Gegen Faschismus und Klassenjustiz - Die Antifaschistische Aktion!

KLASSENJUSTIZ UND BÜRGERLICHES RECHT

  Wenn heute Gerichte und ihre Urteile als Klassenjustiz bezeichnet werden, verbirgt sich dahinter zumeist die Entlarvung der RichterInnen als RepräsentantInnen des Staates und seiner ureigensten Interessen. Dabei handelt es sich nicht nur um Gesinnungsjustiz, die sich im Sinne der jeweils herrschenden Staatsräson gegen den politischen Gegner richtet.

Klassenjustiz beginnt im alltäglichen Bereich: Urteile zum Vorteil von VermieterInnen und Konzernen oder auch eine Strafjustiz, die den "Schutz des Eigentums” über den "Schutz des Menschen” stellt und für sogenannte Eigentumsdelikte (Diebstahl) Menschen in den Knast steckt, die am Wesen des Kapitalismus scheiterten.

Zudem existiert eine Verwaltungsrechtsprechung, die Flüchtlinge in Abschiebeknäste und -lager bringt. Sie ersetzt inzwischen damit die "Arbeit” der Nazibanden auf der Straße, indem sie nach außen hin unauffällig Flüchtlinge in die Länder zurückschickt, wo Folter und Tod auf sie warten oder Flüchtlinge in den BRD-Abschiebeknästen - in Erwartung des Todes im eigenen Land - Selbstmord begehen. Damit ist eine strukturelle "saubere Lösung” gefunden, die keine "schokkierte Öffentlichkeit” produziert.

Am deutlichsten drückt sich Klassenjustiz durch die Staatsschutzsenate und -kammern aus, deren politische Bestimmung darin besteht, mit dem Schwert der §§ 129 und 129a gegen RevolutionärInnen, Linke und AntifaschistInnen zu Felde zu ziehen. Sei es um Vernichtung anzudrohen oder sie in letzter Konsequenz auch durchzusetzen.

Hinter diesen vielfältigen Erscheinungen verbirgt sich mehr als nur der reaktionäre Charakter einiger "MittelstandsrichterInnen”. Es stehen sich heute auch nicht mehr sichtbar zwei Klassen gegenüber, von denen die eine die Justiz als Instrument in der Hand hält. Denn es sind - parlamentarisch verabschiedete - Gesetze, die die Grundlage jeder gerichtlichen Entscheidung bilden. Die Existenz der Klassenjustiz ist heute vielmehr im modernen Recht selbst angelegt.

Die Ursprünge

Die Geschichte der Klassenjustiz ist so alt wie die bürgerliche Gesellschaft selbst. Zwar gab es auch in anderen Gesellschaften zuvor Klassen und Organe, die im Interesse der Herrschenden richteten, allerdings ist Klassenjustiz heute gekennzeichnet von der Durchsetzung ökonomischer Interessen für die herrschenden Eliten. Dies mittels bürokratischen, formalen Verfahren, denen der Schein einer neutralen, gerechten Instanz anhaftet.

Bei der Entwicklung der Gesellschaft hin zum Kapitalismus vor etwa 150 Jahren hatte das Recht in den meisten Ländern noch die Funktion, in Form von Befehlen der "Obrigkeit”, Menschen an die neuen Produktionsbedingungen zu ketten und zugleich zu disziplinieren. Die entstehende Industrie verlangte nach Massen von ArbeiterInnen, die überwiegend aus ehemaligen Bauern und Bäuerinnen bestanden. Diese verloren per Dekret ihr Land und damit ihre Lebensgrundlage und waren so gezwungen, ihre Existenz in den neu entstehenden industrialisierten Großstädten zu fristen.

Während bürgerliche Philosophen noch über die Idee des gleichen und freien Menschen nachdachten, schaffte sich das Kapital diesen in Form der "freien” LohnarbeiterInnen; frei von Existenzmitteln und damit gezwungen, in "freien” Verträgen ihre Arbeitskraft zu verkaufen.

Die politischen Rechte der ArbeiterInnen aber mußten zu jener Zeit hart erkämpft werden. Denn zu eng waren die alte Feudalaristokratie und das aufstrebende Bürgertum noch mit dem Staat verwoben. "Gleich” waren die Menschen also nur innerhalb ihres Standes, ihrer Klasse.

Justiz und Klassenkampf

Diese Entwicklung war zugleich Ursache einer Klassenjustiz, die sich gegen die ArbeiterInnen richtete. Denn die erreichten gesellschaftlichen Zustände der revolutionären Umwälzungen des 18. und 19. Jahrhunderts blieben auf eine bürgerliche Vorstellung des Gesellschaftsaufbaus beschränkt.

Die ArbeiterInnen schlossen sich zunächst zusammen, um ihre Arbeits- und Lebensbedingungen, später auch die diesen zugrunde liegenden politischen Verhältnisse, zu ändern (Wahlrechts-, 8-Stundentagsforderung sowie die Forderung nach Abschaffung der Kinderarbeit).

Der direkte Vorläufer der heutigen §§ 129, 129a aus dem preußischen Strafgesetzbuch, der § 99, richtete sich bereits gegen sozialistische Parteien und Gewerkschaften. Ab 1871 - mit der Gründung des ersten deutschen einheitlichen Staates - existiert dieser Paragraph als § 129 (kriminelle Vereinigung), dessen Inhalt bis heute im Kern erhalten blieb.

Nicht nur in der juristischen Definition zur Verfolgung der Opposition schlug Deutschland einen Sonderweg ein. Der "preußische Obrigkeitsstaat” blieb noch lange bestehen. In ihm waren sämtliche Ordnungsaufgaben einer allmächtigen Polizei zugewiesen, die im Gegensatz zum sogenannten Rechtsstaat keiner formalen Kontrolle unterlag und in dem der/ die Einzelne ohne rechtlichen Schutz den Herrschern und ihren Ordnungsorganen ausgeliefert war.

Diese Rückständigkeit liegt zum einen in den gescheiterten bürgerlichen Revolutionen begründet (1848), die die bürgerlichen Kräfte in Deutschland immer wieder Kompromisse mit den Institutionen der Feudalaristokratie schließen ließ. Zum anderen war die Kleinstaaterei erst spät überwunden (1871). Damit wurde auch die Herausbildung des Nationalstaates, der "moderner” staatlicher Organe bedarf, stark verzögert.[1]

Mit der Entstehung des einheitlichen Nationalstaates fand die Bekämpfung der ArbeiterInnenbewegung unmittelbar in den "Sozialistengesetzen” unter Bismarck von 1878 ihre gesetzliche Regelung. Die "Sozialistengesetze” verboten Versammlungen, Organisation sowie Publikationen der sozialdemokratischen ArbeiterInnenbewegung und erweiterten die Polizeibefugnisse. Die erste politische Geheimpolizei entstand in dieser Zeit. Es galt, die damalige Sozialdemokratie mit ihrer Forderung nach politischer Teilhabe und menschenwürdigen Lebensbedingungen im rohen Kapitalismus, zu bekämpfen. Der streng hierarchische Justiz- und Polizeiapparat war das Mittel dazu.

Mit ihm hatten später auch Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu kämpfen. Luxemburg hatte während des I. Weltkrieges, angesichts des Umschwenkens der SPD-Mehrheit, gegen den deutschen Militarismus agitiert und mußte dafür mit Strafhaft und "Schutzhaft” bis zum Ende des Krieges 1918 zahlen. Die spätere Ermordung der beiden durch rechts-reaktionäre Freikorps unter Billigung staatsbeteiligter Sozialdemokraten[2] war für dieselbe Justiz kein Anlaß, die Mörder zu verurteilen. Die später in die deutsche Reichswehr eingegliederten Freikorpsverbände hatten ja in "Not für Volk und Vaterland” gehandelt.

Nicht nur wurden diese Verbrechen juristisch sanktioniert, deutsche Gerichte schickten auch tausende revolutionärer ArbeiterInnen der Aufstände nach 1918, insbesondere nach den "Mitteldeutschen Aufständen” 1921 in die Gefängnisse. Die erste Generation der RevolutionärInnen, die für die Beendigung des I. Weltkrieges gesorgt hatte, war durch die Aufstände zwischen 1918 bis 1923 entweder getötet worden, oder aber saß in den überfüllten Zuchthäusern der jungen Weimarer Republik. Ein markantes Beispiel hierfür ist der Ausgang des Kapp-Putsches von 1920.

"Während die RevolutionärInnen teilweise bestialisch hingerichtet und abgeschlachtet wurden” - durch die rechten Freikorpsverbände, zuvor unter politischer Verantwortung der SPD
in die Reichswehr eingegliedert, die in das Ruhrgebiet gegen die entwaffneten ArbeiterInnen einmarschierten - "konnten die rechten Putschisten vor allem in den Prozessen damit rechnen, mit Samthandschuhen angefaßt zu werden. Von 705 amtlich bekanntgewordenen Straftaten der Rechten waren bis 1922 bereits 412 amnestiert, 176 Verfahren eingestellt, 109 durch Tod oder sonstige Gründe nicht weiter verfolgt, noch nicht erledigt 7 und bestraft sage und schreibe 1 Person.”[3]

Daß die aus der Kaiserzeit kommende Richterschaft sich zumeist mit wehenden Fahnen in den Rechtsapparat des Faschismus einreihte, nicht nur als Werkzeug, sondern mit vorauseilendem Gehorsam, liegt auf einer Linie mit ihrer Funktion: nämlich im Dienste der herrschenden Eliten zu richten.

Über die Klassenjustiz in diesen offenen Formen berichtete schon der Rechtsanwalt und spätere Kommunist Karl Liebknecht in seiner Rede über "Rechtsstaat und Klassenjustiz” von 1907: "Der Richter versteht alles natürlich vom Standpunkt seiner besonderen Klasse”.[4]

Die "Freiheitlich-Demokratische Grundordnung”

Mit der militärischen Zerschlagung des deutschen Faschismus 1945 wird oft - so wurde es gerade im vergangenen Jahr in den Medien breitgetreten - die "Stunde Null” von "Marktwirtschaft und Demokratie” gefeiert. Diese neue Epoche soll sich nun endgültig von der Zeit der Klassenkämpfe und des Faschismus abgelöst haben.

Aber ohne Frage waren weder die Wurzeln des Faschismus generell vernichtet worden, noch endete die Klassenjustiz; der bürgerliche Staat gab sich nur ein anderes Gewand. Das Gewand trägt den aufgeblasenen Namen "Freiheitlich-Demokratische Grundordnung” (FDGO). Diese Begriffsschöpfung sollte in den nächsten Jahren ob ihres schwammigen Inhaltes dazu genutzt werden, all das als verfassungsfeindlich zu erklären, was nicht in das (antikommunistische) Bild des BRD-Staates paßte. Damit war zum Beispiel das Verbot der KPD durch das Bundesverfassungsgericht 1956 und die strafrechtliche Verfolgung hunderttausender KommunistInnen und SozialistInnen in jener Zeit begründet.[5]

Auch die Berufsverbote der 70er Jahre, mit denen sämtliche Berufe im Staatsdienst von fortschrittlichen Menschen "gesäubert” wurden, gehen auf das Totschlagargument der FDGO zurück. Mit dem bis heute genutzten und oft zitierten ideologisch dehnbaren Begriff ist eine Kategorie geschaffen worden, die jegliche Unterdrückung oppositioneller Organisationen, Gruppierungen und Einzelpersonen gesetzlich legitimieren läßt, die die Gesellschaftsform der BRD in Frage stellen, also die des kapitalistischen Verwertungssystems.

Eine ähnliche ideologische Kategorie im Fundament der BRD ist der Begriff der "wehrhaften Demokratie”, der gerne dann in die öffentliche Debatte eingeworfen wird, wenn es um die Forcierung der Durchsetzung schärferer Gesetze im Bereich der "InnerenSicherheit” geht. Hintergrund ist hier abermals die "Totalitarismusthese”.[6]

In Anlehnung an das Ende von Weimar wird hier immer wieder heraufbeschworen, daß das demokratische Gesellschaftssystem so wehrhaft sein müsse, daß es sich gegen die Extreme von links und rechts durchsetzten können müsse. Schärfere Gesetze sollen dies dann gewährleisten; Gesetze zur Unterdrückung der Ansätze, die das Gesellschaftssystem in Frage stellen, also Gesetze gegen die linke Opposition.

Die Geschichte der BRD liefert zahlreiche Beispiele, die den Klassencharakter der Justiz durch strukturelle Maßnahmen (Gesetze und Verwaltungsbestimmungen) deutlich zu erkennen geben. Sei es das Aufstandsbekämpfungsprogramm der Notstandsgesetze 1968, die das "sanfte” Hineinwachsen in einen Krieg gewährleisten und die Aufrechterhaltung des Kriegszustandes durch eine Umstrukturierung der Innenpolitik ermöglichen, oder aber die weitbekannte justizielle Aufrüstung und Verfeinerung durch den § 129a im Jahr 1976. Der § 129a setzt juristisch das um, was politisch propagiert wird: Terroristenhatz.

Die Auslegungspraxis der Staatsschutzsenate im "Deutschen Herbst” 1977 entsprach selbst aus bürgerlich-liberaler Sicht nicht mehr "rechtsstaatlichen Standards”. Die Schnittpunkte mit faschistischer Gesinnungsjustiz waren seinerzeit unübersehbar geworden.

War im "Deutschen Herbst” die Motivation und der "Machtkampf” seitens des Staates erkennbar geworden, sind die Methoden der Justiz als Klassenjustiz heutzutage so angelegt, daß ein offensichtlicher Klassencharakter nicht mehr ohne weiteres erkennbar ist; doch die Bekämpfung linker Bewegungen ist heute mehr denn je in den Strukturen verankert, als daß sich die Klassenjustiz an Machtkartellen reaktionärer Charaktere festmachen ließe

Kapitalismus und Recht

Abgesehen von der Feststellung, daß bestimmte Gesetze und Urteile objektiv den herrschenden Eliten nützen, stellt sich dennoch die Frage in welchem Verhältnis Inhalt und Form des Rechts zueinander stehen.

Zunächst läßt sich Inhalt und Form des Rechts unterscheiden. Der Inhalt einzelner Normen ist eine Bewertung eines menschlichen Verhaltens, woraus eine technische Regel bzw. eine Verhaltensorientierung abgeleitet wird. Bei Nichtbeachtung folgen staatliche Sanktionen.

Der jeweilige Inhalt kann vordergründig fortschrittlich sein, bleibt aber im Gesamtzusammenhang reaktionär. Zum Beispiel enthält eine Quotenregelung für Frauen zweifelsohne progressive Elemente. Im Gegensatz dazu steht hingegen die Neuregelung des § 218, die noch immer nicht den Kern, nämlich die Selbstbestimmung der Frau, entsprechend gewährleistet.

Beide Regelungen, sowohl die "fortschrittliche” Quotenregelung, als auch der reaktionäre § 218 existieren, aber beide in Form von Gesetzen, in der Rechtsform also.[7]

Für die Rechtsform (Gesetz, Bestimmung) ist es unerheblich, welchen Inhalt sie hat. Denn das Recht hebt nur bestimmte Merkmale aus der gesamtgesellschaftlichen Struktur heraus und formuliert anschließend daraus ein Rechtsverhältnis. Diesem Rechtsverhältnis, dieser Regel, liegt schon ein reales menschliches Verhältnis zugrunde.

Beispielsweise betrachtet das Recht beim Kauf nur Übereinstimmung des Willens von KäuferIn und VerkäuferIn, also den Vertrag. Was nicht berücksichtigt wird, sind die jeweiligen Gründe und sozialen Bedingungen, aus denen heraus der/die jeweilige VertragspartnerIn in einen Vertrag einwilligt.

Kann also der Rechtsinhalt als Ausdruck des Willens der herrschenden Klasse, oder - entsprechend den historischen Kräfteverhältnissen - als erkämpfter Kompromiß emanzipatorischer Kräfte betrachtet werden, so ist dies bei der Rechtsform nicht der Fall. Regelungen, Gesetze sind nicht per se einem bestimmten Inhalt verpflichtet.

Ware und Recht

Das einzige, was der Mensch von Natur aus besitzt und was ihn zum Leben befähigt, ist seine Arbeitskraft. Diese ist imstande, mehr zu schaffen als der Einzelne tatsächlich zum Leben braucht. Damit der Mensch in der modernen Industriegesellschaft überhaupt lebensfähig ist, ist er gezwungen, seine Arbeitskraft zu verkaufen.

Die Tatsache, daß der Mensch mit seiner Arbeit mehr zu produzieren vermag, als er zum eigenen Leben benötigt, ermöglicht den Tausch der Dinge und Produkte, die durch Arbeit erzeugt werden. Der Austausch der Waren, der die Grundlage des Gesellschaftssystems des Kapitalismus darstellt, wird durch Gesetze geregelt, also durch die Rechtsform. Da nur der Wille zählt, "frei” über eine Ware zu verfügen, wird auch das zugrunde liegende Verhältnis verschleiert: nämlich die eben genannte besondere Eigenschaft der Ware Arbeitskraft. So erscheint auch der Vertrag zwischen "UnternehmerIn” und "ArbeitnehmerIn” als gerechtes, ausgeglichenes Verhältnis, welches es aber nicht ist, da die sozio-ökonomische Lage ausgeklammert wird.

Eine Gleichheit besteht lediglich in dem Punkt, daß alle Menschen - wollen sie Teil der Gesellschaft sein - Waren kaufen und verkaufen müssen.

Diese bürgerliche Gleichheitsidee stellt sich damit im Endeffekt als eine Ideologie einer theoretischen Gleichheit dar.

Die Idee der Freiheit ist dementsprechend nur als ideelle Freiheit zu sehen und nicht als tatsächliche. Den Geschmack der Freiheit, den die moderne Industriegesellschaft bereithält, ist die Freiheit, Verträge zu schließen.

Da die Ideen von Gleichheit und Freiheit ein falsches Bild der Wirklichkeit der gesellschaftlichen Situation im Kapitalismus wiederspiegeln, steht das im Widerspruch zur realen Herausbildung des Rechts in der modernen Industriegesellschaft.

Der Zwangscharakter des Rechts…

Die gesellschaftlichen Regeln in Form des Rechts machen natürlich keinen Sinn, wenn sie nicht durchsetzbar sind, weil sie sich im permanenten Widerspruch zu ihrem eigenen (theoretischen) Ideal von Gleicheit und Freiheit bewegen. Denn die Verwertung der Arbeitsprodukte auf dem Markt erfordert, wenn der Warenaustausch, also der gesellschaftliche Alltag, reibungslos vonstatten gehen soll, die zwangsweise Durchsetzung des Tausches der Waren.

Diese Funktion erfüllt der Staat als gesetzliche und ausübende Gewalt. Er "ist das Eingeständnis, daß diese Gesellschaft sich in einen unlösbaren Widerspruch mit sich selbst verwickelt, sich in unversöhnliche Gegensätze gespalten hat, die zu bannen sie ohnmächtig ist. Damit diese Gegensätze, Klassen mit widerstreitenden ökonomischen Interessen, nicht sich und die Gesellschaft in fruchtlosem Kampf verzehren, ist eine scheinbar über der Gesellschaft stehende Macht nötig geworden, die den Konflikt dämpfen, innerhalb der Schranken der 'Ordnung' halten soll; diese, aus der Gesellschaft hervorgegangene, aber sich über sie stellende, sich ihr mehr und mehr entfremdende Macht ist der Staat.”[8]

Der Staat kann also nichts weiter sein als eine die Ordnung haltende Macht. Die Mittel, die der Staat zu Verfügung stellt, damit das kapitalistische Verwertungssystem tagtäglich funktionieren kann, reicht von der Schaffung infrastruktureller Maßnahmen bis zur Ausbildung der Ware Arbeitskraft, der gesetzlichen Regelung ihrer Ausbeutung und ihres Verkaufs. Dazu gehört ebenfalls die Reproduktion der Arbeitskraft, die im derzeitigen Stadium des Kapitalismus durch die "Keimzelle” der Familienstruktur gesichert wird.

Die Form der gesellschaftlichen Organisation dient gleichermaßen zur Unterdrückung oder Integration sozialer politischer Bewegungen, die tendenziell die Klassenstruktur dieser Gesellschaft in Frage stellen und für eine Alternative zum kapitalistischen System kämpfen.

…und seine ideologische Verklärung

Die Rechtfertigung des Staatsapparates und einzelner Normen geschieht durch eine ideologische Überbewertung des Rechts (Recht=Gerechtigkeit). Früher waren dies göttliche - angeblich unhinterfragbare - Voraussetzungen und inzwischen sind es "vernunft”-rechtliche. Der gesellschaftliche Charakter des Rechts wird damit verschleiert, so wie heute die Staatsdoktrin der parlamentarischen Demokratie und der Gewaltenteilung als beste Form "gesellschaftlichen Zusammenlebens” gefeiert und festgeschrieben wird.

Im Widerspruch zur eigenen Aussage der Gewaltenteilung steht, daß Regierung, Verwaltung, Polizei, Gerichtsbarkeit und Parlament grundsätzlich einheitlich im Interesse desselben bürgerlichen Staates handeln, allesamt auf dem Boden der FDGO für eine "wehrhafte Demokratie” arbeiten und verurteilen.

Heute läßt sich geradezu von einer juristischen Weltanschauung sprechen: Gerechtigkeit wird als etwas Endgültiges, Feststehendes begriffen, das den gesellschaftlichen Verhältnissen und ihren Veränderungen nicht unterliegt. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zum Beispiel wurde bisher als etwas "Heiliges” gehandelt, als käme jede Entscheidung aus einer Instanz der höchsten Wahrheit.

Allerdings wird das Bundesverfassungsgericht (BVG) doch dann in Zweifel gezogen, wenn es nicht im Sinne reaktionärer Kreise entscheidet, wie es zum Beispiel bei den diesjährigen Entscheidungen zu "Soldaten sind Mörder” und zum Nötigungsparagraphen der Fall war. Nach dieser neuerlichen Entscheidung stellen Sitzblockaden keine Nötigung mehr dar, was eine umfassende Entschädigung der bisher Verurteilten bedeutet.

Geradezu grotesk-komisch wird die Rolle des BVG beim aktuellen "Kruzifix”-Urteil in Bayern. Nachdem religiöse Fanatiker und katholische Glaubensextremisten den Aufstand probten, sah sich das BVG genötigt, das "Kruzifix-Urteil” zu korrigieren und soweit einzuschränken, daß das vielgeliebte Kreuz inclusive "Lattenjupp” in öffentlichen Schulen nicht abgenommen werden muß, sondern hängen bleiben darf, solange sich niemand beinträchtigt fühlt.

Die bürgerliche Gesellschaft…

Das Recht in dieser Gesellschaft spiegelt das Verwertungsinteresse des Kapitals wieder und manifestiert in Gesetzgebung und Rechtsprechung die kapitalistischen Widersprüche des Imperialismus, des Patriarchats, der ökologischen Katastrophe usw. Gleichzeitig aber lassen sich bis zu einem gewissen Grad emanzipatorische Inhalte über die Rechtsform verwirklichen. Dies aber nur soweit, bis die Rechtsform selbst überflüssig würde. Dies deshalb, weil der Inhalt der Forderung die gesellschaftlichen Verhältnisse in Frage stellt.

Mit der Abschaffung des Privatbesitzes an Produktionsmitteln wird zwar das Recht noch nicht überflüssig werden, sondern es kann erst nach und nach absterben. Es wird aber soweit "zurückgedrängt”, wie eine bewußte, gebrauchswertorientierte (bedürfnisorientierte) Produktion und damit klassenlose Gesellschaft möglich wird.

…und ihre Aufhebung

Daß dies nicht nur theoretische, sondern praktische Bedeutung für das Verhältnis zwischen Radikalopposition und Staat hat, läßt sich an vielen Punkten der politischen Praxis ablesen. Zum Beispiel am ewigen Konflikt zwischen "Realpolitik” und systemsprengenden Standpunkten, der nicht nur bei den "Grünen” ein besonderes Kapitel ausmacht. Die "Realos” operieren mit den Basisbedingungen von Demokratie, Rechtsstaat und Marktwirtschaft, und damit auf Grundlage von Ware ihrem Austausch und Geld. Zudem setzen sie diese Bedingungen als quasi natürliche voraus. Ihr Ansatz ist damit schon ihr Dilemma.

Der radikale Standpunkt will zwar systemüberwindend sein, bleibt jedoch dann folgenlos, wenn ihm die Vermittlung nicht gelingt.

Deshalb läßt sich erst in der praktischen Auseinandersetzung mit dem Staat und seinen Organen dieser Konflikt auf der Ebene des Rechts austragen. Mit der tatsächlichen Infragestellung des "staatlichen Gewaltmonopols” wird zum Beispiel erkennbar, daß die auch verinnerlichten Gesellschaftsstrukturen nicht von göttlicher Ewigkeit, sondern angreifbar und veränderbar sind. Dies ist beispielsweise möglich mit der Thematisierung der Form des antifaschistischen Kampfes (Schwarzer Block, Demonstrationen), an der sich die Widersprüche auch innerhalb der staatlichen Organe entzünden und dabei offizielle ideologische und rechtliche Maßstäbe zweifelhaft werden.

Sich auf diesen notwendig widersprüchlichen Kampf einzulassen und entsprechend reagieren zu können, aber zugleich dem Gegner seine eigenen Grenzen bewußt werden zu lassen, ist eine unvermeidliche Gratwanderung. Denn erst wenn sich auch jenseits der radikalen Linken im Bündnis mit anderen Kräften die Erkenntnis durchsetzt, daß sich mit Rechtsstaat, Politik im alten Sinn und "Marktwirtschaft” die realen Probleme sich nicht auflösen lassen, kann auch die Systemstruktur bröckeln.


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