1:1 für den antifaschistischen Widerstand
Die in den vorangegangenen Kapiteln dargestellten Veränderungen im
Bereich der "Inneren Sicherheit, sind nicht getrennt von den
veränderten Bedingungen zu betrachten, in denen sich das deutsche Kapital
seit 1989 befindet. Die Jagd der Kapitalisten nach billigen
Produktionsstätten, die Aufteilung der Welt nach ökonomischen und
militärischen Gesichtspunkten sowie die Folgen der Einverleibung der DDR
durch die BRD nötigen den Staat in seiner Funktion als Handlanger des
Kapitals zu weitreichenden Einschnitten in das soziale Netz der Gesellschaft.
Ziel dieser Maßnahmen sind radikale Kostensenkungen für das Kapital,
und mit diesen und der damit einhergehenden Entdemokratisierung des Staates
soll der BRD-Imperialismus zukünftig keinen politischen wie
ökonomischen Beschränkungen mehr ausgesetzt sein.
In diesem Zusammenhang sind präventive polizeistaatliche Maßnahmen
wie die Verschärfung von Polizeigesetzen und die anstehende Inkraftsetzung
des "Großen Lauschangriffs und die bereits praktizierte
Kriminalisierung der Linken eine Antwort des Staates auf
globalgesellschaftliche Veränderungen und eine Voraussetzung für den
neuen imperialistischen Kurs der BRD ist.
Der Sozialabbau
Der Kapitalismus befindet sich im Umbruch, seit Ende der 80er/Anfang der
90er Jahre der Zusammenbruch der Länder des Warschauer Pakts erfolgte. Ein
für den Großteil der hier lebenden Bevölkerung spürbarer
Wendepunkt im kapitalistischen Alltag sind die seit dem Anschluß der DDR
verstärkten Angriffe auf erkämpfte soziale und arbeitsrechtliche
Schutzregelungen, auch kurz Sozialabbau genannt. Aktuelle Beispiele für
den Sozialabbau sind die sogenannte Sozialhilfereform, die Kürzungen der
Renten, die Aufhebung des Kündigungsschutzes, die Streichung von
ABM-Stellen, die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge, die Begrenzung
der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Kürzung von Arbeitslosengeld
und -hilfe, die Einführung von Studiengebühren usw.
Auf der anderen Seite erhält das Kapital kräftige Finanzspritzen
durch steuerliche Entlastungen, direkte Subventionen etc.
und seine Ursachen
Es geht dem deutschen Kapital und dessen Vertretern in der Politik um die durch den Wegfall des Ostblocks möglich gewordene grenzenlose Neuaufteilung der Welt nach kapitalistischen Verwertungsinteressen. Jede Kapitalfraktion strebt in der weltweiten Konkurrenz nach dem größten Anteil am ökonomischen Kuchen. Machtverschiebungen zwischen den imperialistischen Konkurrenten, bedingt durch die jeweilige politische und ökonomische Entwicklung, bestimmen, welche Kapitalfraktion Gewinne einstreicht und welche Verluste erleidet.
Die "Standortdebatte
Mit der Drohung, Produktionsstätten ins Ausland zu verlagern und
damit nicht mehr für den Erhalt von Arbeitsplätzen garantieren zu
können, heizen Arbeitgeberverbände und PolitikerInnen den
Klassenkampf von oben ein und drängen auf Kostensenkungen und
Intensivierung der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft.
Hauptargument der Kapitalstrategen ist die Rede von der strukturellen
Kostenkrise der deutschen Wirtschaft im Vergleich zu den ausländischen
Konkurrenten auf den Import- und Exportmärkten. Gemeint ist damit,
daß die Arbeitslöhne bei den derzeitigen Arbeitszeiten inklusive der
entsprechenden arbeitsrechtlichen Regelungen (Tarife) sowie die Beiträge
zur Sozialversicherung für die Unternehmer zu teuer geworden seien. Die
Grenze des "Sozialstaats sei erreicht, weil die Kosten den
Produktionsstandort Deutschland in der Weltmarktkonkurrenz zurückfallen
ließen.
Dieser Argumentation muß auf zweierlei Weise begegnet werden:
Zum einen ist es der Imperialismus selbst, der einer nationalen
"Standortpolitik den Boden unter den Füßen wegzieht. Der
Imperialismus ist (nunmehr) grenzenlos, er agiert quer über den Erdball
und trachtet überall nach Möglichkeiten der Kapitalverwertung. Das
Einfordern von dem Verbleib multinationaler Konzerne im heimatlichen Staat
erkennt nicht an oder verschweigt bewußt das "Gesetz des
Imperialismus, daß sich Konzerne überall auf der Welt ausbreiten
müssen, um unter günstigen Produktionsbedingungen den maximalen
Profit zu erzielen.
Unter dem Einfluß der rasanten Weiterentwicklung der Kommunikationsmittel
und der relativen Verbilligung der Transportsysteme treten in Form von
transnationalen Konzernen ganze Produktions- und Dienstleistungsstätten
über den Globus hinweg in wechselseitige Konkurrenz.
Dabei interessiert es die jeweiligen Konzernchefs herzlich wenig, ob sie die
Arbeit aus deutschen, italienischen oder polnischen Arbeitskräften oder
aus solchen anderer Nationalitäten herauspressen.
Zum anderen sind die angeblich zu teuren Arbeitskosten im Verhältnis zur
Produktivität in der BRD vergleichsweise gering. Seit 1993 zeigt sich in
Deutschland aufgrund hoher Produktivitätssteigerung in der Industrie sogar
ein Rückgang der Lohnstückkosten1.
Doch damit nicht genug. Nicht nur die sogenannte Standortdebatte hält
einer kritischen Analyse nicht stand. Auch die tatsächlichen
Sozialleistungen des Staates sind gemessen am Produktivitätsniveau und den
Gewinnen des Industriekapitals recht dürftig. Die Sozialleistungsquote
(eine statistische Größe, die angibt, wie hoch der Anteil der
Sozialleistungen gemessen am Bruttosozialprodukt ist) in Westdeutschland lag
1995 mit 30,3 % deutlich unter dem Durchschnittswert der achtziger Jahre2.
Bedenkt man nun noch, daß seit Beginn der achtziger Jahre die Zahl der
RentnerInnen, Arbeitslosen und SozialhilfeempfängerInnen kräftig
gestiegen ist, so wird deutlich, daß die Diskrepanz zwischen realen
Sozialleistungen und der Anzahl derer, die sie dringend benötigen, immer
größer wird.
Auch bei den Nettoeinkommen aus Lohnarbeit sieht es nicht besser aus. Seit 1980
ist hier lediglich eine Steigerung von drei bis vier Prozent zu verbuchen,
während gleichzeitig das Bruttosozialprodukt um rund 30% wuchs3.
Fazit: Die "Standortdebatte ist eine bewußt inszenierte Propaganda,
die das Ziel verfolgt, noch verschärftere Arbeitsbedingungen für das
Kapital durchzusetzen und dadurch rechtfertigt, daß dieser
Verschärfung der Mantel der gesellschaftlichen Notwendigkeit
umgehängt wird.
Eine wachsende Produktivität der Wirtschaft führt im Kapitalismus
nicht zwangsläufig zu mehr Arbeitsplätzen, höheren Löhnen
und relativem sozialem Wohlstand. Ganz im Gegenteil, die derzeitige
Produktivkraftsteigerung resultiert vor allem aus einer zunehmenden
Globalisierung und Rationalisierung der Produktionsmittel und der
"Verschlankung organisatorischer Abläufe (sogenannte lean production
= schlanke Produktion).
Nachdem in einigen Ländern der sogenannten Dritten Welt ein Großteil
der Bevölkerung aus dem kapitalistischen Verwertungsprozeß
herausgefallen ist und von der Weltwirtschaft nichts mehr als Armut, Hunger und
Tod zu erwarten hat, ist auch in der BRD ein Hauch davon spürbar,
daß sich Kapitalismus nicht mit dem Nutzen für die
Bevölkerungsmehrheit gleichsetzen läßt.
Europa
Die mit der "Standortdebatte begründeten Aushöhlungen der
ohnehin schon brüchigen Grundlagen sozialer Sicherheit sind nicht zu
trennen von der Europapolitik der BRD. Ein Ziel des sogenannten Sparkurses der
Bundesregierung ist das Erreichen der Maastrichter Konvergenzkriterien, die die
EU-Staaten zur Einführung einer gemeinsamen Währung für 1999
beschlossen haben. Die vorläufig geltenden Kriterien beinhalten
Begrenzungen für die Beitrittskandidaten hinsichtlich des jährlichen
Haushaltsdefizits, der Gesamtverschuldung, der Zinshöhe für
langfristige Kredite und hinsichtlich der Inflationsrate. Bei Verletzung der
Kriterien drohten nach dem "Waigel-Pakt des gleichnamigen
BRD-Finanzministers Sanktionen in Form eines Bußgeldes an die EU - ein
Plan, der auf dem EU-Gipfel in Florenz im Juni dieses Jahres vorerst gekippt
wurde. Alle EU-Staaten bis auf Luxemburg sind mehr oder weniger weit von der
Einhaltung der Konvergenzkriterien entfernt.
Ziel der Währungsunion ist die Stärkung der EU gegenüber den
Wirtschaftsblöcken USA/ Nordamerika und Japan/ Ostasien. Die dabei
zugrundeliegenden Einigungskriterien entspringen einer
deutsch-französischen Feder. Sie sollen die für eine
deutsch-französische Vorherrschaft in Europa nötigen
Rahmenbedingungen abgeben. Doch mittlerweile wächst die Unsicherheit in
den eigenen Reihen. Unlängst haben französische Politiker und
Wirtschaftsmanager die Verschiebung des für 1999 geplanten Starts in die
Währungsunion empfohlen. Die meisten deutschen Großbanken jedoch
drängen auf die Einhaltung des Termins.4
Da bis 1999 und darüberhinaus nicht mit einer Angleichung der nationalen
Wirtschaftsbedingungen zu rechnen ist, wird der "Standortwettbewerb
innerhalb der EU weiter an Schärfe gewinnen. Zukünftig werden die
Regierungen immer öfter neue "Gründe dafür finden, der
lohnabhängigen und der erwerbslosen Bevölkerung den "Gürtel
enger zu schnallen, damit die jeweilige Wirtschaftsregion im
Konkurrenzkampf bestehen kann.
Aufgabe des "Sozialstaats?
Die Arbeitskraft, d.h. die Aufwendungen eines/einer
Lohnarbeiters/-arbeiterin, die erforderlich sind, im kapitalistischen
Produktionsprozeß Arbeit zu verrichten, ist im Kapitalismus nichts als
eine Ware, die der Kapitalist gegen Lohn kauft und deren Abschöpfung den
Profit bringt. Das Kernprinzip des "Sozialstaats ist nun, finanzielle
Beschränkungen bei der Inanspruchnahme notwendiger Leistungen und Dienste
zur Wiederherstellung der Ware Arbeitskraft weitgehend auszuschließen.
Dieses Prinzip - die Garantie eines vom individuellen Einkommen abgekoppelten
"Bürgerrechts auf Gesundheit - wird jedoch jetzt zur Disposition
gestellt. Damit riskieren Staat und Kapital aber den Verlust der
systemerhaltenden Funktionen, die die Sozialpolitik seit ihrer Einführung
durch die Bismarckregierung 1883 hatten.
Damals, fünf Jahre nach der Verabschiedung des sogenannten
Sozialistengesetzes, das sozialdemokratische, gewerkschaftliche und
kommunistische Versammlungen und Vereinigungen verbot und die Parteipresse
kriminalisierte, entstanden im Deutschen Reich eine Reihe von Sozialgesetzen
(Kranken-, Unfall-, Invaliden- und Arbeitslosenversicherung), die die Arbeiter
an den Staat binden sollten.
Sozialpolitk war bislang eine unverzichtbare Voraussetzung für die
gesellschaftliche Akzeptanz des marktwirtschaftlichen Konkurrenzsystems als
Gesellschaftssystem insgesamt. Der "soziale Frieden sollte gesichert
werden, die Bereitschaft der Lohnabhängigen zur Kooperation mit dem
Klassenstaat vergrößert, einer Politisierung und damit dem Kampf
gegen das System entgegengewirkt werden.
Die Gewerkschaften
Was aber nun? Das Hoffen auf Wohlstand für alle entpuppt sich in
Anbetracht des geringer werdenden Bedarfs an Arbeitskräften wegen
anhaltender Automatisierungen im Produktions- und Dienstleistungsbereich - und
der dadurch verursachten hohen Sockelarbeitslosigkeit - als Illusion.
Nichtsdestotrotz scheuen sich die Gewerkschaften nicht, in Tarifverhandlungen
über Kompromißbildungen mit den Konzernchefs bei den ArbeiterInnen
den Glauben an Verbesserungsmöglichkeiten ihrer Situation im Rahmen des
kapitalistischen Systems aufrechtzuerhalten.
So werden sich die Gewerkschaften trotz der Erkenntnis, die Bundesregierung
>>erledigt mit ihrem sogenannten Sparpaket gehorsam die Aufträge aus
dem Arbeitgeberlager<< (DGB-Chef Schulte)5 und trotz des vermeintlichen
Festhaltens >>am Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit<<
(DPG-Sprecherin Lehmann)5 spätestens dann dem Druck des Kapitals beugen,
wenn die Basis größtenteils befriedet oder aber zu radikal geworden
ist.
Der Schulterschluß der immer noch als Interessenvertretung der
Arbeiterklasse geltenden Gewerkschaften mit den Vertretern des kapitalistischen
Lagers reicht dann sogar bis zu Vorstößen des IG-Metall-Chefs
Zwickel zu einem "Bündnis für Arbeit, dessen Kernpunkte
Lohnverzicht für (kaum kontrollierbare) Arbeitsplatzzusagen und
untertarifliche Einstiegslöhne für Arbeitslose sind.
Durch dieses Anbiedern an das Kapital verabschieden sich die Gewerkschaften der
BRD nun endgültig von ihrer ursprünglichen Aufgabe, die Arbeits- und
Lebensbedingungen der abhängig Beschäftigten erträglich zu
machen. Doch warum sollten die Unternehmer auf die Gewerkschaften zugehen und
Arbeitsplatzzusagen einhalten, wenn sie gar keine zusätzlichen
ArbeiterInnen benötigen, weil Überstunden doch viel billiger sind?
Angesichts 6,09 Millionen fehlender Arbeistplätze6 ist der Druck auf die
Lohnarbeitenden und damit auch auf die Gewerkschaften so groß, daß
die Unternehmer wohl kaum auch nur eine Absichtserklärung umsetzen werden.
Eher das Gegenteil wird der Fall sein.
>>Die Überarbeit des beschäftigten Teils der Arbeiterklasse
schwellt die Reihen ihrer Reserve, während umgekehrt der vermehrte Druck,
den die letztere durch ihre Konkurrenz auf die erstere ausübt, diese zur
Überarbeit und Unterwerfung unter die Diktate des Kapitals
zwingt.<<7
Gleichwohl der erste Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Hans
Böckler, noch 1946 davon sprach, der Kapitalismus läge >>in
seinen letzten Zügen<<8, und im selben Jahr der damalige britische
Außenminister Bevin die Kontrolle der deutschen Industrien durch das
deutsche Volk einforderte9, so ist die Geschichte der bundesrepublikanischen
Gewerkschaften dennoch ein trauriges Beispiel dafür, daß
gewerkschaftlicher Widerstand gegen das Profitstreben der Unternehmer die
Grundfesten der "Marktwirtschaft nicht in Frage stellt. Bereits das
Fehlen eines politischen Streikrechts sowie der gewerkschaftliche Grundsatz der
paritätischen Mitbestimmung statt des Klassenkampfes haben seit
Gründung des DGB 1949 die Chance auf eine gewerkschaftliche Orientierung
in Richtung Überwindung des Kapitalismus verwirkt.
Gewerkschaften werden also den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit nicht
helfen aufzuheben. Trotzdem sollte der ArbeiterInnenkampf gegen betriebliche
Ausbeutung - wenn auch die gewerkschaftlichen Fesseln seine Radikalität
bändigen - nicht von Grund auf verurteilt und als rückständiger
Reformismus abgetan werden.
>>Gewerkschaften tun gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstands gegen
die Gewalttaten des Kapitals. Sie verfehlen ihren Zweck zum Teil, sobald sie
von ihrer Macht einen unsachgemäßen Gebrauch machen. Sie verfehlen
ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen
Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt
gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern, statt ihre organisierten
Kräfte zu gebrauchen als einen Hebel zur schließlichen Befreiung der
Arbeiterklasse, d. h. zur endgültigen Abschaffung des
Lohnsystems.<<10
Zusammen kämpfen gegen Polizeistaat und Sozialabbau!
Der 2. Oktober 1996 steht im Zeichen des Kampfes gegen das
zweischneidige Schwert Sozialabbau-Polizeistaat. Der Angriff der
Kapitalvertreter gegen soziale Rechte und Errungenschaften bedarf einer Antwort
auch aus linksradikalen und antifaschistischen Kreisen.
Antifaschistische Politik wie die der Autonomen Antifa (M) war immer zugleich
auch Kapitalismuskritik und der Versuch, über die antifaschistische Aktion
gesellschaftskritische und systemwidersprechende Inhalte zu transportieren.
Ebenso fester Bestandteil war der Kampf gegen die mit der politischen Arbeit
einhergehenden Kriminalisierungsversuche seitens des Staates. Beides vereint
sich in der diesjährigen Aktion. Entsprechend dieser Linie verlangt unser
Widerstand gegen den Sozialabbau die Verknüpfung mit dem Kampf gegen die
ihn ergänzende, repressive Komponente, ohne die er nicht funktionieren
kann und die den gewaltsamen Charakter des kapitalistischen Verwertungssystems
offenbart.
Welche Rolle spielt der Antifaschismus im Kampf gegen den Kapitalismus?
Eine Aufgabe des radikalen Antifaschismus besteht darin, den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus in die gesellschaftliche Auseinandersetzung zu tragen.
Darüberhinaus steht die Praxis, die unmittelbare Erfahrung des politischen
Kampfes im Vordergrund antifaschistischer Politik. Widerstand gehört auf
die Straße und darf sich nicht in Diskussionszirkeln und Theoriedebatten
erschöpfen. Gerade in Göttingen zeigt es sich, daß das
politische Klima einer Stadt vom praktischen Widerstand lebt.
Eine weitere Rolle, die dem Antifaschismus zukommt, ist seine
Bündnisfähigkeit. Die Antifaschistische Aktion steht nicht für
Vereinnahmung oder Avantgardedenken, sondern betont die Notwendigkeit der
Vielfalt des Widerstandes. Bei allen Unterschieden in der politischen
Herangehensweise der Linken ist es gerade in Anbetracht der voranschreitenden
Isolierung, Zerschlagung und Selbstauflösung von linker Opposition immens
wichtig, in der praktischen Politik die Einheit des Widerstands zu betonen und
gemeinsam in Aktion zu treten.
Letztlich ist es der Organisierungsgedanke, der in den letzten Jahren
antifaschistische Politik stark beeinflußt hat und dessen Umsetzung
für alle linken Strömungen und Gruppen von Bedeutung ist.
Schließlich steht und fällt jeglicher radikaler Widerstand mit dem
Grad an Organisiertheit, den er sich gegeben hat. Organisierung bedeutet nicht
nur effektiveren Schutz gegen repressive Angriffe des Staates, sondern ist die
ausschlaggebende Grundlage für das Erlangen gesellschaftlicher Relevanz.
Die nächsten Aufgaben
Die Weiterentwicklung der derzeitigen organisatorischen Strukturen der
außerparlamentarischen Linken sowie die Ausarbeitung einer
gesellschaftlichen Perspektive sind wichtige Aufgaben für die Zukunft.
Ebenso wichtig ist es für die Linke, die erkämpften politischen
Handlungsräume gegen die Angriffe der Staatsmacht zu verteidigen.
Im konkreten Fall zeigt sich, daß die in Göttingen praktizierte und
auf der Grundlage der "Brokdorf-Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts von 1985 beruhende sogenannte Deeskalationslinie der
Göttinger Polizei zugunsten einer härteren Gangart schrittweise
aufgegeben wird. An die Stelle der sogenannten Deeskalation tritt die offene
und gewaltsame Konfrontation durch den Polizeiapparat. Jüngstes Beispiel
ist der Übergriff von Bereitschaftspolizisten auf eine linke
Gegendemonstration anläßlich eines Revanchistentreffens im
Göttinger Rosengarten11. Ziel dieser gewaltsamen Unterdrückung
politischen Widerstands ist zunächst die Einschüchterung der Linken.
Bündnisse sollen gesprengt, die Angst vor der Polizeimacht geschürt,
der Widerstand auf legalistische Bahnen gelenkt werden. Langfristig soll die
Linke von der Straße und mithin aus dem Bewußtsein der Menschen
gedrängt werden. Dies zu verhindern, ist die dringende Aufgabe der linken
Opposition - nicht nur in Göttingen, sondern überall.
1 Bäcker, Gerhard (1996). Der Sozialstaat: Überforderung der öffentlichen Finanzen und Negativfaktor im Standortwettbewerb? In: isw sozial-ökologische Wirtschaftsforschung München e. V. (Hrsg.), isw-report Nr. 28, Juli 1996, S.13
2 ebenda, S. 7
3 Pauli, Charles (1996). Der Neid der Besitzenden? Anmerkungen zur marktradikalen Sozialstaatskritik. In: isw sozial-ökologische Wirtschaftsforschung München e. V. (Hrsg.), isw-report Nr. 28, Juli 1996, S.28
4 junge Welt, 25.1 1996
5 Harzkurier, 25.7.1996
6 junge Welt, 13.7.1996
7 junge Welt, 7.8.1996
8 Marx, Karl (1890/1975). Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band (21. Aufl.). Berlin: Dietz Verlag. S. 665
9 Erdmann, Karl Dietrich (1988). Das Ende des Reiches und die Neubildung deutscher Staaten (6. Aufl.). In: Handbuch der deutschen Geschichte. München: Deutscher Taschenbuch Verlag. S.176
10 Marx, Karl (1865/1975). Lohn, Preis und Profit. Peking: Verlag für fremdsprachige Literatur. S. 76
11 siehe hierzu >>EinSatz! - Zeitung für autonome Politik<<, Nr.14, September 1996