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Mon Feb 19 20:12:00 1996
 

Offener Brief an Uwe Vogel

Dein Leserbrief in der August-Stadt-Revue fand ich schon recht interessant. So gibt er mir doch ein paar Einblicke in das, was sich bei HBW getan hat, seitdem ich "nicht" rausgeschmissen worden bin. Denn Du hast den Brief wohl weder als Privatperson noch als Regisseur oder Musiker von HBW geschrieben. Ich denke er stellt eher den aktuellen "Diskusionsstand" bei HBW dar.

Ja, Du hast recht Uwe, bei HBW ging es nie um eine Menge Kohle. Es ging eher immer um den wahnsinnigen Erfolg, dieses Bewundert-werden, das Etwas-Besseres-sein. Und ausgestattet mit einer derartigen Erfolgsgeilheit erkennt man natürlich jede Kritik sofort als puren Neid. Zu dumm nur, daß das bei mir nicht so ganz funktioniert.

Ich frage mich, wieso ich seit Anfang Mai nicht mehr mitspiele, wo ich doch, nach Deiner Meinung, nicht rausgeschmissen wurde. Vielleicht habe ich ja irgendwas falsch verstanden oder überbewertet. Soweit ich mich erinnere, hatte ich angekündigt, HBW Anfang Oktober zu verlassen, aufgrund des Verhaltens der Gruppe zur Vergewaltigung durch Michael. Zudem wollte ich, das Michael mindestens nicht mehr mit auf Tour geht. Das wollten auch noch einige Andere in der Gruppe. So wurde Michael bis auf weiteres "beurlaubt". Dann meldete sich Marco und sagte, er könne zwar mit Michael und Marcell auf die Bühne gehen, aber unter keinen Umständen mit mir und Marcell. Es wurde zwar versucht ihn noch umzustimmen, aber es blieb dabei. Tja Wolli. Und Tschüss. Nach nur einem Monat war ja auch Michael wieder dabei. Herzlichen Glückwunsch, Marco. NEIN, ein Rausschmiß war das nicht Uwe. Vielleicht ziehst Du ja das Wort "Freisetzung" vor. Hört sich doch weniger erfolgshemmend an, oder? Und außerdem gibt es einem das Gefühl selbst bestimmt zu haben, wann ein unangenehmer Kritiker zu gehen hat.

Natürlich hast Du recht, bei HBW rennt keiner direkt mit dem BGB in der Hand rum. Aber als, kurz bevor ich rausflog, die Rede auf ein gerichtliches Nachspiel wegen der Vergewaltigung kam, meinte Michael nur, er wüßte noch nicht, ob ER eine Verleumdungsklage anzetteln solle. Klar, das BGB schützt ihn als Mann, und das weiß er. Ja, es hat keiner das BGB in der Hand, es ist vielmehr in den Köpfen derart festzemmentiert, das es noch nicht mal mehr wahrgenommen wird.

Das Du meinst, bei HBW "findet kein Sexismus statt", hätte ich Dir vor einem Jahr vielleicht noch abgenommen. Aber mittlerweile müßtest Du es besser wissen. Abgesehen vom unsäglichen Verhalten HBW's zur Vergewaltigung, muß auch Dir auf Tour aufgefallen sein, was für beschissene sexistische "Witze" im Tourbus gemacht werden. Da ist es auch keine Entschuldigung, daß Andere 1000 mal schlimmer sind. Es gibt immer größere Arschlöcher.

Apropos Arschlöcher. Als Michael von der Frauengruppe aufgefordert worden ist, HBW über die Vergewaltigung in Kenntnis zu setzen, kam er zu mir. Er hatte überhaupt keinen Bock vor einem solchen "Haufen von Idioten und Arschlöchern" zu sagen, das er eine Frau vergewaltigt hat. Und es war ihm da auch noch klar, daß er das getan hatte! Er sagte mir, er hätte viel größere Lust, einfach alles zu leugnen und laut "Lüge" zu schreien. Ich meinte nur: "Wenn du dich verhältst wie ein Arschloch, hast du auch nur noch mit Arschlöchern zu tun". Herzlichen Glückwunsch.

Natürlich ist es einfacher zu sagen, es gäbe keinen Vergewaltiger in der Gruppe. Alles andere hieße ja auch, sich mit sich selbst und seinem Verhalten auseinanderzusetzen. Da ist es doch viel einfacher einen Anderen, und damit auch sich selbst, freizusprechen. Bloß nicht über sich selbst nachdenken. Lieber Hirn abschalten und lächeln. Willkommen beim grenzenlosen Spaß. Die Show und der Erfolg müssen halt weitergehen.

Zum Schluß möchte ich Dich an ein Gespräch erinnern, das wir vor über einem Jahr geführt haben. Damals ging es darum, daß das beschissene Verhalten untereinander und die fehlende Auseinandersetzung über Probleme, dieses Nicht-Kommunizieren, irgendwann HBW zerstören wird. Da waren wir uns beide einig. Ich wollte das auf jeden Fall verhindern und dagegen ankämpfen, um das "einmalige Phänomen HBW" zu retten. Du hast mir damals eine Frage gestellt, die mich sehr nachdenklich gemacht hat. "Lohnt es sich überhaupt noch HBW zu retten?" Heute kann ich Dir die Antwort darauf geben: Nein.

Wolli, der Ex-HBWler "aus Versehen?"