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Vom 13. bis 15. Dezember 2002 findet im dänischen Kopenhagen
das Gipfeltreffen der Regierungschefs der Staaten der
Europäischen Union (EU) statt. Ob Gerhard Schröder, Tony
Blair, Silvio Berlusconi oder José Maria Aznar - alle, die
täglich die
neoliberalen Umstrukturierungen predigen, die rassistische Hetze
schüren, für diesen oder jenen Krieg anfeuern, den Polizeistaat
aufrüsten, die kurzum den europäischen Kapitalismus verwalten
und in die Zukunft führen wollen, kommen an diesem Wochenende
in Kopenhagen zusammen. Ein willkommener Anlass für uns, um
gegen die Politik der EU-Staaten auf die Straße zu gehen und
Widerstand gegen den Kapitalismus zu demonstrieren.
Neben verschiedenen weiteren Gegenaktivitäten, mobilisiert
ein breites Bündnis für Samstag, den 14. Dezember 2002
zu einer
Großdemo unter dem Motto "our world is not for sale"
nach Kopenhagen. Zusammen mit antifaschistischen und antikapitalistischen
Gruppen aus Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland und Deutschland
rufen wir zum antikapitalistischen Block bei dieser
internationalen Demonstration auf. Mit der Mobilisierung nach Kopenhagen
wollen wir die Zusammenarbeit mit antifaschistischen
und antikapitalistischen Kräften einen Schritt weiter vorantreiben.
Denn unser Ziel besteht darin, antikapitalistische Positionen
innerhalb der sogenannten Antiglobalisierungsbewegung zu stärken
und den Fortgang der Proteste aktiv mitzugestalten.
against the
EU-summit
Am 1. Juli 2002 hat Dänemark die EU-Ratspräsidentschaft
von Spanien übernommen. Seither haben bereits zahlreiche kleinere
Gipfel und Treffen stattgefunden. Innerhalb dieser Reihe ist das
Treffen der Regierungschefs der 15 EU-Mitgliedsstaaten Mitte
Dezember das politisch Bedeutsamste. Hinzu kommt die enorme mediale
Öffentlichkeit und die daraus erwachsende
propagandistische Bedeutung eines solchen Gipfels. Eines der Hauptprojekte
während der dänischen Präsidentschaft und das
zentrale Thema des Dezember-Gipfels ist die Osterweiterung der Europäischen
Union. So sollen die Verhandlungen über die EU-
Beitritte von 10 Staaten auf dem Gipfel in Kopenhagen abgeschlossen
werden. Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien,
Slowakei, Ungarn, Slowenien, Zypern und Malta werden demnach 2004
der EU beitreten. Nach dieser ersten Erweiterungsrunde
stehen für 2007 Bulgarien und Rumänien auf der Kandidatenliste.
Neben diesen beiden Staaten muss sich auch die Türkei weiter
abwartend begnügen, über den Stand ihres Kandidatenstatus
wird ebenfalls im Dezember in Kopenhagen entschieden.
Für uns ist es nicht möglich, eine Position im Sinne eines
"für" oder "gegen" die Erweiterung oder
gar eines "für" oder "gegen" die
EU überhaupt einzunehmen. Wir haben nichts mit den Kritikern
der EU gemeinsam, deren Motivation vor allem ökonomischer
Protektionismus, Nationalismus oder Deutschtümelei sind. Wir
trauern nicht um die D-Mark, sondern begrüßen es, dass
dieser Teil
sinnstiftender deutscher Identität mittlerweile Geschichte
ist. Vielmehr begreifen wir die Auflösung nationalstaatlicher
Strukturen in
Westeuropa sogar als historische Entwicklung mit progressiven Elementen
- auch wenn der Motor dieser Entwicklung seinen
Antrieb in der Dynamik des Kapitalismus findet. Positive Elemente,
wie etwa die Bewegungsfreiheit in Europa, sind also nur
Nebenprodukte des Ziels, einen konkurrenzfähigen Wirtschaftsblock
aufzubauen. Die Europäische Union ist in ihrem Kern ein
Projekt des westeuropäischen Kapitals, zur Verwirklichung ungehinderten
Waren- und Geldflusses in ihrem Geltungsbereich und
zur Durchsetzung der eigenen Interessen nach außen. Die Zwänge
zur Verwertbarkeit werden sich weiter zuspitzen, ebenso wie die
Repressionen gegen all diejenigen, die in kapitalistischer Logik
überflüssig geworden sind. Deutschland, als eine der stärksten
ökonomischen Mächte in der EU, nutzt diese als Vehikel,
um seinen ganz eigenen Interessen langfristig den Weg zu bereiten
und
zu verwirklichen. Waren die Mittel der weltweiten Einflussnahme
bis zur Wiedervereinigung vor allem auf das eigene ökonomische
Gewicht und die Diplomatie beschränkt, entwickelt Deutschland
seit 1990 mit Hochdruck seine militärischen Potenziale - die
Kriegseinsätze im Kosovo und in Afghanistan sind Meilensteine
in diesem Prozess. Als treibende Kraft und im Windschatten der
EU zugleich, arbeitet Deutschland an der Stärkung des europäischen
Machtblocks und damit auch seiner selbst.
Wir kritisieren und bekämpfen die konkreten negativen Erscheinungsformen
der Politik der EU-Staaten. Menschen werden immer
mehr dem Verwertbarkeitszwang der freien Marktwirtschaft unterworfen,
gleichzeitig hat diese Politik überall auf der Welt Elend und
Krieg zu verantworten. Eine Lösung dieser Probleme gibt es
aber nicht ohne, mit oder mit einer besseren EU. Eine Lösung
muss
über den europäischen Kontinent und den Rahmen Kapitalismus
hinausweisen. Die einzige Lösung bleibt der Kampf um die soziale
Revolution weltweit. Für den Kommunismus!
no
bombs, no war - no capitalism
Mit Beginn der 90er Jahre und nach dem Wegfall des Systemkonfliktes
ist die Schaffung eines weltweit konkurrenzfähigen
Wirtschaftsblocks neben anderen wichtigen Freihandelszonen wie dem
nordamerikanischen NAFTA (North American Free Trade
Agreement) oder dem südost-asiatischen ASEAN (Association of
Southeast Asian Nations) hauptsächlicher Zweck der EU. Mit
der
2004 anstehenden Erweiterung der EU nach Osten, dürfte den
europäischen Kernstaaten ein Coup gelungen sein, der historisch
seines gleichen sucht. Denn woran der deutsche Imperialismus in
zwei Weltkriegen gescheitert ist, seine Zugriffsmöglichkeiten
auszudehnen und die Märkte der osteuropäischen Staaten
nach eigenen Bedürfnissen zu ordnen, das scheint jetzt zu gelingen.
Im
Jahr 2002 braucht es keines Blitzkrieges, damit deutsches Kapital
sich ungehindert in Osteuropa entfalten kann. Mit dem
Druckmittel der zu erfüllenden "Konvergenzkriterien"
werden die Beitrittskandidaten schon jetzt und verschärft in
den nächsten fünf
Jahren jede geforderte "strukturelle Anpassungsmaßnahme"
ihrer sozialen, wirtschaftlichen und politischen Systeme vollziehen,
um
überhaupt Aussicht auf einen Krümel vom fetten Büffet
der EU zu haben. Damit ist die EU einen bedeutsamen Schritt
vorangekommen einen geschlossenen europäischen Wirtschaftsbereich
zu schaffen, der den USA die Hörner zeigen kann.
Auch die Versuche, trotz vieler derzeitiger innereuropäischer
Interessensunterschiede langfristig zu einer eigenen gemeinsamen
europäischen Außenpolitik zu finden, stehen in Konkurrenz
zu den USA. In diesem Konkurrenzverhältnis kommen Konflikte
dort
offen zum tragen, wo den Europäern auf der Welt geschichtlich
und kulturell andere diplomatische und ökonomische Tore geöffnet
sind. Denn die andere Haltung etwa Deutschlands oder Frankreichs
gegenüber der palästinensischen Autonomiebehörde
oder dem
Irak rührt nicht aus einem menschlicheren, weil friedliebenderen
europäischen Kapitalismus. Diese europäischen Staaten
spekulieren darauf auch oder gerade ohne Kriegseinsatz Einfluss,
sowie Zugriff auf Ressourcen und Märkte in der Region zu
erhalten bzw. zu erlangen. Nachdem ihr Ruf in der arabischen Welt
nicht zu Unrecht gründlich ruiniert ist, bleibt den USA nur
das
Mittel des offenen Waffenganges um sich von den Europäern auf
diesem Terrain nicht den Rang ablaufen zu lassen. Der Aufbau
eines eigenen militärischen Kampfverbandes der EU, auf dem
der deutsche Außenminister Fischer auch nach dem Prager NATO-
Gipfel im November 2002 beharrt, sind da ein ebenso folgerichtiger
Schritt. Innerhalb dieser kapitalistischen Konkurrenz gibt es für
uns weder einen guten Krieg, noch ein kleineres Übel Europa.
Unser Hauptfeind bleibt: die rot-grüne Bundesregierung, Deutschland,
die EU!
fight fortress
Europe
Auch die Innenseite dieser sich beständig nach außen
aufrüstenden Festung Europa verliert den Glanz der versprochenen
Freiheit,
Gleichheit und Menschenrechte. Aus den "Segnungen europäischer
Zivilisation" fallen tagtäglich Flüchtlinge und MigrantInnen
heraus. Der vor nicht langer Zeit zu beobachtende Siegeszug des
Rechtspopulismus, der seine Stimmen mit Hilfe rassistischer
Stimmungsmache einfährt, ist kein Phänomen nur eines Landes.
Er ist Ausdruck des Bewusstseins der in relativem Reichtum
lebenden BewohnerInnen der "Metropole Westeuropa", diese
Privilegien auch gewaltsam verteidigen zu wollen. Das Gefühl,
dieses
Recht der Stärkeren notfalls auch mit eigener Hand durchsetzen
zu können, rührt aus der totalen Verinnerlichung kapitalistischer
Konkurrenz und blankem Chauvinismus. Seine Erscheinung findet dieses
Weltbild sowohl in den rassistischen Angriffen und
Pogromen, als auch in der Unterstützung der staatlichen rassistischen
Politik. Wenn es um Pogrome und Denunziation geht, sind
die Deutschen traditionell ganz vorne mit dabei. Stichwortgeber
für die Feindbilder, ob Flüchtlinge, "integrationsunwillige"
MigrantInnen oder neuerdings auch wieder offene antisemitische Propaganda,
sind die politischen Eliten der gesellschaftlichen Mitte
selbst. Ging es den etablierten Parteien Anfang der 90er Jahre vor
allem darum, mit dem geschürten völkischen Rassismus,
à la
"die Grenzen unserer Belastbarkeit sind erreicht" oder
"das Boot ist voll", der europäischen Vereinheitlichung
der
Abschottungspolitik
gegen die weltweiten Flüchtlingsbewegungen den Weg zu bereiten,
wurde diese Variante des Rassismus von
der rot-grünen Bundesregierung seit 1998 um eine weitere, rationalistischer
daherkommenden aber dadurch nicht weniger
bedrohlichen ergänzt. "Wir brauchen mehr Ausländer,
die uns nützen und weniger die uns ausnützen" bringt
das Verständnis
dieses modernisierten Verwertungsrassismus auf den Punkt. Als Maßstab
für menschliches Leben bleibt nichts als die
Verwertbarkeit seiner Arbeitskraft - die eiskalte Logik kapitalistischer
Produktion in Reinform. Die Hemmungslosigkeit, mit der sich
diese Ideologie von jeglichem Humanismus befreit und durchsetzt,
äußert sich dann auch in konkreten Maßnahmen zur
Regulierung von Zuwanderung und Flüchtlingsbewegungen. Festung
Europa bedeutet permanente Überwachung, Entrechtung und
Bedrohung von Abschiebung. Festung Europa bedeutet die quasi militärische
Sicherung der EU-Außengrenzen, die jährlich
unzählige Todesopfer fordert. Die Verschiebung der EU-Außengrenze
ist ein Effekt, den Deutschland mit der EU-Osterweiterung
anstrebt.
Das, was mit der Änderung des Asylgrundrechtsartikels seit
1993 in der Konstruktion der sicheren Drittstaaten
oderRücknahmeabkommen
angelegt wurde, kann jetzt zur Perfektion getrieben werden. Flüchtlinge
sollen schon in den östlichen
Nachbarländern abgefangen, verwaltet und von hier auch wieder
abgeschoben werden. Die Abwehr von Flüchtlingen ist ein
wesentlicher Bestandteil der Erweiterungsverhandlungen. Die grundsätzliche
Solidarisierung mit allen Flüchtlingen und MigrantInnen
und die Unterstützung ihrer Kämpfe auf Bleiberecht und
Legalisierung ist deshalb notwendige Konsequenz. Allen Akteuren
des
gesellschaftlichen oder staatlichen Rassismus sagen wir unseren
Kampf an.
save the
resistance
Seit dem 11. September 2001 und dem damit eröffneten Anti-Terror-Diskurs
hat die Zusammenarbeit der EU-Staaten auf dem
Gebiet der Strafverfolgung und Justiz einen weiteren Auftrieb erhalten.
Unmittelbar betroffen davon ist die Linke, wenn es den EU-
Staaten darum geht, ihre GegnerInnen in einem Abwasch abzufertigen.
Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi rückte die
kaum
1 ½ Monate zuvor aktiven Militanten von Genua sogleich in
eine Reihe mit dem "internationalen Terrorismus". Ein
anderes Beispiel:
für den unter diesen Bedingungen enger werdenden Raum in Europa
ist der Fall unseres Genossen Juanra aus Barcelona. Der
Antifaschist
und Sänger der linksradikalen Hardcore-Band "KOP"
hätte der ETA Informationen über Faschisten geliefert,
so die
Beschuldigung der spanischen Behörden. Mit der Festnahme angeblicher
Mitglieder und UnterstützerInnen des ETA-Kommandos
Barcelona, wird das Konstrukt einer zusammenhängenden Struktur
von ETA und bisher legaler Linker, hier der Hausbesetzerszene,
gesponnen. Juanra konnte zunächst in den Niederlanden untertauchen,
wurde aber in Amsterdam unter Zuhilfenahme des zu
Jahresbeginn gerade erst eingeführten Eurojust-Abkommens am
16. Januar 2002 festgenommen. Eurojust dient der Schaffung einer
europaweit koordinierten Staatsanwaltschaft und ist ein weiterer
Baustein in der Vereinheitlichung der europäischen
Strafverfolgungsbehörden, um bisherige Widersprüche zwischen
den EU-Staaten auszuräumen. Das scheint auch zu gelingen:
Nachdem Juanra von der niederländischen Justiz zunächst
wieder freigelassen und eine Auslieferung an Spanien in Frage gestellt
wurde, wurde er nun erneut in Haft genommen, die Auslieferung droht
in den nächsten Monaten.
Eine andere Stoßrichtung der Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung
fällt unter die Stichworte der EU-Listen über terroristische
Organisationen und die Einführung des § 129b ins deutsche
Strafgesetzbuch, also die Verfolgung der Werbung, Unterstützung
für
oder Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen
Vereinigung. Damit soll der Rückzugsraum, den die bürgerlichen
Demokratien Westeuropas für emanzipatorische Befreiungsbewegungen
teilweise bilden, abgeschafft werden. Bedroht sind damit
auch die internationalistischen Politikansätze der europäischen
Linken. Liegt uns etwas daran, die Möglichkeiten der politischen
Betätigung für beispielsweise die GenossInnen der kolumbianischen
FARC oder ELN in Europa zu verteidigen, müssen wir uns
auch diesen Angriffen stellen. Ein anderer Punkt ist, dass die Auseinandersetzung
mit den internationalen Kämpfen um Befreiung
ein bedeutsamer Teil der Bewusstseinsbildung der radikalen Linken
in Deutschland waren und sind. Diesen Politikbereich müssen
wir uns erhalten. Praktische Erfahrungen mit der Anwendung des §
129b gibt es bisher keine. Es wird wohl zunächst von
politischen Nutzenerwägungen abhängen, an welcher Stelle
der Staat diesen Repressionshammer ansetzt. Vor dem Hintergrund
dieser Unklarheit sollte die Linke selber aktiv werden, um den gesellschaftlichen
Raum der hier bleibt auszuloten.
fight anti-Semitism
Dass gerade beim Verhältnis der Linken zu den klassischen nationalen
Befreiungsbewegungen mittlerweile ein tiefer Graben
zwischen den Entwicklungen in Deutschland und vielen anderen europäischen
Ländern liegt, wird bei der Beschäftigung mit dem
Diskussionsstand hierzu beispielsweise in Dänemark deutlich.
Besonders hervorzuheben ist dabei wohl der Umgang mit dem Israel-
Palästina-Konflikt. Eine der größeren politischen
Kampagnen der dänischen Linken titelt "Boykot Israel"
und ruft zum Boykott
Israel"
Demo in Kopenhagen statt. Mit Parolen wie "Intifada weltweit"
wird undifferenziert und offen Bezug auf die 2. Intifada und den
"palästinensischen Befreiungskampf" genommen. Die
Notwendigkeit der Existenz des israelischen Staates, eine
Auseinandersetzung mit der Bedrohung des Antisemitismus oder ein
Bezug auf die emanzipatorischen Kräfte in der
palästinensischen wie israelischen Gesellschaft kommen in dieser
Kampagne nicht vor. Wir haben an dieser Politik der dänischen
Linken starke Kritik, die wir auf Vorbereitungstreffen und in einem
gemeinsamen Papier mit den Gruppen Avanti, Antifa Aktion Berlin
und Autonome Antifa Nordost, formuliert haben. Wir verteidigen die
historische und aktuelle Notwendigkeit eines sicheren
israelischen Staates als Zufluchtsort für Jüdinnen und
Juden vor dem weltweiten Antisemitismus. Wir können nicht auf
einen
"palästinensischen
Befreiungskampf" Bezug nehmen, da dieser in seinen Kampfformen
und politischen Zielen von
reaktionärenKräften
dominiert wird. Wir analysieren Antisemitismus nicht als ein abgeschlossenes
historisches Phänomen,
sondern als falsches Bewusstsein, das mit der Existenz des Kapitalismus
zwangsweise bedingt ist. Vor diesem Hintergrund
wissen wir um den gesellschaftlich Nährboden für Antisemitismus,
auf den auch eine sachlich gemeinte Kritik an der
Besetzungspolitik Israels fallen muss. Aber wir wissen auch um die
deutsche Verantwortung für die Shoa und deren Bedeutung für
die speziell
deutschen gesellschaftlichen und innerlinken Diskurse. Wir leben
im Land der TäterInnen. Unsere Konsequenz aus
denunterschiedlichen
Analysen ist nicht das Verschanzen hinter den linken deutschen Stammtischen,
sondern die kritische und konstruktive Diskussion mit Netzwerken
und Gruppen der radikalen dänischen Linken wie Globale Rødder
oder der Antifascistisk
Aktion København.
global rock
´n roll - when the music ´s over
Die sogenannte internationale "Antiglobalisierungsbewegung"
ist für uns zunächst ein positiver Bezugspunkt. Die Bewegung
versteht sich internationalistisch und tritt als solche in Aktion,
das Problem des Kapitalismus wird direkt kritisiert und durch die
Massenmobilisierungen und militanten Angriffe um die Gipfeltreffen
wird diese Frage weltweit erneut auf die Tagesordnung gerückt.
Gerade für die deutsche Linke, die nach der Niederlage des
Realsozialismus ideologisch am Boden und in den Abwehrkämpfen
gegen den rechten Vormarsch gefangen war, bedeutete das Aufkommen
der neuen Bewegung in Europa neue Dynamik und Gewinn
an gesellschaftlichem Boden. Die Stärke bestand in ihrer Heterogenität
sowohl in der Form als auch im Inhalt. Lange Zeit inaktive
Aktionsfeld und zu neuem Selbstbewusstsein. Mit den Mobilisierungen
von Göteborg im Juni und Genua im Juli 2001 ist der Zenit
aber offenbar überschritten. Ihre bis dahin bestehenden Stärken,
des Pluralismus und Aktionismus, haben sich gegen die
Bewegung gewandt. Die Fragen an denen die Konflikte aufbrechen sind
altbekannte: Welcher Kraft gelingt es sich in der medialen
Repräsentation durchzusetzen? Gelingt es der staatlichen Repression
solidarisch zu begegnen? Wird die Spaltung an der
Gewaltfrage zugelassen? Die Antworten sind nahezu eindeutig ausgefallen:
In Deutschland - und in ähnlichen Konstellationen gilt dieses
offenbar auch für andere europäische Länder - hat
sich die
außerparlamentarische Sozialdemokratie, in Form von Attac
in der öffentlichen Wahrnehmung als Synonym für die
"Antiglobalisierungsbewegung" durchgesetzt. Trotz der
enormen medialen Aufmerksamkeit und des großen gesellschaftlichen
Interesses ist es der radikalen Linken nicht gelungen, den Inhalt
ihrer Kritik und die Aktionsform des "black bloc" zu vermitteln.
Fehlende Strukturen, fehlende Verantwortlichkeit, fehlender politischer
Wille - verpasste Chance. Die politische Perspektive von
Attac zur Abmilderung der Härten des Kapitalismus, ebenso wie
ihr an den regulierenden Staat appellierendes Politikverständnis
prägen damit die öffentliche Wahrnehmung dieser Opposition.
Unsere Kritik richtet sich dabei nicht gegen Attac für ihrer
professionelle Medienarbeit, Mitgliederwerbung oder gutgemeinten
sozialen Ziele. Unsere Kritik richtet sich an die radikale Linke
selbst, die es nicht geschafft hat, den politischen Raum zu nutzen,
den sie geschaffen hat. Die Aufgabe kann jetzt nur sein, die
Kräfte links dieser Dominanz zu sammeln und eigene Akzente
zu setzen. Schwierig genug bei den gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen in Deutschland, die Versuche zum EU-Gipfel in
Köln 1999 oder zur NATO-Sicherheitskonferenz in München
2002 zeigen uns die Grenzen auf. Aber dennoch, als radikale Linke
können wir dieses Protestspektrum nicht einfach den
staatsfixierten Reformern überlassen. Die langjährigen
Erfahrungen und die trotz des politischen Niedergangs bestehenden
Basisstrukturen der Antifabewegung sind nicht die schlechtesten
Voraussetzungen, um hier einzugreifen.
Keine Antwort, das war die Antwort der deutschen Linken auf die
staatlichen Repressionen von Göteborg und Genua. Aufhebung
der Bewegungsfreiheit, Demonstrationsverbote, Angriffe auf alternative
Medien, schwere Körperverletzungen, Folterungen,
Massenfestnahmen, harte Gefängnisstrafen, die Schüsse
in Göteborg und die Ermordung Carlo Giulianis am 20. Juli 2001
in
Genua. Im Augenblick seiner Infragestellung lässt der aufgeklärte
bürgerliche Staat jede Form des Humanismus fallen und geht
zu
offenem Terror gegen seine KritikerInnen über. Das ist nicht
neu. Wichtig ist auch nicht, ob eine Situation für den Staat
tatsächlich
nicht mehr kontrollierbar ist oder wer Opfer des Staatsterrorismus
wird. Wichtig ist der politische Gehalt der in dieser deutlichen
Ansage des Staates steckt: "Wer uns herausfordert wird es teuer
bezahlen." Die Linke muss sich im Klaren darüber sein,
wann sie
die Stärke hat, auf diesem Niveau Auseinandersetzungen zu führen.
Sie hat sie derzeit nicht, der konkrete Umgang mit
denRepressionen und das mangelnde Verständnis für die
Situation sind deutliche Anzeichen dafür. Die Frage der Gefangenen
wurde zwar zur Kenntnis genommen, aber eine Verantwortung über
die unmittelbare Unterstützung der eigenen FreundInnen,
vielleicht noch der Leute aus der eigenen Stadt, ist daraus nicht
erwachsen. Pech gehabt, Augen zu und durch, Individualisierung
statt eines solidarischen Umganges sind die Ergebnisse. Die wenigen
bestehenden politischen Solidaritätsstrukturen sind mit dem
Ausmaß der Anforderungen hoffnungslos überfordert. Was
bleibt ist die Erkenntnis, dass an der politischen Basis die
Auseinandersetzung um diese Fragen geführt werden, dass der
Kampf gegen die Repression in der Offensive mitgedacht werden
muss. Zwar blieben unmittelbar nach Göteborg und Genua Distanzierungen
von Widerstandsformen, die das staatliche
Gewaltmonopol nicht anerkennen, zunächst aus, in der Deutung
des "black bloc" und der Ursachen für die Polizeibrutalität
offenbarten sich aber bereits die Abgründe einer gespaltenen
Bewegung. So waren viele der vorgeblichen Solidaritätsbekundungen
vom Selbstbild der "zu Unrecht verfolgten", "nur
wegen schwarzer Unterwäsche Beschuldigter" geprägt.
Carlo Giuliani hatte
demnach "nur zufällig einen Feuerlöscher in der Hand"
der "black bloc" ist nur als unerhörte Polizeiprovokation
oder schlimmeres
denkbar. Die Entscheidung vieler Militanter, an den Staat keine
Appelle zu richten, sondern ihn anzugreifen, war für viele
der eifrigen
ProtestiererInnen im Nachhinein kaum noch denkbar, geschweige denn
öffentlich zu vertreten. Kein Wunder also, dass der militante
Teil der Bewegung an den Rand gedrängt ist und sich nach diesen
Ereignissen in der Defensive befindet. Das trifft in aller Härte
auch die Genossinnen und Genossen in Skandinavien. Seit Göteborg
ist die radikale Linke dort Angriffen auf ihre Struktur,
Gefängnisstrafen und gesellschaftlicher Marginalisierung ausgesetzt.
Die Defensive ist so weit vorangeschritten, dass auch
linksradikale Gruppen in Dänemark sich dem Anti-Gewaltsdiskurs
nicht entziehen können. Wir können unseren skandinavischen
Genossinnen und Genossen hier nicht widersprechen, Militanz hat
nur Sinn, wenn sie vermittelbar ist oder eine Bewegung stärkt.
Das bedeutet aber auch, dass eine Antwort auf die Frage gefunden
werden muss, wie unter diesen Bedingungen eine radikale Linke
öffentlich wahrnehmbar sein will.
let ´s
push things forward
Die europäische "Antiglobalisierungsbewegung" ist
nicht am Ende, sie existiert nur nicht mehr in der Form wie im "summer
of
resistance 2001". Die Massenmobilisierungen finden weiter statt:
Zu den EU-Gipfeln im Dezember 2001 in Brüssel und im März
'
2002 in Barcelona, zum Todestag von Carlo Giuliani im Juli 2002
in Genua oder zum Weltsozialforum im November 2002 in Florenz.
Hunderttausende gehen in Europa weiter auf die Straße, geprägt
sind diese Ereignisse aber von gewerkschaftlichem oder
sozialdemokratischem Protest. Auch wenn es linksradikale Mobilisierungen
gibt, gelingt es diesen weder, sich in der Vorbereitung
noch auf der Straße öffentlich zu vermitteln. Zu erwarten
ist dieses Szenario auch für den EU-Gipfel in Kopenhagen. Und
dennoch,
wir mobilisieren trotzdem zum antikapitalistischen Block auf der
Demo am Samstag, den 14. Dezember 2002. Wir übernehmen
gemeinsam mit unseren skandinavischen Genossinnen und Genossen Verantwortung
für die defensive Situation nach Göteborg, wir
wollen die Ausgangsbedingungen für radikale Linke Politik verbessern.
Möglich ist dieses nur durch aktive Beteiligung.
Zusammen
kämpfen!
Die radikale Linke aufbauen!
Autonome
Antifa [M]
im
November, 2002
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