnen brauchte. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn das Automobil auf diese Weise nicht gleichzeitig viel billiger geworden wäre. Das war Henry Fords stärkster Trumpf - er ermöglichte seinen ArbeiterInnen, ein Auto zu besitzen; zu dieser Zeit erschien das als geradezu revolutionär, denn bis dahin stellte das Automobil quasi einen Luxusgegenstand für Playboys dar. Mit Henry Fords Herstellungsmethode wurde es durch diese extreme Verbilligung zu einem Artikel des Massenkonsums.

Damals war das sensationell, heute wissen wir, daß das Prinzip von abstrakter Arbeit und Marktwirtschaft in seiner fordistischen Form auch zu katastrophalen Entwicklungen geführt hat, mit den entsprechenden Folgeerscheinungen von destruktivem Massenkonsum und Massentourismus.

Dieser gewaltige Schub, den die Rationalisierung der menschlichen Arbeitskraft in ihrem Vollzug und mit der ungeheuren Ausdehnung der Produktion und Verbilligung der Produkte bewirkte, fand in verschiedenen Wellen statt, konnte aber die Weltwirtschaftskrise noch nicht verhindern, dazu waren die meisten Länder noch nicht weit genug. Doch er war Ausgangspunkt einer neuen Ära, die in den USA bereits vor dem Zweiten Weltkrieg begann. Man sprach von einer neuen Lebensweise, Ford nannte es eine - heute klingt das zynisch - rationalisierte Lebensweise.

Das betraf nicht nur die Automobilindustrie, innert Kürze machten sich auch andere Industrien diese neuen Methoden zu eigen, die Haushaltsgeräte- und Unterhaltungselektronikindustrie, die Nahrungsmittelindustrie und die Nahrungsmittel- und Bedarfsgegenstandsdistribution, was die Verdrängung der Tante-Emma-Läden durch die heute überall bekannten Supermärkte zur Folge hatte. Auch die Mechanisierung und Industrialisierung der Landwirtschaft wurde auf diese Weise rasant vorangetrieben: Nicht nur die Autos wurden viel billiger, sondern auch mechanische Geräte wie der Traktor. Henry Ford hat übrigens auch einen preiswerten und robusten Traktor entwickelt, der fast so erfolgreich war wie seine Automobile.

All das brachte eine tiefgreifende Umwälzung mit sich. Nicht nur die fordistische Lebensweise fand allgemeine Verbreitung, sondern erstmals wurden riesige Massen menschlicher Arbeitskraft überhaupt in das Rentabilitätskalkül dieser marktwirtschaftlichen Verwertungsprozesse hineingezogen. Es gerät oft in Vergessenheit, daß bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts das kapitalistische System noch durchsetzt war von zahlreichen hauswirtschaftlichen, landwirtschaftlichen, nichtkapitalistischen kleinen warenproduzierenden Sektoren. Erst mit der Rationalisierung wurde diese Logik der Betriebswirtschaft mit der abstrakten Vernutzung von Mensch und Natur überhaupt flächendeckend und hatte diese gewaltige Absorptionsfähigkeit zur Folge. Der Münchner Soziologe Burkart Lutz hat ausgerechnet, daß dies allein in der alten Bundesrepublik Deutschland einen zusätzlichen Arbeitsplatzgewinn von acht bis zehn Millionen bedeutet hat. Damit konnten nicht nur die Flüchtlingsströme aus dem Osten nach dem Zweiten Weltkrieg mehr oder weniger reibungslos in den Arbeitsprozeß integriert werden, man war in den sechziger Jahren auch auf die sogenannten Gastarbeiter aus dem Süden angewiesen.

Warum ist die heutige Rationalisierung das genaue Gegenteil? Das läßt sich ganz einfach erklären. Mit Hilfe der neuen mikroelektronischen Technologie wird die Lücke, welche der oder die menschliche ArbeiterIn im hochrationalisierten System des Fordismus noch ausfüllte, in der er oder sie gewissermaßen die Aufgabe eines chaplinesken Roboters übernahm, diese Lücke wird ausgefüllt mit neuen Steuerungs- und Automatisierungspotentialen. Nicht nur das: Bekanntlich hat unter dem Stichwort lean production (schlanke Produktion) eine neue Stufe der organisatorischen Rationalisierung stattgefunden. Bei der lean production werden computergestützt, also indirekt auch mit Hilfe der Mikroelektronik, sehr viele Ebenen wegrationalisiert. Der ganze Ablauf wird als einheitlicher Gesamtkomplex gesehen - bei der Konstruktion wird schon der Vertrieb mitgeplant, das ergibt einen Durchlauf, bei dem sich viele bis dahin unbeseitigbare Reibungsflächen eliminieren lassen. Das bedeutet unter anderem auch, daß Teile des Managements selber wegrationalisiert werden. Allein in der deutschen Automobilindustrie sind aus den mittleren Führungsebenen in den letzten zwei Jahren ca. 40 000 Leute auf die Straße gesetzt worden.

Es tut sich hier eine absolute Grenze auf. Denn dieser Prozeß geht weiter, und wir stehen heute erst am Anfang. Nachdem also fünf Millionen wegrationalisiert wurden, startet man alle paar Jahre wieder eine dieser Kampagnen »der Mensch im Mittelpunkt«, schafft wieder 30 000 neue Arbeitsplätze und behauptet, die seien hochqualifiziert und besonders menschlich. Dann kommt die nächste Rationalisierungswelle. Die ist übrigens jetzt schon vor der Tür - man braucht nur aufmerksam die Wirtschaftspresse und die entsprechenden Analysen zu verfolgen. Schon jetzt gibt es neue Potentiale der Miniaturisierung, welche bisher nicht für möglich gehaltene Rationalisierungsmöglichkeiten beinhalten. Bei den KybernetikerInnen oder InformatikerInnen wird es z.B. »der Griff in die Kiste« genannt. Man muß dem Roboter nicht mehr die Arbeitsgeräte fein säuberlich hinlegen, er kann so programmiert werden, daß er idealerweise in eine Kiste mit wild angehäuften Teilen greift und das richtige rausholt. Diese Entwicklung beschränkt sich nicht nur auf die Industrie, sondern weitet sich auf die anderen Sektoren aus: auf die Dienstleistungssektoren zum Beispiel, auf das Geld- und Versicherungsgewerbe. Das hat unter anderem zur Folge, daß sich die Kundschaft zunehmend selbst bedienen muß. Bei unserer Sparkasse zum Beispiel erhält man die Kontoauszüge nicht mehr zugeschickt, statt dessen muß man den Kontostand per Karte an einem Automaten selber erfragen. Das alles war vor ein paar Jahren noch nicht möglich, da mußten es noch Menschen bearbeiten. Aber wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, bedeutet das, daß diese strukturelle Massenarbeitslosigkeit nie mehr durch einen neuen Boom à la Fordismus abgelöst werden kann, sondern sich unaufhaltsam weiter ausdehnen wird. Hier überschreitet man irgendwann eine kritische Grenze, die sozialen Netze werden reißen. Womit sollen sie denn noch finanziert werden, wenn die Abschöpfungsmöglichkeiten, die der Staat jetzt noch hat, nicht mehr vorhanden sind? Und dann wird dieser Zusammenhang Arbeit-Geldeinkommen-Warenkonsum schlicht fragwürdig. Ganz abgesehen davon, daß er auch aus anderen Gründen, zum Beispiel ökologischen, gelinde gesagt fragwürdig geworden ist.



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