"Die Linke
war schon mal besser darin, sich neue Techniken anzueignen."
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Peter |
Ihr charakterisiert euch als "strömungsübergreifendes" Projekt. Gibt es bei nadir "strömungsübergreifende" Diskussionen? Wie verhalten sich die potientielle Nutzbarmachung einer technischen Kommunikationsstruktur und ihre tatsächliche Nutzung? | ||
Karl
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Nein, es finden im Prinzip keine Diskussionen statt. Das liegt daran, daß allgemein in bezug auf die Kommunikationsmedien so etwas wie eine "Medienkompetenz" unterentwickelt ist. Das trifft natürlich - mit punktuellen Ausnahmen - auch auf linke Kommunikationsstrukturen zu. Die intensivste Kommunikation haben wir mit Gruppen, zu denen eine physische Nähe besteht. |
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Karl 1 |
Die technischen Möglichkeiten sind hierbei ein Mittel, aber kein Hebel, geschweige denn ein Garant für einen Austausch. Diskussionen - oder gar organisierte Diskussionen - sind allgemein "mega-out", und da heben wir uns leider auch nicht von ab. |
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Peter |
Wäre es da nicht konsequent, daß man mit der Zurverfügungstellung von Mail und News versucht, eine Anleitung zur "Medienkompetenz" zu geben? | ||
Karl 2 |
Das ist richtig. Wir sind über das Niveau, technische Anleitung zu geben, nicht hinausgekommen. Zu inhaltlicher Anleitung sind wir aus zeitlichen Gründen nicht gekommen | ||
Peter | Ich denke, das ist nicht nur eine Frage des Zeitmangels, sondern eine Frage von Orientierung. | ||
Karl 1 |
Ich würde das nicht so grundsätzlich sehen. Wir kommen im Moment nicht darüber hinaus, Infrastruktur für interessierte Leute zur Verfügung zu stellen. Wir vermeiden aber ganz bewußt, nadir zur Dienstleistung auszubauen. Es gibt genügend kommerzielle Anbieter, die das besser können. | ||
Peter |
In letzter Zeit ist auch die redaktionelle Arbeit in den Hintergrund getreten. Liegt das daran, daß sich z.B. das /CL-Netz als nicht so ansprechbar für die Informationen erwiesen hat? |
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Karl 2 | Nein, ich würde das /CL-Netz gegenüber dem WWW favorisieren, weil News eher etwas wie Kommunikation ist, wo man sich einbringen kann und teilhaben kann an dem, was andere Leute veröffentlichen und zwar auf Sparten beschränkt, wohingegen das WWW erst mal etwas Einseitiges ist: Man kann sich nur präsentieren, bekommt aber nicht mit, was die in der Regel konsumierenden BenutzerInnen dazu denken. Die Möglichkeit auf Webseiten zu reagieren, gibt es auch (per E-Mail), sie ist dann aber in der Regel nicht öffentlich. Für eine laufende Diskussion (z.B. zu Rassismus, Faschismus) oder zu aktuellen Themen (wie dem MAI) ist News brauchbarer als das WWW, das wie ein großes Archiv ist, in dem man recherchieren kann. | ||
Peter | Warum ist das Textarchiv von nadir in den Hintergrund getreten? | ||
Karl 1 | Für den Anfang des Archivs hatten wir eine Systematik, die aber unseren heutigen Ansprüchen überhaupt nicht mehr genügt. Deswegen ist die Archivarbeit ins Stocken geraten, und wir haben sehr viel Zeit darauf verwendet, die Systematik weiterzuentwickeln, oder überhaupt eine richtige zu entwickeln, und damit sind wir nach wie vor nicht fertig. | ||
Karl 2 | Seit 1995 wurde der Aufbau der Plattform für wichtiger als die redaktionelle Arbeit erachtet. Wir wollten eine stabile, arbeitsfähige und langfristige technische Infrastruktur schaffen. Weil das Erstellen einer Systematik keine leichte Aufgabe ist und unsere Gruppenmitglieder teilweise wenig Erfahrung mit Archiven haben, ist das Archiv ins Hintertreffen geraten. | ||
Peter | Hätte nadir nicht von Anfang an ein eingeschränkteres Projekt sein können, das z.B. einen Antifaschwerpunkt hat? Ansonsten müßte man doch sagen: "Wir gehen gezielt in die Punkte rein, wo Defizite in unserem Anspruch stecken." Trifft sich das nicht wieder da, wo die redaktionelle Arbeit in den Hintergrund getreten ist? | ||
Karl 2 | Das hat etwas damit zu tun, daß einige Antifagruppen schon ziemlich lange bei uns sind, darüber die Kontakte laufen und somit weitere Antifagruppen zu uns gekommen sind. Daß wir Gruppen aus anderen Bereichen ansprechen, geschieht zwar punktuell, hat aber keine Linie und Kontinuität. In der Regel kommen Gruppen auf uns zu. "Strömungsübergreifend" sagt erstmal nur aus, daß wir uns nicht festlegen wollen. Ich denke auch, daß das weiterhin sinnvoll ist. Es soll einfach nur sagen, daß wir nicht nur linksradikale oder nur Antifagruppen haben (wollen), sondern offen sind für alle aus dem linken und fortschrittlichen Spektrum. | ||
Peter | Ästhetische Normen und technische Standards werden im Internet von anderen entwickelt. Können diese Entwicklungen nicht das potientielle "Aus" von Projekten wie nadir bedeuten, wenn sie sich zu diesen Normen und Standards nicht verhalten? | ||
Karl 2 | Mit der Etablierung des WWW hat sich das Internet in den letzten Jahren von einem Ort der "Freaks und Hacker", vom "Netz der Anarchisten", wegentwickelt. Nach der Anfangszeit reduzieren sich die meisten Leute aber in der Zeit, die sie aufwenden, um im WWW "rumzusurfen" und konkretisieren die Benutzung des WWW auf bestimmte Fragen: Kino, Party, Ausgehtips usw. Dahinter steht ein klares Informationsbedürfnis. | ||
Karl 1 | Es wird u.a. damit Geld verdient, täglich immer neues und tolleres Design zu machen. Dafür ist die technische Basis eigentlich nicht da, die meisten sind davon meiner Meinung nach genervt: lange Ladezeiten von irgendwelchen Seiten, die voll von aufwendigem Layout und speicherintensiven Bildern sind. Bei unseren eigenen Seiten versuchen wir, Gestaltungsrichtlinien einzuhalten, damit sie mit geringem technischen Aufwand benutzbar sind. Dabei kommen keine bunten poppigen Seiten heraus. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Informationsvermittlung und guter Benutzbarkeit und nicht so sehr darauf, Leute durch "optische Reize anzulocken". Wir machen da Kompromisse, und müssen dies zunehmend machen. Ein Aspekt ist ja auch, daß Leute aus Versehen, im Vorbeigehen auf linke Inhalte stoßen und insofern müssen wir da auch optisch ansprechend sein, um nicht gleich abgetan zu werden. | ||
Peter | Die Arbeitsmetapher von nadir ist "Informationsvermittlung" - im WWW außerhalb von nadir passiert etwas anderes: Wie die Leute das Medium betrachten und die Art und Weise, wie sie es benutzen, basiert nicht unbedingt auf Informationsbeschaffung. | ||
Karl 1 | Wenn ich abends müde bin, dann surfe ich auch. Ich hab das auch schon mal "Alternativfernseher" genannt. Dafür etwas zu tun, daß Leute, wenn sie müde sind, nicht das Erste Programm gucken, sondern rumsurfen, ist nicht so mein Interesse. Eine politische Entwicklung oder Meinungsbildung ist ohne Auseinandersetzung einfach nicht zu haben. Die Auseinandersetzung wird durch Zerstreuung nicht ohne weiteres gefördert. | ||
Peter | Alle Kultur ist nun auch nicht Zerstreuung. | ||
Karl 2 | Ich bin da skeptisch, für mich ist klar: Das ist ein Medium, wie Radio, Fernsehen oder Papier. Natürlich verändert dieses Medium die Gesellschaft. Da bin ich vielleicht konservativ - die Grundlage z.B. Radio zu machen, wäre für mich auch, Informationen zu verbreiten, und sie so aufzubereiten, daß sie ansprechend und interessant sind. | ||
Peter | Im Alaska-Artikel "Ich habe schon 20 Megabyte Antifaschismus geschrieben..." wird am Beispiel von nadir kritisiert, daß die linke Praxis im Internet stark davon bestimmt ist, die Frage nach den Grundprämissen politischer Betätigung zurückzustellen und sie nicht inhaltlich zu beantworten, sondern technisch. Zum Beispiel dadurch, eine bessere Infrastruktur aufzubauen, die "dann schon" genutzt würde. | ||
Karl 1 | Ein trockener Kommentar dazu ist, daß die Linke schon mal besser darin war, sich neue Techniken anzueignen, wenn man an Buchdruck, den Druck von Flugblättern oder an Rundfunkbewegungen in den 20er Jahren denkt, oder auch an die Bewegung von Freien Radios, die ja auch durchaus noch aktiv sind. Es stimmt schon, daß sich viele Linke mit dem Internet und seiner Nutzung beschäftigen - auf jeden Fall deutlich mehr als vor zwei Jahren - aber aus meiner Sicht ist es nicht so, daß viele in dem Bereich stark aktiv sind. Teilweise sind Gruppen erfreulich nüchtern, die Möglichkeiten, die sich ihnen im Internet bieten, zu nutzen, um das, was sie ansonsten in Form von Flugblättern und Broschüren publizieren, auch im Internet zu publizieren. Von daher geht nicht das letzte Quäntchen Kraft in diese vermeintlich "virtuelle Welt" hinein. | ||
Peter | Ich denke, daß die Kritik konkreter gemeint ist, nämlich auf die Praxis im Internet bezogen: Dort immer wieder die politischen Prämissen zu überprüfen, um einen politischen Prozeß von Diskussion und Austausch in Gang zu bekommen und nicht Probleme technisch lösen zu wollen. | ||
Karl 1 | Ja, aber das ist das, warum ich diese Kritik überhaupt nicht verstehe: Was ist denn daran schlecht, von einer Druckerpresse oder von einem Radiosender begeistert zu sein, wenn diese Begeisterung nicht in Richtung Selbstbeschäftigung geht, sondern ganz klar an den Zweck gebunden ist, Informationen zu vermitteln. Ich denke jetzt auch in bezug auf Gestaltung und kulturelle Aspekte, da haben wir eher Defizite, also daraus wird doch deutlich, daß wir nicht zur Selbstbeschäftigung neigen. | ||
Karl 2 | In bezug auf die Kritik an uns, daß wir nicht politisch sondern technisch nach außen wirken, das Beispiel mit unserem Adreßbuch: Es hat eine Phase der technischen Umsetzung von etwa einem Jahr hinter sich, läuft jetzt seit ungefähr ein bis zwei Monaten an, wird regelmäßig gepflegt und darüber baut sich auch eine Kommunikation auf, weil die Gruppen, die dort eingetragen werden, automatisch auch von uns angeschrieben werden. Und mir geht es darum, Wissen "sozialistisch" zu verbreiten, d.h. Möglichkeiten zu schaffen, die leicht verfügbar sind und bei denen Leute leicht mitmachen können. Man könnte das Adreßbuch auch einfach "platt" machen in Form einer Linkpage, die dann aber für Beiträge anderer nicht so leicht nutzbar wäre. | ||
Peter | Im Zuge einer Kritik am linken Internethype wird oft kritisiert, daß die Informationen, die im Internet zu bekommen sind, bei weitem nicht so umfangreich sind, wie in einem Infoladen. | ||
Karl 2 | Wenn man da mal genau darüber nachdenkt, dann ist das "Metropolenchauvinismus", weil es in der "Pampa" keinen Infoladen gibt. Für Leute aus der Provinz ist das Internet teilweise die Möglichkeit, überhaupt an Informationen heranzukommen. Denn selbst in den kleinen Städten gibt es keine Infoläden. | ||
Karl 1 |
Durch das Medium entstehen
Möglichkeiten, wie bspw. schriftliche Beiträge zu einer Broschüre,
die bei uns im Archiv veröffentlicht ist, beizusteuern, und das ist
ein Unterschied zu den Infoläden, weil der Kontakt über die
Angabe einer E-Mail-Adresse wesentlich leichter fällt. Und die Broschüre
dort auch in drei Jahren noch liegt und nicht schon längst wieder
ausverkauft ist. |
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