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Frankfurter Rundschau 01.07.97

Offene Fragen nach dem Freispruch für Safwan E.

Gericht rügt unzureichende Ermittlungen nach der tödlichen Brandstiftung in Lübeck


Von Ingrid Müller-Münch


Mit einem Freispruch für den 21jährigen Libanesen Safwan E. endete am Montag der Prozeß um die Brandstiftung in einem Lübecker Asylbewerberheim. Mit dem Urteil verband das Gericht scharfe Kritik an den Ermittlern.

LÜBECK, 30. Juni. Nach Überzeugung der Lübecker Jugendstrafkammer konnte dem Angeklagten nach mehr als achtmonatiger Beweisaufnahme nicht nachgewiesen werden, am 18. Januar 1996 das auch von ihm und seiner Familie bewohnte Asylbewerberheim an der Hafenstraße in Brand gesetzt und damit den Tod von zehn Menschen und die teils schweren Verletzungen weiterer 38 Menschen verschuldet zu haben. Für die mehr als fünf Monate Untersuchungshaft wurde Safwan E. Haftentschädigung zugesprochen.

Das Urteil wertete der Kammervorsitzende Rolf Wilcken in seiner mündlichen Begründung als "nicht befriedigend", da es zahlreiche Fragen offenlasse. So habe die Kammer vor Beweislücken gestanden, "möglicherweise zu Lasten, möglicherweise zu Gunsten des Angeklagten", weil die Ermittlungen "nicht immer das Maß an der zu fordernden Gründlichkeit erreicht haben". Nach Ansicht der Kammer hat es zu einem nicht zu bestimmenden Zeitpunkt zwei Brandausbruchsstellen gegeben: eine im 1. Obergeschoß und eine im Holzvorbau Parterre, während Fenster und Türen fest verschlossen waren.

Der Angeklagte habe sich noch während des Brandes auffällig benommen, sagte Wilcken. So habe er ohne einleuchtenden Anlaß eine befreundete Familie angerufen, statt sich intensiv um seine Angehörigen zu kümmern. Außerdem habe er im Brandhaus jemandem zugerufen, es handele sich nur um ein kleines Feuer, obwohl er selbst zu diesem Zeitpunkt das Feuer noch gar nicht gesehen hatte. Aber könne man sich vorstellen, so fragte Wilcken, "daß ein junger Mann in dem Haus, in dem seine Eltern und auch seine Geschwister leben, nachts ein Feuer legt?"

Keinerlei Anhaltspunkte sah die Kammer dafür, daß der Hauptbelastungszeuge Jens L. eine falsche Aussage gemacht habe oder dem rechten Spektrum zuzuordnen sei. Der Sanitäter L. sei dem Kern seiner Aussage stets treu geblieben. Deshalb sei davon auszugehen, daß das von ihm gehörte Geständnis Safwan E.s ("Wir waren's") tatsächlich so ausgesprochen wurde (E. will gesagt haben: "Die waren's"). Nach Ansicht der Kammer könnten Teile der Aussage L.s stimmen, andere nicht. Sie seien jedoch nicht mit den in der Beweisaufnahme festgestellten Vorkommnissen in der Brandnacht in Übereinstimmung zu bringen.

Scharf kritisierte das Gericht die Arbeit der Staatsanwaltschaft, die ungeklärte Komplexe wie den Brandausbruch im Vorbau oder den rätselhaften Tod eines ohne Rauchvergiftung aufgefundenen Hausbewohners einfach beiseite gelassen habe. Als "ungewöhnlich" bezeichnete es Richter Wilcken, daß Lübecker Staatsanwälte am Wochenende in lokalen Medien schon vor Verkündung der Urteilsgründe über eine Revision spekuliert hatten und hierzu die von der Kammer abgelehnte Einführung von Abhörprotokollen aus E.s U-Haft als "Alibi für eine nicht gewollte Freisprechung" heranzogen.

Der Verteidigung warf Wilcken vor, das Verfahren politisch instrumentalisiert zu haben. Dies sei, insbesondere mit Blick auf die "bei diesem grausigen Ereignis" schwer verletzten Bewohner des Hauses und die überlebenden Angehörigen der Todesopfer "unangebracht" gewesen.

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