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Online seit:
Sat Aug 21 04:49:55 1999
 

Diese Veranstaltungsreihe entstand in Kooperation von
enlightenment factory · GWA St.Pauli-Süd e.V. · Flüchtlingsrat Hamburg · FrauenLesbenPlenum

Der Lübecker Brandanschlag
und die deutschen Verhältnisse

Veranstaltungsreihe zum neuen Prozeß gegen Safwan Eid
Am 3.9.1999 beginnt vor der Jugendstrafkammer des Landgerichts Kiel die Neuauflage des Prozesses gegen den Flüchtling Safwan Eid. Aus diesem Anlaß sollen in einer Veranstaltungsreihe der Lübecker Brandanschlag und der erneute Prozeß gegen Safwan Eid thematisiert werden. Dabei gilt das Interesse dem Prozeß selber, aber auch den gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen er bislang stattgefunden hat und weiter stattfindet. Thema mehrerer Veranstaltungen wird daher sein, welchen Ausdruck der Rassismus in Deutschland, vor allem in seiner institutionellen Form, findet. Ferner soll der Versuch unternommen werden, die aktuelle Rassismusdiskussion in England aufzugreifen und Vergleiche zur Situation in Deutschland zu ziehen.

26.8. Multimediales Informations- u. Vorbereitungstreffen für FrauenLesben
27.8. "Modell Lübeck" - die Fortsetzung: Safwan Eid erneut unter Anklage, die Täter weiter auf freiem Fuß
3.9. 8:30 Uhr vor dem Landgericht Kiel:
Kundgebung zum Prozeßbeginn
14.9. und 28.9. Filme: "Das Boot is voll - und ganz gegen Rassismus"
"Festung Europa"
 
30.9. Institutioneller Rassismus in der Hamburger Polizei?
21.10. Hattingen, Lübeck, Guben – Stationen des deutschen Rassismus
18.11. Abschiebe- und Vertreibungspolitik in Hamburg
26.11. Rassismus in Großbritanniens Polizei
2.12. Neonazis: Täter aus der Mitte der Gesellschaft

Lübeck ist kein Einzelfall
Der neue Prozeß und seine Hintergründe

Safwan Eid wird vorgeworfen, in der Nacht zum 18.1.1996 den Brandanschlag auf die Flüchtlings-unterkunft in der Lübecker Hafenstraße begangen zu haben. Damals starben zehn Menschen, 38 BewohnerInnen der Unterkunft wurden zum Teil schwer verletzt. Bis heute ist dieser folgenschwerste rassistische Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik unaufgeklärt geblieben, gegen die mutmaßlichen deutschen Täter aus der Naziszene Mecklenburg-Vorpommerns unterblieben staatliche Verfolgungsmaßnahmen. Stattdessen wurde mit Safwan Eid einer der Überlebenden des Brandes zum Täter gemacht. Der erste Prozeß gegen Eid vor dem Landgericht Lübeck endete am 30.6.97 mit einem Freispruch "in dubio pro reo". Eine Tatbeteiligung konnte Eid nicht nachgewiesen werden. Am 24.7.98 hob der Bundesgerichtshof dieses Urteil auf und verwies das Verfahren zur Neuverhandlung an das Landgericht Kiel. Damit findet ein deutscher Ermittlungs- und Justizskandal ersten Ranges seine Fortsetzung.

Das Verhalten der Akteure nach dem Lübecker Brandanschlag hatte exemplarischen Charakter. In einem bis dato nicht gekannten Ausmaß wurden die Opfer eines rassistischen Anschlags durch Justiz und Medien zu potentiellen MittäterInnen und MitwisserInnen stilisiert, Ermittler und Teile der deutschen Medien traten eine rassistische Schmutzkampagne gegen die BewohnerInnen los. Gleichzeitig hielten Lübecks Staatsanwaltschaft und Kripo stets ihre schützende Hand über die vier tatverdächtigen Nazis aus Grevesmühlen. Deutsche Eliten und die Mehrheit der Bevölkerung fühlten sich erleichtert, daß der unmittelbar nach dem Brand geäußerte Verdacht einer deutschen Täterschaft und damit der weltweit geäußerte Rassismusvorwurf gegen Deutschland zurückgewiesen werden konnte.

Der Rassismus marschiert...
Nach der Wiedervereinigung hatte sich der deutsche Nationalismus wieder in rassistischen Anschlägen und Morden an Nichtdeutschen manifestiert. Nahezu täglich kam es zu Anschlägen auf Unterkünfte und zu tätlichen Angriffen gegen Flüchtlinge und MigrantInnen. Mit den Pogromen im Herbst 1992, vor allem der tagelangen Belagerung und Brandschatzung eines von MigrantInnen bewohnten Hauses in Rostock-Lichtenhagen, kulminierte der deutsche Rassismus, bis er durch die faktische Abschaffung des Asylrechts in seiner pogromartigen Variante vorläufig befriedet wurde.

Während schlagzeilenträchtige Anschläge auf seit Jahrzehnten in Deutschland lebende AusländerInnen wie in Solingen und Mölln in den Jahren darauf noch ‚verwirrten' Einzeltätern zugeschrieben wurden, versuchte die deutsche Öffentlichkeit spätere rassistische Anschläge entweder ganz zu verschweigen oder in technische Defekte umzudeuten. Als dies nicht mehr möglich war, wie bei dem Brandanschlag von Hattingen im Jahr 1993, gingen die Ermittlungsbehörden dann bereits soweit, ein Opfer als mutmaßliche Täterin auszumachen und die Suche nach den wirklichen Tätern einzustellen. Im Fall Lübeck wurde diese Form der Täter-Opfer-Verkehrung modellhaft vorgeführt. Seitdem sind Brände in Flüchtlingsunterkünften nicht mehr schlagzeilenträchtig. Ein bestimmtes Maß an alltäglicher rassistischer Gewalt und die Existenz "Ausländerfreier Zonen" in Teilen Deutschlands wird nun als Normalität akzeptiert. Die Botschaft aus Lübeck, "daß die Ausländer sich selbst anzünden", hat zudem ihre Wirkung getan, nämlich hinter Bränden in Flüchtlingsunterkünften keinen rassistischen Hintergrund mehr zu vermuten.

... durch die Institutionen
Gleichzeitig hat sich seit 1993 der staatlichinstitutionelle Rassismus weiter verschärft. Die Zahl der AsylantragstellerInnen sank drastisch durch die faktische Asylrechtsabschaffung von 1993. Hunderttausende von Flüchtlingen werden seitdem illegalisiert. Für viele endet der Versuch, nach Deutschland zu gelangen, bereits an der Grenze mit der sofortigen Ausweisung oder gar mit dem Tod durch Ertrinken in der Neiße. Begleitet wurden die rechtlichen Änderungen von einem ausgefeilten Grenzregime, das durch technische Überwachung, Kontrollen bis weit ins Hinterland und ein Netzwerk der Denunziation Fluchtversuche sofort unterbinden soll.

Wem es dennoch gelingt, Deutschland zu erreichen und einen Asylantrag zu stellen, auf den warten entwürdigende Unterbringung in Lagern, minimale Sozialleistungen und auf das Überlebensnotwendige reduzierte medizinische Versorgung. Flüchtlinge haben kaum noch Chancen als asylberechtigt anerkannt zu werden. Konsequenz für die meisten ist damit entweder Illegalität oder Abschiebung. Damit einher gehen gezielte Kriminalisierung und Repression. Der Hamburger Polizeiskandal machte die Spitze des Eisbergs zeitweilig sichtbar, als bekannt wurde, daß auf Hamburger Polizeiwachen afrikanische Flüchtlinge mißhandelt und gefoltert wurden.

Um die Abschiebezahlen zu erhöhen, schrecken die Ausländerbehörden vor kaum noch etwas zurück. Afrikanischen Ländern wird mit Entzug von Entwicklungshilfe gedroht, sofern sie Menschen ungeklärter Nationalität nicht aufnehmen. Botschaftspersonal wird bestochen, um Identitätspapiere auszustellen. Selbstmord von Abzuschiebenden, ja selbst die Tötung durch BGS-Beamte, wird in Kauf genommen. Einzelne Bundesländer wie Hamburg sind dazu übergegangen, auch Schwerstkranke trotz vorliegender ärztlicher Atteste abzuschieben. Dabei wird mit den Behörden der Verfolgerländer wie der Türkei offen zusammengearbeitet.

Wer von einer rot-grünen Regierung Verbesserungen erhofft hatte, dürfte von der Realität mittlerweile eingeholt worden sein. Änderungen der restriktiven Asylpraxis wird es nicht geben. Im Gegenteil: Der institutionelle Rassismus perfektioniert sein System.


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