Miguel Cifuentes und Andrés Gil
Am Freitag, dem 25. April, während des Besuchs von Mr. John Snow, Finanz- und Wirtschaftsminister der US-Regierung, der das Ziel hatte, das Angebot des gegenwärtigen Präsidenten zum Abschluß eines bilateralen Abkommens zu prüfen, durch das die Bedingungen für die ALCA in unserm Land beschleunigt geschaffen werden sollen, passierte es, daß mitten im Austausch von gegenseitigen Lobreden die Dolmetscherin des Treffens den Namen von Präsident Uribe mit dem des früheren Präsidenten Gaviria verwechselte, der heute als Generalsekretär der OAS den gerechten Lohn für die vielfältigen Dienste genießt, die er dem Imperium erwiesen hat (das heißt für die Durchsetzung der Prinzipien des neoliberalen Modells während seiner Regierungszeit). Der Lapsus der Dolmetscherin bringt 12 Jahre Anwendung des neoliberalen Modells in unserm Land zum Ausdruck, seit die sogenannte ökonomische Öffnung und der totale Krieg als Leitbanner der nationalen Politik und Wirtschaftsführung installiert wurden, dekoriert mit sophistischen Argumentationen in den nachfolgenden Regierungen, bis wir beim gegenwärtigen Euphemismus der « demokratischen Sicherheit » als Hauptpfeiler der neofaschistichen Regierung von Àlvaro Uribe Vélez angekommen sind.
Die Marionettenregierung des Präsidenten Gaviria trat im Jahre 1990 mit einer verblüffenden Phrase an: « Kolumbianer, willkommen in der Zukunft! » In einer durch die Aureole der aufstrebenden kolumbianischen Technokratie erneuerten Gestalt griff sie damit die alten Formen des Betrugs wieder auf, die die herrschenden Klassen jahrhundertelang benutzt haben, um ihre Interessen durchzusetzen, fast ohne jedweden Widerstand der parlamentarischen Linken und des Volkes im allgemeinen. Beispiel dafür ist der Prozeß der Erarbeitung einer Verfassung, der zur Verkündung der Nationalen Konstitution von 1991 führte, angeblich Paradigma des sogenannten « Neuen Staates der partizipativen Demokratie », ein Prozeß, das muß gesagt werden, den die parlamentarische Linke aufgriff und mit außerordentlicher Energie vorantrieb und den sie in ihrer Naivität zum wirksamen Instrument des Kampfes für die verfassungsmäßige Garantie der Menschenrechte erklärte. Die Aktion gereichte dem Establishment zum Vorteil, denn während die mageren verfassungsmäßigen Errungenschaften ihm zur Ablenkung der Linken dienten, die sich in die Suche nach der Methode zur Durchsetzung dieser Rechte verstrickte, gestattete ihm dies, die zwei Achsen zu etablieren und auszurüsten, die das neoliberale Modell stützen sollten: die ökonomische Liberalisierung und die Haushaltdisziplin, womit das juristische Vorhängeschloß und die Schlüsselgewalt gesichert waren, die die soziale und ökonomische Strukturierung der neuen Formen der kapitalistischen Akkumulation, wie sie in ihrer imperialen Etappe gefordert sind, garantieren sollten: « die Zukunft ».
Das ökonomische und soziale Ergebnis für unsere Nation hätte nicht schlimmer sein können: die Vertiefung der Krise und als unmittelbare Konsequenz die Verschlechterung der strukturellen Wachstumsbedingungen des Landes (das Haushaltdefizit erreicht 4% des BIP, die Auslandsschulden betragen 40 Mrd. Dollar, was 50% des BIP und 40% des Staatshaushalts entspricht). Das hat zu unverhältnismäßigen sozialen Ungleichgewichten geführt: die Armut, gemessen am Index des Lohneinkommens, beträgt 68% in einer Bevölkerung von 44 Mill. Einwohnern, 24% davon leben von 2 Dollar am Tag und 9% von weniger als einem Dollar. 1990 war das Einkommen der 10 % Reichsten 40mal höher als das des ärmsten Zehntels der Bevölkerung, und gegenwärtig ist es 60mal höher. Die offiziellen Zahlen der Nationalen Abteilung für Statistik gaben 2002 den Anteil der Arbeitslosen mit 18% und den der sogenannten Unterbeschäftigten mit 35% an. Die gesamte Wirtschaft hängt von den Entscheidungen des Finanzkapitals ab, was zur Deindustrialisierung des Landes führt; von 1990 bis zur Gegenwart ist der Anteil der Industrie am BIP um 4% gesunken. Die Haushaltspolitik wird den Orientierungen der Geldpolitik und des Wechselkurses untergeordnet, 5% des BIP werden für den Militärhaushalt ausgegeben ( doppelt so viel wie 1990); 5 Mrd..Peso verschwinden nach Angaben der Nationalen Kontrollbehörde jedes Jahr durch Korruption im Staatsapparat. 150 000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes sind entlassen worden, und die aufeinanderfolgenden sieben Steuerreformen zeigen die Kreativität des Regimes bei der Auspressung der kolumbianischen Gesellschaft durch immer mehr Steuern. Das sind die kostspieligen Dividenden der Nationalen Konstitution von 1991 für die Oligarchie; sie ist der perfekte institutionelle Rahmen für eine Antiinflationspolitik monetaristischen Zuschnitts.
Als vorläufiger Kommentar können wir feststellen: Diese Regierung ist kein Unglücksfall in den Geschicken einer Demokratie, die von den an den Wahlurnen zum Ausdruck gebrachten Interessen des Volkes gelenkt wird; das würde heißen, daß sich das Volk in einem bewußten Akt für die Rechten ausgesprochen hat. In Wirklichkeit entspricht die Regierung der fast absoluten Festlegung des Establishments auf die Ultrarechte, der üblichen Position von Erfüllungsgehilfen in diesen Zeiten der Saddams und Bin Ladens und der entsprechenden tyrannischen Handlungsweise des Weißen Hauses. Das Establishment ist eine perfekte Kopiermaschine für das Drehbuch zur Monopolisierung und Kontrolle der Massenmedien (ein notwendiges Element für die massenhafte Entfremdung des Volkes), zum Kauf von Wählerstimmen und Bündnissen, die wie in den Zeiten des Generals Santander so auch heute notwendig sind, um Meinungen zu erzeugen und Maßnahmen zu verabschieden, die diejenigen schützen sollen, die « etwas zu verlieren haben » (darunter ist hauptsächlich die raffgierige Oligarchie zu verstehen, die unter keinen Umständen bereit ist, ausgleichende Maßnahmen der sozialen Verteilung des Einkommens zu akzeptieren).
Ein großes Herz für die transnationalen Unternehmen, eine harte Hand für das Volk. Eine Reihe von Maßnahmen, die zum Teil bereits ergriffen wurden, zum Teil sich noch im Prozeß der Umsetzung befinden, und der Entwicklungsplan sind die Tatsachen, die die Strategie des Notstandes und der Rettung der gegenwärtigen Regierung beinhalten. Gehen wir einen nach dem anderen die Hauptpunkte dieser « Rettungsstrategie für das Establishment » durch:
Die fortlaufende Finanzierung dieser Initiative, die unter der Regierung Pastrana implementiert wurde, umfaßt für das Jahr 2003 die Gesamtsumme von 663,5 Mill. Dollar, und man ist dabei, die Bereitstellung der Mittel für 2004 zu sichern. Damit setzt sich der Interventionismus der USA fort und wird gegen ärmliche Zugeständnisse die nationale Souveränität vollständig den Interessen der USA untergeordnet. Die anfangs verhüllten Ziele des Plans (die ungehinderte Nutzung der dafür bestimmten Mittel für den Krieg zur Aufstandsbekämpfung, seine Umwandlung in die Speerspitze der Intervention in Lateinamerika, die Durchsetzung der sogenannten kapitalistischen Modernisierung, die den annektionistischen imperialen Zielen entspricht, und die Errichtung von USA-Basen an strategischen Punkten des Kontinents) sind heute zu einer unerbittlichen Realität geworden, die die Strategie der USA für das Land und für den Kontinent beherrscht und sich zum Teil in dem Projekt der politischen Konstituierung der ALCA 2005 konkretisiert. Der Drogenhandel, der Hauptvorwand für diese Intervention, genießt weiter alle Sicherheiten, die ihm das Kapital durch sein Weltfinanzsystem bietet, um seine illegalen Gelder ungehindert zirkulieren zu lassen. Dagegen werden die Felder der Kolumbianer mit Giftstoffen besprüht und weiterhin Umwelt- und Wassersysteme mit Vergiftung bedroht, die Zonen der Kaffeeproduktion, Rückzugsgebiete indigener Bevölkerung und Entwicklungsgebiete alternativer Landwirtschaftsprojekte versorgen.
Nicht umsonst hat diese imperiale Mißgeburt eine Metamorphose zur Regionalen Andeninitiative durchgemacht, und heute nimmt Präsident Uribe in bedingungsloser Ergebenheit gegenüber Washington seine Rolle als Speerspitze gegen den Rest des Kontinents wahr und schlägt einen vorwurfsvollen Ton gegenüber den Nachbarn an, die sich nicht seinem Zug der « demokratischen Sicherheit » angeschlossen haben. Das ist eine Interpretation, die den Diskurs über den « internationalen Terrorismus » bestärkt. Es ist leicht vorauszusehen, daß die Regierung und das Territorium Kolumbiens als Ausgangspunkt für den Angriff auf die lästige Regierung Chávez benutzt werden wird, und Uribe träumt davon, sich in den imperialen Vizekönig für die Region an der Spitze von 250 000 Marines zu verwandeln, die er von Bush als gebieterische Notwendigkeit erbeten hat.
In Kolumbien gibt es einen sehr volkstümlichen Ausdruck, der benutzt wird, wenn geheime Absichten aufgedeckt werden: « das Kupfer abkratzen ». Genau das kommt einem in den Sinn, wenn man die unverhältnismäßige Differenz feststellt zwischen dem uneingeschränkten politischen Willen, den die Regierung und ein Teil des Establishments bekunden in der erhofften Verhandlung mit den Paras und der fast auf Null tendierenden Bereitschaft beim Thema des humanitären Austausches.
In den ersten sechs Monaten der Regierung Uribe wurde ohne jede Überraschung für das Land und unter lebhaftem Beifall der vornehmsten Vertreter der Oligarchie die Nachricht von der Annäherung mit den paramilitärischen Gruppen entgegengenommen. Sie kamen durch die guten Dienste der höchsten Vertreter der katholischen Kirche zustande, die darauf spezialisiert ist, wie der Volksmund sagt, « eine Kerze für den Teufel anzustecken und eine für Gott ». Der Superminister Londoño, der gewohnt ist, in seinen gewalttätigen Tiraden die wirklichen Absichten der Regierung zu offenbaren, verkündete deren « politischen Willen zur Erklärung einer allgemeinen Amnestie », die die Begnadigung und die unvermeidliche Straflosigkeit gewähren würde, Absichten, die sich schon im Dekret 128 von 2003 abzeichnen. Carlos Castaño seinerseits hat in einem offiziellen Kommuniqué der AUC erklärt, daß Pläne konkretisiert werden müssen, « die de Sicherheit und Verteidigung der bereits von den AUC kontrollierten Territorien in Zusammenarbeit mit der Nationalen Armee garantieren ». Der Leitartikel des ultrakonservativen Blattes « Nuevo Siglo » behauptet, daß « die AUC nicht demobilisiert werden müssen, weil sie ein wirksames Instrument der Aufstandsbekämpfung sind ». Die Verschwiegenheit, die in den letzten beiden Monaten die brüderlich verbundenen Sprecher der Regierung und der AUC bewahrt haben, läßt voraussehen, daß demnächst dem Lande bereits geschaffene Tatsachen präsentiert werden sollen: ein Abkommen mit den paramilitärischen Chefs, das die Legalisierung ihrer Truppen in irgendeiner Form einschließt (sicher werden sie als Bauernsoldaten eingesetzt), die staatliche politische Anerkennung, die es ihnen gestattet, ihre zugegebenen 30% der Kongreßabgeordneten als Fraktion zu ihren Gunsten zu nutzen und die völlige Straflosigkeit für ihre grausamen Verbrechen zu erreichen, die sie als Handlanger derer, die sie begnadigen, begangen haben.
Es scheint, daß sich bei diesem Thema der politischen Willen der Regierung vollständig erschöpft, sie hat nichts getan, als die Familienangehörigen der Gefangenen und die nationale und internationale öffentliche Meinung mit Spitzfindigkeiten und Lügen zu verwirren, sie hat keine klare und konkrete Position bezogen und mit der Schaffung von Untersuchungskommissionen und der sogenannten Mitarbeiter die offizielle Benennung ihres Sprechers, der zu diesem Thema autorisiert ist, hinausgezögert und umgangen.. Andererseits versucht man politische Bedingungen für ein Abkommen aufzustellen, dessen Inhalt, wie die Expräsidenten López und Samper feststellen, « rein humanitär ist ». Inzwischen haben die FARC öffentlich das Thema wieder auf die Tagesordnung gebracht, indem sie ihre logistischen und methodischen Vorschläge klargestellt haben und ihre offiziellen Sprecher zu diesem Thema unter der Leitung ihres Kommandeurs Manuel Marulanda benannt haben. Die Haltung einiger progressiver Kreise der Gesellschaft für den Gefangenenaustausch gewinnt immer mehr Kraft, und die Regierung Uribe wird sich gezwungen sehen, das Abkommen unter dem Druck der politischen Realität, die es zu einer humanitären Notwendigkeit macht, zu akzeptieren.
Es gibt ein Arhuaca-Legende, die von einem Stammes erzählt, der durch Tricks und Betrügereien von einem unförmigen und despotischen Zwerg regiert wurde. Dieser ließ sich niemals sehen, in den Nächten traf er sich mit dem Stamm am Eingang einer Höhle, und von dort aus projizierte er einen riesenhaften Schatten, indem er eine Fackel benutzte. Mit kehliger Stimme erzeugte er Schrecken und setzte seine Absichten durch. Diese Legende hat viel Ähnlichkeit mit Álvaro Uribe, der aus der Höhle der Militärkasernen und vergrößert durch die Massenmedien in wahnwitzigen Reden Drohungen ausstößt und sich als einen strategischen Riesen darstellt. Per Dekret erfindet er Endschlachten, die vollständige Zurückdrängung der aufständischen Kräfte und die Übernahme der strategischen Initiative des Konflikts. Nichts ist unsinniger, obwohl sicher ist, daß die getroffenen Maßnahmen es ihm ermöglicht haben, die Zersplitterung der Volksbewegung zu verstärken. Es ist ein Versuch, einen möglichen Prozeß, der ausgehend von der Krise der ökonomischen und sozialen Lage eine Erhebung des Volkes hervorbringen kann, führerlos zu machen. Auf dem Gebiet der militärischen Konfrontation hat er es nicht geschafft, eine kohärente Strategie aufzubauen, die die ständige Handlungsfreiheit der Aufständischen neutralisiert. Die Regierungsinitiative hat sich auf psychopolitische Methoden konzentriert, und die angestrebte Einheit der Anstrengungen und Vorhaben des Staates scheitert an der Kollision der Interessen seiner Vertreter wegen ihres Erscheinungsbildes in den Medien. Letzten Endes verschwimmen ihre politischen Ziele, weil sie in ihrer Arroganz die strukturellen Ursachen des Konflikts nicht erkennen und mit der Nase auf die objektive Realität gestoßen werden müssen.
Literaturverzeichnis:
Estrada, J., Die demokratische Sicherheit von Uribe Vélez, in: « Taller », Bogotá, Nr. 4, Jan,-März 2003 (span.).
Petras, J., Betrachtungen zur Geopolítik. Kritische Essais, Plan Colombia. Verlag Universidad Nacional de Colombia, Bogotá 2002 (span.).
Sarmiento, L., Mandat des IWF und der Weltbank, in: « Desde abajo », Bogotá, Nr. 76, Febr.-März 2003 (span.).