[M]itunter
hält das Leben keine Überraschungen bereit. Dies gilt vor allem
für die NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschland) und ihre
Versuche in Göttingen faschistische Politik auf die Straße zu
bringen und somit zu verankern. Obwohl bereits im letzten halben
Jahr kein Aufmarsch stattfinden konnte, kündigt nun der NPD-Landesverband
Niedersachsen und das "Nationale und soziale Aktionsbündnis
Norddeutschland" (Spektrum der "Unabhängigen Kameradschaften")
für Samstag, den 15. Juli 2000 erneut einen Aufmarsch an. Die
neuerliche, moderate Anmeldung sowie die Aussage der NPD, alle
juristischen Instanzen durchklagen zu wollen, läßt es wahrscheinlich
erscheinen, daß die Faschisten dieses Mal in Göttingen marschieren
werden. Zumal ein viertes Verbot
gegen eine Organisation mit Parteienstatus juristisch fraglich
ist.
Nach wie vor
gilt Göttingen offensichtlich als "rotes Tuch" für rechte und
faschistische Kreise. Sorgen wir gemeinsam dafür, daß Göttingen
in Wort und Tat rot und antifaschistisch bleibt und weder Polizei
noch Faschisten die Straße belagern.
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Was auch
kommen wird, ob die Faschisten in Göttingen nun marschieren
oder nicht, eines ist im vergangenen halben Jahr deutlich
geworden: sie sind politisch isoliert wie in kaum einer anderen
Region der BRD. Die drei Aufmarschversuche der Faschisten
im November 1999, Januar und April 2000 wurden jeweils von
Gerichten verboten. Der Druck durch die Breite der Mobiliserung,
die Mobilisierungskraft des autonomen Spektrums sowie zu erwartende
militante Angriffe auf die Faschisten fanden sich in den gerichtlichen
Begründungen wieder. Dies ist zwar einerseits eine Bestätigung
radikal-antifaschistischer Politik, jedoch erzeugt eine Verbotsbegründug
mit dem Bild von Gewaltszenarien, juristisch "Gefährdung der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung" genannt, ein politisches
Klima der Gleichsetzung von Faschisten und Autonomen. Ganz
oben stand folgerichtig - auch in der Presse - das gängige
Totalitarismusvokabular. Nicht von Ungefähr soll der Eindruck
entstehen, linke und rechte Gruppierungen und Politik seien
gleich.
Dieses
Bild benötigt nicht zuletzt der Polizeiapparat als Rechtfertigung,
an einem Tag, an dem es gegen rechte Politik geht, um gegen
AntifaschistInnen vorgehen zu können. Vor allem gegen AntifaschistInnen,
die rechte, reaktionäre bzw. faschistische Tendenzen einer
Gesellschaft nicht darauf beschränken, kurzhaarige Beschränkte
anzugehen. So wundert es auch nicht, daß das Aufrufmotto der
Faschisten "Nagelprobe für Demokraten! - Für Meinungsfreiheit,
gegen Demonstrationsverbote" lautet. Das Motto deutet an,
daß eine formelle Verbotsbegründung im Stile der bis dato
angeführten juristischen Argumente diesesmal ins Leere laufen
könnte. Auch die Tatsache, daß der NPD-Anmelder bereits gegenüber
der Statd als äußerst kompromißbereit auftrat, um konkrete
Bedingungen zur Durchführung des Aufmarsches auszuhandeln,
zeigt den Willen der NPD endlich in Göttingen aufmarschieren
zu wollen.
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Von
Bedeutungslosigkeit
Lediglich
die Stellung Göttingens als linke/autonome und antifaschistische
Hochburg verleiht diesem Aufmarschversuch der Faschisten eine
gewisse Bedeutung. Ob autonome AntifaschistInnen, ob universitäre
Gruppen oder Gewerkschaftsmitglieder, auf der Straße werden
sie an diesem Samstag alle sein. Kommt es doch andernorts
in ähnlichen Fällen nicht zu einer solchen gesellschaftlichen
Situation, eine linke Stellung behaupten zu können. In der
Regel ist die radikale Linke mit der Abwehr gegen rechts konfrontiert.
In ländlichen Regionen oder in vielen Teilen Ostdeutschlands
hat sich über Jahre eine rechte/faschistische Jugendkultur
breit gemacht. Schon allein Grund genug, um Braun aus der
Farbpalette zu streichen. Daß dies in Göttingen nicht so ist,
ist vor allem der kontinuierlichen Präsenz antifaschistischer
Politik zu verdanken. Autonomer Antifaschismus sowie weitere
linksradikale Aktivitäten spielen hierbei eine herausragende
Rolle.
Obwohl
die NPD in Bezug auf Göttingen großen Alarm verursacht, um
sich damit offensichtlich nochmals ins Gedächtnis zu rufen,
daß auch sie wichtig sind, bleibt im Grunde folgendes festzustellen:
Die derzeitige Politik faschistischer Gruppierungen kann auf
politischer Ebene getrost als gesellschaftlich weitestgehend
bedeutungslos eingeordnet werden. Schon die Zerstrittenheit
innerhalb des neonazistischen Lagers und das Motto des jetzigen
Aufmarschversuches verdeutlichen, wie sehr die Braunen um
sich selbst kreisen. Auch die Zahlen der Beteiligten der durch
Polizei und Gerichte andernorts häufig durchgesetzten Aufmärsche
sprechen für sich: nach der Hochphase faschististischer Straßenpräsenz,
mit zum Teil bis zu 5000 Faschisten im Jahre 1998, ging es
stetig bergab. Im Jahre 1999 und 2000 waren jeweils wenige
hundert oder knapp tausend Braune anzutreffen. Lediglich der
vom rechtsgerichteten Innensenator Berlins (ehemaliger Verfassungsschutz-Chef)
Wertebach, durchgesetzte Marsch einiger hundert NPD-Anhänger
war gesellschaftlich relevant, da ein faschistisches Fahnenmeer
unter dem Brandenburger Tor für die BRD ein Novum darstellte.
Gilt das Brandenburger Tor doch als Symbol der neuen "Berliner
Republik".
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Von
Bedeutung
Abbau
erkämpfter sozialer Rechte, Überwachungsgesellschaft, Abschiebung
von Flüchtlingen, Eingriff in Persönlichkeitsrechte, Einführung
von Kopfnoten in der Schule, Streichung von Unterstützung
für alternative Kulturangebote, Einführung und Erhöhung von
Studiengebühren. Alles unterschiedliche Stichworte ein und
der selben Seite der kapitalistischen Medaille. Nämlich der
rechten. Autoritäre, rechte bzw. konservative Maßnahmen für
gesellschaftliche Probleme, die keine Lösungen darstellen,
sondern Zwangsmaßnahmen.
Zwangsmaßnahmen, die einem bestimmten Zweck dienen: Aufrechterhaltung
der kapitalistischen Ordnung wie sie derzeit besteht. Profit
steht an erster Stelle.
Was unter konservativer Regierungszeit über 15 Jahre als Zwangsmaßnahmen
zu recht gebranntmarkt wurde, heißt dieser Tage im Jargon
sozialdemokratisch-grüner Technokratensprache "Sachzwänge".
Sachzwang zur Fortführung der kapitalistischen Verwertungsmaschinerie.
Dabei geht es nicht nur um die banal brutale Fortführung kapitalistischer
Ausbeutung, sondern um deren Anpassung und Optimierung in
Bezug auf die Durchsetzungsfähigkeit der BRD auf dem Weltmarkt.
Nun war Anpassung ja seit jeher das Geschäft sozialdemokratischer
Politik. So gelingt es denjenigen, die sich heute als neue
Mitte selbst feiern, mit ihrem vermeintlich fortschrittlichen
Image - mit dem Bild Vertreter der "kleinen Leute" zu sein
- Maßnahmen durchzusetzen, die vormals rechts eingestuft wurden.
Dies gilt für aggressive Außenpolitik ebenso wie für repressive
Innenpolitik. Ihre Position als ehemalige Opposition - mit
einigen ehemaligen 68ern in ihren Reihen - verleiht ihnen
das Vokabular sowie die notwendige Glaubwürdigkeit, vermeintliche
Sachzwangpolitik als populär zu verkaufen.
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[turn
left]
An einem
Tag wie dem 15. Juli 2000 zusammen mit verschiedenen Menschen
gegen Faschisten vorzugehen und nicht auf die dünnwandige
Verbotspolitik der Stadt Göttingen zu vertrauen, ist für uns
eine Selbstverständlichkeit. Bedeutet doch ein Verbot in seiner
Konsequenz stets den Aufmarsch ganz anderer rechter Kreise:
nämlich den der Polizei. Daß dies grundsätzlich und auch in
der konkreten Situation keine Politik gegen Rechts bedeutet,
sondern allenfalls ein Abhalten kurzhaariger, rechtsextremer
Glatzköpfe auf der Straße Präsenz zu zeigen, dürfte einsichtig
sein. Ist doch die Aufrüstung des Polizeiapparates im Zuge
der Umstrukturierung der Gesellschaft hin zu einer Überwachungsgesellschaft
ein bedeutender Faktor. Ein Gesellschaftsmodell jedenfalls,
was mit fortschrittlichen bzw. emanzipatorischen Ideen von
einer Gesellschaft, die auf Solidarität, Selbstbestimmung
oder Gleichheit aller Menschen zielt, nicht vereinbar ist.
So ist für uns die Bekämpfung des Rechtsextremismus nur eine
Facette gegen rechte Politik, die heutzutage häufig die Etikette
der "Mitte" trägt, vorzugehen. Um mittel- bzw. langfristig
antifaschistische Inhalte zu verankern sowie linksradikaler
Politik Bedeutung zu verleihen, ist organisierte, kontinuierliche
Politik notwendig. Es steht daher für jeden Einzelnen die
Überlegung im Raum, sich dauerhaft zu organisieren. Für die
Verhinderung des Naziaufmarsches am 15. Juli 2000 wird es
einen revolutionären Antifablock auf der Bündnisdemonstration
ausgehend vom Marktplatz Richtung der Nazis geben. Autonome
AntifaschistInnen werden den überwiegenden Teil der Demonstration
stellen, so wie auch bei den Gegenaktivitäten der letzten
Monate. Sorgen wir gemeinsam dafür, daß deutlich wird, daß
die Stärke einer Bündnisdemonstration darin liegt, hervorzuheben,
daß sowohl autonome AntifaschistInnen als auch Gewerkschaftsmitglieder,
SchülerInnen und Studierende zusammen auftreten. Auch Aktionen
jenseits der Demonstration gegen Faschisten können dazu betragen,
daß Faschisten in Göttingen noch immer kein Fuß auf die Erde
bekommen werden.
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Zusammen
kämpfen. Auf allen Ebenen. Mit allen Mitteln.
Autonome
Antifa [M] | Juni 2000 | Göttingen
organisiert
in der Antifaschistischen Aktion/BO
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