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Tages-Anzeiger (Zürich) vom 09.08.2001
Kulturteil

Jongleure gefährden öffentliche Sicherheit

Fast drei Wochen nach den Ausschreitungen in Genua befindet sich eine österreichische Theatergruppe immer noch in Haft:
Politisches Engagement kann heutzutage fatale Folgen haben.

Von Dominik Dusek

Am 22. Juli wurden die 25 Mitglieder der VolxTheaterKarawane, einer hauptsächlich aus österreichischen Theaterschaffenden bestehenden, mobilen Künstlergruppe, 30 Kilometer ausserhalb von Genua verhaftet. Tags zuvor war es in der italienischen Hafenstadt während Demonstrationen gegen den dort stattfindenden G-8-Gipfel zu schweren Straßenkämpfen gekommen. Die Vorwürfe an die Karawane lauten auf Vandalismus, Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation. Letzterer Paragraf hatte den italienischen Behörden bislang hauptsächlich zur Bekämpfung der Mafia gedient.

Kraftvolle "Dreigroschenoper"

Österreich erlebte in den folgenden Tagen einen innenpolitischen Disput. In einer ersten Stellungnahme hatte Aussenministerin Benita Ferrero-Waldner den italienischen Behörden "volles Vertrauen" ausgesprochen und die Verhafteten als "vorbestraft" bezeichnet. Wie sich bald herausstellte, war diese Behauptung unwahr, allerdings berichtet die Wiener Wochenzeitung "Falter" in ihrer jüngsten Ausgabe, dass die Theatergruppe tatsächlich unter staatspolizeilicher Observation stand. Offenbar war das explizit politisch agierende Theater, das sich inhaltlich deutlich gegen die Globalisierung und den Rechtsrutsch der österreichischen Regierung wendet, den Behörden bereits unliebsam aufgefallen.

Wer sind also die Leute, die sich seit nunmehr fast drei Wochen in Gewahrsam der italienischen Polizei befinden? Die Initiative zur Gründung der VolxTheaterKarawane kam aus den Reihen des Volxtheaters Favoriten, einer Wiener Theatergruppe, die 1994 im alternativen Kulturzentrum Ernst-Kirchweger-Haus von theaterbegeisterten Laien ins Leben gerufen wurde. Deren erster Schritt an die Öffentlichkeit war eine anarchische, in ihrer Dynamik beeindruckende Aufführung der brechtschen "Dreigroschenoper" mit überaus versierter Livemusik und, als ironischem Höhepunkt, einem lebendigen Pferd, so wie es Brecht für die Uraufführung verlangt hatte. Der beträchtliche Erfolg ermutigte das Ensemble zu weiteren Taten und zur konsequenten Verfolgung seines Wegs: des gemeinsamen Erarbeitens gesellschaftskritischer Stücke, Revuen und Liederabende. Herausragend war 1996 ein mehrstündiges szenisches Monstrum nach Kleists "Penthesilea".

Zu keinem Zeitpunkt jedoch war das Volxtheater eine feste Gruppe. Leute kamen, gingen und kamen wieder, an allen Ecken und Enden entstanden Teilproduktionen, vom interventionistischen Straßentheater bis zur "Live-Jukebox" an Silvesterpartys. Wie stark die Gruppe in der Wiener Off-Szene vernetzt ist, belegen zahlreiche Beispiele. Die langjährigen Volxtheater-Musiker Oliver Stotz und Dieter Kovacic etwa verunsicherten die Öffentlichkeit mit ihrem Anti-Copyright-Duo, das sich auf CDs :19 und live :17 nannte und das irrlichternd zwischen elektronischer Musik und Popmelodik hin und her hüpfte. Kovacic geht als DJ Dieb13 noch einen Schritt weiter, indem er seine CD "Restructuring" als "OpenContent" deklariert und sie jedermann zur weiteren Verfremdung zur Verfügung stellt. Die CD enthält brachiale Instrumentalisierungen von Vinyl-Liveaufnahmen befreundeter Musiker. An zahlreichen Festivals moderner Musik und in Zusammenarbeit mit Musikern wie dem Komponisten Burkhard Stangl untermauerte Kovacic seinen Ruf als unberechenbarer und kompromissloser Klangkünstler.

Auftritte im Wiener Schauspielhaus

Eine andere zentrale Figur des Volxtheaters ist Gini Müller, die als Dramaturgin und Regieassistentin bis 2000 im wohl bedeutendsten Wiener Nicht-Staatstheater, dem Schauspielhaus, arbeitete. In die Zeit ihres dortigen Engagements fiel etwa eine Aufsehen erregende Inszenierung von Mark Ravenhills "Shoppen und Ficken", bei der die Schauspieler mitten im auf Sofas und Liegematten gebetteten Publikum agierten. Dieser Verbindung war es auch zu verdanken, dass das Volxtheater-Team im Schauspielhaus die wöchentliche Performance-Reihe "Theme Attack" verwirklichen konnte. Politisches Theater wurde da mit modernen Mitteln collagiert, Liedern von Robert Wyatt oder vom Kabarettisten und Querdenker Georg Kreisler wurde neues Leben eingehaucht, Live-Samples aus dem Publikum wurden verfremdet, geloopt und wieder eingespielt, satirische Doppelconférencen und artistische Kraftakte verschmolzen zu brisant-absurden Szenenfolgen.

Die Regierungsbeteiligung von Jörg Haiders FPÖ verstärkte das oppositionelle Engagement des Volxtheaters. Aus ihrer Tradition des anlassbezogenen Straßentheaters entwickelten die Schauspieler die Idee einer "Kulturkarawane". Im Sommer 2000 zogen sie durch Haiders Bundesland Kärnten und thematisierten in theatralen Aktionen unter freiem Himmel den repressiven Alltag an der österreichischen EU-Aussengrenze. Ihre Botschaft wurde auf eigens fabrizierten Denkmälern vor Ort hinterlassen: "No Border - No Nation" ("Keine Grenze - Keine Nation"). Diesen Geist sollte die VolxTheaterKarawane 2001 aufgreifen.

Massive Polizeigewalt

Mit Teilnehmern aus Deutschland, Australien, der Slowakei und den USA startete die Karawane Ende Juni und besuchte unter anderem Salzburg, Ljubljana und La Spezia, bevor sie den Demonstrationen in Genua beiwohnte. Noch vor der Abreise soll das Team Befürchtungen bezüglich der möglichen Konfrontation mit der italienischen Polizei gehegt haben. Eine offizielle Pressekonferenz, an der auch die frühere österreichische Frauenministerin Johanna Dohnal teilnahm, und die penible Deklaration aller mitgeführten Theaterrequisiten wie federleichter Jonglierkeulen und einer nicht mehr funktionstüchtigen, 50 Jahre alten Gasmaske sollten die Ängste wohl mildern. Genützt hat das freilich nichts: Genau der Besitz dieser Gegenstände wird von den italienischen Behörden nun als Indiz für die Militanz der Gruppe herangezogen. Die Karawane befand sich bereits auf dem Nachhauseweg, als sie von der Polizei gestoppt wurde. Zehn Minuten vor der Verhaftung hatte sie eine schwedische Autostopperin mitgenommen, die nun ebenfalls im Gefängnis sitzt.

Während der ersten Tage in Polizeigewahrsam waren die Verhafteten offenbar massiver Gewalt ausgesetzt. Die Frauen überlegen eine Anklage wegen sexueller Belästigung. Im "Falter" und im "Der Standard" wurden handgeschriebene Notizen eines Schauspielers veröffentlicht, die dieser dem österreichischen EU-Abgeordneten Johannes Voggenhuber - das Mitglied der Grünen kümmerte sich als erster Politiker um die Verhafteten - zustecken konnte: "Ich werde in einen Raum gestossen. Und plötzlich wird von hinten auf mich eingeprügelt. Fast gleichzeitig ein harter Schlag oder Tritt in den Rücken. Schläge von der Seite auf den Hinterkopf, ins Genick, auf die Schultern. Tritte auf die Beine . . . nach der Leibesvisitation ein Tritt in den Schritt, extremer Schmerz, "sht up, monster, I kill you!" . . . Tritt ans Schienbein, Schlafverbot, "Mussolini, galere, you know!"."

Der nächste Termin zur Prüfung, ob die Theaterschaffenden freigelassen werden, ist der 13. August.


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