Stellungnahme an das Bündnis gegen den Naziaufmarsch am 04. September in Jena veröffentlicht: 03/09/04


Wir haben auf unserem Plenum die inhaltliche und praktische Ausrichtung der geplanten Antinazi-Demo am 04.09. diskutiert und möchten euch nun das Ergebnis mitteilen. Vorweg sei schonmal gesagt, dass die Diskussion kontrovers geführt wurde und wir es uns mit dieser Entscheidung nicht leicht gemacht haben. Wir werden das Bündnis gegen den Naziaufmarsch verlassen. Nichtsdestotrotz mobilisieren wir weiterhin gegen den Aufmarsch der Nazis und unsere Zusagen bzgl. Transpa-malen bleiben bestehen. Des Weiteren würden wir uns freuen, wenn ihr uns weiterhin über Neuigkeiten informieren würdet. Ausschlaggebend für unser Ergebnis waren hauptsächlich die Diskussionen, Kritiken und Anregungen hinsichtlich der inhaltlichen Ausrichtung der Demo und deren Begründungen sowie grundsätzliche inhaltliche Positionen einzelner Bündnisgruppen, welche unserem Gruppenselbstverständnis (kann bei bedarf rumgeschickt werden) z.T. unvereinbar gegenüberstehen. Hierzu aber später noch mehr. Die VertreterInnen der Gruppe mila26 haben auf dem Vorbereitungstreffen angeregt, dem Naziaufmarsch mittels einer antifaschistischen Gegendemo entgegenzutreten. Diese Gegendemo sollte nach unseren Vorstellungen durch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit nationalsozialistischen Positionen auf der einen Seite, sowie die Anti-Hartz IV Positionen auf den sog. Montagsdemos auf der anderen Seite untermauert werden um inhaltliche Überschneidungen zu kritisieren und zu vermeiden. Wie sich aber auf den Treffen zeigte, waren sich fast alle Bündnispartner darüber einig, dass es einen solchen Zusammenhang dieser beiden Positionen nicht gäbe. Mehrheitlich wurde die Position vertreten, die Nazis hätten sich das Thema Hartz IV nur angeeignet um auf Stimmenfang zu gehen und seien daher keine wirklichen Hartz IV-Gegner. Daraus ergab sich u.a. der Anspruch die Nazis auf der Antifademo „zu entlarven” und individuell „ernst gemeinte” Hartz IV-Kritiken zu thematisieren. Selbst wenn wir einen gemeinsamen Aufruf entworfen hätten glauben wir, dass ein Teil des Bündnisses wesentliche Punkte anders beurteilen würde und die Zeit fehlt diese noch zu diskutieren.

Im Grunde ist es eigentlich zu begrüßen, wenn Menschen für ihre individuellen Interessen auf die Strasse gehen und sich für Veränderungen einsetzen. Tatsächlich wäre Widerstand gegen die Agenda 2010 eigentlich vonnöten. Zielen doch beispielsweise die Hartz IV-Gesetze auf ein deutsches, bzw. europäisches Sozialmodell ab, welches sich in Systemkonkurrenz zum amerikanischen Modell sieht. Selbst die Erfurter „BürgerInnen gegen Billiglohn” haben mittlerweile entdeckt, worum es den Regierungschefs der EU offensichtlich geht: „Sie wollen mit Hilfe von Sozial- und Lohnabbau die USA bis 2010 als stärkste Wirtschaftsmacht ablösen. Deshalb Agenda 2010. Dies ist nicht unser Ziel.” ( Flugblatt „Sozialkahlschläger stoppen!”, BürgerInnen gegen Billiglohn) Erfreulich wenigstens, dass es nicht IHR Ziel ist - wodurch sie sich vom mobilisierten Montags-Mob unterscheiden. Gemeinhin befürchten die Protestler gegen Sozialabbau doch eine „Amerikanisierung” der deutschen Sozialverfassung - eine Sichtweise welche völlig an der Realität vorbeigeht. Hartz IV ist vielmehr eine ureigene Variante deutscher Krisenbewältigung und hat mit der sozialen Situation in den USA wenig gemein. Dennoch erklärte der Sozialdemokrat Schreiner am 8.10.04 in der jungen Welt: „ Da sollen Leute mit jahrzehntelanger Erwerbsbiographie in die Armut gestossen werden. So drohen amerikanische Verhältnisse mit Millionen von `working poor`.” Auch Saarlands Ministerpräsident Müller (CDU) erklärte: „Wir wollen in Deutschland keine amerikanischen Verhältnisse.” (www.phoenix.de/ereig/exp/21132) Obwohl die Agenda 2010 vielmehr ein deutsches und völkisches Programm darstellt, man denke an die Neuauflage des Reichsarbeitsdienstes oder die „miteinander” eingeführte Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich beispielsweise bei Daimler-Chrysler, kritisieren ihre GegnerInnen liberale Aspekte. Allenthalben ist die Entrüstung darüber zu vernehmen, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer würden. Diese Sichtweise, „dass nämlich die einen nur reich werden könnten dadurch, dass sie die anderen arm machten, enthüllt obendrein einen noch tiefer verankerten, sowohl historischen wie seelischen Atavismus: Zum einen ist der Reim, den sich die Deutschen von der Politischen Ökonomie machen, nicht über die Sichtweise einer Agrargesellschaft mit ihrem statischen Produktionsvolumen hinausgekommen, zum anderen zeigen sie einen erschreckenden Sozialcharackter, der das, was ein anderer Mensch mehr besitzt, nur als etwas begreifen kann, was einem selbst weggenommen wurde.” (Bahamas Nr.45, „Verstaatlichung der Arbeitskräfte”, Uli Krug/ Karl Nele) Vorangehendes Zitat verdeutlicht unser Problem mit diesen unsäglichen Demonstrationen. Die OrganisatorInnen sowie DemonstrantInnen sind an keiner Stelle in der Lage, die Ursachen des so genannten „sozialen Kahlschlags” zu erfassen bzw. zu reflektieren. Nicht einmal linke Gruppen scheinen zu einer Kritik des Kapitalverhältnisses in der Lage. So behauptete die JAPS Jena in einem Entwurf für den Aufruf am 04.09.: „Ihr Führerprinzip (der Nazis, Anm.mila26) und das Prinzip des freien Unternehmertums stimmen überein.” ( JAPS „Nazis entlarven - Sozialabbau stoppen”) Hier wird behauptet, dass Konkurrenz, freier Markt und nach Gewinn strebendes Unternehmertum identisch mit völkischer Ideologie der Nationalsozialisten wäre. Als ob es nicht gerade nationalsozialistisches Programm wäre, Klassenwidersprüche und freie Konkurrenz in der Volksgemeinschaft aufzuheben und den Willen des Individuums dem Gemeinschaftswillen unterzuordnen. Auch in dem Bewusstsein, dass Kapitalismus und bürgerliche Gesellschaft die nationalsozialistische Krisenlösungsstrategie als eine Option bereithält gilt es dennoch, die bürgerliche Gesellschaft gegen ihre negative Aufhebung zu verteidigen weil sie eine Grundlage für menschliche Emanzipation darstellt. Individualität und völkisches Zwangskollektiv ist ein unaufhebbarer Widerspruch. Bei den Protesten gegen den Sozialabbau bleibt die Hinterfragung der gesellschaftlichen Logik aus. Dadurch ist es möglich, dass sich überwältigende Teile des Protestes auf das vereinigende Ganze >DAS VOLK< berufen und die anderen diesen nationalistischen Kurs stillschweigend mittragen. Gemeinsam geht man schliesslich für den Erhalt des Sozialstaats auf die Strasse. Was den eigentlichen „sozialen” Charakter des Staates ausmacht, darüber sind sich diese Leute nicht im Klaren. Der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit erfordert einen politischen Umgang welcher in der Einbettung, Formalisierung und Regelung des sozialen Konfliktes innerhalb der Bahnen des bürgerlichen Staates mündet. Das ist erstmal normal, denn der Erhalt des Trägers von Arbeitskraft liegt im Interesse des Verwertungsprozesses selbst - ohne Arbeit kein Mehrwert. (siehe Karl Marx, Das Kapital, 8.Kapitel) Wenn die bürgerliche Freiheit des Marktes abgeschafft wird und an dessen Stelle die bürokratischen Regulationsprinzipien von Befehl und Gehorsam gesetzt werden, wird der Staat sozial. Die Forderung nach der Rückkehr zur sozialen und gleichwohl autoritären Variante kann keine Option für eine Kritik der kapitalistischen Verhältnisse sein.
    Bündnis gegen den Naziaufmarsch
Wir müssen zugeben, wir sind etwas naiv an die Bündniskonstellation in Jena herangegangen. Trotz negativer Erfahrungen mit Gruppen wie beispielsweise JAPS/IL Jena in der Vergangenheit haben wir uns in dieses Bündnis begeben. Ausschlaggebend dafür war bei uns der Wunsch, den Nazis in Thüringen endlich mal wieder etwas mit geballter Kraft entgegen- setzen zu können. Jetzt müssen wir feststellen, dass die Klärung einiger, aus unserer Sicht notwendiger, Basisbanalitäten im Voraus notwendig gewesen wäre. Besonders über die Brisanz der allgemeinen Mobilisierung gegen Hartz IV haben wir uns zu wenig Gedanken gemacht. Hinzu kam das Auftauchen der Nazis auf den Montagsdemonstrationen und die völlig unzureichende Auseinandersetzung damit bzw. die Abhandlung dieses Problems als „die neueste Masche zur Vereinnahmung sozialer Bewegung”. Es ging jedoch noch weiter als wir befürchtet hätten. In Gotha beispielsweise weigerten die Organisatoren der Montagsdemo sich von den anwesenden Nazis zu distanzieren. In vielen Städten (ja, es gab auch Ausnahmen) waren die DemonstrantInnen nicht fähig oder gewillt, die Übernahme der Demo durch Nazis zu verhindern. Weitere Faktoren haben uns zum Ausstieg aus dem Bündnis bewegt: Wie sicherlich bekannt ist, versteht sich mila26 als eine antifaschistische Gruppe welche sich für eine Solidarität mit dem Staat Israel einsetzt und öffentlich positioniert (Begründung:siehe unser Selbsverständnis). Ein Mitglied unserer Gruppe wurde auf der Soliparty für die Aktivitäten gegen den Naziaufmarsch in Jena aufgefordert, ausgelegte Aufrufe mit den Titel: „Antifaschismus heisst Solidarität mit Israel!” wieder einzupacken. Die Aufforderung kam von einer Person aus dem Vorbereitung -bündnis. Ein anderer „Bündnispartner” erlaubte es gnädigerweise, dass Flyer für die 3.Oktoberdemo in Erfurt ausgelegt werden dürfen - „solange nicht der Aufruf ausgelegt wird”. An und für sich ist es uns egal ob irgendjemand aus Jena unseren Aufruf nicht gut findet (obwohl wir an inhaltlicher Kritik immer interessiert sind). Beunruhigend ist vielmehr die Vermutung, dass sich diese Ablehnung auf die im Aufruf ausgedrückte Israelsolidarität bezieht. Wäre es im Bündnis zum Eklat gekommen wenn wir am 04.09. mit Israelfahnen demonstriert hätten? Wie hätte es unser „Bündnispartner DKP Jena gehalten, eine Gruppe jener Partei, deren inoffizielles Theorieorgan - die „Marxistischen Blätter”- auch schon mal die im Bundestag vertretenen Parteien zur Aktion gegen Israel auffordert oder auf einer internationalen Konferenz eine ebenso internationale Demonstration in Palästina einfordert (vgl.: www.dkp-online.de/internat/34151005.htm)? Sie sind deutsch - wie der Name schon sagt.

Wir würden uns freuen, wenn es auch im Anschluss an den Naziaufmarsch eine weiterführende Diskussion geben würde. Möglichkeiten gibt es genug - vielleicht auch auf dem nächsten Ratschlag.

mila26 im August 2004

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