2.10.98 Göttingen:

Solidarisch Kämpfen!

- Dem rechten Vormarsch entgegentreten!

Marktplatz/Gänseliesel:
Ab 13 Uhr Antifa-Kulturtag
18 Uhr DEMO
Danach Kultparty
Wessen Straße ist die Straße!?

Teil II [Zu Teil I]

rechts Göttingen ist Beispiel und Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse wie fast jede andere Stadt. Nicht ganz… Galt Göttingen bisher als Stadt liberalen Geistes, so läßt ihre Stellung als Expo-Vorstadt manche rechte Entwicklung über die Stadt im Eiltempo herfallen. Vielem voran ist der Ausbau, die Ausrichtung sowie die Aufrüstung der Polizei und damit einhergehend die vermehrte Anwendung polizeistaatlicher "Lösungen" für gesellschaftliche Konflikte. Die Polizei sieht sich selbst gerne als neutrale (unpolitische) Instanz, die im allgemeinen auf dem Boden der Verfassung stehe und im speziellen den jeweiligen Regierungsauftrag zu erfüllen habe.

Blick für Realitäten. Auch hier ist Göttingen ein gutes Beispiel dafür, daß dem nicht so ist. Angriffe der Polizei auf antifaschistische Demonstrationen sind zur Normalität geworden. Egal, ob die Demonstrationen angemeldet oder nicht angemeldet, vermummt oder unvermummt waren. Die Gesetzeslage und die Praktiken von Polizei mit Unterstützung der Justiz lassen es jederzeit zu, einen nichtigen Anlaß zu finden, um gewollte Auseinandersetzungen zu provozieren. So tritt das eigentliche Anliegen von Demonstrationen in den Hintergrund. Die Auseinandersetzungen stehen im Vordergrund. Politische Kultur und das Recht auf Demonstrationsfreiheit verkommen zu einem Kleinkrieg zwischen autonomen AntifaschistInnen und der Polizei – wo klar ist, daß der Polizei- und Justizapparat stets am längeren Hebel sitzt.

Blick in die Röhre. Dank der eilfertigen Hofberichterstattung des überwiegenden Teils der Medien, ist es ein leichtes, die Polizeieinsätze als notwendiges Eingreifen dastehen zu lassen.
Die einfache, übliche und dennoch blödsinnige Begründung lautet in der Regel: „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung". In wenigen Einzelfällen – zumeist dann, wenn JournalistInnen vor Ort sind – wird leise Kritik am Vorgehen der Polizei laut. Auch der Rückzug und das fast gänzliche Wegbrechen einer (links)liberalen Öffentlichkeit, dürfte ein Grund für die vermehrte Anwendung aggressiver Einsatzstrategien sein. Dieses Spektrum hatte in den letzten Jahren in Göttingen zumindest aus humanistischen Gründen hier und da öffentlich Kritik am Verhalten der Polizei geübt. Denn eines lehrt uns die Geschichte: Eine wie auch immer geartete (demokratische) Kontrolle der Polizei existiert lediglich formell. In der Realität war es bisher die kritische Öffentlichkeit, die dem staatlichen Knüppel Einhalt geboten hat und nicht irgendwelche Gesetze.

links Konkretes. In der Presseerklärung der Polizei zu einem nächtlichen Angriff mit Steinen auf ein Polizeifahrzeug heißt es:

"Dieser hinterhältige Angriff auf das Leben und die Gesundheit meiner Beamten steht im krassen Widerspruch zu den ständigen Forderungen nach Gewaltfreiheit und dem Abbau von Konfrontation."
Hier tut Polizeichef Milde im Extra Tip vom 12. Juli ’98 gerade so, als sei die Polizei stets bemüht, sich in Gewaltfreiheit und Deeskalation zu üben. Es wird nach "versuchten Totschlag" ermittelt, obwohl die Beamten lediglich leichte Prellungen davontrugen. Im Vergleich zum Verhalten der Polizei also eine regelrechte Lappalie.
Entweder hat Klaus Milde den Blick für die Realität verloren oder es ist politisches Kalkül so aufzutreten. Auszugehen ist von letzterem, denn auch ihm dürfte nicht entgangen sein, daß seit Oktober 1995 (fast) jede antifaschistische Demonstration von der Polizei angegriffen wurde. Nicht etwa, weil die Demonstrationen und AgitProp-Aktionen der antifaschistischen Linken seit dieser Zeit im Vergleich zu den Jahren davor einen so heimtückischen und „sicherheitsgefährdenden" Verlauf genommen hätten. Vielmehr ist es politischen Erwägungen geschuldet, antifaschistische Aktivitäten generell in das Licht des "Chaotentums", des "Extremismus" oder gar der "Kriminalität" zu rücken.

Extremer Totalitarismus. Konkreter Hintergrund für das Vorgehen Mildes bzw. für aggressive Einsatztaktiken ist im Zuge des Ausbaus Göttingens als Expo-Vorstadt jegliche Opposition gegen neue Stadtplanungen und Großprojekte politisch auszuschalten oder zu isolieren.
Allgemeiner gesellschaftlicher Hintergrund für die Angriffe gegen (autonomen) Antifaschismus ist das Bestreben des Staates und seiner Staatsschutzbehörden zum einen politische Ansätze, die das kapitalistische System in Frage stellen, zu vernichten und zum anderen, sich selbst als Bekämpfer der (politischen) Extreme hinzustellen. Wobei hier stets der Aspekt der Bekämpfung gegen Rechts – vor allem in den Medien – hervorgehoben wird.
Der Überwachungsapparat und die Kriminalisierung richtet sich aber auffällig gegen linke Initiativen. So können faschistische Strukturen unter dem staatlich geförderten Deckmantel der „akzeptierenden Sozialarbeit mit rechtsorientierten Jugendlichen" gedeihen, faschistische Aufmärsche mit Hilfe der Gerichte Zug um Zug durchgeführt werden. An fast jedem Wochenende im letzten Jahr ist es irgendwo in der Republik zu faschistischen Aufmärschen gekommen. Erreichen sie mediales Interesse und damit größere politische Bedeutung und werden antifaschistische Gegenaktivitäten geplant, so stehen Gerichte und Polizei Gewehr bei Fuß. Während in der Öffentlichkeit vermittelt wird, der "demokratische Rechtsstaat" stehe zwischen den Extremen, werden faschistische Aktionen gerichtlich abgesegnet und polizeistaatlich durchgesetzt. AntifaschistInnen stehen Massenverhaftungen, Hausdurchsuchungen und die anschließende Kriminalisierung ins Haus.

Stoppt Polizeigewalt Wieder Göttingen. Auch hier bildet Göttingen einerseits eine Ausnahme, andererseits ist es prägnantes Beispiel für die Ausrichtung des Staatsschutzes gegen Links.
Dank konsequenter und breit angelegter antifaschistischer Arbeit in Göttingen, konnten Faschisten bisher in Göttingen sowohl an den Schulen als auch in der Stadt schwer Fuß fassen.
Dagegen betätigen sich Staatsanwaltschaft und politische Polizei gern als Helfer der Faschisten, beispielsweise durch zahlreiche Hausdurchsuchungen gegen AntifaschistInnen und Linke im letzten Jahr. Zuletzt unter Anwendung wüster Konstrukte am 11. August 1998 im Zusammenhang mit dem Brandanschlag auf das Arbeitsamt (5./6.11.1997). Selbst Angriffe auf den Jugendblock auf antifaschistischen Demonstrationen und die Einschüchterung jugendlicher AntifaschistInnen durch die politische Polizei gehören zum Repertoire, indem z.B. Eingriffe in das Privatleben vorgenommen werden. (Druck auf Eltern und Schulen). Oder der "Mackenrode-Prozeß", der Anfang diesen Jahres platzte. Angeklagt waren 5 AntifaschistInnen, die angeblich einen Angriff auf ein faschistisches Zentrum im Jahre 1991 ausgeführt haben sollten. Mit Hilfe von Polizei- und faschistischen Zeugen wurden die AntifaschistInnen belastet und in der Öffentlichkeit zunächst als SchwerverbrecherInnen gebrandmarkt. (Vorwurf des versuchten Totschlages, Schwerer Landfriedensbruch etc.). Doch das Konstrukt floppte und die gute Zusammenarbeit von Faschisten und Polizei lief ins Leere.

Wessen Straße ist die Straße!? Straße als Symbol für öffentlichen Raum, als Symbol für politische Kultur. Deutlich ist, daß die gesellschaftlichen Entwicklungen in der BRD dahin laufen, selbst den letzten Raum denen nehmen zu wollen, die ohnehin am Rande der Gesellschaft mitten unter uns leben. Das Pflaster soll bereinigt werden von "nicht Verwertbarem": von Obdachlosen, Flüchtlingen oder Arbeitslosen, von Skatern, Sprayern oder rebellischen Jugendlichen; oder aber auf politischer Ebene von denjenigen, die gegen diese Verhältnisse Widerstand organisieren. In Göttingen stark vertreten durch autonome AntifaschistInnen. Die Straße gehört nur dann uns, wenn wir zusammen auf die Straße gehen, uns für unsere Anliegen politisch wie kulturell den Raum nehmen, der notwendig ist.

Worauf also wartet Ihr?
Daß die Tauben mit sich reden lassen
und die Unersättlichen Euch etwas abgeben!
Daß die Wölfe Euch ernähren werden,
statt Euch zu verschlingen!
Aus Freundlichkeit werden die Tiger Euch einladen
ihnen die Zähne zu ziehen!
Darauf wartet Ihr?
Bertolt Brecht

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